Menü

Die verheißene Erlösung

von Ksenija Auksutat (Ev. Kgd.Wixhausen)

Predigtdatum : 05.12.2021
Lesereihe : IV
Predigttag im Kirchenjahr : 2. Advent
Textstelle : Jesaja 63,15-64,3
Wenn Sie diese Predigt als Word-Dokument erhalten möchten, tragen Sie bitte Ihre E-Mail-Adresse ein und klicken Sie auf "Abschicken"
Ihre E-Mail

Wochenspruch: Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht! (Lk 21,28)

Psalm: 80,2.3b.5-6.15-16.19-20

Lesungen

Reihe I: Jesaja 35,3-10
Reihe II: Lukas 21,25-33
Reihe III: Jakobus 5,7-8(9-11)
Reihe IV: Jesaja 63,15-64,3
Reihe V: Hohelied 2,8-13
Reihe VI: Offenbarung 3,7-13

Liedvorschläge

Eingangslied: EG 69 Der Morgenstern ist aufgedrungen
Wochenlied: EG 7 O Heiland, reiß die Himmel auf
Predigtlied: EG 18 Seht, die gute Zeit ist da
Schlusslied: EG 12 Gott sei Dank durch alle Welt

Predigttext: Jesaja 63,15–64,3

63,15 So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich.
16 Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, HERR, bist unser Vater; »Unser Erlöser«, das ist von alters her dein Name.
17 Warum lässt du uns, HERR, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind!
18 Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben, unsre Widersacher haben dein Heiligtum zertreten.
19 Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde. Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen,

64,1 wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kundwürde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten,
2 wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten, und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen!
3 Auch hat man es von alters her nicht vernommen. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohltut denen, die auf ihn harren.

Leitbild

Hoffnung auf Befreiung

Zum Gottesdienst

Der Wochenspruch ruft zu mehr Selbstbewusstsein: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ (Lk 21,28b) Er erklingt auch im Evangelium dieses Sonntags.

Der Wochenpsalm korrespondiert mit dem Predigttext, in dem Jesaja mutige Worte findet, um von der beschädigten Beziehung zwischen Gott und Mensch zu reden.

Auch das Wochenlied „O Heiland, reiß die Himmel auf“ (EG 7) von Friedrich Spee bezieht sich direkt auf den Predigttext. (Jesaja 64,1)

Vorbemerkungen

Der dritte Abschnitt des Jesajabuches (Jes 56-66) bildet eine eigenständige Größe im Jesajabuch und macht die Sehnsucht nach einem Neufang zum Thema. Nach der Heim­kehr aus der babylonischen Gefangenschaft soll es gerecht zugehen, Frieden soll werden für alle Geschöpfe. Und das Vertrauen ist da: darauf, dass Gott selbst  sich für alle einsetzen wird, die sich ihm anvertrauen. Um diese Zusage zu stärken, werden immer wieder zwei Gruppen einander gegenübergestellt: Die Frommen, die Heil erfahren werden, und die Ungerechten, denen Unheil droht. (Jes 65,8ff)

Vor diesem Hintergrund ist der Predigttext zu sehen. Kämpferisch, fordernd und zugleich voller Schulderkenntnis wendet sich Jesaja in einem Gebet an Gott, damit sich die Lebensumstände der aus dem Exil Heimgekehrten nun endlich zum Besseren wenden mögen. Jesaja erinnert an die Heilszusagen der Propheten aus der Exilszeit, will neu auf Gottes erlösendes Handeln vertrauen. Die allgemeine wirtschaftliche Not - auch der Frommen - bildete dafür wohl den Hintergrund.

Dieses Gebet des Jesaja passt so gar nicht in die adventliche Stimmung in unserer Zeit. Weder geht es rührselig zu noch werden große ethische Verheißungen nach „ein bisschen Frieden“ wach. Ich höre in diesem starken, fordernden Gebet Menschen, die ein Stück Heimatlosigkeit inmitten ihrer Heimat verspüren. Die bitter enttäuscht sind in ihrem Gottvertrauen und wortgewaltig protestieren. Zugleich enthält der Text die Erkenntnis, dass zu Beziehungen immer zwei gehören. Auch der kritische Blick auf sich selbst gehört dazu.

Erinnert wird in den Worten, die sich direkt an Gott richten, dabei an die ungeheure Kraft Gottes zum Leben. Fast schmerzlich erklingt der Wunsch, dass der Himmel aufreißen möge und Gott endlich Klarheit schaffe für seine Gotteskinder und gegen alle Gottesfeinde.

Predigt

„Ach Gott“ – wie oft hat im zurückliegenden Jahr jemand so geseufzt? Ach Gott, wann wird diese Pandemie wieder vorbei sein? Ach Gott, hoffentlich wird dieser liebe Mensch wieder gesund!

Ach Gott - ein Stoßseufzer wohl immer in Zeiten von Not. Wenn man nicht mehr weiß, was man noch machen soll. Wenn nichts zu helfen scheint.

Ach Gott, reiß doch den Himmel auf und komm herab! So seufzt der Prophet Jesaja. Und wir hören und singen diesen Seufzer im Adventslied von Friedrich Spee: „O Heiland, reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf“. Komm, singen wir, „reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für.“

Das große „Ach!“, das von der Erde aufsteigt. „Ach!“ – das ist der Seufzer der Verlassenen. Der Geschundenen, der Geflüchteten. Der hilflose Ruf derer, die alles verloren haben. Jerusalem – der Prophet sieht die schöne Stadt zertrümmert liegen. So wie heute Aleppo in Syrien, Luhansk in der Ukraine, Sanaa im Jemen, Gaza-Stadt in Israel und so viele andere Städte unserer Welt – zerbombt, zerschossen, geschleift. „Ach“, so ruft einer, stellvertretend für viele. Hier wird nach Gott gefragt. Denn Gott ist nicht da. Er hat, so scheint es, der Welt den Abschied gegeben und sie sich selbst überlassen. Hat sich zurückgezogen in die heiligen Sphären. Ist abgetaucht in die Tiefen des Himmels und seine herrliche Wohnung. Jenseits. Unerreichbar. Unhörbar. Gott – nur noch eine ferne Erinnerung. Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab!

Die Älteren erinnern sich an Adventszeiten im oder nach dem Zweiten Weltkrieg. Da waren viele in einer ähnlichen Situation. Zerbombte Städte gab es überall in Europa. Ein kleiner Tannenzweig in der Notunterkunft. Eine Kerze, die Heimeligkeit schaffte.

Heute im Advent sieht bei uns fast jede Wohnung gemütlich aus. Lichterketten leuchten, Plätzchen stehen bereit. (Je nach Lage hinsichtlich neuer Erkrankungswellen: In diesem Jahr sind auch wieder die Weihnachtsmärkte geöffnet und in den Firmen und Vereinen können die Weihnachtsfeiern wieder stattfinden.)

Wer sich im Advent danach sehnt, flieht ja nicht aus der Wirklichkeit. Sondern gerade, weil die Welt so ist, sehnt man sich nach einer stimmungsvollen bergenden Umgebung. Und diese Sehnsucht klagt eine Welt ein, die anders ist. Die Sehnsucht im Advent klagt die Wahrheit der Engelbotschaft ein, die der Welt Frieden auf Erden verheißt. Die Sehnsucht klagt ein, dass der finstere Lauf der Dinge angehalten wird und der Himmel zerreißt wie in der Geschichte von der Heiligen Nacht.

Darum fordert der Prophet Jesaja Gott auf: „So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung!“ Und fragt: „Wo ist nun dein Eifer und deine Macht?“

Fast, wie ein junger Mann aufbegehrt gegen die eigenen Eltern, klagt Jesaja fast trotzig: „Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, Herr, bist unser Vater; »Unser Erlöser«, das ist von alters her dein Name.“

Jesaja nennt Gott „unser Vater“, eine der wenigen Stellen im Alten Testament, in denen Gott so angeredet wird. Und er spricht Gott auch an als „Du, unser Erlöser.“ Eine enge Beziehungsgeschichte geht dem voraus. Der sorgende Vater und die Kinder, die sich auf Schutz und Bewahrung verlassen können.

Doch nun ist diese Beziehung überschattet. Da klingen Gefühle von Enttäuschung an und Verletzung. Jesaja fragt: „Wo bist du, Gott?“ Aber er wäre nicht Prophet, wenn er nicht auch zugleich kritisch auf das Volk Gottes schauen würde. Denn zu einer Beziehung gehören ja immer zwei.

Jesaja spricht offen an, dass nicht nur Gott den Menschen fremd geworden ist in der gegenwärtigen Lage, sondern dass es auch auf Seiten der Menschen Entfremdung gibt. Wenn er sagt: „Israel kennt uns nicht“, heißt das so viel wie: Wir als das Volk Gottes haben den Kontakt verloren, die Richtung und das Ziel. Mit der Anklage an Gott verbindet Jesaja die Selbstanklage, sich selbst eingeschlossen: „Warum lässt du uns abirren, unser Herz verstocken?“ Gottvergessen leben wir!

Wenn eine Beziehung nicht mehr in Ordnung ist, trägt meist nicht nur eine Seite die Verantwortung. Das gilt im privaten Bereich, in Arbeitssituationen und in der großen Politik. Vielleicht ist die Anklage des anderen – psychologisch gesehen – nur der Versuch, die eigene Schuld auszublenden.

Jesaja scheint diese Psychologie der Beziehungen gut zu kennen und er wendet sie auf die empfindliche Beziehungsstörung zwischen Menschen und Gott an – schonungslos, zugleich entwaffnend.

Mutige Worte! Mutige Bilder sind das! Jesajas Worte reißen mich aus der scheinbar so selbstverständlichen Klage heraus. Aber wie kann man da einen neuen Blick gewinnen? Wie verbindet sich das mit meiner Sehnsucht im Advent?

Ich möchte eine Geschichte erzählen.

Vor etwa 150 Jahren wurde in den Vereinigten Staaten ein Kind von einer Tante aufgezogen. Die Eltern des Mädchens waren verstorben und die Tante sorgte nun für es. Die Tante aber war sehr fromm und gottesfürchtig. Jeden Sonntag gingen sie gemeinsam zur Kirche und die Predigten des Pfarrers waren immer sehr streng.

Das Kind, ein Mädchen von 10 Jahren, hatte sich noch nicht ganz an die neue Heimat gewöhnt. Es war durch einen fröhlichen und freien Geist geprägt worden. Offen und lebensfroh wirbelt es durchs Haus der Tante.

Einmal sollte das Kind einen Brief zum Pfarrer bringen. Der bereitete gerade seine nächste Predigt vor. Das Mädchen stand an seinem ehrwürdigen Schreibtisch mit den vielen Büchern dahinter. Nach einer Weile fragte sie ihn: Sind Sie eigentlich gerne Pfarrer?

Warum fragst du das, antwortete er etwas verunsichert.

Einmal, als mein Vater auch so ernst aussah wie Sie, sagte das Kind, hab‘ ich ihn das auch einmal gefragt. Und er hat irgendwann etwas gefunden, das seine Gedanken in eine neue Richtung gebracht hat. Und von da an hat er nach dem Glück gesucht.

Der Pfarrer schaute das Kind fragend an.

Da öffnete das Mädchen ein Medaillon, das es  an einer Kette um den Hals trug, und holte einen fein zusammen gelegten kleinen Papierstreifen heraus. Hier, sagte sie, das ist der Satz, der meinen Vater verändert hat: „Wer das Böse in den Menschen sucht, der wird es finden. Abraham Lincoln.“

Das Kind lachte. Von da an hat mein Vater nach dem Guten gesucht, erzählte sie. Und er sagte mir, in der Bibel gibt es 800 Stellen die von der Freude berichten, vom Glück. Und davon, dass Menschen zusammen feiern. Der strenge, ernste Gottesmann wurde nachdenklich.

Am nächsten Sonntag berichtete der Pfarrer in der Kirche von diesem berührenden Gespräch. Und er sagt: Dieses Kind hat recht. Ich habe die ganze Nacht hindurch nach den Geschichten gesucht. Und ich habe sogar 835 Geschichten in der Bibel gefunden, die über die befreiende Liebe Gottes berichten. Die erzählen, dass wir das Leben mit Freude erleben dürfen, ja, dass es Anlass für Dankbarkeit und viele Feste gibt. Und ich vermute, diese Geschichten werden mich und auch Euch als Gemeinde in Zukunft beschäftigen.

Eine befreiende Sicht eröffnet diese kleine Anekdote. Abraham Lincoln, der erste Präsident der USA, hat mit seiner Menschenkenntnis etwas sehr Ernüchterndes festgestellt: „Wer das Böse in den Menschen sucht, der wird es finden.“ Und zugleich einen Vorschlag gemacht ohne ihn auszusprechen: Wenn du das Gute finden willst, dann schau auf das Gute. Und suche, was das Leben stärkt.

Jesaja und Gott steckten fest in der Sprach- und vielleicht Ideenlosigkeit zwischen ihnen. Der Blick auf das Alte, das Schlechte, auf das, was fehlt, eröffnet scheinbar keine neue Perspektive mehr. Aber Jesajas Blick geht zurück auf Abraham und die Geschichten Gottes mit seinem Volk. Und es schimmert durch: Der Erinnerung an die Verheißung des Guten wohnt immer noch eine Kraft inne. An diese großartige Verheißung erinnert er Gott, sich selbst und damit auch uns heute: „»Unser Erlöser«“, sagt Jesaja zu Gott, „»Unser Erlöser«, das ist von alters her dein Name!“ Erinnerst du dich daran? Erinnerst du dich an uns?

Diese Verheißung berührt mein Herz in diesem Advent. Unser Erlöser ist Gott. Und im Kind in der Krippe kommt Gott uns nah. Die Verheißung, an die Jesaja erinnert, hat sich erfüllt.

Die Erwartung der Ankunft Gottes hier inmitten unserer Menschenwelt, das ist eine von diesen wunderbaren Geschichten von der befreienden Liebe Gottes. Es ist eine Geschichte der Fürsorge und der Bewahrung, wenn die werdende Mutter Maria, die das Gotteskind unter ihrem Herzen trägt, von Josef treulich begleitet wird. Es ist eine Geschichte  der Bewahrung, wenn die kleine Familie Flucht und Todesgefahr übersteht. Es ist die Geschichte vom Heiland, der ohne jede Ausgrenzung mit den Menschen unterwegs ist. Und es ist die Geschichte vom Erlöser, der das Leben stärkt und trägt durch alle Konflikte, Kriege, Zerstörungen und Leiderfahrungen hindurch.

„Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen, wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht.“ So endet Jesaja seine Bitte an dieser Stelle. Ja, die Kraft Gottes ist groß. Sie übersteigt alles, was Menschen tun können.

Das ist mehr als einige Kerzen am Adventskranz. Das ist die Sehnsucht nach dem Guten im Leben der Welt. Daran glauben, darauf hoffen und danach leben ist ein Auftrag nicht nur für die Zeit im Advent.

Amen.

Verfasserin: Pfarrerin Ksenija Auksutat, Stockstadt/Rhein, EKHN


Herausgegeben vom

Logo Zentrum Verkündigung

Referat Ehrenamtliche Verkündigung
Markgrafenstraße 14, 60487 Frankfurt/Main,
Telefon: 069.71379-140
Telefax: 069.71379-131
E-Mail: predigtvorschlaege@zentrum-verkuendigung.de

in Kooperation mit dem

Logo Gemeindedienst der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland
Gemeindedienst der
Evangelischen Kirche
in Mitteldeutschland

Pfarrer Dr. Matthias Rost
Zinzendorfplatz 3 (Alte Apotheke), 99192 Neudietendorf
Telefon: 036202.7717-97

Logo MÖD – Missionarisch Ökumenischer Dienst
Pfarrer Thomas Borchers
Missionarisch-Ökumenischer Dienst
Westbahnstraße 4
76829 Landau
Telefon: 06341.928912
E-Mail: info@moed-pfalz.de