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Die Wahrheit wird euch frei machen

von Manfred Benz

Predigtdatum : 31.12.2010
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Silvester (Altjahrsabend)
Textstelle : Jesaja 30,(8-14).15-17
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Wochenspruch: „Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte.“(Psalm 103, 8)
Psalm: 121 (EG 749)

Lesungen
Altes Testament: Jesaja 30, (8 – 14) 15 – 17
Epistel: Römer 8, 31 b – 39
Evangelium: Lukas 12, 35 – 40


Liedvorschläge
Eingangslied: EG 58 Nun laßt uns gehn und treten
Wochenlied: EG 64 Der du die Zeit in Händen hast
Predigtlied: EG 65 Von guten Mächten
Schlusslied: EG 543 Alles ist eitel, du aber bleibst

Vorüberlegungen:

„Der Text ist nicht geeignet, die Gemeinde mit betulicher Fürsorglichkeit vor der Wahrheit zu schützen.“ (Jürgen Ziemer, GPM 59, 2005, S. 64.).

„Wenn die Rede prophetisch wird, ist es nicht die Zukunft, die uns gegeben ist; sondern es ist die Gegenwart, die uns entzogen wird, samt jeder Möglichkeit einer festen, beständigen und dauerhaften Gegenwärtigkeit.“ (Maurice Blanchot, Der Gesang der Sirenen, 1982, S. 111.).

„Subjekt der Dichtung ist nicht das Individuum, das diese Gedichte geschrieben hat, sondern jenes Subjekt, das entsteht, wenn die Sprache außer Kraft gesetzt ist, das heißt reine Sagbarkeit geworden ist.“ (Giorgio Agamben, Herrschaft und Herrlichkeit, 2010, S. 300.).


Predigt

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! (2. Kor. 13, 13).

Liebe Gemeinde!

Sylvesterabend. Noch ein paar Stunden, dann ist wieder ein Jahr vorübergegangen. Was hat es uns gebracht? Was hat es uns genommen? Was bleibt?

Ein neues Jahr kommt heran. Die Kalender liegen bereit. Alle Uhren gehen weiter. Wir gehen mit der Zeit. Wird es ein gutes neues Jahr? Ein schlechtes?

Hier, am Übergang vom alten zum neuen Jahr, nehmen wir uns Zeit. Zeit, um vor Gott zu treten. Zeit, um stille zu werden. Es ist genug da. Gott ist da.

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Das eigene Leben geht uns noch nach. Was ist passiert? – Eine Hochzeit und drei Todesfälle, womöglich. Die Fahrten zum Arzt. Sitzen im Wartezimmer. Den Kuchen weggekippt, weil die Kinder nicht kommen konnten. Zuviel Arbeit. Aber auch: Endlich das Enkelchen, so winzige Finger dran. Den Achtzigsten gefeiert, noch einmal groß. Die Äpfel waren nichts, die Kartoffeln gut.

Und sonst? Es gab Jahresrückblicke, schon vor Weihnachten. Und Sonderhefte, mit vielen Photos darin. Sie haben uns das alt gewordene Jahr noch einmal vor Augen geführt. Die Toten auf Haiti. Das viele Öl im Golf von Mexiko. Die Überschwemmungen in Pakistan, in Polen. Aber auch: Die deutsche Mannschaft bei der Weltmeisterschaft. Lenas Sieg beim Eurovision-Song-Contest. Die Rettung der chilenischen Bergleute.

Seltsam eigentlich: Dass wir uns so erinnern, was war. Saßen wir denn nicht in der ersten Reihe, in unserer kleinen wie in der großen Welt? Was fangen wir jetzt damit an? Mit den Erinnerungen? Mit den Rückblicken? Egal, welche Stücke wir zusammenlesen – es ist wie Lesen im Kaffeesatz. War es ein gutes Jahr? Oder war es schlecht? – Und erst, wie das neue wird: Wer will das sagen?

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8 [So spricht der HERR:] Geh nun hin und schreib es vor ihnen nieder auf eine Tafel und zeichne es in ein Buch, dass es bleibe für immer und ewig.

9 Denn sie sind ein ungehorsames Volk und verlogene Söhne, die nicht hören wollen die Weisung des HERRN, 10 sondern sagen zu den Sehern: »Ihr sollt nicht sehen!« und zu den Schauern: »Was wahr ist, sollt ihr uns nicht schauen! Redet zu uns, was angenehm ist; schauet, was das Herz begehrt! 11 Weicht ab vom Wege, geht aus der rechten Bahn! Lasst uns doch in Ruhe mit dem Heiligen Israels!«

12 Darum spricht der Heilige Israels: Weil ihr dies Wort verwerft und verlasst euch auf Frevel und Mutwillen und trotzet darauf, 13 so soll euch diese Sünde sein wie ein Riss, wenn es beginnt zu rieseln an einer hohen Mauer, die plötzlich, unversehens einstürzt; 14 wie wenn ein Topf zerschmettert wird, den man zerstößt ohne Erbarmen, so dass man von seinen Stücken nicht eine Scherbe findet, darin man Feuer hole vom Herde oder Wasser schöpfe aus dem Brunnen.

15 Denn so spricht Gott der HERR, der Heilige Israels: Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. Aber ihr wollt nicht 16 und sprecht: »Nein, sondern auf Rossen wollen wir dahinfliehen«, - darum werdet ihr dahinfliehen, »und auf Rennern wollen wir reiten«, - darum werden euch eure Verfolger überrennen. 17 Denn euer tausend werden fliehen vor eines einzigen Drohen; ja vor fünfen werdet ihr alle fliehen, bis ihr übrigbleibt wie ein Mast oben auf einem Berge und wie ein Banner auf einem Hügel.

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Der Prophet Jesaja sieht sich um. Zu seiner Zeit wohl eher wie ein einsamer Vogel auf dem Dache (Ps. 102, 8). Seine Diagnose fällt ernüchternd aus. Man hält sich nicht an Gottes Weisungen: Statt Rechtsspruch Rechtsbruch, statt Gerechtigkeit Schlechtigkeit (Jes. 5, 7). Man will die Wahrheit nicht wahrhaben: Was wahr ist, sollt ihr uns nicht schauen! Die Regierenden kontrollieren die öffentliche Meinung. Redet zu uns, was angenehm ist! Und von Gott will man gar nichts wissen: Lasst uns doch in Ruhe mit dem Heiligen Israels!

Das kann nicht gut gehen. Das wird böse enden. Im Namen Gottes, des Heiligen Israels, klagt der Prophet sein Volk an. Er kündet von den hereinbrechenden Rändern. So beginnt es: Wie bei einer Mauer, die sich ausbaucht. Schon rieselt der Kalk. Und dann, plötzlich, stürzt sie ein. Unaufhaltsam. Und: Wie bei einem Tontopf, der so gründlich zerschmettert wird, dass mit seinen Scherben nichts, aber auch gar nichts mehr anzufangen ist – so endgültig wird das Ende sein, wenn die Menschen sich von Gott abgekehrt haben.

Damals herrscht Krieg. Von Norden drängt Assurs Streitmacht heran, die Machthabenden müssen Entscheidungen treffen. Jerusalem steht unter Druck. Das Gebot der Stunde lautet: Die Befestigungsmauern verstärken, Trinkwasservorräte sichern. Die Strategie: Ein Bündnis mit Ägypten, der anderen Großmacht im Süden. Mit Ägyptens Pferden und Streitwagen eine offene Feldschlacht riskieren? – Für Jesaja ist das falsche Politik: Ägypten taugt nichts (vgl. Jes 30, 7). Verfehlt ist aber nicht die einzelne Entscheidung oder die Politik als solche, sondern Gott: der Glaube an ihn fehlt.

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Gott reicht sich dar. Aber das Volk und die Verantwortlichen wollen von Gott nichts wissen: Aber ihr wollt nicht. Trotzig beharren sie auf ihrem Eigensinn: Auf Rossen wollen wir dahinfliehen... auf Rennern wollen wir reiten. Kaum ausgesprochen, dreht ihnen der Prophet die Parolen im Munde um: Darum werdet ihr dahinfliehen... darum werden euch eure Verfolger überrennen. Verkehrung der Verkehrtheit: Die falschen Mittel, zu denen sie greifen, werden sich gegen sie richten. – Einen Ausweg gibt es vielleicht noch:

Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen;
durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein.

Aber der Unglaube spinnt sich ein: „Teurer als die bittere Wahrheit ist uns der erhabene Wahn“ (A. Puschkin). Sie haben diese – unmögliche – Möglichkeit nicht ergriffen: Ihr wollt nicht. Darum ist es am Ende so gekommen, wie es kommen musste. Die Feinde haben alles überrannt, alle sind geflohen, übrig blieb – nichts. Nur ein nackter Fahnenmast auf einem Hügel. Dessen Verlorenheit demonstriert, dass sein Volk Gott verlassen hat. Der Prophet verstummt.

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Weiter! – Was bleibt? Auch diese Worte Jesajas hat irgendjemand in eine Tonscherbe gekratzt oder in eine Buchrolle gezeichnet (vgl. v.8). Weil sie sich bitter bewahrheitet hatten.
Seither stehen sie da, als bleibende Warnung, als beeindruckendes Zeugnis, als Selbstkritik. Was bleibt, ist aber auch Gottes Einladung:

Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen;
durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein.

Wer diese Worte wörtlich nimmt, der nimmt sie nicht ernst genug. Nicht darum kann es jetzt gehen, Reden mit Schweigen zu vertauschen oder Aktivität mit Passivität. Auf diese Weise würde man nur ein eigenmächtiges Tun durch ein anderes ersetzen. Wir vermögen nichts wider die Wahrheit (2. Kor. 13, 8). Wer nichts tut, wo er handeln sollte, geht auch aus der rechten Bahn. Und wer schweigt, wo er reden sollte, weicht ab vom Wege.

Vielmehr: Gott ist da. Gott reicht sich dar. Und alles hängt davon ab, ob ein Volk – ob ein Mensch – an Gott glaubt, auf Gott vertraut. Jesaja hat das von Anfang an gesagt: Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht (Jes. 7, 9). Also nicht: Wenn ich nur stille werde, wird Gott schon zu mir reden – Gott redet ohne Unterlass! – Sondern: Weil Gott spricht, werde ich still. Und höre. Und wenn die Stille sich kehrt, werde ich die richtigen Worte finden. Werde sagen, was gesagt werden muss. Und tun, was getan werden muss.

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Die Einladung zu Umkehr und Stillesein erlaubt also keine Untätigkeit, die die Welt sich selber überlässt. Die Stillen im Lande (vgl. Ps. 35, 20) sind nicht schon die besseren Menschen. Sondern erst, wenn ein Mensch stille ist zu Gott (Ps. 62, 2), wird ihm geholfen. Freilich: Wie Gott hilft, liegt allein in seiner Hand. Mag sein, dass einer stark wird und gewinnt. Mag auch sein, dass Gottes Kraft in den Schwachen mächtig ist (2. Kor. 12, 9).

Politische Programme lassen sich daraus nicht ableiten. Auch keine guten Vorsätze für das kommende Jahr. Mit Meinungsäußerungen, Willensbekundungen, Handlungsanweisungen kommen wir nur weiter von dem Ziel. Wieder Jesaja: Beschließt einen Rat, und es werde nichts daraus (Jes. 8, 10).
Nach unserem Glauben sind wir gefragt, sonst gar nichts. Vertrauen wir auf Gott in allem, was wir tun und lassen? Demgegenüber müsste die Frage, ob das neue Jahr 2011 ein gutes oder ein schlechtes Jahr wird, völlig zweitrangig erscheinen.

Katastrophen stehen jederzeit auf der Tagesordnung: Das war im alten Jahr so, das wird im neuen kaum anders sein. Wir Heutigen machen zwar manches anders als früher, aber nicht unbedingt besser. Moralpredigten sind wohlfeil zu haben. Aber gegenüber der bleibenden Botschaft des Propheten finden auch wir Verspäteten keinen Punkt, uns besser in Szene zu setzen.

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Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen;
durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein.

Gott ist da. Und wartet immer noch, dass wir zu ihm umkehren. Aushalten, dass – und wie – er sich uns zeigt. Ihn wahrnehmen, in der Zeit. Dann wird uns die Wahrheit frei machen. Darum, wer heute Nacht Feuerwerksraketen in den Himmel schickt, der denke dabei an Gott. Und danke für das alte Jahr. Und wer mit Verwandten oder Freunden feiert, der esse und trinke und sei guten Mutes. Und hoffe darauf, dass Gott ihn auch morgen noch erhält… mit allem, was Not tut… und vor allem Übel bewahrt.

Der du allein der Ewge heißt / und Anfang, Ziel und Mitte weißt / im Fluge unsrer Zeiten: / bleib du uns gnädig zugewandt / und führe uns an deiner Hand, / damit wir sicher schreiten. (EG 64, 6).

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. (Phil. 4, 7).

Verfasser:Pfarrer Manfred Benz, An der Kirche 4, 36325 Stumpertenrod




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