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Der Vorläufer des Herrn

von Ulf Häbel (35321 Laubach-Freienseen)

Predigtdatum : 14.12.2003
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 3. Advent
Textstelle : 1. Korinther 4,1-5
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Wochenspruch:

Bereitet dem HERRN den Weg; denn siehe, der HERR kommt gewaltig. (Jesaja 40,3.10)

Psalm: 85,2-8

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 40,1-8 (9-11)
Epistel:
1. Korinther 4,1-5
Evangelium:
Matthäus 11,2-6 (7-10)

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 69
Der Morgenstern ist aufgedrungen
Wochenlied:
EG 10 oder
EG 15
Mit „Ernst, o Menschenkinder
„Tröstet, tröstet“, spricht der Herr
Predigtlied:
EG 5
Gottes Sohn ist kommen
Schlusslied:
EG 10,4
Ach mache du mich Armen

1 Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse. 2 Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie für treu befunden werden. 3 Mir aber ist's ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht. 4 Ich bin mir zwar nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr ist's aber, der mich richtet. 5 Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden.

Liebe Gemeinde!
Auf dem Spielplatz an unserer Turnhalle lag ein Ball. Ein Junge aus dem Dorf kam dahergeschlendert und sah ihn. Er nahm ein paar Schritte Anlauf und trat den Ball weiter. Da kamen drei andere hinter der Hecke hervorgestürzt, hielten ihn fest und schimpften: „Das ist unser Ball; Du wolltest ihn klauen“. Der andere verteidigte sich noch, er hätte den Ball nur ein bisschen weitertreten und bestimmt nicht klauen wollen. Doch für die drei stand fest: Der ist ein Klauer und wir haben ihn dabei erwischt!
Später stellte sich heraus, dass diese drei Buben das Ganze inszeniert hatten. Beim Spielen hatten sie den anderen, den sie alle nicht mochten, daherkommen sehen. Und da waren sie auf die Idee gekommen: Dem stellen wir eine Falle; vielleicht tappt er rein. Der Ball war dann der Köder zum Anlocken. Und, wie man sah, hatte das „Spiel“ geklappt. Und sie hatten den Beweis: Er ist ein Klauer!
Warum sind Kinder schon so fies, stellen sich gegenseitig solche Fallen? Die einfachste Antwort auf diese Frage wäre: Das haben sie von uns, den Erwachsenen, abgeguckt. Der amerikanische Psychologe Eric Berne hat vor 30 Jahren ein Buch geschrieben: „Spiele der Erwachsenen - Psychologie der menschlichen Beziehung“. Darin beschreibt er, was er in seiner langjährigen Praxis als Psychotherapeut über das Verhalten von Erwachsenen entdeckt hat. Wir inszenieren Ränkespiele: Eins davon heißt übrigens: „Jetzt hab ich Dich, Du Schweinehund“. Die Kinder haben es perfekt gespielt. Ein anderes heißt: „Ja - aber“. Ja, Sie sind ein sensibler Mensch; ich verstehe Sie. Jetzt muss ich Ihnen aber mal die Meinung sagen“.
Eins habe ich kürzlich auch wieder erlebt und erlitten. Ich sollte in einer kirchlichen Arbeitsgruppe sagen, wie ich mir bei weniger Geld die Organisation von Kirchengemeinden in Dörfern und im ländlichen Raum vorstelle. Ich habe ein paar Vorschläge gemacht. An einer Stelle habe ich ehrlich gesagt, dass ich dafür noch keinen Lösungsvorschlag hätte. In der Diskussion haben sich dann nahezu alle nur auf den offenen Punkt bezogen. Wenn ich dafür nicht einmal einen Vorschlag hätte, dann wäre sowieso alles sehr fraglich. In dieser Diskussion kam ich mir nicht besonders ernst genommen vor. Ich hatte den Eindruck, dass die ganze Runde fixiert war auf den offenen Punkt, auf die Schwachstelle meiner Vorschläge. Man hatte mich offensichtlich nur daraufhin abgehört, ob es was zu kritisieren gäbe. „Abgehört - nicht zugehört“, so hieß das Spiel.
Warum machen wir solche Ränkespiele? Eric Berne meint, der Gewinn läge darin, dass man sich seiner Vorurteile und schon seiner feststehenden Meinung vergewissert. So ein „Spiel“ ist einer Schallplatte vergleichbar. Da kennt man die Melodie; man weiß, was kommt; man kennt möglicherweise sogar den Sprung in der Platte. Und wenn das Ding gelaufen ist, kann man sich beruhigt zurücklehnen und zu sich selber sagen: „Siehst du, ich hab’s doch gewusst“. „Der ist ein Klauer“. „Die da oben sind sowieso alle doof - oder die da unten“, je nach Position und Perspektive. „Die Verwaltung hat sowieso keine Ahnung, was vor Ort läuft“. Oder umgekehrt: „Die Pfarrer denken nur an sich und „ihre“ Gemeinde“.
Mit solchen Urteilen sind wir schnell bei der Hand, und damit machen wir uns gegenseitig fertig. Vorschnelle Urteile zerstören die Gemeinschaft; sie verhindern das ehrliche Gespräch, die Auseinandersetzung, die Kommunikation. Wer sich aber per Ränkespiel auf die Bestätigung seiner ohnehin feststehenden Urteile einstellt, der entzieht sich der eigentlichen Kommunikation, d.h. dem ehrlichen Austausch von Gedanken, Erfahrungen und Gefühlen; der entzieht sich dem Streit um die Wahrheit. Mit einem alten religiösen Begriff, der im Verständnis unseres Predigttextes liegt, könnte ich auch sagen: Der exkommuniziert sich selbst.
Exkommunikation war früher eine Entscheidung der Kirche gegen Mitglieder, die sich den Regeln der Kirche nicht unterwarfen. In unserer Gegend wird noch erzählt, dass die katholische Kirche Frauen exkommunizierte, die einen Evangelischen in der evangelischen Kirche des Dorfes geheiratet haben. Mit Worten aus dem heutigen Predigttext, die Paulus einst an Christen in der damaligen Weltstadt Korinth geschrieben hat, kann man sagen: Wer vorschnell urteilt, der gibt die Gemeinschaft der Christen und das heißt der Menschen, die gemeinsam auf der Suche nach Wahrheit sind, auf; der exkommuniziert sich selbst.
Soviel wir aus der Situation der Christen damals in Korinth wissen, gab es in der Gemeinde unterschiedliche Glaubensauffassungen und Frömmigkeitsgruppen. Die einen schworen sich auf einen Wortführer Apollos ein, die anderen hielten sich geradezu sklavisch an Paulus. Und dann passierte, was wir bis heute - auch in der Kirche - kennen: Man spielte das Ränkespiel der Macht und verhinderte damit die ehrliche Auseinandersetzung. Paulus warnt: Lasst das vorschnelle oder gar absolute Urteilen übereinander; das steht Euch nicht zu. Überlasst das Urteilen Gott.
Warum, liebe Gemeinde, neigen wir Menschen bis heute - in Parteien und Fraktionen, in Parlamenten und Synoden - eher zu Urteilen übereinander, als zum ehrlichen und fairen Streiten? Hindert uns die Angst, wir könnten in der ehrlich geführten Auseinandersetzung am Ende unterliegen? Es stimmt doch: Wenn man sich ehrlich einer Auseinandersetzung unterzieht, sich in einen fairen Meinungsaustausch einbringt, dann ist eben nicht sicher, ob man am Ende seine eigene Meinung ändern muss. Eric Berne sagt in seinem Buch über die „Spiele der Erwachsenen“, dass es außerdem anstrengend ist, sich dem Diskurs zu stellen. Genau dazu will Paulus aber auffordern: Lasst vorschnelles Urteilen. Führt den ehrlichen Streit um die Wahrheit. Das letzte Urteil spricht Gott.
Im Konfirmandenunterricht habe ich mit 13- und 14-jährigen solche schnell hingesagten Vor-Urteile zusammengeschrieben:
Die Alten sind...
Eltern sind...
Deutsche sind...
Ausländer sind...
Jungen sind...
Mädchen sind...
Es fiel uns leicht, eine ganze Tafel vollzuschreiben. Und die Jugendlichen fanden schnell heraus, dass solche Urteile den Kontakt mit den so beurteilten Menschen verhindern. Wenn ich im Voraus schon weiß, wie die sind, was die denken und was die auch tun, dann kann ich mir das Gespräch doch schenken, den Meinungsaustausch ersparen. Solange man sich das Urteil über andere bestätigt, statt es zu überprüfen, muss man auch nicht befürchten, man läge falsch oder müsste sich ändern.
Es kann Angst sein, die uns an der ehrlichen Auseinandersetzung hindert. Es kann aber auch die Arroganz sein, die sich in Besserwisserei äußert und den Diskurs um die Wahrheit verhindert. Das kennen wir doch auch, nicht wahr, dass sich da einer aufspielt nach allen Regeln der Kunst. „Die Kompetenz sitzt hier“, hat ein Verwaltungsmächtiger in einem Amt zu mir gesagt, und er hat dabei auf sich selber gedeutet. Es wurde zwar nicht darüber geredet, welche Kompetenz da gesessen hat, aber es war klar: Er hat die Macht, und darum hatte er Recht. Zu einem ehrlichen Streit musste es gar nicht mehr kommen.
Wie oft setzen wir Menschen unsere eigene Position so absolut? Wie oft geht uns dabei das Gespür für den anderen Menschen, für seine Situation verloren? Kaum etwas wird in den zwischenmenschlichen Beziehungen so beklagt wie das Gefühl, nicht verstanden zu werden. Doch das Verstehen beginnt da, wo wir die schnellen Urteile lassen, wo zuhören wichtiger wird als abhören, wo der andere Mensch als Schwester oder Bruder angesehen und geachtet wird.
Zum Schluss der Predigt will ich dazu ein Beispiel erzählen. Ich habe es in dem Buch von Muriel James „Spontan leben“ gelesen. Ich erzähle es nach meiner Erinnerung.
Ein neunjähriger Junge sitzt in der Küche auf dem Schemel und schaut der Mutter beim Arbeiten zu. Die Mutter sieht ihn und denkt, was sie schon oft gedacht hat: Er ist etwas klein geraten für sein Alter. Hoffentlich wird noch was aus ihm. Und dann gibt sie ihm gute Ratschläge: „Junge, iss ordentlich, damit Du wächst, dass Du groß und stark wirst. Sei in der Schule aufmerksam und fleißig, damit Du es wenigstens da zu was bringst. Sei älteren Menschen gegenüber immer zuvorkommend und höflich, damit sie Dich mögen“. Die Mutter reiht einen Ratschlag an den anderen. Doch sie merkt bald, dass sie damit nicht landet. Da lässt sie sich stöhnend auf den Stuhl fallen und sagt: „Junge, was soll ich mit Dir denn nur machen?!“
Und der Kleine antwortet:
“Wenn du mich zart und sanft berührst,
wenn du mich anschaust und mir zulächelst,
wenn du mir manchmal zuhörst, bevor du redest,
werde ich wachsen, wirklich wachsen“.
Gott will, dass wir so - behutsam und zärtlich, verständnisvoll und nicht urteilend, ehrlich statt ränkespielend - miteinander umgehen. Wo wir es tun, erfüllen wir seinen Willen. Amen.

Verfasser: Ulf Häbel (1997)

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