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Der Ruf zur Umkehr

von Michael Heymel (64291 Darmstadt)

Predigtdatum : 14.12.2008
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 3. Advent
Textstelle : Matthäus 11,2-6.(7-10)
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Wochenspruch:

Bereitet dem Herrn den Weg; denn siehe, der Herr kommt gewaltig. (Jesaja 40, 3.10 )

Psalm: 85, 2 – 8

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 40, 1 – 8 ( 9 – 11 )
Epistel:
1. Korinther 4, 1 – 5
Evangelium:
Matthäus 11, 2 – 6 ( 7 – 10 )

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 14
Dein König kommt in niedern Hüllen
Wochenlied:
EG 147
Wachet auf, ruft uns die Stimme
Predigtlied:
EG 11, 4-6
Wie soll ich dich empfangen
Schlusslied:
EG 1
Macht hoch die Tür

Hinführung:
Die Predigt geht aus von der Frage, auf wen wir im Advent warten. Die Antwort ist nicht einfach vorgegeben und für viele keineswegs selbstverständlich. Der Predigttext fordert dazu heraus, Jesus selber auf die Spur zu kommen und herauszufinden, ob er für uns derjenige ist, auf den wir warten.

Liebe Gemeinde!
Auf wen oder was warten wir eigentlich in der Adventszeit? Dumme Frage! Jedes Kind weiß doch: Wir warten darauf, dass es Weihnachten wird. Aber so einfach, wie es scheint, ist die Sache nicht. Denn was da an Weihnachten gefeiert wird, davon haben viele keine Ahnung. Folglich ist auch unklar, auf wen oder was wir im Advent warten.
Jedes dritte Kind im Alter von sechs bis zwölf Jahren (39 Prozent) kennt den Grund für das Weihnachtsfest nicht. Das hat vor ein paar Jahren eine Umfrage ergeben. Und dabei zeigt sich ein deutliches Ost-West-Gefälle. In den neuen Bundesländern liegt der Anteil der unwissenden Kinder bei rund 54 Prozent, im Westen sind es 36 Prozent.
Einige gaben offen zu, den Grund für das Fest nicht zu kennen. Etwa 15 Prozent vermuteten, „das habe was mit Jesus zu tun“. Andere lagen komplett daneben. Weihnachten werde gefeiert, „weil Ferien sind und die Oma kommt“ oder „damit die Geschäfte mehr verkaufen“. Neun Prozent erklärten, es werde gefeiert, „damit es Geschenke für die Kinder gibt“. Ein Kind gab an: „Da ist der Weihnachtsmann gestorben“. Von den Zehn- bis Zwölfjährigen beklagten 32 Prozent: „Es nervt, dass schon Monate vor Weihnachten alles nach Weihnachten aussieht“ (nach: Frankfurter Rundschau vom 6.12.2002).
In vielen Familien, quer durch unsere Gesellschaft, herrscht Unklarheit, was Advent und Weihnachten bedeuten. Die Erwachsenen sind im Ungewissen, worum es in dieser Festzeit geht. Ein Teil der Kinder stört sich daran, dass Weihnachten vorweggenommen wird. Sie merken immerhin: Da stimmt etwas nicht! Es fehlt die Erwartung. Es fehlt der Sinn dafür, dass etwas Entscheidendes aussteht. Alles ist schon Monate vor Weihnachten auf Weihnachten festgelegt. Kaum jemand weiß noch, wie er oder sie diese Zeit davor begehen soll. Wie kann etwas Neues passieren, wenn man sich für den Advent keine eigene Zeit mehr nimmt?
Im Matthäusevangelium wird erzählt, wie Johannes der Täufer reagiert, als er im Gefängnis davon erfährt, was Jesus getan hat. Johannes hat Jesus getauft. Er hat sein Leben gewagt, als er dem König die unbequeme Wahrheit auf den Kopf zusagte (vgl. Mt 14,4): Deine Ehe ist Unrecht! Darauf ließ Herodes ihn gefangen nehmen. Jetzt will Johannes Gewissheit haben: Ist Jesus wirklich der, den Gott schickt? Ist er der Christus, der die Welt retten kann? Darauf antwortet der Evangelist Matthäus mit der folgenden Geschichte:

1 Und es begab sich, als Jesus diese Gebote an seine zwölf Jünger beendet hatte, dass er von dort weiterging, um in ihren Städten zu lehren und zu predigen. 2 Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger 3 und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? 4 Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: 5 Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt; 6 und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.

Liebe Gemeinde, das ist eine merkwürdige Antwort. Denn Jesus sagt weder Ja noch Nein. Er lässt Zeugen sprechen, die nämlich, die ihm die Anfrage des Johannes vorgetragen haben. „Sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht!“ Johannes mag sich dann selbst die richtige Antwort suchen. Es kann sogar sein, dass Johannes nichts Neues über Jesus erfährt, nur das, was er schon selbst gehört hat. Und es mag sein, dass auch wir heute aus der Geschichte des Matthäus nichts Neues über Jesus erfahren.
Daher kommt wohl die Ratlosigkeit, die nicht nur Kinder, sondern auch viele Erwachsene befällt, wenn sie sagen sollen: Auf wen oder was wartest du eigentlich in der Adventszeit?
Mit Weihnachten verbindet sich nichts wirklich Neues. Das Evangelium – die gute Nachricht von Jesus Christus – ist keine echte Neuigkeit mehr. Es erregt keine Verwunderung, kein Staunen. Warum nicht? Weil alles schon vorweggenommen ist! Weil die Botschaft von Jesus Christus sich nicht mit umwälzenden Veränderungen verbindet, die wir mit eigenen Ohren gehört und mit eigenen Augen gesehen haben.
Die Nachricht von seiner Geburt, von seinem Kommen in die Welt überrascht uns nicht. Das ist doch eine alte Geschichte. Ein Kind kommt zur Welt. Was soll denn das Neue daran sein?
Der Reiz der Neuheit vergeht schnell. Unser Lebensrhythmus wird von der Atemlosigkeit der Medien bestimmt, in denen eine Tagesneuigkeit die andere jagt. Jeden Tag werden uns neue Neuigkeiten präsentiert. Wie kann man da etwas würdigen, was nicht bloß für einen Tag aktuell ist? Wie kann man da eine Nachricht erfassen, die Zeit und Geduld braucht, um sich das Neue anzueignen?
Die Jünger des Johannes sollen ihrem Meister nicht einfach Neuigkeiten erzählen: Hast du schon gehört, was Jesus alles getan hat? Natürlich hat er schon gehört! Aber er will wissen, ob es auch wahr ist. Sie sollen ihm berichten, was sie selbst hören und sehen! Das heißt: Sie sollen nachforschen, überprüfen, sich auf einen Weg begeben, auf dem sie erfahren können, was Jesus für die Menschen tut.
Wir tun so, als müsste die große Neuigkeit zu uns ins Haus kommen. Dabei ist es in Wahrheit so, dass wir erst einmal Jesus auf die Spur kommen müssten, erst einmal mit eigenen Sinnen wahrzunehmen und Erfahrungen zu machen hätten, was er an Menschen bewirken kann. Erst dann würde sich herausstellen, was am Evangelium das überraschend Neue ist, die große Neuigkeit, ja, ich sage bewusst: das Abenteuerliche.
Liebe Gemeinde, wer die Adventszeit begeht, versucht Jesus selber auf die Spur zu kommen. Er lässt sich auf ein Abenteuer ein! „Advent“ ist mit dem alten Wort aventiure verwandt. Dieses Wort wurde im frühen Mittelalter, zur Zeit der Minnesänger, durch Ritterromane bekannt. Es ging darin immer um eine aventiure, und es wurde erzählt, was „Erfahrung“ buchstäblich ist: ein „Fahren“ auf einem Abenteuerweg, zuweilen mit Gefährten, meistens allein, und immer sind dabei vielerlei Gefahren zu bestehen.
Aventiure, im Englischen adventure, heißt Abenteuer. Ohne lebensgefährliche Abenteuer keine Eroberung und keine Erlösung. Wer wirklich wissen will, ob Jesus derjenige ist, der das Warten lohnt, der muss bereit sein, sich auf ein Abenteuer einzulassen: das Abenteuer eines Weges, auf dem wir selber erfahren, was er bewirkt.
„Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt.“ Was geschieht da? Was bekommen die Jünger des Johannes zu hören und zu sehen? Sie erfahren: Jesus heilt Menschen in auswegloser Not. Er hilft denen, von denen die Leute sagen: Denen ist nicht zu helfen, da kann man sowieso nichts machen.
Hatte nicht schon der Prophet Jesaja auf die Zeichen hingewiesen, die Gottes Kommen begleiten? „Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden“ (Jes 35,5). Es klingt gerade so, als ob Jesus diese Ankündigung wahr machte. Geh nur dorthin, wo er hingegangen ist! Geh zu denen, die nicht sehen und nicht gehen können! Geh zu den hoffnungslosen Fällen, wo jeder sagt: Ausgeschlossen! Da ist nichts zu machen! Geh und schau selbst!
In der Begegnung mit Jesus geschehen umwälzende Verände-rungen. Was er tut, widerspricht der gängigen Auskunft: Es ist eben alles so, wie es nun mal ist. Mit dieser Auskunft findet er sich nicht ab. Jesus tut das Überraschende, das Unerwartete, das Befreiende. Er bringt Menschen in Bewegung. Er überwindet starre, leblose Festlegungen und Behinderungen. Er findet sich nicht damit ab. Niemals. Und zwar aus einem einzigen Motiv: Er tut das alles aus Erbarmen, aus göttlichem Erbarmen seinem Volk gegenüber (vgl. Mt 9,13; Hos 6,6)!
Das ist das Neue, die wunderbare Neuheit des Evangeliums: dass einer kommt, in dem sich Gottes Erbarmen verkörpert. Mitgefühl, Sympathie, Leidenschaft für die Armen, die sich selbst nicht helfen können. Das ist das Abenteuerliche an Jesus! Deshalb heißt er bei Matthäus der Immanuel, der Gott-mit-uns (Mt 1,23).
Was für Ereignisse, was für Taten können uns in Bewegung bringen?
Eines Abends platzt in ein Dorf im südhessischen Odenwald die Nachricht: die Leute vom Hessischen Rundfunk kommen zu uns! Sie wollen eine Sendung über unser Dorf machen. Und von überall her kam, was Rang und Namen hatte, ins Dorfgemeinschaftshaus, um dort auf die Fernsehleute zu warten.
Der Ortsvorsteher kam, der Bürgermeister kam, Vertreter der Vereine, der Politik, der Wirtschaft und auch der Kirche kamen, um zu warten. Der Kirchenchor verlängerte seine Singstunde. Alles wartete auf die Ankunft des Fernsehens. Und dann begann ein großes Palaver, wer was im Fernsehen zeigen wollte. Denn am nächsten Tag sollten die Aufnahmen für die Sendung gemacht werden. Keine Mühe wurde gescheut, um den Zuschauern interessante Bilder aus dem Ort zu zeigen. Und natürlich wünschten sich viele, bei der Sendung nach der Hessenschau selber mitzuwirken und gesehen zu werden.
Ist das nicht eigenartig? Was für eine Geschäftigkeit, was für einen Eifer löst allein schon die Nachricht aus: „Das Fernsehen kommt zu uns, und wir kommen ins Fernsehen!“ Dafür sind wir bereit, alles andere stehen und liegen zu lassen. Bereit, uns auf beinahe jedes Abenteuer einzulassen.
Wenn wir es nun wagten, selber herauszufinden, wer Jesus ist und was er bewirken kann: könnte das nicht ein Abenteuer sein, bei dem noch viel mehr in Bewegung kommt?
Matthäus verwickelt uns in eine abenteuerliche Geschichte. Da kommt ein Mensch, der sich nicht damit abfindet, dass alles so ist wie es ist. Einer, der das Unerwartete tut. Einer, der Gottes Erbarmen spürbar, hörbar und sichtbar werden lässt: der Gott-mit-uns. Und das Abenteuer besteht darin, diesem Einen auf die Spur zu kommen, sich selber auf den Weg zu machen und zu entdecken, was er bewirken kann. Womöglich gibt es Menschen, deren Leben durch die Begegnung mit Jesus verändert wird. Womöglich können manche von uns heilende und lösende Erfahrungen machen, wenn sie selber an anderen hören und sehen, was Jesus tut.
Es kann sein, dass der Gott-mit-uns einer Krankheit eine unerwartete Wendung gibt. Es kann sein, dass uns in einem Gespräch überraschend Türen geöffnet werden, von denen wir meinten, sie blieben uns verschlossen. Es kann sein, dass jemand angerührt und wieder zu neuem Leben erweckt wird, der schon mit allem abgeschlossen hatte und nichts Neues mehr erwartete.
Es können Wunder geschehen! Plötzlich kann eine Begegnung mit einem Menschen etwas bei uns in Bewegung bringen, was wir vorher nicht für möglich gehalten hätten.
„Das Evangelium ist das Buch des Lebens Jesu Christi und ist da, um das Buch unseres Lebens zu werden“ (nach Madeleine Delbrêl). Es ist die gute Nachricht für all jene, die sich selbst nicht helfen können. Es zeigt uns, dass wir dem göttlichen Erbarmen auf die Spur kommen, wenn wir uns auf den Weg Jesu begeben.
Aber – die Sache hat einen Haken. Du begibst dich in Gefahr, wenn du dich einlässt mit einem Gott, der Erbarmen fühlt. Du findest den Christus, der erbarmungswürdigen Menschen ein neues Leben eröffnet. Vorsicht, ihr Lieben, das könnte unter die Haut gehen! Ein Christus für die Armen, wie ärgerlich. Der weiß genau, wie leicht er zum öffentlichen Ärgernis wird, und hat guten Grund zu sagen: „Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert!“
Weißt du jetzt, auf wen oder was du wartest?

Verfasser: Pfarrer Dr. Michael Heymel, Schulzengasse 9, 64291 Darmstadt-Arheilgen

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