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Der barmherzige Samariter

von Arno Kreh (64823 Groß-Umstadt)

Predigtdatum : 21.08.2005
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 11. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Markus 3,31-35
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Wochenspruch:



Christus spricht: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. (Matthäus 25,40)



Psalm: 112,5-9



Lesungen



Altes Testament:

1. Mose 4,1-16a

Epistel:

1. Johannes 4,7-12

Evangelium:

Lukas 10,25-37



Liedvorschläge



Eingangslied:

EG 169

Der Gottesdienst soll fröhlich sein

Wochenlied:

EG 343

Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ

Predigtlied:

EG 268

Strahlen brechen viele aus einem Licht

Schlusslied:

EG 419

Hilf, Herr meines Lebens



Hinführung

Die Worte Jesu werden vermutlich viele Hörer zunächst irritieren: Wie kann Jesus so mit seiner eigenen Familie umgehen?

Der Text hat allerdings kein biografisches, sondern ein theologisches Interesse: Was bedeutet es für die Familie, dass Jesus sich als Sohn Gottes versteht? Die Angehörigen möchten Jesus auf seine Rolle als Sohn der Familie festlegen und treten deshalb mit einem ganz bestimmten Anspruch auf, der allerdings Jesu eigenem Anspruch widerspricht. Er will deutlich machen: Wo seine Sendung als Sohn Gottes angenommen wird, werden die Glaubenden zu Schwestern und Brüdern.

Da der Text sofort starke Assoziationen zum Thema Familie hervorruft, erscheint es mir kaum möglich, dieses Thema zu umgehen. Dabei kann angesprochen werden, wie sich heute Familienangehörige auf bestimmte Rollen und Bilder festlegen und dass es notwendig ist, sich den daraus entstehenden Konflikten zu stellen.

Schließlich kann der Anspruch Jesu deutlich werden: Als Ebenbild Gottes ist jeder Mensch dazu berufen, sich unabhängig von allen Festlegungen zu einer eigenen Person zu entwickeln. Jede/r ist eingeladen in die Gemeinschaft der Glaubenden, die als Schwestern und Brüder die neue Familie Gottes bilden.



Liebe Gemeinde!

Nicht immer hat Jesus nur Zustimmung gefunden, wenn er mit seinen Jüngern unterwegs war und den Menschen von der Liebe Gottes erzählte. So hatte etwa seine Familie eigene Vorstellungen zur Rolle des ältesten Sohnes. Davon erzählt auch unser heutiger Predigttext:

31 Es kamen Jesus Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. 32 Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir. 33 Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? 34 Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! 35 Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.

I

Ein schockierend hartes Wort von Jesus, irritierend. Steht es nicht in schroffem Gegensatz zum Gebot der Elternliebe: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass dir´s wohl gehe und du lange lebest auf Erden!“

Steht es nicht im Gegensatz auch zur jüdischen Hochschätzung der Familie? Steht dieses Wort nicht in einem unbegreiflichen Widerspruch zum Gebot der Liebe? Und: Ist es nicht einfach auch unhöflich?

Trotz aller Probleme, die es in einer Familie immer wieder gibt - sie ist uns doch allen wichtig! Trägt Jesus mit diesem Wort nicht zur Abwertung der Familie bei? Die Familien haben heute doch gerade genug zu tragen!

Ich denke aber, der Evangelist Markus hat diese Geschichte nicht erzählt, um der Familie zu schaden oder sie zu zerstören. Vielmehr machten er und seine Gemeinde die Erfahrung, dass ihr Bekenntnis zu Christus in ihrem nächsten Umfeld nicht verstanden wurde. Bei Verwandten, Freunden und Bekannten stießen die Christen oft auf Unverständnis. Man hielt sie als Anhänger eines gekreuzigten Verbrechers manchmal wohl auch schlicht für verrückt.

Wer in dieser Zeit Jesus nachfolgen wollte, der musste sich in der Regel gleichzeitig auch von seinem bisherigen Lebensumfeld distanzieren. In der Großfamilie war es ein Problem, wenn sich einer zur christlichen Gemeinschaft hielt und die Verkündigung des Evangeliums für wichtiger hielt als seine familiären Verpflichtungen. Manchmal führte deshalb die Bekehrung auch zum Bruch mit der Familie. Jesu Probleme mit seiner Familie waren also für diese Christen etwa um 70 nach Christi Geburt gut nachvollziehbar. Sie kannten diese Probleme aus ihrer eigenen Lebenssituation.

Bedeutet also Nachfolge Jesu zwangsläufig auch Bruch mit der eigenen Familie?

Das harte Wort Jesu richtet sich ja nicht generell gegen die Familie. Es richtet sich vielmehr gegen ihren Anspruch, er solle seine Rolle als Sohn und Miternährer der Familie spielen: Er, so will Jesus deutlich machen, ist doch vor allem anderen der „Sohn Gottes“. Deshalb stellt er sich da gegen seine Familie, wo sie ihn hindert, den Willen Gottes zu tun und seinem Auftrag gerecht zu werden.

Wir kennen solche familiären Trennungsgeschichten in Entscheidungssituationen auch aus der Geschichte der Kirche: Etwa bei Martin Luther, der lange Zeit im Konflikt mit seinem Vater lag, weil er, statt Karriere als Jurist zu machen, ins Kloster ging.

Aber: Das ist in der Regel nicht unsere heutige Situation als Christen!

Auch wenn man heute vielleicht manchmal belächelt wird, so muss man doch nicht mehr seine Familie verlassen, um Christ sein zu können. Und wir sollten dafür dankbar sein, dass es solche Festlegungen wegen des Glaubens heute nicht mehr gibt!

II

Was aber sind heute die Erwartungen und gegenseitigen Ansprüche in einer Familie? Was macht heute das Miteinander manchmal so schwer?

Vielleicht hören wir einmal in einen Konflikt hinein, lassen eine Mutter und ihren Sohn zu Wort kommen!

Zunächst die Mutter: „Wie kann er nur eine solche Frage stellen: ‚Wer ist meine Mutter?’ Hat er vergessen, was ich alles für ihn getan habe? Worauf ich verzichtet habe?

‚Wer ist meine Mutter?’ Die Frage hat er nie gestellt, wenn er hungrig war, meinen Trost, meinen Gesang, meine Nähe brauchte! Ich will doch nur sein Bestes. Sind wir ihm nicht gut genug? Er könnte doch wenigstens an seine Familie denken, seinen Vater, den Betrieb. Hier wird doch jede Arbeitskraft gebraucht!“

Und der Sohn:

„Meine Mutter regt mich auf. Ständig steht sie auf der Matte. Ihre Liebe erdrückt mich und nimmt mir die Luft zum Atmen. Ich gehöre ihr doch nicht. Ja, sie hat viel für mich getan. Aber ich habe auch die vorwurfsvollen Blicke bemerkt, wenn ich ihre „Wünsche“ überhört habe, die doch eigentlich Befehle waren. Sie ist doch gefangen in ihren Traditionen, in der Familie, der Arbeit. Ich habe andere Ziele, ich werde mich wichtigeren Dingen zuwenden. Ich muss hier weg und sprenge den alten Rahmen und baue mit an einer neuen Welt.“

Wir alle kennen solche Konfliktsituationen: Jeder hat seine Vorstellungen, und man findet nicht zueinander. Wir sehen diese Spannungen, in denen Eltern heute stehen. Kürzlich konnte man in der Zeitung lesen: „Hinter den Kindern stehen oft hohe Erwartungen der Eltern, die ihrem Kind einen späteren Einstieg in anspruchsvolle Berufslaufbahnen sichern wollen... Die Eltern werden zu überehrgeizigen Karriereberatern ihrer Kinder.“ Die Konsequenz sind dann leider allzu oft seelische Störungen.

Andererseits werden Eltern für die Fehlentwicklung ihrer Kinder verantwortlich gemacht und besonders Mütter mit der Erziehung alleine gelassen. Die Zeiten sind vorbei, als in Großfamilien Arbeiten und Wohnen nahe beieinander lagen und die Kinder mit älteren Geschwistern und Großeltern selbstverständlich mehrere Bezugspersonen hatten.

Der Sohn steht aber auch stellvertretend für die Kinder, die Heranwachsenden, die ihren eigenen Weg suchen, und diesen Weg zu finden ist heute nicht leicht. Anders als zur Zeit Jesu ist der Weg für Kinder nicht mehr vorgezeichnet. Es gibt keine klaren Rollen mehr, die man einfach übernehmen kann oder muss. Jeder hat eine große Auswahl im Hinblick auf Beruf, Partnerschaft, Lebensstil und Religion.

III

Kann uns das Wort Jesu in dieser unserer Situation helfen, so wie es ja offenbar auch in der Gemeinde des Evangelisten Markus geholfen hat?

Zunächst: Die Geschichte zeigt uns, dass Jesus nicht immer nur sanftmütig, friedlich und liebevoll aufgetreten ist, wie es sich viele bis heute vorstellen und wie er ja auch oft auf Bildern dargestellt ist. (Vielleicht gibt es in Ihrer Kirche Bilder oder Darstellungen, auf die Sie hier hinweisen können!)

Jesus vertritt seine Sache klar und eindeutig und ermutigt damit auch uns zum Konflikt.

Gottes Willen zu tun heißt nicht, das eigene Ich zu vergessen, sich fraglos Autoritäten zu beugen – auch derjenigen der Eltern nicht! So ist das vierte Gebot nicht gemeint. Und es kann auch nicht bedeuten, fraglos festgelegte Rollen einfach zu übernehmen.

Der menschenfreundliche Gott, den Jesus uns verkündigt, will, dass wir als Selbständige und Freie bereit werden, seinen Willen tun. Wir sind geschaffen als Ebenbild Gottes, lesen wir auf den ersten Seiten der Bibel. Für mich heißt das: Ich darf ein eigener Mensch werden, mich entwickeln zu einer ganz eigenen Persönlichkeit. Ich darf immer wieder schöpfen aus den vielfältigen Lebensmöglichkeiten, die Gott in mein Leben hineingelegt hat, auch im Zusammenleben mit anderen Menschen.

Diese Entwicklung gelingt nie ohne Schmerzen und Konflikte. Aber sie muss auch nicht zum totalen Bruch führen, sondern steht unter der Verheißung Gottes: am Ende soll nicht die Trennung stehen, sondern die Freundschaft zwischen Eltern und Kindern, die sich partnerschaftlich beistehen.

Auch dafür gibt es Vorbilder: Jesu Mutter und seine Brüder gehörten später zur Gemeinde, auch Martin Luther hat sich mit seinem Vater versöhnt!

IV

Jesus will mit seiner Botschaft der Liebe eine neue Gemeinschaft eröffnen: Eine Gemeinschaft, in der sich Menschen als Geschwister begegnen und die über familiäre Bindungen und scheinbar feste Grenzen hinausgeht.

Gelingt es uns in der Gemeinde, diese Gemeinschaft der Christen sichtbar zu machen?

Vielleicht beim Abendmahl, wenn wir uns am Ende die Hände reichen und uns den Segen zusprechen lassen?

Oder im Engagement für die Schwachen:

in der Hospizarbeit,

wenn wir Jugendliche auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz unterstützen,

oder im Besuchsdienst für alte, einsame oder kranke Menschen?

(hier auf eigene Arbeitsfelder der Gemeinde hinweisen!)

Jesus will die neue Gemeinschaft der Glaubenden.

Dazu gehören gegenseitige Achtung und Freigabe genauso wie Nähe und Zuwendung.

Jesus will die Familie Gottes, in der wir einander Vater und Mutter, Bruder und Schwester werden.

Das wird möglich in der Nachfolge Jesu,

wo wir aufeinander hören ohne uns gegenseitig zu verurteilen,

wo wir einander achten ohne uns gegenseitig in festgelegte Rollen zu zwingen,

wo wir einander frei geben als von Gott geliebte Geschöpfe.

Auch wenn wir auf dem Weg zu dieser neuen Gemeinschaft sind, wissen wir, dass wir oft noch weit von ihr entfernt sind. Deshalb bitten wir immer wieder neu: „Dein Reich komme!“ Denn wir sehnen uns nach diesem Reich, das Menschen zu Schwestern und Brüdern macht und das von Freundlichkeit geprägt sein wird.

Gott will nicht die Abwehr der Mutter,

sondern die Ausweitung der Mütterlichkeit auf alle Menschen,

nicht die Zurückweisung des Bruders,

sondern Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit für alle,

denn alle Menschen sind eingeladen

in die neue Gemeinschaft der Familie Gottes.

Amen.



Verfasser: Pfr. Arno Kreh, Wallstr. 9, 64823 Groß-Umstadt

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