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Die Menschwerdung Gottes

von Theo Günther (36341 Lauterbach)

Predigtdatum : 26.12.2000
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Christfest 2. Feiertag
Textstelle : Jesaja 11,1-9
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Wochenspruch:

Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit. (Johannes 1,14)

Psalm: 96 (EG 738)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 11,1-9
Epistel:
Hebräer 1,1-3 (4-6)
Evangelium:
Johannes 1,1-5 (6-8) 9-14

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 35
Nun singet und seid froh
Wochenlied:
EG 23
Gelobet seist du, Jesu Christ
Predigtlied:
EG 30
Es ist ein Ros entsprungen
Schlusslied:
EG 70
Wie schön leuchtet der Morgenstern

Ich lese den Predigttext Jesaja 11,1-9  es ist „Jesajas Traum von einer besseren Welt“:
1 Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. 2 Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN.
3 Und Wohlgefallen wird er haben an der Furcht des HERRN. Er wird nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, noch Urteil sprechen nach dem, was seine Ohren hören, 4 sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande, und er wird mit dem Stabe seines Mundes den Gewalttätigen schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten. 5 Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue der Gurt seiner Hüften. 6 Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. 7 Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder. 8 Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter. 9 Man wird nirgends Sünde tun noch freveln auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land wird voll Erkenntnis des HERRN sein, wie Wasser das Meer bedeckt.

Liebe Gemeinde!
Wenn ich mir die Heiligabend-Gottesdienste ansehe, dann ist es schon ein wenig merkwürdig, wie viele Menschen es Jahr für Jahr an diesem Tag in die Kirche treibt. Eine Zeitlang war ich wütend darüber. Ich dachte, daß die vielen Leute, die Heilig Abend kommen und sonst das ganze Jahr über nicht, nur kommen, um ihrer Feier einen festlichen Rahmen zu geben. Ich dachte, sie mißbrauchen die Kirche für ihren Zweck.
Inzwischen denke ich anders darüber. Ich denke, daß es tiefgreifende Sehnsüchte sind, die so viele Menschen in die Weihnachtsgottesdienste treibt. Die Sehnsucht nach einem Zuhause, nach Geborgenheit, nach Frieden, nach einem Hauch Vollkommenheit. Wenigstens an einem Tag im Jahr den Hauch einer Hoffnung spüren, daß es das geben kann; wenigstens für eine Stunde ahnen dürfen, daß es einen Gott gibt, bei dem diese so oft enttäuschten Sehnsüchte Wirklichkeit werden können.
Aber was bleibt davon? Was bleibt von den Weihnachtsgottesdiensten? Was bleibt, wenn ich lese und höre,
* daß die Selbsttötungen zu Weihnachten zunehmen,
* daß die Gewalt in den Familien spätestens am 2. Feiertag zunimmt,
* daß sich in den Wochen nach Weihnachten mehr Ehepaare als sonst im Jahr trennen?
Was bleibt von den Sehnsüchten, die Menschen an Weihnachten in die Kirche treibt und sie dann wieder in eine Welt entläßt, die voller Gewalt und Krieg, voller Chaos und Zerrissenheit erscheint?
Jesaja beschreibt seinen Traum mit unvergleichlich schönen Bildern: so wird die Welt aussehen:
Die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen und Panther bei den Böcken lagern. Löwen werden Stroh fressen. Ein Säugling wird am Loch der Schlange spielen. Das Land wird so erfüllt sein mit der Erkenntnis Gottes, wie das Wasser das Meer erfüllt. Nirgends wird man darauf bedacht sein einander Böses zu tun. --> Ein vollkommenes Friedensreich wird hier beschrieben. Die ganze Schöpfung lebt in Frieden miteinander und mit ihrem Schöpfer. Keiner, weder Mensch noch Tier, lebt auf Kosten anderer.
Aber dieses Friedensreich erscheint wohl den meistens unter uns sehr fern - unerreichbar - ein Traum an dem man verzweifeln kann, wenn man daran glaubt. Zu unfriedlich begegnet uns die Welt.
Doch stimmt das? Ist Jesajas Traum hinfällig?
Den Anfang dieses zukünftigen Friedensreiches beschreibt Jesaja (auch mit einem Bild) sehr konkret: Ein kleiner Zweig wird aus einem Baumstumpf austreiben. --> Drei Gedanken kommen mir dabei:
1.
Der Anfang des verheißenen Friedensreiches kommt erst nach einer Katastrophe: Bevor der Zweig austreibt, ist der Baum abgeschlagen worden. Jesaja denkt hier wohl an den Zerfall des judäischen Königshauses, das nicht mehr Gott als dem Herrn der Geschichte vertraut, sondern seine Sicherheiten in zweifelhaften Bündnissen sucht. Die Taktiererei wird in die Vernichtung führen - erst aus ihr und durch sie hindurch wird Neues wachsen.
Es ist die Erfahrung, daß Neues oft erst dann wachsen kann, wenn Altes radikal unmöglich ist. Diese Erfahrung haben schon viele Menschen gemacht. Ein Bruch in der Lebensplanung, das Absterben einer Fähigkeit oder Beziehung muß nicht das Ende bedeuten - schon gar nicht bei Gott. Im Absterben liegt immer auch die Chance, daß etwas Neues wachsen kann.
2.
Der zweite Gedanke, der mir kommt, ist die Unscheinbarkeit und Verletzlichkeit des erwarteten Friedensreiches. Die „Ros“, das Jesaja kommen sieht, wächst „aus einer Wurzel zart“, wie wir es eben gesungen haben. Wir glauben, daß mit Jesu Geburt dieser kleine, zarte, zerbrechliche Anfang gekommen ist. Wer schon einmal ein gerade neugeborenes Kind in den Armen gehalten hat, wird gut verstehen können, wie unscheinbar, und v.a. wie klein, verletzbar und ohnmächtig sich Jesaja den Anfang des Friedensreich Gottes vorstellt.
3.
Der dritte Gedanke beschäftigt sich mit dem wachsenden Zweig. Wo Gottes Friedensreich ganz klein angefangen hat, da wird es Konflikte geben. Das „Röslein zart“ ist immerhin ein wilder Trieb, der eigentlich gar nicht wachsen soll.
So blieb auch das Kind in der Krippe nicht immer das kleine niedliche Kind. Es blieb nicht das Kind, das niemanden stört und sich vielleicht auch deshalb der allweihnachtlichen Beliebtheit erfreut. Aus dem Kind in der Krippe wird spätestens während der Passionszeit ein Mann, der unbequem ist. Ein Mann, der sich einmischt, der Partei ergreift für die Ausgegrenzten, die Schwachen, die Sünder. Das Kind wird zum Mann, der sich nicht vereinnahmen läßt, sondern seinen Weg geht. Viele wünschen ihm dafür den Tod. Und sie schaffen es ja auch, ihn zu töten.
Ist es also doch vergeblich, auf Jesajas Traum vom Friedensreich zu hoffen? Sind die Kräfte, die gegen dieses Friedensreich arbeiten, nicht doch stärker und behalten die Oberhand?
In einer Geschichte wird davon erzählt, wie von der Erde ein Hilferuf ins Weltall gesendet wird, weil die Erde akut bedroht ist. Sie ist in der Gewalt einer großen schwarzen Hand, die alles Leben auf der Erde mehr und mehr vergiftet und erstickt. Der Hilferuf wird von einem Raumschiff aufgefangen, dessen Besatzung nur aus Kindern besteht. Sie entschließen sich, den Erdbewohnern zu helfen.
Als sie auf der Erde gelandet sind, treffen sie auf die schwarze Hand. Zuerst haben sie wie alle anderen auch Angst, aber dann fassen sie sich Mut und fangen an, mit der schwarzen Hand zu reden. Und siehe da, die schwarze Hand antwortet und erzählt ihnen ihre Geschichte. Früher war sie nämlich eine ganz normale Menschenhand. Aber dann merkte sie, wie klug und wie mächtig sie sein konnte. Und so versuchte sie in ihrer gigantischen Selbstüberschätzung, alles nach ihrem Willen zu gestalten. Und wenn die anderen nicht so wollten, wie sie wollte, dann wurde sie gewaltsam. Zuerst merkte sie nicht, daß sie dabei immer einsamer wurde und sich alle zum Feind machte. In ihrer Einsamkeit wurde sie immer grausamer und kälter und zerstörte alles, was ihr in die Hand kam.
Jetzt aber, durch das Gespräch mit den Kindern wird ihr plötzlich klar, wie schlimm es auch um sie bestellt ist. Erinnerungen werden wach. Sie erinnert sich, daß sie Schönes tun kann: streicheln, festhalten, tragen, trösten, Halt geben. Schließlich beginnen die Kinder, mit der schwarzen Hand die Schöpfung zu befreien und zu retten.
Ich denke, Jesus ist einer wie diese Kinder. Er weiß sich beauftragt, das Böse zu verwandeln durch eine göttliche Liebe, die nichts und niemanden mehr ausgrenzt, sondern versucht, das Böse mit Gutem zu überwinden. Er hat das als Mensch getan und er hat damit Menschen angestiftet es mit ihm zu tun. Er hat Menschen die Augen dafür geöffnet, daß sie liebevolle Menschen sein können, die Beziehungen liebevoll, offen und ehrlich gestalten können. Jesu Umgang mit den Menschen zeigt die Möglichkeit auf, die wir haben, das Böse mit Gutem zu überwinden.
Das gilt zunächst und vor allem für das Böse in uns selbst. „Umarmt den Wolf in euch selbst“ sagt Franz von Assisi später. Wenn dann tatsächlich in uns, in meiner eigenen Seele Wolf und Lamm zusammen weiden können, wenn ich die Gegensätze und Zerrissenheit in mir drin überwinden kann, dann werde ich auch friedensfähig nach außen.
Jesajas Traum ist noch lange nicht verwirklicht - aber er hat angefangen Wirklichkeit zu werden. Aus dem abgeschlagenen Hoffnungsbaum ist ein Zweig erwachsen, der Hoffnung neu blühen läßt und mit jedem Mal, wo wir Böses mit Gutem überwinden, wächst eine neue Blüte an diesem kleinen Zweig des Friedensreich Gottes.
Amen.

Verfasser: Pfr. Theo Günther, Sielweg 4, 36304 Alsfeld

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