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Die Wahrheit wird euch frei machen

von Matthias Rost (Neudietendorf)

Predigtdatum : 31.12.2017
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Silvester (Altjahrsabend)
Textstelle : 2. Mose 13,20-22
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Wochenspruch:
"Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte." (Psalm 103, 8)
Psalm: 121

Lesungen
Reihe I: Lukas 12, 35 - 40
Reihe II: Römer 8, 31 b - 39
Reihe III: Jesaja 30, (8 – 14) 15 - 17
Reihe IV: 2. Mose 13, 20 - 22
Reihe V: Johannes 8, 31 - 36
Reihe VI Hebräer 13, 8 - 9 b

Liedvorschläge
Eingangslied: EG 65 Von guten Mächten wunder-bar geborgen
Wochenlied: EG 58, 1 - 7 Nun lasst uns geh’n und tre-ten
Predigtlied: EG 409 Gott liebt diese Welt
Schlusslied: EG 64, 1 + 6 Der du die Zeit in Händen hast

Predigttext 2. Mose 13, (17 – 19) 20 - 22
Die Wolken- und Feuersäule
17 Als nun der Pharao das Volk hatte ziehen lassen, führte sie Gott nicht den Weg durch das Land der Philister, der am nächsten war; denn Gott dachte, es könnte das Volk gereu-en, wenn sie Kämpfe vor sich sähen, und sie könnten wie-der nach Ägypten umkehren.
18 Darum ließ er das Volk einen Umweg machen, den Weg durch die Wüste zum Schilfmeer. Und die Israeliten zogen wohlgeordnet aus Ägyptenland.
19 Und Mose nahm mit sich die Gebeine Josefs; denn dieser hatte den Söhnen Israels einen Eid abgenommen und ge-sprochen: Gott wird sich gewiss euer annehmen; dann führt meine Gebeine von hier mit euch hinauf.
20 So zogen sie aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste.
21 Und der Herr zog vor ihnen her, am Tage in einer Wol-kensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten.
22 Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.
[Die Predigt bezieht die VV 17 - 19 ein, darum sollten diese auch mit verlesen werden. Bibel verwenden, da sie im Lektionar nicht mit abgedruckt sind!]


„Umwege erhöhen die Ortskenntnis!“ Du suchst in einer fremden Stadt nach einer bestimmten Adresse, du bist schon ein paarmal anscheinend im Kreise gefahren. „Da war ich doch schon.“ Es kann dauern, bis du die richtige Straße findest. Vielleicht musst du noch mal ganz rausfahren aus dem Viertel, aber dann hast du schon ein paar Anhaltspunk-te, wo du langfahren solltest und wo nicht. „Umwege erhö-hen die Ortskenntnis!“

Das Volk Israel steht an der Schwelle. Es kommt aus der ägyptischen Sklaverei. Der Pharao hat das Volk ziehen las-sen. Sie sind auf dem Weg in die Freiheit. In die Zukunft. In das Land, das ER ihnen verheißen hatte, das Land, in dem alles besser sein sollte, ein Land voller Süße und Erfüllung. Zwischen dem Land der Knechtschaft und dem Land der Freiheit liegen Gefahren, Entbehrungen, Kämpfe, unbekann-te, wüste Gegenden, unwirtliches Land, Dunkelheiten. Das ist der Augenblick auf der Schwelle.

Solche Schwellensituationen sind für uns immer mit mulmi-gen Gefühlen verbunden: Was vor uns ist, wissen wir nicht. Es mischen sich Angst und Neugier, Sorge und Vorfreude. Was hinter uns liegt, kennen wir: Es mischen sich auch die Gefühle: Erleichtert sind wir, belastende Dinge zurücklassen zu können. Schwer liegt uns manches Ungelöste auf der Seele. Für manches sind wir dankbar, und anderes, das wir aufgeben mussten, hätten wir gern behalten.

Und nun erzählt die Heilige Schrift: Gott dachte, es könnte das Volk gereuen, wenn sie Kämpfe vor sich sähen, und sie könnten wieder nach Ägypten umkehren, zu den sprichwörtlichen Fleischtöpfen. Mit solchen Sprüchen auf den Lippen wie: „Früher war ooch nich alles schlecht.“ Noch tra-gen sie die Knechtschaft in sich. Das schüttelt sich so schnell nicht ab. – Müssen wir eigentlich alles abstreifen, abschüt-teln, hinter uns lassen? Die Vergangenheit gehört zu unse-rem Leben. Wir tragen sie in uns. Sie geht mit. Ausdrücklich erwähnt die Schrift, dass Mose die Gebeine des Erzvaters Jakob mit sich nahm beim Auszug. Vieles, was zu uns ge-hört, was uns ausmacht, das müssen, ja, das sollen wir auch mitnehmen. Das ist gut so.

Freilich: Der Wunsch nach Ägypten zurückzukehren, das ist die Sehnsucht nach den alten Sicherheiten, nach dem Ge-wohnten, Geregelten. Man geht nicht gern neue Wege. Die altbekannten sind uns lieber. Die kennen wir. Und wenn dann auf den Zukunftswegen die greifbaren Gefahren greifbar näher sind als die traumhaften Verheißungen? – Wen wun-dert da der sehnsüchtige Blick zurück. So sind sie. So sind wir auch. So sind wir Menschen. – Aber Gott weiß, mit wem er da auf dem Weg ist und worauf er sich eingelassen hat.
Gott dachte, es könnte das Volk gereuen, wenn sie Kämpfe vor sich sähen … Darum ließ er das Volk einen Umweg machen und führt es durch die Wüste.
Warum nur diese Umwege? - Mancher erinnert sich vielleicht noch an die Landkarte in der Christenlehre / im Religionsun-terricht. Der Weg der Wüstenwanderung, der dort einge-zeichnet war, glich eher der Schlangenlinie, die ein Betrunke-ner läuft, als einem wohlgeordneten Treck.

Ein Theologe hat folgende kleine Kopfrechnung angestellt: 600.000 Mann, nicht gerechnet die Frauen und Kinder, als Menschenkette aneinandergereiht, ergibt eine Länge von 600 km. Das ist, großzügig geschätzt, die Entfernung von Kairo nach Jerusalem. Es gab also keinen vernünftigen Grund, wa-rum die Israeliten 40 Jahre durch die Wüste geirrt sind.

Der direkte Weg ist aber eben nicht immer der beste. Um-wege erhöhen die Ortskenntnis. Wo Sukkot lag, von wo sie auszogen, das kann man heute noch ausmachen. Wo Etam lag, am Rande der Wüste, weiß allerdings keiner. Das scheint nicht wichtig zu sein. Der Umweg ist aber wichtig. Der Um-weg ist offensichtlich nötig. Der Umweg wird zum Lernweg. Auf diesem Umweg passiert Entscheidendes. Es braucht Zeit, um die Erfahrungen der Knechtschaft hinter sich zu lassen. Um sich der falschen Sicherheiten zu entwöhnen, um den aufrechten Gang zu lernen, um als freie Menschen zu leben, zu handeln, zu vertrauen, zu leben und die Freiheit zu be-währen. Der Umweg durch die Wüste bietet all das, und oft genug wird das Gottesvolk an dieser Aufgabe leiden und scheitern. Aber immer wieder wird es auch Gott neu erfah-ren. Umwege erhöhen die – „Gotteserkenntnis“.

Der Weg in die Freiheit, der Weg in das Morgen, in das Land der Verheißung, auf dem Gott seinem Volk vorangeht, ist ein Weg durch die Wüste. Kein Ort zum Verweilen. Ein Weg vol-ler Entbehrungen und Gefahren. Nicht die Gegend, in der man leben und bleiben möchte. Aber: da sind sie ganz auf Gottes Führung angewiesen, da erfahren sie ihn viel intensi-ver. Und vor allem. Der Umweg führt sie zum Gottesberg. Da empfangen sie die Gabe der Tora. Die gute Weisung Got-tes zum Leben. Umwege erhöhen die „Gotteserkenntnis“.

Vor uns liegt die Schwelle ins neue Jahr. Ein Weg ins Unbe-kannte? Eine Reise ins Ungewisse? Wir hatten gerade die verschiedenen Jahresrückblicke im Fernsehen. Ein Moderator hat den Jahresrückblick so kommentiert: Nichts von alledem, was in diesem Jahr an Spektakulärem sich ereignet hat, hät-te auch nur einer in der Nachrichten-Redaktion voraussagen können: [hier einige unerwartete und überraschende Ereignisse aus dem zurückliegenden Jahr beispielhaft nennen] Was also soll man vom kommenden Jahr anderes erwarten als viele Über-raschungen, Ungeahntes, nicht Vorhersehbares?

Und wie ist es im persönlichen Leben? Geht es uns da sehr viel anders? – Manches ist absehbar: dass wir älter werden, dass so manches im Kreislauf des Jahres einfach wieder dran sein wird: Geburtstage, Feste, die Jahreszeiten … Aber was noch kommt, welche Umwege wir werden gehen müs-sen, wer weiß? Wo uns unsere persönliche Umleitung hin-führt, keine Ahnung. Von „Burnout“ ist jetzt ganz oft bei Menschen im mittleren Alter die Rede. Irgendwann geht gar nichts mehr. Keine Kraft mehr zum Arbeiten. Da war „der persönliche“ Akku alle, wie einer in seinem Weihnachtsbrief schreibt. Kein Antrieb zum Aufstehen morgens. Kein Plan, was an dem Tag zu geschehen habe. Manch einer schafft es nicht mal mehr, normal zu essen oder den Schreibtisch auf-zuräumen. – Krankschreibung. Aber Medikamente helfen nicht mehr. Warten auf eine Kur. Und dann vor allem: um-lernen. Anders mit sich und den Mitmenschen umgehen. An-ders mit der Zeit, mit den eigenen Kräften und vor allem mit den Grenzen umgehen. Das ist dann ein langer Weg. Ein Umweg? Ein Lernweg? Mindestens eine notwendige Umlei-tung. Hinterher ist man klüger – hoffentlich! Lebensklüger! „Umwege erhöhen die Ortskenntnis“ – In dieser Gegend des Lebens kennt sich einer dann wohl besser aus. Erhöhen sie auch die „Gotteserkenntnis“?

Die Heilige Schrift sagt: Gott schickt sein Volk nicht in die Wüste. Er zog vor ihnen her, am Tag in einer Wol-kensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, damit sie Tag und Nacht wandern konnten.

Gott zieht vor den Seinen her in die Zukunft. Er geht ihnen voran. Er weist und bahnt ihnen den Weg. Mehr noch: es ist Sein Weg, den sie gehen.

Liebe Gemeinde, können wir das auch als Verheißung für unsere Wege im kommenden Jahr nehmen? Dass er uns – bei allem, was da kommen mag – dass er uns nicht „in die Wüste schickt“. Dass er uns immer voraus ist? Dass es Sei-ne Wege sind, die wir gehen? „Gottes Wege sind wunder-bar“, sagt man so, aber da schwingt immer auch ein biss-chen Bangen und Fragen mit – nicht „wunderbar“, sondern manchmal sehr „wunderlich“: kann Er uns das wirklich zumu-ten, was wir da durchstehen müssen?

Dietrich Bonhoeffer hat zu unserem Bibeltext gesagt: „Got-tes Wege sind die Wege, die er selbst gegangen ist und die wir nun mit ihm gehen sollen. Keinen Weg lässt uns Gott ge-hen, den er nicht selbst gegangen wäre und auf dem er uns nicht voranginge. Es ist der von Gott gebahnte und geschütz-te Weg, auf den er ruft. So ist es wirklich sein Weg.“ … „Mit Gott tritt man nicht auf der Stelle, sondern man beschreitet einen Weg. Gott kennt den ganzen Weg, wir wissen nur den nächsten Schritt und das letzte Ziel. Wer seinen Fuß auf die-sen Weg gesetzt hat, dessen Leben ist eine Wanderschaft geworden.“

Ja, lieber Dietrich Bonhoeffer, vielleicht ist das ja der stärks-te Trost und die deutlichste Ermutigung – auch für das kom-mende Jahr: „Gottes Wege“ – auch mit uns – „sind die We-ge, die er selbst gegangen ist …“ Wir werden nicht „in die Wüste geschickt“. Auch wenn manche Wege ins Dunkel ge-hen, in die Nacht, in die Schmerzen. Auch wenn wir manches verlieren, manches preisgeben müssen. Gott kennt diese Wege. Er ist sie selbst gegangen.

Und dann sind da noch die Zeichen. Die Wolkensäule für den Tag, die Feuersäule für die Nacht, „um sie den rechten Weg zu führen … um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten.“ – Tag und Nacht wandern, vierzig Jahre lang? Sollten sie das? Mussten sie das? Nein, aber sie konn-ten. Sie hätten wandern können. Tag und Nacht. Immer sind da die Zeichen Seiner Gegenwart. Nie sind sie ohne göttliche Führung.

Verborgen ist ER gegenwärtig, sagt die Schrift. Verborgen am Tag in der Wolkensäule, und des Nachts in der Feuersäu-le. Nicht die Wüstenlandschaft sollen sie vor Augen haben, sondern ihren Gott. Er hat ihr Elend in der Vergangenheit gesehen. Er ist heruntergekommen in ihre Not, um sie her-ausführen. Ihn sollen sie jetzt vor sich haben, in den Zeichen für den Tag und für die Nacht. Er geht ihnen voran, weist ihnen den Weg. Es ist Sein Weg, den sie gehen. Nie, nicht bei Tag und nicht in der finstersten Nacht, sollten sie ohne ihn gehen müssen.

Es fällt uns heute nicht leicht, die Bilder der Wolken- und der Feuersäule als Zeichen der Gegenwart Gottes zu lesen. Sind sie doch im 20. Jahrhundert zum grauenvollen Fanal der ver-suchten Auslöschung Israels in den deutschen Vernichtungs-lagern geworden, „als Israels Leib zog aufgelöst in Rauch / durch die Luft.“ (Nelly Sachs). Was wir wissen und nie ver-gessen dürfen, das wussten freilich die biblischen Autoren noch nicht.

Uns bleibt aber, dennoch zu glauben, dass Gott mitgeht. Auch in finsterster Nacht. Gott geht mit. In seiner stetigen Gegenwart geht das Gottesvolk seinen Weg durch die das Leben bedrohende Wüste. Die Wolke verhüllt und zeigt an, dass er da ist – wie Brot und Wein für uns beim Abendmahl in der Verhüllung die Gegenwart des Auferstandenen Chris-tus anzeigt.

Können wir das für uns mitnehmen über die Schwelle in das kommende Jahr? An keinen Ort gebunden, geht ER mit, auch die dunklen Wege, auch durch beschwerliche Lebensland-schaften. Er geht mit in seinem Wort und in seinen Zeichen, er geht voran Tag und Nacht. „Der dich behütet, schläft nicht. Siehe, der Hüter Israels schläft und schlummert nicht.“ (Ps 121) Uns wird auf dem Weg in die Zukunft nichts zuge-mutet werden, woran Er sich nicht beteiligt. Wird uns die Sonne scheinen, so wird es Seine Sonne sein. Ist uns der Tisch gedeckt, so sind wir Seine Gäste. Treiben uns Sorgen um und Ängste, schrecken uns Dunkelheiten – auch das kann uns von Seiner Liebe nicht trennen. Gott geht voran und er behütet. Wohin wir den Fuß setzen, da ist er zuvor gewesen.

In dieser Zuversicht lasst uns gehen „von einem Jahr zum andern“!
Amen



Verfasser: Pfarrer Dr. Matthias Rost
Zinzendorfplatz 3, 99192 Neudietendorf

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