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Der Ruf zur Umkehr

von Anne-Kathrin Kruse (Schwäbisch-Hall)

Predigtdatum : 14.12.2014
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 3. Advent
Textstelle : Matthäus 11,2-6.(7-10)
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Wochenspruch:
„Bereitet dem Herrn den Weg; denn siehe, der Herr kommt gewaltig.“ (Jesaja 40, 3.10)

Psalm: 85,2 - 8

Lesungen
Altes Testament: Jesaja 40, 1 – 8 (9 – 11)

Epistel: 1. Korinther 4, 1 – 5

Evangelium: Matthäus 11, 2 – 6 (7 – 10)

Liedvorschläge
Eingangslied: EG 10, 1 - 4 Mit Ernst o Menschenkinder
Wochenlied: EG 11, 1 - 6 Wie soll ich dich empfangen
Predigtlied: EG 312, 1 - 7 Kam einst zum Ufer
Schlusslied: EG 22 Nun sei uns willkommen

Hinführung
Der vorgeschlagene Text für den 3. Advent konterkariert die heimelige Adventsstimmung zehn Tage vor Weihnachten und führt über vorfindliche Sorgen angesichts des bevor-stehenden Festes hinaus zu der existenziell entscheidenden christologischen Frage Johannes‘ des Täufers: Bist du‘s? „Bist Du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“

Eine Frage, die zunächst redundant erscheint nach der Taufe Jesu durch Johannes. Tatsächlich gehört es ja zum Glaubensleben, immer wieder neu – und nicht nur in Zeiten des Angefochtenseins – sich des Kommens, Bleibens und der Bedeutung Jesu Christi im persönlichen Leben zu vergewissern. Insofern ist diese Frage eine durchaus offene und keinesfalls als rhetorische Frage in der Predigt zu behandeln.

Zugleich nimmt der Text eine große Sehnsucht nach Frieden und Heil Sein auf. Dem Ernst dieses Sehnens gilt es zu entsprechen.
Biblisches Denken vollzieht sich immer in Beziehungen, nie-mals ist es beschränkt auf ein isoliertes individuelles Glau-bensleben. So beschreibt Jesus auch das Reich Gottes, das zuallererst sichtbar wird bei den „Verlierern“ in der Gesell-schaft, damals wie heute. Bei ihnen zuerst ist sein Platz.

Die Predigt konzentriert sich auf die VV. 2 - 6, den Dialog der Johannesjünger mit Jesus. Die Funktion des Johannes, entsprechend Elia als Vorläufer des Messias – Christos nimmt jüdische Messiasvorstellungen auf und wäre eine ei-gene Predigt wert.

Gliederung
I. Advent – Warten und Hoffen im Gefängnis
II. Ich bin der, der da ist.
III. Irritierende Aussichten aus dem Gefängnis
IV. Gerüchte, die am Leben halten

Predigt
Verlesen des Predigttextes Matthäus 11, 2 - 6 hier oder als Schriftlesung

(I. Advent – Warten und Hoffen im Gefängnis)
Er hatte noch Glück. Der Blick nach draußen prallte nicht gegen eine Mauer. Nachts konnte er die Sterne sehen. Tagsüber drang durch das kleine vergitterte Fenster manch-mal ein Sonnenstrahl. Es gab Nacht und Tag. Aber es war ganz still. Totenstill. Selten hörte er Schlüssel rasseln, Zel-lentüren mit lautem Knall ins Schloss fallen.

Viel sprach er mit sich selbst. Kein Wunder – du bist ihnen zu gefährlich geworden. Du hast den Mund zu weit aufge-macht. Keine Kompromisse! Die Wahrheit von Gottes Ge-richt über Gerechte und Ungerechte tut weh. Das will nie-mand hören – außer vielleicht denen, die niemand hört. Die auf der Verliererseite. Die sich nach Gerechtigkeit sehnen. –

Du hast das Spiel verloren. Deine Chancen stehen schlecht. Sie werden dir den Kopf abschlagen und den Partygästen von König Herodes auf dem Tablett servieren.

Und du wirst ihnen nicht den Gefallen tun und ihnen diese Arbeit abnehmen! Aber was hast du noch zu erwarten?!

Und der Mensch heißt Mensch
Weil er irrt und weil er kämpft
Weil er hofft und liebt
Weil er mitfühlt und vergibt
Weil er lacht, und weil er lebt,
Du fehlst…(1)

Manchmal überbrachten ihm die Wärter mit der Suppe eine Nachricht von draußen. Jesus, den sie den Messias - den Christus - nannten, machte mit seinen Wundertaten und den Diskussionen mit anderen Schriftgelehrten weiter von sich reden.
Seine Vertrauten schickte Johannes zu ihm und ließ ihn fragen: „Bist Du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Johannes, hast du noch immer nicht genug? Du hast ja deine Hoffnungen noch immer nicht begraben. Deine Träume, es könnte jemals anders, besser, gerechter zugehen.

Aus dem Gefängnis in Berlin-Tegel schrieb Dietrich Bonhoeffer an seinen Freund Eberhard Bethge am 21.11.1943:
"So eine Gefängniszelle ist übrigens ein ganz guter Vergleich für die Adventssituation; man wartet, hofft, tut dies und jenes – letzten Endes Nebensächliches – die Tür ist verschlossen und kann nur von außen geöffnet werden."(2)

Advent – das ist Warten und Bangen und zugleich die Hoff-nung, dass einer kommt und rettet. Der nicht verurteilt und zur Hinrichtung abholt, sondern der die Tür aufschließt und in die Freiheit führt. Ja, ich bin’s! Hab keine Angst – es ist vorbei. Du hast auf den Richtigen gewartet!

(II. Ich bin der, der da ist.)
Aber die Antwort, die Johannes von seinen Boten erhält, ist verschlüsselt und rätselhaft. „Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht.“ Zwei Botschaften stecken in dieser Antwort: Ich bin nicht, der da kommen soll. (3) Ihr braucht nicht mehr zu warten – ich bin schon da. Ich bin der, der da ist.

So habe ich mich Mose am Dornbusch vorgestellt. So hat mich Johannes genommen und untergetaucht zur Reinigung und hat mich aufgehoben.

So bin ich auch heute für euch da. Das Himmelreich kommt auf euch zu – und ihr seid schon mittendrin! Gott will euer Gott sein, egal ob es euch recht ist oder nicht. Er begnügt sich nicht damit, die Hand auszustrecken und zu warten, ob jemand sie ergreift. Er öffnet und schließt Türen. Mit beiden Armen führt er Menschen aus der Gefangenschaft.
„Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht.“ Statt mit einer eindeutigen Antwort kommen die Boten mit unglaublichen Geschichten zurück. Geschichten, die sie selbst erlebt haben. Ihr selbst könnt die Ohren und die Au-gen aufmachen!

Hört, lauscht, spitzt die Ohren. Schaut euch um: wo kommt Jesus ins Leben? Nicht nur als Gast, der dann auch wieder geht. Wo bleibt er und gewinnt Geltung? Wo wird er wichtig, lebenswichtig – für euch und für andere? Eine Brille setzt er uns auf. Keine rosarote Optimismus-Brille, die die Welt schweinchenrosa-unwirklich macht. Auch keine schwarze Brille, die alles in bleigrauer Aussichtslosigkeit versinken lässt. Sondern eine scharf geschliffene Brille, die alles genau abbildet, die kleinste Veränderungen wahr-nimmt, wo sich Festgefahrenes beginnt zu bewegen, wo Hartes und Leb-loses aufbricht, und neue Chancen sichtbar werden.

(III. Irritierende Aussichten aus dem Gefängnis)
Was heißt das: „Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt.“?

Auch Johannes in seiner Zelle rätselt. Ist das jetzt der Be-ginn des Himmelreiches? Ist das der große Moment, wo sich alles ändert, wo Gott selbst die ganze Welt- und Mensch-heitsgeschichte komplett umkrempelt?

Oder bleibt es wieder nur Flickwerk?(4) Eine zusätzliche Stelle in der Diakoniesozialstation vielleicht, eine Wohnung für eine syrische Flüchtlingsfamilie, die neue Vesperkirche oder ein Gottesdienstopfer zur Behandlung obdachloser Aidskranker?

Oder ist das Himmelreich womöglich nur symbolisch ge-meint? Geht es allein um Einzelne und ihre Angst, ihre Hoff-nung, ihren Glauben? Brauche ich, egal ob gefangen oder frei, blind oder sehend, arm oder reich – eigentlich nur Gottvertrauen, um im übertragenen Sinn frei, zu sehen und frei zu sein? Ist am Ende alles gar nicht so gemeint, wie es da steht?

Es bleibt im Dunkeln, wie Johannes in seiner Zelle auf die Botschaft von Jesus reagierte. Wir werden nie erfahren, was er damals dachte, fühlte, glaubte, hoffte, als der Henker erschien und seinen Kopf einforderte.

„Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt.“

Eins ist damit klar gestellt, auf wessen Seite Gott steht. Dass den Armen das Evangelium gepredigt wird, ist das Größte: Von denen man gar nichts hört und sieht, die sollen Lebensmut fassen, damit sie eine Zukunft haben.

Aber so einfach ist es nicht. Johannes wurde nicht aus seiner Zelle befreit. Viele bleiben in ihrem Gefängnis: Weil du arm bist, musst du früher sterben. Weil du behindert bist, vielleicht schon im Mutterleib, hast du keinen Anspruch auf Leben und Menschenwürde. Ohne Abitur kannst du gleich einpacken. An den Gewalttaten eurer Kinder seid ihr Eltern und Lehrer schuld. (5) Wohl deshalb heißt es am Ende: „Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“

Also: Freuen sollen sich die, die den Advent von Jesus Christus nicht verfehlen, weil sie nicht festgefahren sind in ihren Erwartungen.

(IV. Gerüchte, die am Leben halten)
Seht mit der Brille der Verheißung: was seht ihr dann? Da ist noch immer Gewalt, Zerstörung, Hunger, Krieg und Tod. Aber Leute haben schon gehört und gesehen…, dass Hoff-nung wächst.

Wie bei „Jakob, dem Lügner“, der zufällig in den Besitz eines Radios gelangt und die Mitgefangenen in einem Ghetto irgendwo in Osteuropa durch Gerüchte am Leben hält:
„Ihn quält die Art, wie sie ihn jetzt täglich um Neuigkeiten anbetteln, wie sie ihn anschauen mit Augen voll zweifelnder Hoffnung: Stimmt es, dass wir Juden gegen ein Lösegeld verkauft werden sollen? Ist es wahr, dass ein jüdischer Staat gegründet wird? Und vor allem, wo bleiben deine Russen? Und so erfindet er die Schlacht an der Rudna, die in keinem Geschichtsbuch stehen wird, die Eroberung Tobolins und die Riesenverluste der Deutschen bei Pry.

Seine trostreichen Lügen sind es, die Heiratspläne beflügeln und die Selbstmordziffer auf den Nullpunkt sinken lässt.“ (6) Alles Lügen – Lebenslügen, denn sie halten am Leben. Sie sind so wichtig wie Wasser und Brot, um in der Hölle zu überleben.

Die Nacht hat ein Ende. Die Zellentür öffnet sich. Die Übel-täter werden nicht ewig das Sagen haben… Da kann sich der grausame König Herodes vor Wut in den Hintern beißen. „Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“

In der Zelle von Johannes haust inzwischen ein anderer. Vielleicht ein Übeltäter, vielleicht ein Verlierer wie Johannes. Seine berühmte Frage werden wir selbst immer wieder stellen: „Bist Du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“

Und dabei das Hören und Sehen immer neu einüben. Jesu Antwort wird uns auf die Spur von Advent setzen. Blinde sehen und Lahme gehen, Gescheiterte bekommen eine neue Chance, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, bleiben im Gespräch und werden weder von Gott noch von den Menschen vergessen. Und Verlierern wird die gute Botschaft weitergesagt:

Meistens wird Gott ganz leise Mensch, ganz ohne Engelsgesang. Der Besuch der drei Weisen bleibt aus, die Hirten bleiben bei ihren Herden. Meistens kommt er unter Ausschluss der Öffentlichkeit, in einer kleinen Zweizim-merwohnung, in einem Wohnheim unter Flüchtlingen in einem Krankenzimmer in nächtlicher Verzweiflung in der Stille wenn Menschen zu Menschen werden. Amen.


Gebet zum Eingang
Du, Gott, sprichst Worte der Verheißung
zu den Menschen, die Ausschau halten
und sich danach sehnen, dass du kommst.
Bring den Frieden näher, auf den die Welt wartet,
und lass uns erfahren, wer du bist für uns
heute und alle Tage unseres Lebens.
(Gottesdienstbuch Württemberg, 2004, Seite 130)


Fürbittengebet
Bist Du es, Gott? Bist Du es, der da kommt?
Wir warten sehnlichst auf dein Kommen und bitten dich:
Öffne unsre Herzen, damit wir dich bei uns einlassen.
Öffne unsre Herzen, damit wir offen sind für Menschen,
in denen du uns begegnest.
Wir bitten dich für die,
die unter Krankheiten und Ängsten leiden:
Gib ihnen Menschen, die ihrem Leiden standhalten.
Wir bitten dich für die Opfer der Kriege, die Flüchtlinge,
für alle Helfer und Helferinnen:
Lass ihnen Menschen begegnen,
die sie mit offenen Armen aufnehmen,
die ihnen Mut und Kraft und neue Hoffnung geben.
Wir bitten dich für die Mächtigen und Einflussreichen:
Gib ihnen die Einsicht,
dass sie nicht das Maß aller Dinge sind,
dass sie ihre Macht zum Wohl der Schwachen einsetzen
und dass sie ihr Tun vor Dir verantworten.
Wir bitten dich für uns und unsere Gemeinde:
Lass uns offen sein für alle, die uns brauchen,
lass uns füreinander da sein,
und lass uns zu Menschen werden,
die fröhlich und selbstbewusst für ihren Glauben einstehen.
(Anne-Kathrin Kruse)

Verfasserin: Dekanin Anne-Kathrin Kruse
Mauerstraße 5, 74523 Schwäbisch Hall

(1) Herbert Grönemeyer, Album Mensch 2002
(2) Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, München 1970, Seite 154
(3) Jan-Dirk Döhling, Wer’s fragt, wird selig, in: Göttinger Predigtmeditationen. Pastoraltheologie 97. Jg. 2008/11, 28-34, 28f
(4) W.Engemann/K.-H. Bieritz, 3. Advent. Matthäus 11, 2-10: Wenn aber das Gerücht stimmt…, in: Predigtstudien2002/2003 I, 38-47, Seite 44
(5) Seite 46
(6) Seite 45f

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