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Die verheißene Erlösung

von Michael Erlenwein (Schifferstadt)

Predigtdatum : 09.12.2018
Lesereihe : I
Predigttag im Kirchenjahr : 2. Advent
Textstelle : Jesaja 35,3-10
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Wochenspruch: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ (Lukas 21, 28)

Psalm: 80,2.3b.5-6.15-16.19-20

Predigtreihen

Reihe I: Jesaja 35,3-10
Reihe II: Lukas 21,25-33
Reihe III: Jakobus 5,7-8(9-11)
Reihe IV: Jesaja 63,15-64,3
Reihe V: Hohelied 2,8-13
Reihe VI: Offenbarung 3,7-13

Liedvorschläge

Eingangslied: EG 11,1-4 Wie soll ich dich empfangen
Wochenlied: EG 7 O Heiland, reiß die Himmel
Predigtlied: EG 21 Sehet auf und erhebet eure Häupter
Schlusslied: EG 8,1-6 Es kommt ein Schiff geladen

Predigttext Jesaja 35, 3 – 10

Die Rückkehr der Geretteten

3 Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie!
4 Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.«

5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden.
6 Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande.
7 Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen.
8 Und es wird dort eine Bahn sein und ein Weg, der der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren.
9 Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.

Heute, liebe Gemeinde, geht es um den kommenden Herrn und das geknickte Volk. Heute geht es um die Welt, wie sie ist und wie sie sein könnte. Heute geht es um unser Leben, wie es ist und wie es sein könnte. Heute geht es um die ernste und zugleich hoffungsvolle Seite des Advents.

Advent, das heißt: Gott kommt und die Menschen fangen an zu träumen. Gott kommt und die Menschen fangen an, diese Welt und ihr eigenes Leben mit anderen Augen zu sehen.

Der Wochenspruch für den heutigen Sonntag fasst die Botschaft aller Bibeltexte des zweiten Advent gut zusammen: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht“.

In der Adventszeit werden viele Abschnitte aus dem Buch des Propheten Jesaja vorgelesen. Sie bilden sozusagen die Folie, das Hintergrundbild für das große Ereignis von Christi Geburt. Sie bieten uns eine Lese- und Verstehenshilfe an. Damit man das Unbegreifliche begreifen kann. Damit man das, wofür einem im Grunde die Worte fehlen, sagen kann. Denn normale Sprache reicht da nicht mehr aus. Man braucht Bilder, um Träume in Worte zu fassen.

Ich lese aus dem Buch des Propheten Jesaja, dem 35. Kapitel:

Die Steppe soll sich freuen, das dürre Land glücklich sein, die Wüste jubeln und blühen!

2 Mit Blumen soll sie sich bedecken, jauchzen und vor Freude schreien! Herrlich wie der Libanon soll sie werden, prächtig wie der Berg Karmel und wie die Ebene Scharon. Dann sieht das Volk die Herrlichkeit des Herrn, die Pracht und Hoheit unseres Gottes.
3 Macht die erschlafften Hände wieder stark, die zitternden Knie wieder fest!
4 Ruft den verzagten Herzen zu: »Fasst wieder Mut! Habt keine Angst! Dort kommt euer Gott! Er selber kommt, er will euch befreien; er übt Vergeltung an euren Feinden.«
5 Dann können die Blinden wieder sehen und die Tauben wieder hören. 
6 Dann springt der Gelähmte wie ein Hirsch und der Stumme jubelt vor Freude. In der Wüste brechen Quellen auf und Bäche ergießen sich durch die Steppe.
7 Der glühende Sand verwandelt sich zum Teich und im dürren Land sprudeln Wasserquellen. Wo jetzt Schakale ihr Lager haben, werden dann Schilf und Riedgras wachsen.
8 Eine feste Straße wird dort sein, den ›heiligen Weg‹ wird man sie nennen. Wer unrein ist, darf sie nicht betreten, nur für das Volk des Herrn ist sie bestimmt. Selbst Unkundige finden den Weg, sie werden dort nicht irregehen.
9 Auf dieser Straße gibt es keine Löwen, kein Raubtier ist auf ihr zu finden; nur die geretteten Menschen gehen dort.
10 Sie, die der Herr befreit hat, kehren heim; voll Jubel kommen sie zum Zionsberg. Aus ihren Augen strahlt grenzenloses Glück. Freude und Wonne bleiben bei ihnen, Sorgen und Seufzen sind für immer vorbei.

Blinde sehen und Taube hören. Der Lahme springt wie ein Hirsch und die Stummen werden laut jubeln vor Freude. Mitten in der Wüste entstehen blühende Landschaften. Eine sichere Straße wird die Fremde mit der Heimat verbinden. Nichts und Niemand bedroht einen und keiner kommt auf einen falschen Weg oder verirrt sich. Dort, wo zuvor Leid und Not erfahren wurde, lebt man jetzt in Sicherheit und Freiheit. Man wird wieder zuhause sein und alles ist gut.

Dies alles wird erzählt, um Menschen, denen es schlecht geht, Mut zu machen, neuen Mut zum Leben: die müden Hände stärken, die wankenden Knie fest machen und den verzagten Herzen zu sagen: „Fürchtet euch nicht.“ Darauf läuft alles hinaus: Die überschießenden Bilder und Träume sollen trösten, ermutigen und stärken.

Entstanden sind sie, als das Volk Israel schwierige Zeiten durchlebte. Die Großmacht Babylon hatte Jerusalem erobert, den Tempel zerstört und Teile der Bevölkerung deportiert. Diese lebten jetzt schon lange im Exil „an den Wassern von Babylon saßen sie und weinten, wenn sie an Zion“ an Jerusalem und seinen heiligen Tempel dachten, wie es im 137.Psalm heißt. Jedenfalls waren sie lange genug im Exil, um nicht mehr große Hoffnungen und kaum noch Träume zu haben. Die meisten hatten sich eingerichtet in der Fremde. Das verheißene Land und der alte Tempel waren nicht mehr als eine ferne Erinnerung. Und sie drohte mehr und mehr zu verschwinden. Man hatte sich eingerichtet, fühlte sich aber nicht zuhause. Einige machten das Beste daraus, andere existieren bloß ohne wirklich zu leben, denn zu einem Leben gehört Hoffnung mit dazu.

Da gibt es einen Silberstreif am politischen Horizont. Eine neue Großmacht taucht auf – Persien. Von seinem König Kyros ist bekannt, dass eine andere Politik verfolgt. Die einzelnen Regionen können ihre Dinge größtenteils selbst regeln und auch ihre Religion ungehindert ausüben, solange sie politisch loyal sind. Es ist anders als diese Alles-oder-Nichts-Politik Babylons, die zwischen totaler Unterwerfung oder totaler Vernichtung nichts anderes kannte.

So wächst die Hoffnung, dass man in seine alte Heimat zurückkehren und seinen Glauben frei und ungehindert leben kann. Diese Hoffnung bricht sich Bahn in großen Bildern: Das Volk, das zurückzieht auf breiter Bahn und ebenen Weg durch die Wüste, die Erlösten, die jubeln vor Freude, wenn sie den Zionsberg sehen. Die Bilder werden riesig, paradiesisch-traumhaft schön: Friedefürst, Wunderrat, die Herrschaft ruht auf seiner Schulter, aus der Wüste wird eine blühende Landschaft, wo Skorpione und Schakale hausten, wachsen Schilf und Riedgras, ein heiliger Weg führt breit und eben und gerade aus der Fremde in die Heimat. Das heilige Volk kann ihn ohne Gefahr und Mühe leichtfüßig gehen.

Nun waren die Menschen damals schon realistisch genug, um ihre Chancen einzuschätzen; es waren keine utopischen Träumer, sondern standen mit beiden Beinen mitten im Leben. Sie haben damals schon nicht damit gerechnet, dass diese großen Worte eins zu eins umgesetzt werden. Nicht das Paradies erwarteten sie, aber ein einigermaßen lebenswertes Leben in Sicherheit für sich und ihre Familien und Nahrung für alle. Und trotzdem formulieren sie einen Überschuss an Verheißung, einen Mehrwert an Hoffnung. Sie malen große Bilder, um kleine Fluchten möglich zu machen. Diese Bilder sind so groß, dass Generationen von ihnen gezehrt haben und immer noch zehren. Sie sind zu groß, um sie nur einmal zu verwenden und dann wegzulegen.

Auch Jesus verwendet diese Bilder, wenn er vom künftigen Reich Gottes redet. Wie jeder Jude seiner Zeit kannte er sie, war er mit ihnen groß geworden. Die ersten Christen, die so langsam anfingen, ihre eigenen noch kleinen Gemeinden zu gründen, auch sie kannten die Verheißungen, die Bilder, die Träume und die damit verbundenen Sehnsüchte. Und sie leihen sich diese Sprache aus, verbinden sie mit demjenigen, der ihnen begegnet ist und auf den sie jetzt all ihre Hoffnung setzen. Und sie sagen: Jesus ist der, von dem hier die Rede ist, der Friedefürst, der Wunderrat, auf dessen Schultern die Herrschaft ruht, der alles ins Lot bringt.

Alles fängt mit diesen beiden Versen an und hört mit ihnen auf: Damals für Israel im Exil, damals für die ersten Christen 20, 30 oder 40 Jahre nach dem Tod Jesu, und heute für uns: „Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie, sagt den verzagten Herzen: Fürchtet euch nicht.“

Die Texte im Advent erzählen von dem, der kommt in Macht und Herrlichkeit und alles in Ordnung bringt. Leben ohne Angst und Furcht, Leben in Freude und Jubel und neugewonnen Glauben. Eigentlich ist das keine gemütliche und besinnliche Zeit. Diese Worte verwenden wir gerne, wenn wir vom Advent reden. Wir verbinden Kerzenlicht und Tee oder Glühwein und Gebäck, Lichterglanz zu Hause und Dunkelheit draußen. Die Adventstexte aber erzählen davon, dass Gott kommt und diese Welt in Ordnung bringt. Gott kommt und bringt neuen Glanz und vor allem einen neuen Sinn in unser Leben. Die Kennzeichen des Advents sind eine gespannte Erwartung und eine unzerstörbare Hoffnung. Es sind keine kindlichen, sondern sehr erwachsene Texte, nicht gemütlich, sondern fordernd, nicht besinnlich, sondern traumhaft-kämpferisch.

Solche großen Bilder, solche überschießenden Hoffnungen braucht man, brauchen wir. Hoffentlich ist man nicht so sehr abgestumpft, sondern kann noch groß träumen. Hoffentlich können wir mit solchen poetischen Utopien und Träumen noch etwas anfangen: „Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande.“ Dann träumen wir von einer anderen Welt und einem besseren Leben für alle und beides ist möglich.

Oder haben wir uns eingerichtet ins bloße Existieren, ins Durchmogeln? „Hauptsache mir und meiner Familie geht es gut. Und die anderen …? Naja, schlimm das alles, aber was kann man machen und jeder muss sehen, wo er bleibt und wir können ja nicht allen helfen.“ Dieses alte Lied wird viel zu oft gesungen und wir stimmen in diesen Chor allzu oft mit ein.

Worauf bauen wir? Was träumen wir? Wie erziehen wir unsere Kinder? Welches Bild der Welt und vom Leben geben wir ihnen mit? Ermutigen wir sie zu träumen oder wollen wir sie auf dem Boden der harten Tatsachen fest verankern. Was trägt uns selbst in unserem ganz privaten Leben? Was trägt uns hindurch durch Not und Leid, Schmerzen und Seufzen?

Advent ist im Grund keine Plätzchenzeit, sondern die Zeit der Vorbereitung auf das große Geschenk Gottes, eine Bußzeit, in der die Altardecke violett ist, so wie in der Passionszeit vor Ostern.

Wir brauchen die Hoffnungen und Träume die großen Bilder, um unsere kleinen Leben zu leben. Ich glaube, uns geht es ziemlich schlecht, wenn wir diese nicht mehr haben. Paradieshoffnungen und Träume von heiler Welt helfen uns in diesem Leben. Auch wenn wir um den manchmal himmelweiten Unterschied zwischen den großen Worten und dieser oft so grausamen Welt wissen.

Wie schon gesagt: Es geht um den Mehrwert dieser Hoffnungen, den Überschuss dieser Träume.

Die ersten Christen haben gesagt: In Jesus Christus sind all diese Träume Wirklichkeit geworden. Besser gesagt: Sie sind Mensch geworden, in aller Zweideutigkeit und Vorläufigkeit und Gebrochenheit, die dem Menschlichen anhaftet. Allem Anschein nach ist nichts besser und vielleicht manches schlimmer geworden. Ein wacher, aufmerksamer und realistischer Blick, um das zu erkennen, reicht dafür völlig aus.

Aber Jesus gibt uns von neuem, - so wie die Propheten Israel damals – einen Vorgeschmack des Reiches Gottes. Er zeigt mit seinen Worten und in seinem Leben: So sieht Gottes Zukunft für uns aus: „Die Erlösten des Herrn werden wieder kommen mit Jauchzen und ewige Freude wird über ihrem Haupte sein.“

Das sagt er nicht, um einen fernen Wunschtraum, ein Luftschloss und Wolkenkuckucksheim zu phantasieren, sondern sehr praktisch, konkret und direkt: Um die müden Hände zu stärken, die wankenden Knie festzumachen, all den Enttäuschten, Verzagten, all denen, die sich ans bloße Existieren ohne Hoffnung schon sehr gewöhnt haben, um den allen – und uns – zu sagen: „Seid getrost, fürchtet euch nicht.“

Amen

Verfasser: Pfarrer Michael Erlenwein, Langgasse 61, 67105 Schifferstadt


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