Menü

Das Weltgericht

von Güntzel Schmidt (Nesse-Apfelstädt)

Predigtdatum : 19.11.2017
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres
Textstelle : Lukas 16,1-8.(9)
Wenn Sie diese Predigt als Word-Dokument erhalten möchten, tragen Sie bitte Ihre E-Mail-Adresse ein und klicken Sie auf "Abschicken"
Ihre E-Mail

Predigttext Lukas 16, 1 - 8 (9)
Gleichnis vom unehrlichen Verwalter
„Er sprach aber auch zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz.
Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein.
Da sprach der Verwalter bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln.
Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde.
Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und sprach zu dem ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig?
Der sprach: Hundert Fass Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig.
Danach sprach er zu dem zweiten: Du aber, wie viel bist du schuldig? Der sprach: Hundert Sack Weizen. Er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig.
Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte. Denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts.
(Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten).“

Liebe Gemeinde,

im Kalender der Kirche ist heute der vorletzte Sonntag des Kirchenjahres, gewidmet der Besinnung auf das Jüngste Gericht.
Im Kalender der weltlichen Gedenktage ist heute aber auch Volkstrauertag. Heute wird im Bundestag und in zahlreichen Gedenkfeiern der Toten beider Weltkriege gedacht.

Kaum ein Mensch, der vor dem Ende des 2. Weltkrieges ge-boren wurde, ist von Erfahrungen mit dem Tod verschont ge-blieben, von traumatischer Erfahrung im Bombenkrieg, auf der Flucht oder durch Vertreibung.

Auf den Friedhöfen und an Gedenksteinen wird an einen ge-fallenen oder vermissten Sohn oder Bruder gedacht. Dort stehen auch die Grabmale derer, die bei Bombenangriffen ums Leben kamen.

Die Älteren haben das alles noch selbst erlebt. Die Jüngeren haben in ihren Familien Geschichten erfahren, in denen erfahrbar wird, wie der Krieg die Familien getroffen hat. Die Kriegserlebnisse sind Teil des gemeinsamen Familienge-dächtnisses, Teil der Familiengeschichte geworden.

Und heute sind hier und da in Deutschland auch Opfer aus der jüngsten Vergangenheit zu betrauern: Soldaten, die bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr getötet wurden. Mitar-beiter von Hilfsorganisationen, die durch Terror oder Katas-trophen ums Leben kamen.

So erwarten manche heute zu recht, dass von der Kanzel etwas Freundliches, Besänftigendes, Tröstliches gesagt wird.
Die Erinnerung an Zeiten von Krieg, Verfolgung und Brutalität in unserem Land lässt aber vielleicht auch die Frage aufkom-men, wie es sein konnte, dass solche Brutalität gegenüber Kindern, gegenüber Menschen mit Behinderung, und vor allem gegen Menschen jüdischen Glaubens, gegenüber den Sinti und Roma, gegen Homosexuelle verübt wurde.
Wie es sein konnte, dass Denunziation, gemeines Intrigieren, öffentliche Gewalt, staatlich gefordertes und gefördertes Tö-ten in dieser Form überhaupt möglich waren.

Wie es sein konnte, dass der Staatsapparat ein ganzes Volk „gleichschaltete“, und wie so viele wegsehen konnten, als Menschen, die gestern noch ihre Nachbarn und guten Be-kannten waren, plötzlich Feinde sein sollten, denen man un-gestraft jedes nur erdenkliche Unrecht antun durfte.

Noch immer gibt all das, was geschehen ist, Anlass zum Gedenken und zur Trauer, zum Misstrauen und zur Sorge.
Wie können wir heute, Jahrzehnte später, mit diesen be-drängenden Fragen leben?
Kann es wieder geschehen? Sind wir uns da ganz sicher, dass wir gefeit sind vor einer Dynamik, die die einen zu Tätern und die anderen zu Opfern macht?
Noch immer warten Menschen auf Versöhnung und Wieder-gutmachung, sofern das überhaupt ein angemessenes Wort ist.
Noch immer gibt es die Aufforderung, Rechenschaft abzu-legen als Volk und als Einzelne, im Blick auf unsere Vergan-genheit ebenso wie im Blick auf Gegenwart und Zukunft.

Rechenschaft ablegen muss auch der Verwalter, von dem im heutigen Predigttext die Rede ist: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Haushalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz. Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Haushalter sein.

Der Verwalter kommt gar nicht erst auf den Gedanken, sich zu verteidigen. Die Vorwürfe sind wahr; er weiß genau, dass es da nichts zu beschönigen gibt. Zugleich setzt sofort sein Überlebenstrieb ein: Was kann, was muss er tun, damit sein Lebensunterhalt gesichert ist, jetzt, wo er seine Stelle ver-liert?
Der Haushalter sprach bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln. Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde.

Als der Verwalter mit der Aufforderung konfrontiert wird, Rechenschaft abzulegen, setzt keine Selbstbesinnung ein, oder gar Reue. Er weiß um sein falsches Verhalten, um seine Fehler, aber das scheint ihn nicht weiter zu kümmern. Statt sich mit einem schlechten Gewissen zu plagen, sorgt er sich sofort darum, wie es für ihn gut weitergehen kann.

„Was muss ich tun?“, fragt er sich, „damit sich andere um mich kümmern, wenn ich meinen Posten verliere?“ Dabei denkt er nicht im Entferntesten daran, eine ordentliche Arbeit anzustreben. Er entwickelt lieber einen raffinierten Plan, wie er sich Freunde machen kann, oder besser: wie er andere dazu bringen kann, sich ihm verpflichtet zu fühlen, so dass sie ihn aushalten werden.

Er ruft alle Geschäftspartner seines Arbeitgebers zu sich, die Schulden haben, und vereinbart einen Teilerlass ihrer Schul-den. Für diese Leute ein gutes Geschäft, und auch für ihn. Denn nun hat er Leute, die sich um ihn kümmern werden -weil sie ihm dankbar sind, aber auch, damit der krumme Deal nicht herauskommt.

Und das alles heute in der Kirche, von der Kanzel, aus der Bibel zum Thema „Rechenschaft ablegen“?
Und dann geht die Geschichte auch noch nicht einmal gut aus, moralisch richtig, indem der ganze Schwindel auffliegt und das hinterlistige Verhalten des Verwalters bestraft, oder wenigstens gerügt wird, ganz im Gegenteil:

Der Herr lobte den ungetreuen Haushalter, weil er klug ge-handelt hatte; denn die Kinder dieser Welt sind unter ihres-gleichen klüger als die Kinder des Lichts. Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.
Was ist denn das? Keine Ermahnung, keine Strafe, statt-dessen - - - Lob? Ist das nicht ein Schlag ins Gesicht für alle, die versuchen, fair und gerecht zu leben, ohne solche Tricks durchs Leben zu gehen?

Fällen wir unser Urteil über diese Geschichte nicht zu schnell. Sehen wir ruhig noch einmal hin. Warum wird dieser Ver-walter eigentlich gelobt? Dann stellen wir fest: Er wird nicht für seine Unehrlichkeit gelobt. Im Gegenteil: Es wird ganz klar festgestellt, dass er ein „ungetreuer“ Haushalter ist.

Gelobt wird er, „weil er klug gehandelt hatte“. Weil er erkannt hatte, was jetzt, in diesem Moment, getan werden muss. Jetzt, angesichts seiner ganz persönlichen Katastrophe - der Verlust des Arbeitsplatzes -, muss er für sich und seine Zu-kunft sorgen, seine Existenz sichern.

Das tut der Verwalter auf seine eigene, zugegebenermaßen unkonventionelle Art. Er macht sich dabei keine Illusionen, und er denkt auch nicht daran, sein Leben grundsätzlich zu ändern: graben, also von seiner Hände Arbeit leben, das kann er nicht, und zu betteln schämt er sich.

Entschlossen, mutig und klug ergreift er die Möglichkeiten, die sich bieten. Er macht sich, wie es in der Bibel heißt, „Freunde mit dem ungerechten Mammon“.

Jesus lobt den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hat. Klug handeln bedeutet: Er hat in einer ausweglosen Situation, er hat in einer Katastrophe das getan, was nötig war und in seinen Kräften und Fähigkeiten stand.

Wenn Jesus uns diesen ungetreuen Verwalter als Vorbild hin-stellt, dann möchte er nicht, dass wir alle gerissene, ge-wissenlose Halunken werden. Sondern er möchte, dass wir in ausweglosen Situationen, in Katastrophen nicht zögern und grübeln oder den Kopf in den Sand stecken, sondern tun, was nötig ist und was in unseren Kräften steht.

Was hat diese so unmögliche und zugleich so realistische Geschichte mit unserem heutigen Volkstrauertag zu tun?

Der vorletzte Sonntag des Kirchenjahres ist dem Gedenken an das Jüngste Gericht gewidmet. Der 2. Weltkrieg, so unge-heuer schrecklich er war, war nicht das Jüngste Gericht. Auch die vielen Kriege und furchtbaren Katastrophen seitdem waren nicht das Jüngste Gericht, obwohl immer wieder Menschen auftauchen, die angesichts solcher Schrecken das nahe Ende beschwören.

Jesus hat gesagt: „Das Reich Gottes ist nahe herbei-gekommen“. Er war auch so ein Endzeitprediger. Aber er hat das Ende der Zeiten nicht vorweg genommen, sondern ge-lehrt: Heute, jetzt und hier, ist das Ende der Zeit. Denn heute, jetzt und hier entscheidet sich, auf welcher Seite du stehst. Ob du ein „Kind dieser Welt“ bist oder ein „Kind des Lichts“. Heute entscheidet es sich, wenn du z. B. auf deinem Weg einen Menschen siehst, der deine Hilfe braucht: Gehst du vorbei wie der Priester und der Schriftgelehrte, oder bleibst du und hilfst, wie der barmherzige Samariter?

Es ist nicht die Frage, was unsere Großeltern, unsere Eltern getan haben. Es ist nicht die Frage, was wir damals getan hätten. Es ist die Frage, was wir heute tun - und ob wir uns im Zweifel auf die richtige Seite stellen: Auf die Seite derer, die schwach sind, die bedrängt oder unterdrückt werden, die Hilfe brauchen.

Das Jüngste Gericht findet heute statt, jetzt und hier. Es urteilt nicht über unsere Taten der Vergangenheit, nicht über die Taten unserer Eltern und Großeltern. Es urteilt über das, was wir heute tun oder nicht tun. Es ist nicht so schrecklich, wie es die Gerichtsprediger uns vorgemalt haben, und den-noch unerbittlich.
Denn es beschönigt nichts. Es hält uns die Wahrheit vor über uns und unser Tun. Wir können nur auf einer Seite stehen: auf der Seite der Welt. Oder auf der Seite des Lichts.

Es ist klar, auf welcher Seite Jesus uns sehen möchte. Aber auch, wenn wir es jetzt nicht schaffen, uns an seine Seite, auf die Seite des Lichts, zu stellen: Seine Hand bleibt aus-gestreckt. Wir dürfen den Schritt hinüber auf die gute Seite von neuem probieren.

Wer einsieht, etwas fundamental falsch gemacht zu haben, der muss nicht versuchen, das wegzureden oder zu ver-schweigen -jedenfalls vor Gott nicht.

Wer die Vergangenheit ansehen kann mit all den Gefühlen und Gedanken, die damit verbunden sind, auch mit den schmerzlichen und traurigen, findet die Möglichkeit, seine jetzige Lage so realistisch anzusehen, dass sich ein neuer Weg in die Zukunft finden lässt.

Vor Gott jedenfalls braucht niemand Angst vor der eignen Ge-schichte zu haben, vor der persönlichen so wenig wie vor der unseres Volkes. Und wenn es darum geht, auf der richtigen Seite zu stehen oder, wie es im Predigttext heißt, sich ein Zuhause bei Gott zu schaffen, aufgenommen zu werden in die ewigen Hütten, dann gilt es das zu tun, was man kann, worauf man sich versteht. Nicht weniger, und auch nicht mehr.

Die Geschichte vom ungerechten Verwalter zeigt: Selbst dann, wenn man denkt, jetzt ist alles aus, jetzt geht gar nichts mehr, ich stecke in der Sackgasse oder bin von anderen in eine gedrängt worden - selbst dann ist die Lage niemals völlig aussichtslos.

Gott hat uns mit Verstand, mit Gefühlen, mit Mut und Risiko-bereitschaft zur richtigen Zeit ausgestattet. Mit Stärken, auf die wir uns gut verstehen. Sie dürfen und können wir nutzen.
Wie der ungerechte Verwalter haben auch wir bei Gott eine Chance. Sie gilt es zu nutzen, und zu leben als Kinder des Lichts.
Amen.


Verfasser: Pfarrer Güntzel Schmidt
Ernst-Haeckel-Platz 6, 99192 Nesse-Apfelstädt


Herausgegeben vom

Logo Zentrum Verkündigung

Referat Ehrenamtliche Verkündigung
Markgrafenstraße 14, 60487 Frankfurt/Main,
Telefon: 069.71379-140
Telefax: 069.71379-131
E-Mail: predigtvorschlaege@zentrum-verkuendigung.de

in Kooperation mit dem

Logo Gemeindedienst der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland
Gemeindedienst der
Evangelischen Kirche
in Mitteldeutschland

Pfarrer Dr. Matthias Rost
Zinzendorfplatz 3 (Alte Apotheke), 99192 Neudietendorf
Telefon: 036202.7717-97

Logo MÖD – Missionarisch Ökumenischer Dienst
Pfarrer Thomas Borchers
Missionarisch-Ökumenischer Dienst
Westbahnstraße 4
76829 Landau
Telefon: 06341.928912
E-Mail: info@moed-pfalz.de