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Der kommende Erlöser

von

Predigtdatum : 07.12.2003
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 2. Advent
Textstelle : Jakobus 5,7-8
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Wochenspruch:

Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht. (Lukas 21,28)

Psalm: 80,2-7.15-20

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 63, 15-16 (17-19a) 19b; 64,1-3
Epistel:
Jakobus 5,7-8
Evangelium:
Lukas 21,25-33

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 19
O komm, o komm, du Morgenstern
Wochenlied:
EG 6
Ihr lieben Christen, freut euch nun
Predigtlied:
EG 16
Die Nacht ist vorgedrungen
Schlusslied:
EG 15
„Tröstet, tröstet“, spricht der Herr

Liebe Gemeinde,
stellen Sie sich bitte einmal folgende Situation vor. Sie sitzen in einem Wartezimmer. Der Moment, an dem Sie dran kommen ist absehbar. Trippeln Sie dann, innerlich und äußerlich angespannt, nervös mit den Füßen, schlagen Sie die verbleibende Zeit tot, langweilen sie sich oder kommen Sie zu einer Haltung des gelassenen Abwartens und nutzen die Momente der Ruhe? Denn Sie wissen, ihr Warten hat ein nahes Ziel.
In diesen Wochen im Advent, warten wir Christen auf Weihnachten - zweieinhalb Wochen noch. Zwei Kerzen brennen schon, zwei noch sind am Adventskranz zu entzünden, bis die warmen Lichter des Weihnachtsbaumes unsere Räume erhellen. Das geduldige oder gespannte Warten der Kinder vor allem, auch manch ungeduldige Aufgeregtheit gehen dann zu Ende, finden ihre Erfüllung in Freude, werden vielleicht belohnt mit großen Geschenken und Momenten. Auch die Hetze und der Druck der Erwachsenen, die krampfhaften Überlegungen des Davor, was kaufen, wie das gestalten, was sich im Advent ankündigt, haben dann ein Ende. -
Einerseits ist dies eine ganz eigene Zeit, doch ist sie auch Zwischenstadium, zwischen Ankündigung und Einstimmung und Nähe der Erfüllung. Da erreicht uns heute der Brief des Jakobus:
7 So seid nun geduldig bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. 8 Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.
Liebe Gemeinde, diese Worte gelten ungeduldigen Christen. Sie hatten sich zu Jesus bekannt, hofften seit Generationen auf seine Wiederkehr, für sie war damit die innige Sehnsucht nach Gerechtigkeit am Ende der Zeit verbunden. Doch bisher warteten sie vergebens. Da beginnt es zu kriseln. Junge Menschen wollten ihr Leben jetzt leben, sie wollten sich nicht endlos vertrösten lassen. Alte Menschen wurden müde in ihrer Hoffnung, die sich bisher nicht erfüllt hat. -
Ich kann die Ungeduld dieser Menschen verstehen, wenn ich auf die vielen Erwartungen schaue, die bei uns auf Erfüllung harren. Gerade in dieser so gefühlsgeladenen Zeit spüren wir vieles, was sonst untergründig schwelt. Deutlicher, brennender wird die Sehnsucht nach Glück und Frieden in der Familie und Partnerschaft, einem Wiedersehen mit Freunden, nach Genesung von Krankheit, dem Ende einer Not, nach einem neuen Arbeitsplatz, nach Erfolg und Sicherheit in Ausbildung und Beruf, nach einer Wohnung.
Zahlreich sind Hoffnungen, Wünsche, Erwartungen. Da kann die Geduld schon einmal knapp werden. Doch wie oft heißt es dann: Sei doch nicht so ungeduldig, übe dich in Geduld, Geduld ist ein Tugend. Wer kennt diese Mahnungen nicht, die einem schon von Kindesbeinen an überdrüssig wurden. Immer warten, abwarten, in der Schlange beim Einkaufen, in der Straßenbahn, Geduld und Warten auf ein neues Auto oder Hausgerät, bei der Erziehung der Kinder, mit dem Partner und seinen Launen.
Nein, da reißt uns doch manchmal der Geduldsfaden, das ist zuviel. Warten, abwarten, sich gedulden, wie haben Menschen unter dieser Forderung und Mahnung gelitten, sich geopfert und aufgegeben in vager Hoffnung auf Besserung und Veränderung der schlechten Zustände. Warten und abwarten in letztlich nicht haltbaren Lebenssituationen erweisen sich später noch als Dummheit. „Hoffen und harren hält manchen zum Narren“, heißt so ein Sprichwort. -
Die Forderung nach Geduld passt auch nicht so recht zu unserem Zeitgeist und Lebensstil, der von Rasanz geprägt, auf schnellste Befriedigung unserer Bedürfnisse ausgerichtet ist. „Heute bestellt und morgen zu Haus“, „Reisen, heute gebucht und morgen am Ziel ihrer Träume“, so lauten die Versprechen der Werbung. Belohnung sofort, schnell am Ziel sein heißt manche Devise. Moderne Medikamente führen zu einem rascheren Heilungsprozess, anstatt dem Körper Zeit zu lassen, aus eigener Kraft zu gesunden. In der Landwirtschaft gibt es den Griff ins Chemielabor; mit Wachstumsbeschleunigern und über Genmanipulation werden höhere und schnelle Erträge garantiert. Zeitrhythmen und natürliche Abfolgen verschieben sich, Erdbeeren gibt es im Advent im Obstregal, schon ab September liegen Lebkuchen, Dominosteine und Nikoläuse in den Geschäften. Das sind Zeichen der Zeit, Ergebnisse moderner Technik und Forschung, Leben wie im Zeitraffer, wie in einem Film mit schnellen Schnitten, bei denen das Auge kaum mitkommt, die einem den Atem rauben.
Unser Bauer aus dem Predigttext wirkt dagegen doch recht antiquiert. Seine Haltung wirkt in mancherlei Hinsicht befremdlich, sein Lebensstil entspricht vielfach nicht mehr unserer Erfahrung. Doch halten wir einmal inne, versuchen wir, ihn in seinem Dasein und Rhythmus zu beobachten. Er hatte viel Arbeit und trug allerhand Verantwortung. Der passende Zeitpunkt musste gewählt werden, die richtige Vorgehensweise beherrscht sein, das richtige Saatgut verwendet. Er musste seinen Acker gut vorbereiten. Er musste pflügen, eggen, einsäen. Erst dann konnte er sich in Bezug auf sein Feld in Beschaulichkeit ergehen.
Seine Erfahrung lehrt ihn, dass er nun nichts weiter tun könne, als abwarten, bis das Getreide, die Frucht gewachsen war. Erst dann kann er wieder richtig auf dem Feld aktiv werden. In dieser Zwischenzeit bis zur Ernte war seine Geduld und Gelassenheit gefordert, seine Überlegenheit über hektische Umtriebigkeit, die unproduktiv sein kann und zerstörerisch, wie bei jenem Mann, der auch seinen kleinen Acker gut vorbereitet, gepflügt und eingesät hatte. Er wunderte sich nur nach ein paar Wochen, dass die Saat nicht aufging. Bei seinem Nachbarn sah er schon kräftigen Wuchs! Von Tag zu Tag wurde seine Geduld geringer. Er konnte vor Sorge nicht mehr schlafen.
Schließlich hatte er eine wahnwitzige Idee. Er lief zu seinem Feld und begann, die kleinen zarten Halme etwas in die Höhe zu ziehen. Das war natürlich eine mühsame Arbeit; aber schließlich war er fertig. Er traf unterwegs seinen Nachbarn und sagte ihm, dass er seinem Korn beim wachsen geholfen habe. Neugierig geworden liefen sie zu seinem Feld und sahen alles zerstört und verwelkt, da unser Mann die Frucht entwurzelt hatte. (Nach W. Longardt; neue Kindergottesdienstformen, 1973, S. 171f.)
Liebe Gemeinde,
„Es bedarf großer Geduld, um sie zu lernen“; „die Geduld nicht verlieren, auch wenn es unmöglich erscheint, das ist Geduld“ - sagen zwei Sprichworte. Unser geduldiger, gelassener Bauer war besser dran als jener Eilige. Er lehrt uns eine besondere Form der Geduld. Er pflegt keine resignierte Passivität, nach dem Motto: „Ich kann ja doch nichts tun“, er vertritt auch kein aktivistisches „ich muss alles selbst erreichen“. Er läuft nicht hektisch hin und her, ohne Konzept, kopflos, getrieben von innerer Unruhe, die Unheil anrichtet. -
Unser Bauer überfordert sich und die Natur nicht, er manipuliert sie nicht. Zwischen Säen und Ernten fällt Regen, weht Wind, scheint die Sonne. Welch ein Rhythmus, es wäre töricht ihn zu stören. Der Bauer vertraut dem Prozess des Wachsens und Reifens und lehrt uns eine Haltung der Geduld in Gelassenheit und Überlegtheit. Er beweist der Schöpfung gegenüber ein großes Herz, übt Großmut mit der Natur, und in der Ruhe zeigt er Leidenschaft.
‘Geduld in Leidenschaft’. Letztere allein schafft manchesmal eher Leiden. Es ist die Geduld, mit der die Leidenschaft sich wappnet, damit sie weitsichtig ist, Horizont bekommt und Durststrecken aushält. Solche Geduld hält sich offen, ist wachsam, sie hört und prüft. Der Theologe Eberhard Jüngel sagte: „Geduld ist der lange Atem der Leidenschaft und wahre Geduld ist das genaue Gegenteil von leidenschaftsloser Ergebenheit oder Resignation.“
Das Warten ist so erfüllt und keine tödliche Langeweile. Es ist der Gegenpol zur Machermentalität, die das Machbare gleich Gott vergötzt, sich so an Gottes Stelle setzt, nicht auf ihn warten möchte. Dem Macher erscheint alles planbar und beeinflussbar und er reagiert enttäuscht, dass Gott noch nicht da ist. Der Macher in seinem Wahn greift in die Natur ein, verändert, mit Folgen, die vielleicht erst in Generationen abzusehen sind. Dabei handelt er ohne Rücksichten auf andere, die nicht mitkommen können, die weniger Einfluss haben, sich das nicht leisten können. Sie werden vergessen, vor der Faszination des Machbaren. -
Warten wir mit dem Bauern. Er lehrt uns innezuhalten, zurückzutreten von der Erde, Maß zu nehmen und dann beherzt zur Tat zu schreiten, im Wechselspiel von Warten und Eilen, Säen und Warten, Handeln und Hände ruhen lassen. Warten wird so zur Zeit der Bewahrung des Guten; wir werden bewahrt, erhalten Raum und Zeit geschenkt, sind vom Druck entlastet, in der Lebenszeit alles zum Ziel bringen zu müssen.
Trotzdem sind wir nicht bedeutungslos, sind wir gerufen, Geschichte mitzugestalten. Geduld lässt atmen, nicht kurzatmig werden. Auch im bewussten Warten kann Passion einmal Aktion sein, kann das rechte Tun im Unterlassen bestehen, auch das eben ethisch manchesmal geboten, wenn es um Techniken geht, die machbar, doch unergründlich sind. Unser Bauer hat sich der Herausforderung seiner Gegenwart gestellt. Er hat das je Angemessene unternommen oder gelassen. Dazu bedarf es des Urteilsvermögens, des Maßstabes, den wir gefunden haben in dem, auf den wir warten. Christus lenkt den Blick auf das Feld der Menschen.
Bloßer Rückzug, Innerlichkeit, Idylle ist nicht Sache der Christen. Auf die Ankunft Jesu warten heißt so, etwas Gutes erwarten, nicht aufgeben und alles zulassen, sondern die Saat von Hoffnung und Gewissheit mutig pflegen. Wir haben gute Erfahrungen von Genesung von Krankheit nach langer Zeit, von neuen Sichtweisen nach einer Ruhepause, von gelingendem Leben nach dunkler Zeit, von erfüllten Hoffnungen und manchen Träumen, von Rettung aus Todesgefahr, von verlorener Angst.
Nehmen wir den Ackerboden des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens unter die Füße, werden wir zu leidensfähigen und leidenschaftlichen Schritten fähig. Wir können auch das Unkraut von Kränkungen, Demütigungen von Benachteiligten, Ungerechtigkeit, Neid, Unfrieden Hass und Krieg angehen in Gottes Geduld, die schon so lange währt, damit wir die Geduld der Liebe praktizieren. Das ist nicht die Geduld des Lammes, das alles über sich ergehen lässt, sondern bäuerliche Geduld, die aktiv und klug ist. Sie ist notwendig, um ein Ziel zu erreichen, sei es im persönlichen Leben, bei einer Berufsausbildung, Geduld in Beziehungen, zusammenzubleiben und nicht gleich auseinanderzurennen, Kindern, Schülern, Jugendlichen gerecht zu werden, alte Menschen anzunehmen, wenn sie starrsinnig werden.
Geduld heißt hoffen können im Füreinander-da-sein. So wird unsere Verheißung not-wendig. Es wächst so auch in der Gegen-wart etwas, und die Zukunft bleibt offen. Advent kann für uns Zeit der Stille, der Einkehr und Umkehr, Raum für Innehalten und Nachdenken werden. Wie der Bauer nicht allein ist und seine Helfer hat, sagt uns unser Schriftwort: „Macht euer Herz stark“. So sind auch wir nicht allein. Wir haben uns und unseren Bauern. Wir können getrost im Warten nach vorn schauen. Das Warten ist nicht vergeblich, denn wir haben Advent. Amen.

Verfasser: Pfr. Michael Schröck-Lichtenstern (1997)

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