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Der Herr und sein Volk

von Dorothea Preisler (04838 Audenhain)

Predigtdatum : 24.08.2003
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 9. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Lukas 19,41-48
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Wochenspruch:

Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist, dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat! (Psalm 33,12)

Psalm: 74,1-3.8-11.20-21

Lesungen

Altes Testament:
2. Könige 25,8-12
Epistel:
Römer 11,25-32
Evangelium:
Lukas 19,41-48

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 452, 1-5
Er weckt mich alle Morgen
Wochenlied:
EG 138
oder EG 290
Gott der Vater steh uns bei
Nun danket Gott, erhebt und preiset
Predigtlied:
EG 166, 1-3.5
Tut mir auf, die schöne Pforte
Schlusslied:
EG 421
Verleih uns Frieden gnädiglich

41 Als Jesus nahe hinzukam, sah er die Stadt Jerusalem und weinte über sie 42 und sprach: Wenn doch auch du erkenntest zu dieser Zeit, was zum Frieden dient! Aber nun ist's vor deinen Augen verborgen.
43 Denn es wird eine Zeit über dich kommen, da werden deine Feinde um dich einen Wall aufwerfen, dich belagern und von allen Seiten bedrängen 44 und werden dich dem Erdboden gleichmachen samt deinen Kindern in dir und keinen Stein auf dem andern lassen in dir, weil du die Zeit nicht erkannt hast, in der du heimgesucht worden bist.
45 Und er ging in den Tempel und fing an, die Händler auszutreiben,
46 und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben (Jesaja 56,7): »Mein Haus soll ein Bethaus sein«; ihr aber habt es zur Räuberhöhle gemacht.
47 Und er lehrte täglich im Tempel. Aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten und die Angesehensten des Volkes trachteten danach, dass sie ihn umbrächten, 48 und fanden nicht, wie sie es machen sollten; denn das ganze Volk hing ihm an und hörte ihn.

Liebe Gemeinde!
Unser Predigttext führt uns heute in das schöne, alte Jerusalem, in die Stadt Zion, zu der Zeit, als der Tempel noch stand und die Menschen dort beteten und Gottesdienste feierten. Jesus war dort und predigte. Lukas erzählt uns, dass Jesus den Tempel liebte, als zwölfjähriger Junge wäre er am liebsten nie wieder dort weggegangen. Der Tempel war sein zu Hause, seine geistige Heimat. Hier war er geborgen, hier fühlte er sich Gott, seinem Vater, ganz nahe.
Bevor wir in unserer Vorstellung weiter gehen und ganz in Jerusalem ankommen, gehen wir in Gedanken in ein kleines brandenburgisches Dorf. Eine alte Frau steht vor der Kirche ihres Heimatortes. Schon die kleine Strecke von ihrem Haus bis hierher hat sie ermüdet. Sie ist so matt in letzter Zeit. Aber hier, auf dem Kirchhof steht sie zu gerne. 1946 ist sie hier angekommen. Nichts konnte sie retten auf ihrer Flucht aus Schlesien. Der Weg führte mitten durch den Krieg, durch Trümmer und Tod. Hier war Frieden. Endlich.
Mit ihrem Vater dankte sie Gott, hier in dieser Kirche, für ihre Rettung und dafür, dass sie eine neue Heimat gefunden hatten. Fast keinen Gottesdienst hat sie versäumt, in all den Jahren. 1948 hat sie hier geheiratet, ihre Kinder wurden hier getauft, jede Bank, jeder Mauerstein, das schöne Altarbild, das Buntglasfenster, das den Krieg überstanden hat - alles ist ihr so vertraut, es gehört zu ihrem Leben.
Sie hat viel gebetet hier in dieser Kirche. Vieles hat sie vor Gott gebracht, fast alles mit ihm besprochen. Die Stille, die Ruhe. Das Gotteshaus hat ihr geholfen, alles zu ertragen. Den schweren Neuanfang, hier im Dorf eine „Fremde” zu sein, den frühen Tod der Mutter, den Wegzug der Kinder und Enkelkinder, die da hingehen mussten, wo sie Arbeit fanden. Die Beerdigung ihres Mannes, hier an der gleichen Stelle, wo sie beide Hochzeit und goldene Hochzeit gefeiert haben.
Die Frau steht da in Gedanken versunken. Nur noch selten wird die Kirche aufgeschlossen. Ein Pfarrer ist für so viele Gemeinden zuständig. Das Dach ist an vielen Stellen kaputt. Es regnet überall in die Kirche hinein. Die Orgel ist schon lange verkauft. Vom Altar, dem wunderschönen Altar, mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus, der sie so oft getröstet hat, blättert die Farbe ab.
Niemand interessiert sich für die Kirche, ihr Gotteshaus. In Gedanken sieht die alte Frau das Dach der Kirche einstürzen, sieht, dass ihre Erinnerungen, ihr ganzes Leben in Trümmer fallen. Sie glaubt, dass es so nicht weiter gehen wird, dass an der Gleichgültigkeit der wenigen, noch verbliebenen Dorfbewohner das Gotteshaus kaputt gehen wird. Werden ihre Kinder noch hier in der Kirche an ihrem Sarg beten können? Wenn niemand etwas an der Kirche tut, dann nicht. Dann wird alles kaputt sein. Zerstört - unwiederbringlich. Bei diesen Gedanken kommen der alten Frau die Tränen.
Auch Jesus kommen die Tränen. Er muss weinen, weil er in Gedanken die Trümmer des Tempels, die Ruine seines Vaterhauses, seine zerstörte Heimat sieht. Er weiß, der Tempel wird wirklich zerstört sein. Es wird Krieg und Elend, Leid und Tod geben.
Aber Jesus wird von den religiösen Anführern, von denen, die Macht und Einfluss haben, nicht ernst genommen. Die Leiter der Tempelbehörde erkennen nicht, wer er ist, sie möchten ihn am liebsten loswerden.
Bevor uns Lukas von der Klage und dem Weinen Jesu über Jerusalem und über seine spektakuläre Aufräumaktion im Tempel berichtet, erzählt er davon, wie Jesus in Jerusalem einzieht. Wir hören, wie Jesus in der Tempelstadt empfangen wird. Es ist ein fröhlicher Empfang. Es ist laut, und in der Luft liegt Begeisterung. Allerdings: es ist das Volk, es sind die Menschen von der Straße, die Jesus zujubeln.
Immer wieder macht Jesus die Erfahrung: Seine Jüngerinnen und Jünger, seine Getreuen, die kleinen Leute, die nichts zu sagen haben, die jubeln ihm zu. Sie preisen seine Taten. Sie loben Gott mit lauter Stimme für alles, was Jesus in seinem Namen getan hat. Mit fröhlichem Herzen preisen sie ihren König, der kommt im Namen Gottes. Ihn beten sie an. Er wohnt in ihren Herzen.
Die geistlichen Amtsträger aber sagen: „Meister, weise deine Jünger zurecht.” Sie wollen Jesus zum Schweigen bringen. Jesus aber weiß: „Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien!” Und die Steine werden wirklich schreien. Jesus weiß: Die Verantwortlichen wollen ihn nicht erkennen. Sie wollen nicht verstehen, was zu ihrem inneren und äußeren Frieden dient. Sie wollen nicht wahrhaben, was zu ihrem inneren und äußeren Heil dient. Sie sind sicher: Um im Schutz der göttlichen Gnade zu bleiben, brauchen sie Jesus nicht!
Was nützt es da, dass die kleinen Leute, die Jüngerinnen und Jünger, die Kinder, Gott loben und preisen? Jesus sieht: Die Starken, die Einflussreichen, die Kräftigen, die Lauten, die bringen mit ihrer Gleichgültigkeit Unheil und Krieg. Ihre Gleichgültigkeit und Selbstgerechtigkeit treiben ihm die Tränen in die Augen. Es sind Tränen echter Traurigkeit, Traurigkeit über so viel Wohlstand und Bequemlichkeit, die das Wichtigste im Leben in Vergessenheit geraten lassen. Traurigkeit über so viel Arroganz, die immer glaubt: Wir brauchen Gottes Gnade nicht. Wir wissen schon selbst, was gut für Euch ist. Wir entscheiden das von hier oben. Hört und gehorcht nur euren geistlichen Amtsträgern, vergesst ruhig Euer eigenes Gewissen und eure eigene Meinung und euren eigenen Glauben. Sucht Euer Heil nicht in Christus, sondern bei uns.
Jesus sieht es voraus: Das wird die Steine zum Schreien bringen. Aus solcher Verblendung wird es kein Entrinnen geben. Den Betern mit ihren demütigen und frommen Herzen wird das Bethaus zerstört werden. Lange bevor die Steine in Trümmern liegen, werden sie schon schreien, über die sinnlose Geschäftigkeit, die in die Gotteshäuser eingezogen ist. Über den Eifer, mit dem das Gotteshaus zu anderen Zwecken als zum Beten benutzt wird. Oder über das fehlende Interesse, das die Bethäuser in den Orten links liegen lässt, so dass sie verfallen.
Ausgerechnet die kleinen Leute hören Jesus. Sie sehen seine Tränen und seine Trauer. Die Angesehensten und Einflussreichen wollen ihn los werden. Das Volk aber, die Schwachen, die nichts zu sagen haben, lieben Jesus, der täglich im Tempel betet, obwohl er weiß, dass er der Zerstörung geweiht ist.
Liebe Gemeinde! Solange es Menschen in unseren Gemeinden gibt, die darüber weinen können, dass Gottes Wort so wenig gehört wird, ist Gott bei uns, wenn wir Gottesdienst feiern, in unseren Kirchen, unseren Gemeinderäumen, in gemieteten Räumen und aus Freude und Dankbarkeit zur Verfügung gestellten Wohnzimmern.
Da, wo die Lauten, die Großen, die Angesehenen und Einflussreichen wissen: Jesus wohnt hier und hat hier etwas zu sagen, es ist sein Haus, seine Gemeinde, ihn haben wir zu fragen, ihn haben wir zu loben und ihm haben wir zu danken, für ihn feiern wir diese Gottesdienste, wir feiern nicht uns selbst - dort werden wir lebendige Steine in Gottes großer Gemeinde sein und die Mauern unserer Gotteshäuser werden mit fröhlichem Leben erfüllt sein.
So lange wir nach Gott fragen und nicht denken: „Es geht doch alles irgendwie weiter! Es läuft doch noch, die Fassade sieht doch nach außen noch ziemlich gut aus.” Solange, wie der Schein uns nicht wichtiger wird als das Fragen nach Gott in unseren Predigten und Gebeten - so lange wird Gott sich freuen über uns und das Leben in seinen Gotteshäusern und Gemeinden. Wir werden eine fröhliche Gemeinde sein, auch wenn wir nur wenige sind.
Von den Schwachen unter uns, die sich wie Jesus ihrer Tränen nicht schämen, können wir auch lernen: Unser Gott ist ein Gott der Hoffnung. Er kann Tränen der Trauer in Freudentränen verwandeln, er kann tote Steine zum Leben erwecken, er kann fröhliche Gottesdienste schenken, wo eben noch Traurigkeit und Resignation war, er kann denen, die mit demütigen Herzen zu ihm kommen, helfen, dass sie herausfinden, was zum Frieden dient.
Er kann den Starken, den Coolen, denen, die glaubten, dass sie ohne Jesus gut auskommen könnten in ihrem Leben, zeigen, wie wunderbar es ist, Ruhe im Gebet, Frieden in Gottes Haus zu finden. Mancher hat die Erfahrung gemacht, wie gut es ist, hier in diesem Haus um friedliche Gedanken und kluge Konfliktlösungen zu beten.
Trotzdem. Ein bisschen Nachdenklichkeit bleibt: Sind unsere Kirchen, sind unsere Gottesdienste so, wie Jesus sie haben will? Das ist die frohe Botschaft unseres Predigttextes heute: Wir sind nicht allein! Kirche heißt doch immer: Mit Jesus zusammen die Arbeit zu tun, die jetzt gerade ansteht. Jesus hat es damals in Jerusalem ganz allein geschafft, als er es in Angriff genommen hat, aus dem Tempel wieder einen Raum der Stille und einen Ort der lebendigen Beziehung zu Gott zu machen Und so wird er auch uns und unserem Glauben helfen. Denn wir sind sein Volk.
Wir sind als Gottes Volk, als seine Gemeinde heute hierher zu Gott gekommen, in sein Haus. Gott schenke uns ein gläubiges Herz. Gott schenke uns, dass wir in der nächsten Woche ihm gegenüber nicht gleichgültig werden. Gott schenke uns, dass wir im Gebet und im Vertrauen auf Gott herausfinden, was dem Frieden dient in unseren Familien, in unseren Gemeinden und dort, wo wir leben und arbeiten.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.

Verfasserin: Pfrn. Dorothea Preisler, Dorfstraße 156, 04838 Audenhain

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