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Die ewige Stadt

von Johannes Proescholdt (63032 Offenbach)

Predigtdatum : 26.11.2000
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Letzter Sonntag des Kirchenjahres: Ewigkeitssonntag
Textstelle : Jesaja 65,17-19.(20-22).23-25
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Wochenspruch:

Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen. (Lukas 12,35)

Psalm: 126 (EG 750)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 65,17-19 (20-22) 23-25
Epistel:
Offenbarung 21,1-7
Evangelium:
Matthäus 25,1-13

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 149
Es ist gewisslich an der Zeit
Wochenlied:
EG 147
Wachet auf, ruft uns die Stimme
Predigtlied:
EG 150
Jerusalem, du hochgebaute Stadt
Schlusslied:
EG 241,8
Du wirst dein herrlich Werk vollenden

Hinführende Gedanken
Am 25. November 1816 hat der preußische König Friedrich Wilhelm III per Verordnung einen Feiertag “zum Gedächtnis der Entschlafenen” eingeführt. So erinnern wir an diesem Sonntag an die bedrückende Macht des Todes. Viele unserer Hörerinnen und Hörer sind daher in ihren Gedanken und Gefühlen weitgehend bestimmt von Vergänglichkeit und Abschiednehmen, Verlust und Trauer um geliebte Menschen. Und zugleich ahnen sie - und wir mit ihnen - dass der Tod nicht das letzte Wort haben kann. Der biblische Glaube rechnet damit, dass Gott kein Leben vergessen wird, nichts geht im Nichts auf oder unter. Ja, zu unserer verwundeten Seele ist Gottes tröstende Stimme unterwegs: “Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.
Der heutige Predigttext ist dem 3. Teil (Kap. 56 - 66) des Jesajabuches entnommen. Dieser wird einem unbekannten Propheten (“Tritojesaja”) zugeschrieben, welcher mit großer Wahrscheinlichkeit zwischen 538 und 515 v. Chr. in Jerusalem auftrat. In dieser Zeit kehrten Juden nach und nach zurück aus dem babylonischen Exil. Tempel, Stadt und umgebende Siedlungen lagen größtenteils noch in Trümmern. Hunger und Not, Resignation und Verzweiflung waren an der Tagesordnung. In diese Situation hinein ergeht das prophetische Wort: Gott kündigt eine elementare Erneuerung von Himmel und Erde an.
Jes. 65 birgt eine messianische Vision, deren Reichtum und Tiefe wir kaum fassen können. Der vielfach beschworene Gegensatz von Diesseits und Jenseits wird ebenso geheimnisvoll wie erkennbar aufgehoben in ein “Gott-seits”. Der Tod ist noch immer präsent, doch er hat den weitaus größten Teil seines Schreckens verloren. Das tiefe Vertrauen auf Gottes Weisheit und Größe schenkt uns das Gefühl, in Gott geborgen zu sein. Wahrscheinlich nur so können wir unsere abgrundtiefe Angst vor dem Tod, vor dem Nichts überwinden. Wo dies gelingt, werden Auferstehung und Ewigkeit zu prägenden Erfahrungsbildern.
Gottes Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, im Bilde eines real erfahrbaren allumfassenden Friedens vor dem Hintergrund einer alles durchdringenden Gerechtigkeit ist ebenso Einladung wie Anfrage an uns und unsere christlichen Kirchen.

Liebe Gemeinde!
“Siehe!” so spricht uns eine unbekannte Stimme an. Bisweilen fällt uns ein Wort ins Bewusstsein wie eine Sternschnuppe. Bewusster als sonst öffne ich meine Augen, blicke aus dem Fenster. An den Bäumen hängen nur noch wenige Blätter. Nebel ziehen über die nah gelegenen Felder. Immer kürzer werden die Tage. Es ist kalt geworden. Und ich spüre, wie ich mich sehne nach Wärme, Licht und Geborgenheit. Wird diese überraschende Stimme weitersprechen?
Tage im November. Blätter fallen, fallen wie von selbst. Die Vergänglichkeit des Lebens wird uns schmerzhaft bewusst. Wir kommen von den Gräbern, die wir in diesen Tagen gepflegt und geschmückt haben. Heute am Totensonntag denken wir besonders an die Menschen, die in diesem Jahr gestorben sind. Viele sind mit Schmerzen gestorben oder waren noch nicht bereit. Ihr Tod kam zu früh für sie oder für uns. Wir können nicht fassen, dass wir Abschied nehmen mussten von denen, die wir unendlich liebten. Schmerz, Klage und Trauer erfüllen unser Herz. Gibt es eine Stimme, die uns zu trösten vermag?
Gespräche mit Trauernden offenbaren oft eine tiefe Enttäuschung über ein Leben, das weitgehend unerfüllt blieb. Scheidungen und Unfälle, verlorene Kinder und misslungene Liebesbeziehungen, Krankheiten und Einsamkeit, innere Leere und Hoffnungslosigkeit - tausendfache Spuren enttäuschten Lebens. Das Sterben mitten im Leben hat viele bedrückende Gesichter. Und das soll es nun gewesen sein? Nein, der Tod kann nicht das letzte Wort haben. Wie aber können wir unsere Trauer, unsere bedrängenden Fragen auf neuen, weiten Raum stellen?
“Siehe!”, bittet uns eine geheimnisvolle Stimme. Und wir öffnen die Augen der Erinnerung, entdecken uns wieder als faszinierte Leser unserer Kinderbibel. Wir bangen mit Abraham und Isaak auf ihrem lebensgefährlichen Weg hinauf zum Berg der Opferstätte. David sehen wir mit himmlischem Mut gegen Goliath kämpfen. Mit Jesus sind wir unterwegs, um Leben zu retten. Wir hören die klagenden und hoffenden Lieder der Psalmen. Und in allem spüren wir jetzt, dass der Bibel unsere eigenen Gefühle und Fragen nicht unbekannt sind. Angst und Klage, Verzweiflung und Not bringen wir Menschen seit biblischer Zeit vor Gott. Wir ringen mit dem Ewigen um Wahrheit und Einsicht, um Demut und Trost. Und Gott offenbart sich überraschend durch Worte und Zeichen, durch die Spur eines Engels, durch einen beflügelnden Traum.
Etwa fünf Jahrhunderte vor der Geburt von Jesus aus Nazareth hat sich der Ewige einem unbekannten Dichter in einem Traum offenbart. Über die Distanz von Jahrtausenden erreicht uns die unvergängliche Stimme Gottes:
17 So spricht der HERR: Siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird. 18 Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich will Jerusalem zur Wonne machen und sein Volk zur Freude, 19 und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk. Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.
[20 Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt, und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht. 21 Sie werden Häuser bauen und bewohnen, sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen. 22 Sie sollen nicht bauen, was ein anderer bewohne, und nicht pflanzen, was ein anderer esse. Denn die Tage meines Volks werden sein wie die Tage eines Baumes, und ihrer Hände Werk werden meine Auserwählten genießen.]
23 Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des HERRN, und ihre Nachkommen sind bei ihnen. 24 Und es soll geschehen: ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören. 25 Wolf und Schaf sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen. Sie werden weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR.
(besonders empfehlenswert: Übersetzung von Buber-Rosenzweig)
“Siehe!”, hören wir jene leise Stimme in uns sprechen, die wir nur selten als Stimme Gottes identifizieren können. Mit einem Signalwort wirbt Gott um unsere ganze Aufmerksamkeit. Er lenkt förmlich unseren Blick von uns selbst weg, ganz hin auf die Worte, die nun folgen und in denen sich Gott mit seinem Fühlen und Wirken offenbart.
Lassen wir Gott zu Wort kommen in unserem Leben?
Vor 2.500 Jahren war das Volk Israel aus der babylonischen Verschleppung befreit worden und konnte endlich heimkehren. Überglücklich, ja euphorisch hatte man sich die Rückkehr ins gelobte Land in den schönsten Farben der Phantasie vorgestellt. Alles sollte anders, neu, besser werden. Doch in Jerusalem erwartete sie ein zerstörter Tempel, die Häuser waren meist verfallen, das Land verwahrlost. Schmerzlich entdeckte man, dass die überschwänglichen Träume nicht so einfach in Erfüllung gehen würden. Hunger und Not, Krankheit und Verzweiflung bestimmten den Alltag. Mit einer solch verheerenden Niederlage ihrer Hoffnungen hatten sie nicht gerechnet. Ohnmacht und tiefe Depression lagen über dem gelobten Land wie eine tödliche Bedrohung. Man schien bereit, aufzugeben und vom Leben Abschied zu nehmen.
Warum Häuser bauen, wenn Feinde sie wieder zerstören können? Warum Weinreben pflanzen, wenn die Ernte verloren geht? Warum Kinder zeugen und gebären, wenn es für sie keine Zukunft gibt? In diesen Fragen verbirgt sich eine tiefe Einbuße an Vertrauen, dass das Leben doch gelingen, zur Ganzheit finden und sich auch in Zukunft entfalten kann.
Der Prophet weiß, wie sehr wir Menschen unter dem Fragmentarischen, dem Bruchstückhaften unseres Lebens leiden. Abbruch, Misslingen und Zerstörung bedrohen uns in allen Schattierungen. Doch Jesaja weiß auch, dass wir eine Vision von Ganzheit dringend benötigen, um das Unvollendete im Leben annehmen und bewältigen zu können.
Inmitten dieses Nachsinnens hat Jesaja dann, ich denke in einem Traum - wie damals Jakob, der von einer Himmelsleiter träumte - die visionäre Stimme Gottes vernommen. Mit der Weitergabe dieser göttlichen Botschaft will Jesaja den Verzweifelten helfen, zurückhelfen auf den Weg ins Leben. Erst die Vision des Ganzen macht Mut, am Fragment zu arbeiten. Erst die Vision Gottes von einem neuen Himmel und einer neuen Erde gibt uns die Kraft, Rückschläge zu verkraften.
Gott schenkt neues Leben. Das Bestehende soll nicht zerstört, sondern erneuert werden. Von einer großen Verwandlung ist die Rede. Offensichtlich ist sie aus göttlicher Sicht nötig. Selbst der Himmel scheint renovierungsbedürftig, von der Erde ganz zu schweigen. Das Neue beginnt mit Abschied. Vielleicht ist die Natur selbst ein Gleichnis für diesen biblischen Traum. Erst müssen die Blätter fallen, muss das bunte Laub verwehen, ehe neues Leben keimen darf. Können wir das begreifen und annehmen?
“Ich will jubeln und mich freuen”, sagt Gott. Offenbar ist er selbst traurig, offenbar fühlt er mit, geht ihm das nahe, was er sieht und hört. Das Weinen, die Klage, die Schwermut verhallt nicht im leeren Raum. Da ist ein Ohr, das hört, ein Herz, das fühlt und eine Kraft, die handelt.
Wie aber handelt Gott? “Nicht mehr wird ein Säugling sein, noch ein alter Mensch, der seine Tage nicht vollendet”. Das Leben wird erfüllt sein, nicht abgebrochen. Niemand wird mehr unerwartet sterben müssen. Dennoch überraschend: Gott verspricht nicht, dass der Tod aus dem Leben verschwindet. Vielmehr gehört der Tod wieder zum Leben, weil er uns nicht das Leben raubt, sondern ein erfülltes Leben zum Abschluss bringt. Das Sterben-Müssen, die Grenze des Todes bleibt. Daran hat sich auch seit Jesu Tagen nichts geändert. Doch Gott will unserem Leben, ob kurz oder lang, trotz des Todes zu seinem Ziel verhelfen. Der Tod soll nicht länger die Macht haben, Leben zu verstümmeln und zu zerstören. Gott will dem Tod die Macht nehmen. Können wir uns dem anvertrauen?
Täglich erfahren wir uns in einer Welt voller Todesstrukturen. Doch inmitten aller Vergänglichkeit können und dürfen wir uns Gott zuwenden. Staunend erleben wir dann, dass ein Schimmer der Ewigkeit uns berührt. – In diesem Wissen denken wir an unsere Toten und das, was sie waren. Wir denken auch daran, was sie sein werden wie wir eines Tages: bei Gott. Über den Rand der Gräber denken und fühlen wir nach vorne, nach oben, nach innen - zu Gott hin.
So sehr wie Gott dem Tod die Macht nimmt, so deutlich gibt er dem Leben neue Kraft. “Sie werden Häuser bauen und darin wohnen, sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen”. Ich höre hier eine Ermutigung für ein Leben ohne Zukunftsangst. Wir wissen doch, wie Misstrauen und Angst alle Bereiche unseres Daseins lähmen und entwerten können. Aus diesen Bedrohungen will Gott uns befreien, uns auferwecken zu neuem Sein. Sinn für Gerechtigkeit und Frieden, Vertrauen und Hoffnung auf Gottes Wirken sind die Zeichen eines neuen Himmels, einer neuen Erde. Kann unsere Sehnsucht sie entfalten?
“Siehe!” - dieses eine Wort lenkt unsere Aufmerksamkeit ganz auf Gott hin. Jesaja spricht uns auf das Entscheidende an, auf unser innerstes Verhältnis zu Gott. “Ehe Ich rufe, antworte Ich, noch reden sie, und Ich höre schon”. Worte des Ewigen. Unsere Stimme wird Gott in Sekundenbruchteilen erreichen. Schneller als ISDN und Internet. Es bedarf nicht vieler Worte unsererseits. Und unsere Lösungsvorschläge müssen wir nicht unserem Gebet auflasten. Eine neue Sprache wird uns geschenkt. Unser Beten und Sprechen direkt mit dem Herzen Gottes wird erinnern an das fast wortlose, innige Gespräch unter Liebenden.
Durch einen neuen Himmel und eine neue Erde will Gott uns ein Leben in Fülle schenken. Geheimnisvoll wird in diesen Bildern die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits aufgehoben. Wo Gottes Stimme uns erreicht, da erleben wir “gottseits” ein neues Zeitgefühl, für das wir keine Worte finden. Fast spielerisch leicht verwandeln wir uns. Ich kann meine Fehler annehmen und korrigieren. Ich lerne, mich mit meiner Angst und Trauer auseinander zusetzen. Ich fliehe nicht länger vor Problemen und Herausforderungen. Mit neuen Augen entdecke ich meine Mitmenschen. Lebensmut wächst mir zu. Mitten aus dem Weinen huscht das Glück eines offenen Himmels über meine Seele.
“Fürchte dich nicht”, spricht Gott uns tröstend zu, “Ich habe dich erlöst, Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein”. Amen.

Verfasser: Prädikant Johannes Proescholdt, Lausitzer Str. 6, 63032 Offenbach

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