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Die Menschwerdung Gottes

von Ernst Standhartinger (64331 Weiterstadt)

Predigtdatum : 25.12.2000
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Christfest 1. Feiertag
Textstelle : Johannes 3,31-36
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Wochenspruch:

Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit. (Johannes 1,14)

Psalm: 96 (EG 738)

Lesungen

Altes Testament:
Micha 5,1-4a
Epistel:
Titus 3,4-7
Evangelium:
Lukas 2, (1-14) 15-20

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 32,1-4
Zu Bethlehem geboren
Wochenlied:
EG 23
Gelobet seist du, Jesu Christ
Predigtlied:
EG 638,1-3
oder EG 26
Ich lobe meinen Gott, der...
Ehre sei Gott in der Höhe! (Kanon)
Schlusslied:
EG 44
O du fröhliche

31 Der von oben her kommt, ist über allen. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Der vom Himmel kommt, der ist über allen 32 und bezeugt, was er gesehen und gehört hat; und sein Zeugnis nimmt niemand an. 33 Wer es aber annimmt, der besiegelt, dass Gott wahrhaftig ist. 34 Denn der, den Gott gesandt hat, redet Gottes Worte; denn Gott gibt den Geist ohne Maß. 35 Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben. 36 Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.
(Luther-Übersetzung; in der Predigt benutzt: Einheitsübersetzung!)

Vom Text zur Predigt
Wer am 1. Weihnachtsfeiertag zum Gottesdienst kommt, erwartet einen Weihnachtsgottesdienst und eine Weihnachtspredigt. Der Predigttext scheint dem zunächst nicht sehr entgegenzukommen. Aber er ist durchaus ein weihnachtlicher Text. Mit der Formulierung „der von oben kommt“ bzw. „der aus dem Himmel kommt“ greift der Evangelist in seiner Sprache auf, was in Kap. 1,14 stand: „(Gottes) Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns“.
Das Ziel, um dessentwillen da einer von oben gekommen ist, ist dabei das „ewige Leben“, das die, die „an den Sohn glauben“ schon jetzt haben und praktizieren. Durch ihr Leben „besiegeln“ sie, dass „Gott wahrhaftig ist.“
Was dem Textabschnitt allerdings fehlt, ist Anschaulichkeit. Die Beschreibung, was das ewige Leben konkret bedeutet, muss deshalb vom Prediger ergänzt werden. Ich habe dafür zwei Quellen benutzt: Einmal das Johannesevangelium selbst, aus dem ich erzählende Texte zitiere und zum anderen die ersten beiden Kapitel des Lukasevangeliums, in denen das, was Johannes abstrakt formuliert, in erzählerische Form gegossen ist.
Lutherübersetzung und die Übersetzung der Einheitsbibel unterscheiden sich kaum. Ich habe mich für die Einheitsbibel entschieden, weil die Formulierung „ist irdisch und redet irdisch“ in Vers 31 b verständlicher ist als Luthers „ist von der Erde und redet von der Erde.“

Liebe Gemeinde!
Heute ist der erste Tag des Weihnachtsfestes. Wir erinnern uns an die Geburt Jesu und an das, was sie für uns bedeutet. Der Christbaum, die weihnachtlichen Lieder und die Krippe nehmen uns noch einmal hinein in die besondere weihnachtliche Stimmung. Aber die Zahl der Gottesdienstteilnehmer nähert sich schon wieder dem Normalmaß. Und auch der Text aus dem Johannesevangelium, den wir eben gehört haben, klingt nicht besonders weihnachtlich, sondern eher wie ein gewöhnlicher Sonntagspredigttext.
Dabei sagt dieser Abschnitt in seiner Sprache durchaus noch einmal das, was uns auch gestern bewegt und berührt hat. Er nimmt ja auch sofort Bezug auf das Wunder der Menschwerdung Gottes. Der von oben her kommt, ist über allen. Die entsprechende Formulierung aus der Weihnachtsgeschichte des Lukasevangeliums haben wir alle im Ohr: „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ Beide Male geht es darum, dass da von oben, vom Himmel her, einer kommt, der der Herr ist. Beide Texte könnte man so verstehen, als würde hier ein neuer Herrscher ausgerufen, dem nun alle zu dienen haben. Und beide Texte wollen genau das Gegenteil davon sagen.
Denn der Herr, um den es da geht ist nicht einer, der es geschafft hat, der aufgestiegen ist und der nun den anderen seinen Willen aufzwingen will und kann. Es geht um einen, der heruntergestiegen ist, um einen, der oben sein könnte, der aber nicht oben bleiben wollte.
Für den Johannesevangelisten, der sein Evangelium gut 50 Jahre nach dem Tod Jesu niedergeschrieben hat und der bereits auf die Glaubenserfahrung von zwei Generationen von Christen zurückgreifen kann, steht längst fest, wo die eigentliche Herkunft Jesu zu suchen ist: In Jesus, dem machtlosen Wanderprediger aus Nazareth, hat Gott selbst seinen himmlischen Thron verlassen, um uns nahe zu sein. Mitten unter uns Menschen ist er gekommen, damit wir endlich an seine Liebe glauben und uns von ihr anstecken lassen.
Gott, der „Schöpfer des Himmels und der Erde“ ist in Jesus ein „heruntergekommener“ Gott; ist einer, der sich nicht zu gut ist, sich mit anderen Heruntergekommenen oder Hinuntergedrückten gemein zu machen. Was Lukas mit seiner Geschichte vom Armeleutekind, das als Baby in eine Futterkrippe gelegt werden musste, anschaulich erzählt, das wird bei Johannes zu einer eher grundsätzlichen Betrachtung. Da war einer, der über allen hätte stehen können. Aber er kam herunter. Er kam herunter zu uns, um uns die Worte Gottes zu sagen, heilende Worte, die uns mutig und selbstbewusst, frei und froh machen.
Dieser Eine redete nicht wie die, die von der Erde kommen und deshalb nur irdisch reden und denken können. Er redete als einer, der Gottes Liebe zu seinen Geschöpfen kennt und sie teilt. Er redete als einer, der weiß, dass Gott nicht will, dass Menschen geängstigt, gequält, ausgestoßen, in ihrer Würde bedroht, tyrannisiert und von anderen beherrscht werden.
Er redete Gottes Wort und er zeigte, wie eine Welt aussieht, in der Gottes Wort gehört, verstanden und getan wird. Das Johannesevangelium lässt dies an Beispielen sichtbar werden. Es erzählt, wie Jesus am Brunnen einer Frau begegnet, die zur Glaubensminderheit der Samariter gehört. Im Lauf des Gesprächs gewinnt sie immer mehr Selbstbewusstsein, das vermeintlich Trennende spielt keine Rolle mehr, und sie wird eine Jüngerin, die alle für den Glauben an Jesus begeistern möchte. Eine andere, nicht vom Johannesevangelisten selbst stammende, aber heute in diesem Evangelium zu findende Geschichte erzählt von einer Frau, die beim Ehebruch ertappt wurde. Männer wollen sie, angeblich im Namen und zur Ehre Gottes, mit Steinwürfen ermorden. Aber Jesus entlarvt die Selbstgerechtigkeit und Heuchelei der Ankläger und rettete so dieser Frau das Leben. Hinrichtungen im Namen Gottes haben in seiner Botschaft keinen Platz.
Ein „heruntergekommener“ Gott eignet sich eben nicht, um unter Berufung auf ihn eine Herrschaft von Menschen über Menschen zu errichten, obwohl das auch in der christlichen Kirche und durch Christen immer wieder versucht wurde. Der heruntergekommene Gott, den wir an Weihnachten in seiner Krippe liegend vor Augen haben, stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen, wie es im Loblied der Maria im Lukasevangelium formuliert ist.
Dazu passt auch das, was das Johannesevangelium über Ostern zu berichten weiß. In einer Zeit, in der man Frauen im allgemeinen noch weniger achtete, als das heute immer noch der Fall ist, erwählte sich Jesus nicht einen der angesehenen Männer, sondern Maria aus Magdala, also eine Frau, zur ersten Zeugin für seine Auferstehung.
Und besonders eindrücklich ist, was das Johannesevangelium über den Vorabend von Jesu Tod berichtet. Um zu zeigen, wie eine von Gottes Wort bestimmte Welt aussehen soll, setzte Jesus da ein unübersehbares Zeichen: Er, der heruntergekommene Gott persönlich, kniete sich nieder und übernahm die Arbeit der niedrigsten Sklavin, indem er seinen Jüngerinnen und Jüngern die Füße wusch. Er machte schon damals wahr, was Berthold Brecht fast 2000 Jahre später immer noch eher als Wunschtraum formulierte:
„Denn weil der Mensch ein Mensch ist,
drum hat er Stiefel im Gesicht nicht gern.
Er will unter sich keine Sklaven sehn
und über sich keine Herrn.”
Im Reich Gottes sind Herren und Sklaven endgültig Vergangenheit.
Jesus wusste: Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben. Er nahm diese Liebe an, und er gab sie weiter: An seine Jüngerinnen und Jünger, an Fragende und Suchende und an alle, die bis heute an den Sohn glauben und so das ewige Leben, das Leben in seiner ganzen wunderbaren Fülle, haben. Seine Liebe schafft eine neue Wirklichkeit. Sie macht frei von dem zwanghaften Wunsch, immer der Beste, die Erfolgreichste, der Größte, die Bedeutendste sein zu müssen. Sie macht frei zur Gemeinschaft über alle Grenzen hinweg, die Menschen von Menschen trennen sollen. Männer und Frauen, Deutsche und Ausländer, Europäer und Afrikaner, Junge und Alte: Sie alle sind eingeladen, an den Sohn zu glauben und durch ihn zu einer einzigen großen Familie zu werden, in der das ewige Leben, das Leben in der unzerstörbaren Verbundenheit mit Gott und mit allen Menschengeschwistern, schon hier auf Erden Wirklichkeit zu werden beginnt.
Natürlich ist auch klar: Weil diese Botschaft bis heute allem widerspricht, was unter denen, die irdisch denken, als selbstverständlich gilt, ist keineswegs damit zu rechnen, dass alle an die Worte glauben, die Jesus als Gottes Botschaft predigt. Ja manchmal hat man sogar den Eindruck: Niemand nimmt sein Zeugnis an, wie es in unserem Predigttext heißt. Dann bleibt eben alles beim Alten, das Leben, von dem Jesus spricht, wird nicht gesehen, sondern alles bleibt so, wie es Gottes Zorn erregt: Brutal, gewalttätig, selbstsüchtig, hoffnungslos, dem Tod verfallen.
Doch das muss nicht sein. Unmittelbar nach so dem resigniert klingendem: „Niemand nimmt sein Zeugnis an” heißt es dann eben doch: Wer es aber annimmt, der besiegelt, dass Gott wahrhaftig ist. Menschen können hören und verstehen, was Gottes Wort ist. Wir selbst sind Zeugen dafür, dass es so ist, denn der Geist, den Gott unbegrenzt gibt, hat unser Denken und Handeln verändert.
Wir lassen uns nicht mehr einreden, dass der Mensch eben des Menschen Wolf ist, und dass es keine Alternative zum allgemeinen Fressen und Gefressenwerden gibt. Es macht uns nichts aus, dass man uns für dumm und weltfremd hält, wenn wir einen höheren Geldbetrag an „Brot für die Welt“ geben, statt dafür Aktien zu kaufen. Es stört uns nicht, wenn man uns belächelt, weil wir das Auto möglichst oft stehen lassen und stattdessen das Fahrrad oder den Öffentlichen Nahverkehr benutzen. Wir lassen uns nicht müde machen in unserem Eintreten gegen Rassismus und Ausländerhetze. Wir lassen uns nicht beirren in der Überzeugung, dass Gerechtigkeit immer zuallererst Gerechtigkeit für die Benachteiligten, die Übersehenen und Zur-Seite-Gestoßenen meint. Wir kennen den Gewinn, den wir selbst davon haben, wenn wir unsere Zeit einsetzen, um anderen zu helfen.
In den Weihnachtstagen wird Jahr für Jahr viel von Liebe und Frieden geredet. Dabei hat man manchmal den Eindruck, die Engel hätten eher singen müssen: Frieden im Himmel und ein sehr kurzer Waffenstillstand auf Erden. So ist es eben in einer Welt, in der viele dem Sohn nicht glauben wollen oder können, was er von der neuen Welt Gottes sagt.
Aber es ist nicht unveränderbar. Menschen können sein Zeugnis auch annehmen und dadurch besiegeln, dass Gott wahrhaftig ist. Wir tun es, indem wir uns anstecken lassen vom neuen Denken dessen, der von oben gekommen, aber nicht oben geblieben ist. Er ist zu uns heruntergekommen und lädt uns ein, das Herrschen und das Dienern zu beenden und so daran mitzuwirken, dass Wirklichkeit wird, was wir jeden Sonntag als Weihnachtsbotschaft singen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“
Amen.

Verfasser: Pfr. i. R. Ernst Standhartinger, Grüner Weg 2A, 64331 Weiterstadt

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