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Die Schuld aller Stände im Lande

von Matthias Rost (Neudietendorf)

Predigtdatum : 22.11.2023
Lesereihe : V
Predigttag im Kirchenjahr : Buß- und Bettag
Textstelle : Hesekiel 22,23-31
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Wochenspruch: "Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Sünde ist der Leute Verderben." (Sprüche 14,34)

Psalm: 130 (EG 751)

Predigtreihen

Reihe I: Römer 2,1-11
Reihe II: Jesaja 1,10-18
Reihe III: Matthäus 7,12-20
Reihe IV: Offenbarung 3,1-6
Reihe V: Hesekiel 22,23-31
Reihe VI: Lukas 13,(1-5)6-9 (Evangelium)

Liedvorschläge

Eingangslied: EG 389 Ein reines Herz, Herr, schaff in mir
Wochenlied: EG 299 Aus tiefer Not schrei ich zu dir
Predigtlied: EG 428 Komm in unsre stolze Welt
Schlusslied: EG 157 Lass mich dein sein und bleiben, oder EG 614 Lass uns in deinem Namen, Herr

Predigttext: Hesekiel 22,23-31 (BasisBibel)

23Das Wort des Herrn kam zu mir:24Du Mensch, sag zum Land Israels: Du bist ein Land, das nicht rein gemacht wurde. Es fiel kein Regen mehr auf dich, als mein Zorn dich traf.

25Die Herrscher des Landes verhalten sich wie Löwen: Sie brüllen und reißen Beute. Sie haben Menschen gefressen, Schätze und Reichtümer genommen und viele Frauen im Land zu Witwen gemacht.

26Die Priester des Landes haben meine Weisung willkürlich ausgelegt. Sie verachteten das, was mir heilig ist. Sie machten keinen Unterschied mehr zwischen Heiligem und Alltag. Sie haben nicht mehr gelehrt, was rein ist und was unrein. Sie sorgten sich nicht um den Sabbat. So wurde ich in diesem Land in den Dreck gezogen.

27Die Herrscher des Landes reißen Beute wie Wölfe: Sie vergießen Blut und töten Leben, um sich unrechtmäßig mit Beute vollzustopfen.28Die Propheten verschleiern das für sie: Ihre Visionen sind nutzlos und die Orakel für das Land sind trügerisch. Sie sagen: »So spricht Gott, der Herr!« Aber der Herr hat überhaupt nicht gesprochen.

29Das Volk des Landes hat Erpressung und Raub begangen. Es hat Arme und Besitzlose ausgebeutet, Fremde ungerecht behandelt und mit Gewalt unterdrückt.

30Ich habe unter ihnen jemanden gesucht, der die Schutzmauer des Landes ausbessert. Ich wollte jemanden finden, der mich aufhält, damit ich das Land nicht zerstöre. Doch ich habe niemanden gefunden.31Da goss ich meinen Ärger über sie aus. Im Feuer meines Zorns machte ich ihnen ein Ende. Ich ließ sie die Folgen ihres Verhaltens spüren.– So lautet der Ausspruch von Gott, dem Herrn.

Predigt

Liebe Gemeinde!

Bußtag: ein Spielraum zur Umkehr. Eine Chance zur Besserung. „Lass ihn noch dieses Jahr …“ Jeder hat eine Chance. Verdient oder auch nicht. Jetzt ist die Zeit der Gnade. Das ist das Evangelium an diesem Tag. An jedem Tag. Du kannst neu anfangen. Dich abkehren von dem, was andere schädigt, kränkt, erniedrigt. Was dich selbst kleiner macht, als du bist. Dich abkehren von allem, „womit du dein Leben verletzt hast, das Leben von anderen und das Leben auf der Erde.“ - „Gott möge dir vergeben, Christus dich erneuern und der Heilige Geist dir helfen, in Liebe zu wachsen.[1] Und dich hinkehren zum Licht, zum Leben, zu dem was uns schön macht in Gottes Augen.

Bußtag: ein Spielraum zur Umkehr. Heute. Und jeden Tag.

Wo ist aber dieser Spielraum in dem, was wir soeben aus dem Buch des Propheten Hesekiel gehört haben?

Was für ein Staat ist denn das überhaupt, was für eine Gesellschaft, die da geschildert wird? Was sind das für schmutzige Verhältnisse? Schlimm wie in einer Bananenrepublik oder in einem autoritären Staat: Gesetze gelten nicht mehr.
Die Mächtigen raffen und reißen willkürlich alles an sich. Frauen werden zu Witwen, weil ihre Männer in den Eroberungskrieg geschickt werden. Menschenrechte werden mit Füßen getreten.
Was heilig ist, wird in den Dreck gezogen. Priester tun dem Gesetz Gottes Gewalt an, von Vergewaltigung ist da die Rede. Gott selbst ist das besudelte Opfer eines perversen religiösen Kultes.
Propheten gibt’s, die das alles mit einer Propaganda-Sauce übergießen, alles Unrecht rechtfertigen, und dafür auch noch Gott in Anspruch nehmen.
Und wenn die Herrschenden und Einflussreichen im Lande sich so benehmen, färbt das auch auf das gemeine Volk ab: „Was die können, dürfen wir auch“: Erpressung, Raub, Ausbeutung, Fremdenfeindlichkeit sind an der Tagesordnung. 

Was man heute aus Russland hört, gleicht all dem auf erschreckende Weise. (Und was davon in dem Roman von Nino Haratischwili „Die Katze und der General“ geschildert wird, macht auf erschütternde Weise deutlich, wie tief solche Gewaltverhältnisse in der Geschichte der russischen Gesellschaft verwurzelt sind, die jetzt den Ukrainekrieg mitträgt.)
Dafür ist allerdings der Bußtag nicht da, dass wir mit dem Finger auf andere zeigen. Und es wäre jetzt billig, zu denken, so schlimm ist es ja bei uns zum Glück nicht.

Aber auch bei uns ist es ja wieder groß in Mode gekommen, mit dem Finger auf „die da oben“ zu zeigen. Gerade, wo die Risse in unserer Gesellschaft immer tiefer werden: die Kluft zwischen Reich und Arm, die Feindschaft zwischen „Klimarettern“ und „Klimasündern“. Es sind immer die anderen, die sich erst mal an die eigene Nase fassen sollen. Und die politischen Gegner werden mit Hass und Häme überzogen.

Und wie sehr sind wir selbst dran gewöhnt, immer den eigenen Vorteil zu suchen, vielleicht nicht so drastisch, wie das in unserem Bibeltext beklagt wird. Subtiler, aber nicht weniger folgenreich. Alle sagen Ja zur Energiewende – aber bitte kein Windrad, das mir den Blick zum Horizont verstellt. Natürlich muss der ökologische Fußabdruck von jedem von uns kleiner werden. Aber es gibt genügend Rechtfertigungen, warum ich dann doch diese Flugreise noch machen muss oder doch ein stärkeres Auto brauche, um mein Gartengrundstück zu erreichen oder meinen Fleischkonsum nicht reduzieren mag.

Ganz abgesehen davon, dass wir ja alle irgendwie Gefangene der Verhältnisse sind, die wir uns nicht ausgesucht haben. Gefangene und Nutznießer zugleich. Ist das Schuld? Kommen wir da raus? Kann ich da überhaupt umkehren? Mich abkehren? Um Vergebung bitten für das, „womit ich mein Leben verletzt haben, das Leben von anderen und das Leben auf der Erde“? – Ja. Ich kann. Und auch wenn ich die Verhältnisse nicht ändern kann, in denen ich gefangen bin und deren Nutznießer ich bin: ich kann anfangen bei mir selbst. „Noch dieses Jahr“. Jetzt. Heute ist der Spielraum der Gnade. „Gott möge mir vergeben, Christus mich erneuern und der Heilige Geist mir helfen, in Liebe zu wachsen.“

Im Hesekielbuch beklagt Gott durch den Propheten, dass es in Israel keinen gab, nicht einen, der seinem Zorn in die Arme gefallen wäre. Gottes Zorn – über das Unrecht im Lande, über die Schamlosigkeit der religiösen Autoritäten, die Wahrheitsverdreher und Lügenpropheten, über die maßlose Gier der Reichen, die Herrschsucht der Herrschenden – Gottes Zorn über all das wird nicht einmal mehr ernst genommen.

30Ich habe unter ihnen jemanden gesucht, der die Schutzmauer des Landes ausbessert. Ich wollte jemanden finden, der mich aufhält, damit ich das Land nicht zerstöre. Doch ich habe niemanden gefunden.  – Das ist die eigentliche Katastrophe! Gott suchte, und fand niemanden! Niemanden, der seinem Zorn in die Arme fällt. Niemanden, der ihm zur Seite steht. Der vergewaltigte, geschändete Gott bleibt allein.

Dazu aber sind wir heute gerufen: Kirchen und Christen und alle wachen Menschen. Gott nicht allein zu lassen. Zu ihm stehen, wie er zu uns steht, eigene Schuld eingestehen, und aus der Umkehr zum Neuanfang zu finden. Nicht mit den Wölfen heulen, nicht unser Fähnchen nach dem Winde drehen. Sondern Mund für die Stummen, Hand für die Schwachen sein. Zuflucht für die Entwurzelten. Anwalt für die Rechtlosen. Denn unser Christsein wird heute mehr denn je vor allem in zweierlei bestehen: „im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen“ (Dietrich Bonhoeffer)

Was sagt im Evangelium der Gärtner zum Besitzer des Feigenbaumes, der ihn schon fällen lassen will? – Herr, lass ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn herum grabe und ihn dünge; vielleicht bringt er doch noch Frucht; … (Lk 13,8-9)

Also: noch dieses Jahr! Also: doch noch Frucht! Wie wäre das, liebe Gemeinde, wenn wir übers Jahr hier wieder zusammenkämen und Früchte auslegen und anschauen könnten!? Früchte der Umkehr, der Erneuerung, der Veränderung. Und wie könnten die konkret aussehen? – Die Risse heilen, das Zerfallene wieder aufrichten, Mund für die Stumen und Hand für die Schwachen sein.

Eine erzählt vielleicht: Ich gehe jetzt jeden zweiten Tag mal für eine halbe Stunde zu meiner Nachbarin rüber. Der Pflegedienst kommt ja, aber die haben immer nur wenige Minuten Zeit. Ich leiste ihr beim Essen Gesellschaft, ich schwatze ein bisschen mit ihr. Das tut ihr und mir gut.

Ein anderer erzählt: Ich gehe jetzt jede Woche einmal mit den Jugendlichen von der Bushaltestelle auf den Fußballplatz. Die hängen sonst nur mit ihren Smartphones da rum. Spielen laute Musik. Und alle schimpfen auf sie. Aber in der einen Stunde auf dem Fußballplatz haben wir Spaß miteinander.

Eine Familie hat sicher einer ukrainischen Mutter und ihrer Kinder angenommen. Die brauchen Hausaufgabenhilfe. Und dass jemand ganz in Ruhe Deutsch mit ihnen spricht, damit sie es besser lernen. Und dass jemand ihnen mal zuhört, wenn sie von ihren Sorgen um ihren Vater erzählen wollen, der im Krieg ist.

[Hier können weiter Beispiele eingefügt werden.]

Mund für die Stummen, Hand für die Schwachen sein. Zuflucht für die Entwurzelten. Anwalt für die Rechtlosen. Gott nicht allein lassen. Zu ihm stehen, wie er zu uns steht. Mehr wird von uns nicht erwartet – weniger aber auch nicht.
Amen.

Fürbitten

Schau nicht auf unsere Schwäche, treuer Gott.
Schau nicht auf unser Versagen.
Schau auf unseren guten Willen.
Um Jesu Christi willen: höre uns.

Beschütze nicht die Täter, gnädiger Gott.
Beschütze die Opfer.
Um Jesu Christi willen: höre uns.

Höre nicht auf den Hass und die Lüge, ewiger Gott.
Höre auf die Stimmen derer,
die Brücken bauen und die Wahrheit suchen.
Um Jesu Christi willen: höre uns.

Steh nicht an der Seite der Waffenhändler
und Kriegsherren, barmherziger Gott.
Steh an der Seite der Hungernden und Heimatlosen.
Um Jesu Christi willen: höre uns.

Hilf nicht den Eitlen und Machthungrigen, lebendiger Gott.
Hilf denen, die sich für andere einsetzen.
Um Jesu Christi willen: höre uns.

Sprich zu den Trauernden und zu den Ratlosen.
Du Tröster. Heile die Kranken.
Du Erlöser und Retter.
Suche die Verlorenen und Verzweifelten.
Du Hoffnung.
Öffne unsere Ohren und Herzen für dein Wort.
Öffne unseren Mund für die Schwachen,
unsere Hände für unsere Nächsten.
Bei dir ist Vergebung.
Darauf vertrauen wir durch Jesus Christus.
Er ist unser Friede. In ihm haben wir Versöhnung.
Amen.

VELKD-Wochengebet zum Buß- und Bettag 2017

Verfasser: Pfarrer i. R. Dr. Matthias Rost, Jena

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Anmerkung:
[1] Aus einer Liturgie der Iona Community.


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