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Der starke Trost

von Gabriele Kölling (06618 Naumburg)

Predigtdatum : 11.09.2005
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 14. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Klagelieder 3,22-26. 31-32
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Wochenspruch:

Christus Jesus hat dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium. (2. Timotheus 1,10b)

Psalm: 68,4-7a.20-21 oder 146 (EG 757)

Lesungen

Altes Testament:
Klagelieder 3,22-26.31-32
Epistel:
2. Timotheus 1,7-10
Evangelium:
Johannes 11,1 [2] 3.17.27 [41-45]

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 169,1-5
Der Gottesdienst soll fröhlich sein
Wochenlied:
EG 113
oder EG 364
O Tod, wo ist dein Stachel nun
Was mein Gott will, gescheh allzeit
Predigtlied:
EG 364
Was mein Gott will, gescheh allzeit
Schlusslied:
EG 171
Bewahre uns, Gott

Liebe Gemeinde,
der 16. Sonntag nach Trinitatis fällt in diesem Jahr auf den 11. September. Mit diesem Datum verbinden sich seit 2001 schreckliche Bilder, Bilder von Flugzeugen, die in die Türme des World Trade Centre in New York rasen, Bilder von verzweifelten Menschen, die sich aus den Fenstern in die Tiefe stürzen, Bilder von Zerstörung, Tod und Trümmern. Und die Bilder von Überlebenden, von verletzten und traumatisierten Menschen, von Menschen, die Angehörige verloren haben und das noch gar nicht fassen können.
Heute, am 11. September 2005, hören wir als Predigttext die Worte eines Menschen, der eine Katastrophe erlebt und überlebt hat und der von diesem Erleben gezeichnet ist. Jene Katastrophe ereignete sich im Jahr 587 v. Chr. Die Stadt Jerusalem wurde von den Truppen des babylonischen Königs Nebukadnezar erobert und völlig zerstört. Und mit ihr der Tempel, Ort der Zuflucht und des Gebets, Symbol für die Gegenwart Gottes.
Alles kaputt, nur noch Schutt und Asche, ein einziges Trümmerfeld. So wie Berlin und Dresden und viele andere deutsche Städte vor 60 Jahren. Die Überlebenden damals in Jerusalem wurden ins babylonische Exil verschleppt. In der Stadt zurück bleibt nur ein kleiner Rest, jeder von ihnen ein trauriges Einzelschicksal, ein namenloses Opfer. Der Mensch, der heute in unserem Predigttext zu Wort kommt, ist einer von ihnen. Was hat er zu sagen?
Zuallererst muss er seine Klage hinausschreien über das, was ihm persönlich widerfahren ist, und über das Elend, das damit über ihn gekommen ist. Er findet starke, anschauliche Worte, um sein Erleben zu beschreiben. Er fühlt sich wie einer, der in die Finsternis geht, ringsum eingeschlossen von Bitternis und Mühsal, ummauert und in Fesseln gelegt. Jeder Ausweg aus der Misere ist wie mit Quadern versperrt. Er fühlt sich wie einer, der auf Kiesel beißt und in die Asche gedrückt wird.
Der Mensch, der das durchmacht, macht Gott verantwortlich. Er, Gott, habe das alles nicht nur zugelassen, sondern er selbst habe es ihm angetan. Die Schlussfolgerung, die er daraus zieht, ist verständlich und kann nicht überraschen: Meine Hoffnung auf den HERRN ist dahin.
Ganz unvermittelt tut dieser Mensch dann aber genau das, was er gerade für sinn- und zwecklos erklärt hat: Er fleht Gott um Hilfe an. Aller Verbitterung zum Trotz verschafft sich tief im Inneren eine andere Stimme Gehör, und die sagt leise, aber bestimmt: Gott wird sich mir wieder zuwenden. Gott wird mir helfen.
Und dann spricht dieser Mensch vom Grund seiner nicht totzukriegenden Hoffnung. Und dieser Ausschnitt aus dem 3. Klagelied ist heute unser Predigttext:
22 Die Güte des HERRN ist's, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, 23 sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß. 24 Der HERR ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen. 25 Denn der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt. 26 Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen. 31 Denn der HERR verstößt nicht ewig; 32 sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte.
Liebe Gemeinde,
die Erfahrung, am Ende zu sein und ohne Hoffnung, kennen viele von uns, nicht nur diejenigen, die eine Katastrophe wie die Zerstörung Jerusalems oder den Zweiten Weltkrieg oder den 11. September 2001 erlebt haben. Es gibt dafür andere und weniger spektakuläre Ursachen, z. B. eine schwere Krankheit oder der Verlust des Arbeitsplatzes oder eine gescheiterte Partnerschaft.
Völlig am Boden zerstört sein – fast jeder erlebt das irgendwann. Insofern sind die bitteren Erfahrungen, die der Beter im Klagelied ausspricht, nichts Besonderes. Das Bemerkenswerte ist, dass er sein Erleben unmittelbar mit Gott in Verbindung bringt. Dass, was ihm zustößt, so sagt er, lässt Gott ihm geschehen. Gott ist es, der ihn in die Finsternis geführt hat. Er hat ihm den Weg verbaut. Er hat ihn zunichte gemacht. Gott ist der Herr seines Lebens. Alles, was ihm widerfährt, das kommt von Gott, auch das Schwere. Für den Beter dieses Klageliedes ist das ganz klar.
Und für uns? Wir unternehmen in der Regel andere Erklärungsversuche.
Wenn ich arbeitslos werde und nicht weiß, wie es weitergehen soll, dann liegt das an der wirtschaftlichen Situation, daran, dass mein Betrieb Kosten senken muss, um konkurrenzfähig zu bleiben.
Wenn ich krank werde, dann, weil ich ein Virus aufgeschnappt habe oder weil ich zu wenig für meine Gesundheit getan und mir zuviel zugemutet habe. Oder es ist einfach unerklärliches Schicksal, das ich mit vielen anderen teile.
Wenn meine Ehe in die Brüche geht, dann gibt es dafür Ursachen, über die ich mir mit etwas Abstand und Aufrichtigkeit Rechenschaft geben kann.
Wer von uns würde wohl sagen: Das, was mir zugestoßen ist, das kommt von Gott - Gott hat mir das angetan?
Wenn wir in solchen Situationen überhaupt einen Zusammenhang mit Gott herstellen, dann eher so, dass wir fragen: Warum lässt Gott das zu? Oder: Wenn es Gott gibt, warum greift er jetzt nicht ein? Wir reden dann von Gott, als wäre er ganz weit weg, ein gleichgültiger, passiver Zuschauer. Manche beginnen in solchen Situationen auch, grundsätzlich an Gott zu zweifeln.
Ganz anders der Beter unseres Klagelieds. Für ihn steht außer Frage, dass in dem, was er durchlebt und erleidet, Gott seine Hand im Spiel hat. Er erlebt Gott gerade nicht als den Fernen, sondern als den, der sich mitten in seinem Leben bemerkbar macht, schmerzhaft bemerkbar. Das bedeutet aber nicht, dass dieser Mensch sich still in sein Schicksal fügt. Im Gegenteil, er schreit sein Elend förmlich hinaus, klagt laut über das, was Gott ihm zumutet, und möchte verzweifeln: „Mein Ruhm und meine Hoffnung auf den HERRN sind dahin.“
Zum Glück bleibt das aber nicht sein letztes Wort. Der eigenen Resignation zum Trotz sucht er dann doch bei Gott und nirgendwo anders Hilfe und betet: Gott, denke doch an mich in meinem Elend und hilf mir! Denn noch stärker als alle Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit ist ein Vertrauen, das ganz tief in diesem Menschen verwurzelt ist, das Vertrauen, dass Gott für ihn da ist, dass Gott auf seiner Seite steht und ihn nicht im Stich lässt.
Ganz tief in diesem Menschen verwurzelt ist der Glaube an die Güte Gottes und an seine Barmherzigkeit, die auch dann noch kein Ende hat, wenn er sich völlig am Ende fühlt. Er weiß, dass Gott treu ist, dass er immer wieder aufs Neue seine Menschenfreundlichkeit erweist. Ja, Gott mutet Menschen viel zu, aber dabei lässt er es nicht, sondern ganz gewiss wird Gott den, der am Boden zerstört ist, wieder aufrichten und ihm heraushelfen. Denn er ist ein Gott der Güte, Barmherzigkeit und Treue. Das weiß der Beter.
Und dieses Wissen ist so fest in ihm verankert, dass es auch im größten Leid nicht ins Wanken gerät. An dieser Gewissheit kann er sich festhalten. Und wenn auch sein Denken und Fühlen ihm sagen: „Meine Hoffnung auf den HERRN ist dahin“, kann sich eine andere Stimme doch gegen sie durchsetzen: „Du, Gott, wirst ja an mich in meinem Elend denken, denn meine Seele sagt mir’s.“ Darum fällt unser Beter nicht der Verzweiflung anheim, sondern versucht, sich in Geduld zu üben, und hofft auf Gott.
Liebe Gemeinde, der Glaube, dass der gütige, barmherzige und treue Gott der Herr unseres Lebens ist, macht den Unterschied. Gott meint es gut mit uns. Es lässt ihn nicht kalt, wenn wir leiden, sondern er lässt sich davon berühren und bewegen. Und auf ihn ist Verlass. Nicht nur dann und wann, sondern immer ist er für uns da.
Wenn schon jener Beter im Alten Testament so viel Grund hatte, auf Gottes Güte, Barmherzigkeit und Treue zu bauen, wie viel mehr wir. Denn wir kennen nicht nur die Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel, in der er sich immer wieder als gütig, barmherzig und treu erwiesen hat. Wir kennen Jesus Christus. Wir wissen, wie er mit seinem Reden und Tun, mit seinem Tod und seiner Auferstehung Gottes Liebe zu uns Menschen bezeugt hat. Dass dieses Wissen in uns zur Gewissheit wird, zu einem ganz tief in uns verwurzelten Vertrauen, darauf kommt es an.
Dietrich Bonhoeffer, der wegen seines Widerstandes gegen das nationalsozialistische Regime inhaftiert und kurz vor Kriegsende hingerichtet wurde, hat in seinem Lied „Von guten Mächten treu und still umgeben“ aus solchem Vertrauen heraus gedichtet:
„Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.“
So konnte es der Beter des 3. Klagelieds nicht sagen. Das Leid, auch wenn es aus Gottes Hand kam, hat ihn zuerst in tiefe Verzweiflung gestürzt. Und vielleicht ist er uns darin näher. Vielleicht können wir auch das Schwere in unserem Leben nicht wie Bonhoeffer „dankbar ohne Zittern“ aus Gottes Hand nehmen. Vielleicht können wir manchmal nur noch klagen. Hauptsache, wir bewahren tief im Innern die Gewissheit, dass die Barmherzigkeit Gottes alle Morgen neu ist. Hauptsache, unser Vertrauen ist immer ein Stück größer als unsere Angst, unsere Hoffnung auf Gott immer ein Stück größer als unsere Verzweiflung. „Denn der HERR verstößt nicht ewig; sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte.“ Amen.

Verfasser: Pfrn. Dr. Gabriele Kölling, Moritzberg 31, 06618 Naumburg

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