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Die Menschwerdung Gottes

von Karl Hans Geil (Lampertheim)

Predigtdatum : 26.12.2002
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Christfest 2. Feiertag
Textstelle : Johannes 1,1-5.(6-8).9-14
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Wochenspruch:

Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit. (Johannes 1,14)

Psalm: 96 (EG 738)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 11,1-9
Epistel:
Hebräer 1,1-3 (4-6)
Evangelium:
Johannes 1,1-5 (6-8) 9-14

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 35
Nun singet und seid froh
Wochenlied:
EG 23
Gelobet seist du, Jesu Christ
Predigtlied:
EG 23,5-7
Der Sohn des Vaters, Gott von Art
Schlusslied:
EG 27,6
oder EG 40,5
Heut schließt er wieder auf die Tür
Drum, Jesu, schöne Weihnachtssonne

Hinführung
I. Erste Gedanken
Der Predigttext ist überraschend. Nach all den gefühlvollen Erwartungen, auf die ich mich an Weihnachten einstelle, wirkt der Text sehr rational. Der Gegensatz zur Weihnachtsgeschichte des Lukas ist frappierend. Trotzdem ist der Text für mich positiv besetzt. Ich mag ihn und denke gern an meine Beschäftigung mit ihm während des Studiums. Ich freue mich auf die Arbeit.
II. Vorentscheidungen
* Ich möchte dem Text seine nüchterne Seite belassen und auch den HörerInnen deutlich machen. Das Bemühen des Evangelisten verdient, dargestellt zu werden.
* Die Sprache und die Begriffe des Textes könnten befremdlich wirken, besonders bei gefühlsbetonten Gottesdiensterwartungen. Deshalb sollte eine Hinführung der Textlesung vorausgehen, um neugierig zu machen.
* Die Predigt braucht aber auch die gefühlvolle Seite. Das sollte mit dem Bezug zur Gegenwart einher gehen. Eine Geschichte wäre gut.
* Keine Scheu vor theologischen Gedanken. Manche Hörer/innen fühlen sich dadurch ernst genommen. Viele interessiert es auch.
* Auf den Begriff „Wort“ (Logos) möchte ich nicht eingehen. Ich empfinde das zu speziell.
* Johannes versucht Weihnachten, „die Fleischwerdung Gottes“, in den Zusammenhang der Heilsgeschichte zu stellen. Das entspricht meinem Bemühen, beim Schauen auf das Kind in der Krippe, auch den Mann am Kreuz im Blick zu behalten.
* Der zentrale Satz für mich ist „und das Wort ward Fleisch“. Daran möchte ich den Bezug zur Lebensgestaltung heute fest machen. Das sollte die Brücke von Johannes und seinen Lesern zu mir und meinen HörerInnen sein.
* Die Verse 6-8 vernachlässige ich. Ich lese sie auch nicht vor. Ich finde, sie drohen abzulenken.

Liebe Gemeinde,
das Predigtwort heute ist eine ungewohnte Weihnachtsgeschichte. Von Lukas kennt jeder diese tragische Familiengeschichte um Maria und Josef. Jede Einzelheit erzählt der Evangelist. Wir erleben Angst mit, die Strapazen der Reise; wie sie weggeschickt werden. Schließlich die Notunterkunft im Stall und das grandiose Finale: „Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!“ Da steht uns das vor Augen, was Weihnachten ausmacht.
Als Johannes sein Evangelium schrieb, da setzte er diese Geschichte als bekannt voraus. Seine Geburtserzählung sollte die Einführung in die Beschreibung des Lebens und des Wirkens Jesu Christi sein. Ihm ging es darum, die Bedeutung der Geburt des Gottessohnes herauszustellen. Er wollte sie einordnen in die Geistesgeschichte der Menschheit. Waren die einfachen Menschen von der Erzählung des Lukas ergriffen, - so wollte Johannes mit seiner Deutungsgeschichte der Geburt Jesu in die Gelehrtenstuben der Antike einziehen. Philosophen und Geisteswissenschaftler sollten erkennen: diese Geburt war ein weltbewegendes Ereignis und sie bewegt die Welt noch. So schrieb er an den Anfang seines Evangeliums:
1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. 2 Dasselbe war im Anfang bei Gott. 3 Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. 4 In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. 5 Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen.
[6 Es war ein Mensch, von Gott gesandt, der hieß Johannes. 7 Der kam zum Zeugnis, um von dem Licht zu zeugen, damit sie alle durch ihn glaubten. 8 Er war nicht das Licht, sondern er sollte zeugen von dem Licht.]
9 Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen. 10 Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht; aber die Welt erkannte ihn nicht. 11 Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf. 12 Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, 13 die nicht aus dem Blut noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern bvon Gott geboren sind.
14 Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.

Weihnachten fängt im Himmel an! - so macht Johannes deutlich. Um die ganze Bedeutung von Weihnachten verstehbar zu machen, beginnt er vor dem Anfang der Welt. Beim Schöpfer von Himmel und Erde, dort liegt der Ursprung Jesu Christi. Wer das Kind Jesus betrachtet, der sieht das Geschenk Gottes an diese Welt. Er, der Schöpfer, kehrt zurück in sein Eigentum.
Als Kind habe ich mir das immer so vorgestellt: Gott will, dass es diese Welt gibt, dass es Leben gibt und Menschen nach seinem Ebenbild. Darum ruft er all das ins Leben. Es gibt diese Erde und Gott betrachtet sie von außen. Er bleibt ein ewiges Gegenüber. Gott sieht wie sich alles entwickelt, was die Menschen daraus machen; und er leidet auch daran.
Für Johannes bedeutet nun Weihnachten: Gott belässt es nicht bei diesem Abstand. Er schüttelt zwar den Kopf über seine Menschen. Doch er gibt sie nicht auf. Gott bleibt ihnen zugewandt und zeigt seine Liebe auf so unerwartet rührende Weise. Im Kind Jesus geht er in diese Welt hinein, wird Teil von ihr. „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“ – so fasst Johannes es zusammen.
Gott wird Mensch, dir Mensch zugute. Gottes Kind, das verbind’t sich mit unserm Blute – so heißt es bei Paul Gerhardt. „Gott wird Fleisch“ – so sagt es Johannes. Der ewige Gott verbindet sich mit dem vergänglichen Menschen. Der Allmächtige zeigt sich in hilfloser Ohnmacht.
Das gehört zusammen! – so sagt uns die Weihnachtsbotschaft. Was ihr Menschen so gerne trennt in Freud und Leid, - in Kommen und Gehen, - in Erfüllung und Scheitern, - das ist tiefer und wahrhafter verbunden als ihr es euch vorzustellen wagt. Das Gesicht von Neugeborenen hat den gleichen Ausdruck wie ein Mensch bei seinem letzten Atemzug. Denn beide leben an der Schwelle zur Welt Gottes.
Das Gesicht einer Mutter in Afghanistan, die auf der Flucht ihre Kinder schützend umfasst; es zeigt soviel von Gott gewollter Menschlichkeit. Da wirken die stereotypen Reden der Mächtigen im Wohlstand oft blass und unwirklich. So bleibt Weihnachten nicht bei gefühlsbetonten Bildern oder Worten. Es wird da erlebbar, wo Gott in menschlich-alltäglichen Dingen Fleisch wird, - sichtbar, spürbar, erkennbar.
Alltäglich – und doch so besonders.
Ganz banal – und doch so außergewöhnlich.
Es gab und gibt viele Beispiele. Ich möchte versuchen, es an einer Geschichte zu verdeutlichen:
Die Schaffnerin wunderte sich über die alte Frau, die an diesem Heiligen Abend als einziger Fahrgast in ihrem Wagen fuhr, von einer Endstation zur anderen. Sie wunderte sich, dass sie keine Anstalten machte, auszusteigen. Sie konnte nicht verstehen, dass es einen Menschen gab, der diesen Abend freiwillig in einer Straßenbahn verbrachte. Für sie selbst war dieser Dienst heute eine Qual. Sie wandte den Blick ab, wenn sie zufällig im Vorüberfahren einen Weihnachtsbaum bemerkte, dessen Kerzen brannten und dessen rote und silberne Kugeln bis zu ihr in den Wagen leuchteten. Sie dachte dann an ihre beiden Kinder, die allein zu Hause im Bett lagen und schliefen. Hoffentlich schliefen! Beim Abschied vor drei Stunden hatte Lore geweint. „Nun kommt das Christkind nicht zu uns, morgen ist es doch nicht mehr richtig.“ Nein, morgen Abend war es nicht mehr richtig. Deshalb war es besser, nicht zu den Weihnachtsbäumen zu schauen, eher zu der alten Frau dort, die auch nicht zu den Glücklichsten zu gehören schien.
Sie saß vornübergebeugt, hielt die Hände im Schoß und sah auf den Fußboden, als blickte sie in eine Welt, die versunken war. Einmal bemerkte die Schaffnerin, wie sie sich die Augen wischte. Dann war sie lange Zeit wieder ohne jede Bewegung, ganz verloren in das eigene Schicksal, das ihr an diesem Abend keine Wärme, keine Freude gönnte.
Die Schaffnerin wusste später nicht, woher sie den Mut genommen hatte, die alte Frau anzusprechen und ihr ein paar Plätzchen anzubieten, die Ingrid ihr daheim noch eingepackt hatte. „Damit du knabbern kannst, Mutti, wenn du traurig bist“, hatte sie gesagt. Nun knabberte die alte Frau an dem Honigkuchen, und die Trostlosigkeit war plötzlich aus dem Wagen verschwunden.
„Wissen sie“, sagte die Frau, „ich hatte zwei Söhne und einen guten Mann, aber der ist schon lange tot. Ein Sohn lebt noch, drüben in Amerika, der andere ist im Krieg geblieben. Ich habe mich an das Alleinsein gewöhnt. Das ganze Jahr über geht es gut, aber am Heiligen Abend kann ich nicht zu Hause sein. Da schleicht es aus allen Ecken auf mich zu. Erinnerungen, Gedanken, Wünsche, - ich muss davor fliehen, sonst bringen sie mich um. Ja, wenn ich noch für jemanden sorgen könnte. So bin ich zu nichts mehr nütze, - das ist schlimm.“
„Ich habe zwei Kinder, die sind traurig, weil ich heute Dienst habe“, sagte die Schaffnerin. „Ich muss arbeiten, mein Mann ist vor zwei Jahren tödlich verunglückt, ich muss Geld verdienen. Morgen habe ich frei und übermorgen bis zum Abend. Wir werden morgen die Kerzen anzünden und bescheren. Ich habe das Essen schon vorgekocht, es bleibt nur wenig zu tun, ich habe viel Zeit für die Mädchen. Es ist nicht leicht, wissen sie, alles in Ordnung zu halten. Den Kindern eine gute Mutter zu sein und einen Beruf auszuüben. Wenn ich nur jemanden hätte, der mal zu Haus nach den Kindern schaute, wenn ich schaffen muss, ich würde viel ruhiger sein können.“
Sie sahen sich beide an, die alte Frau und die Schaffnerin. Es wurden Gedanken in ihnen wach, die sie noch nicht zu denken wagten. Sie wollten sie auch nicht mit leeren Worten zerreden. So fuhren sie schweigend miteinander von einer Endstation zur anderen; aber ihr Schweigen war nicht bitter, es war erfüllt von dem guten Gefühl menschlicher Zuneigung, das alles Unklare, Nichtige zwischen ihnen verdrängte und nur dies lebendig werden ließ: den Wunsch, dem Menschen da zu helfen, dadurch selbst zufrieden zu werden. Vielleicht auch glücklich. Auf der letzten Fahrt sagte die Schaffnerin: „Es wäre schön, wenn sie morgen Mittag zu uns kommen würden. Die Kinder würden sich freuen. Sie hätten auf einmal eine Oma zu Weihnachten bekommen.“ Und sie dachte: Vielleicht bleibt die Oma, und ich kann ruhig zum Dienst gehen.
Die alte Frau lächelte ein wenig, als sie ihr Kommen versprach. Sie dachte dabei: Vielleicht bekomme ich zwei Enkel geschenkt. Dann wäre mein Leben nicht mehr ohne Sinn.
Sie gingen auseinander, als kennten sie sich schon lange. Sie freuten sich auf morgen.
Alltägliche, nachvollziehbare Lebenssituationen, liebe Gemeinde. Alltägliche Träume und nachempfindbare Hoffnungen. Wie oft haben Menschen solche Bilder erfüllten Lebens vor Augen, und – verdrängen sie.
Die Weihnachtsbotschaft, die in beiden Frauen präsent ist, die in ihnen arbeitet, die schenkt die Begegnung. Führt sie vom Kreisen ums eigene Leben zum Hören und Wahrnehmen des Nächsten. Hilft ihnen, Scham, Angst zu überwinden, sich zu öffnen. So gewinnt die Hoffnung Raum. Stand ihnen eben noch vor Augen, was nicht mehr ist, ihnen verwehrt. So haben sie nun Bilder erfüllten Lebens vor Augen, gehen voller Hoffnung heim. Aus der Angst vor Weihnachten ist die Freude auf Morgen geworden. Aus der Angst vor dem Leben heute ist die Hoffnung geworden, was der kommende Tag schenken mag. Aus Sich-Abfinden mit Schwerem die frohe Erwartung einer erfüllten, schönen Zukunft.
Und das Wort wird Fleisch! Und Gott wird Mensch, wird greifbar in unserem Leben. Amen!

Anmerkungen:
* Die Überleitung „Als Kind habe ich mir das immer so vorgestellt“ finde ich einerseits einladend, aber auch problematisch. Sie kann dem nachfolgenden einen vereinfachenden bis verniedlichenden Charakter geben, der von der Erwachsenenwelt wegführt. Eine Alternative wäre; „Ich stelle mir das so vor:“
* Die Geschichte ist von Anneliese Probst und heißt „ Es war ein gesegneter Abend.“ Mir gefällt an ihr, dass die Lebenssituationen wirklichkeitsnah sind und das glückliche Ende in der Vorstellung der HörerInnen konkretisiert wird. Diese Geschichte kann selbstverständlich durch eine Ihnen passender erscheinende ersetzt werden!

Verfasser: Pfr. Karl Hans Geil, Römerstr. 94, 68623 Lampertheim

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