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Die Wahrheit wird euch frei machen

von Christiane Braungart (Zentrum Verkündigung der EKHN)

Predigtdatum : 31.12.2016
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Silvester (Altjahrsabend)
Textstelle : Jesaja 30,(8-14).15-17
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Wochenspruch:
"Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte." (Psalm 103, 8)

Psalm: 121


Lesungen
Reihe I: Lukas 12, 35 - 40

Reihe II: Römer 8, 31 b - 39

Reihe III: Jesaja 30, (8 – 14) 15 - 17

Reihe IV: 2. Mose 13, 20 - 22

Reihe V: Johannes 8, 31 - 36

Reihe VI Hebräer 13, 8 - 9 b


Liedvorschläge
Eingangslied: EG 329 Bis hierher hat mich Gott ge-bracht
Wochenlied: EG 64 Der du die Zeit in Händen hast
Predigtlied: EG 614 Lass uns in deinem Namen, Herr,
Schlusslied: EG 321 Nun danket alle Gott


Predigttext Jesaja 30, 15 – 17
Stillesein und Hoffen

„Denn so spricht Gott der Herr, der Heilige Israels: Wenn ihr umkehret und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. Aber ihr wollt nicht und sprecht:“Nein, sondern auf Rossen wollen wir dahinfliehen.“ – darum werdet ihr dahinfliehen, „und auf Rennern wollen wir reiten“ – darum werden euch eure Ver-folger überrennen. Denn euer tausend werden fliehen for eines einzigen Drohen; ja vor fünfen werdet ihr alle fliehen, bis ihr übrig bleibt wie ein Mast oben auf dem Berge und wie ein Banner auf dem Hügel.“


Liebe Gemeinde,
die letzten Stunden des Jahres 2016 haben begonnen, der Count-Down läuft bis es in wenigen Stunden heißen wird: Prosit Neujahr 2017.

Es gilt Abschied zu nehmen vom Jahr 2016 und sich vorzu-bereiten auf das neue Jahr, das schon vor der Tür steht.

Es heißt Abschied zu nehmen von den schönen, reichen Er-fahrungen, die uns das Leben im zu Ende gehenden Jahr beschert hat. Und ebenso gilt es Abschied zu nehmen von den belastenden, den schweren Erfahrungen, die das Leben dem einen und der anderen zugemutet hat.

Aber es gilt sich auch zu verabschieden, von den Bildern von Terror, die andere Menschen betroffen haben, deren Zeuginnen und Zeugen wir doch durch Fernsehbeiträge ge-worden sind. Sie stehen uns gerade in diesem zu Ende ge-henden Jahr vor Augen. Und manch einer und manch einem noch so dicht und direkt, dass es schwer fällt, davon Ab-schied zu nehmen. Aber auch hier gilt die Aufforderung: Lassen Sie uns davon jetzt Abschied nehmen.

Von manchem wollen wir Abschied nehmen und von man-chem sollen wir Abschied nehmen. Die schönen wie die schweren Erfahrungen werden ein Teil von uns selbst bleiben werden. Und doch ist notwendig, damit wir vorangehen können, zuerst einmal dem Alten Abschied zu geben. Nur so wenden wir das Neue gewinnen können.

Und so lassen sie uns nun in der Stille uns dessen verge-genwärtigen, was uns das Jahr 2016 gebracht hat: an Schönem, an Schwerem, an Hoffnungsvollem und auch am Schrecklichen, an Gelungenem, aber auch an Versäumten und auch an Schuld.

Stille

Wir haben versucht in der Stille zu uns zu kommen und das vergangene Jahr Revue passieren zu lassen.
Wie lange haben Sie gebraucht, um in der Stille zu sich zu kommen? Wie lange haben Sie noch andere Stimmen um sich herum gehört, bis sie ihre eigene Stimme vernommen haben?
Wie haben Sie die Stille empfunden? Als gut und hilfreich? Oder als belastend und bedrückend ?

„In der Ruhe liegt die Kraft“, so heißt es im Volksmund, doch wir handeln oft nicht danach. Schon die Adventszeit, die angeblich so besinnliche Zeit, ist oftmals eher hektisch und unruhig.

Und nun die ruhigen, die stillen Tage zwischen den Jahren. Sie sind nicht selten gekennzeichnet von Terminen: Ver-wandtenbesuche, Treffen mit Freunden, Veranstaltungen von Vereinen (Grenzgänge…) und vieles mehr.

So schön das alles im Einzelnen ist, so machen wir aber auch die Erfahrung, dass uns unter all diesen Aktivitäten die Zeit zwischen den Fingern zerrinnt, dass sie so dahinfliegt, so dass wir sie kaum etwas davon erhaschen können. Und ehe wir uns versehen, sind die Feiertage und der Jahreswechsel vorbei und das Leben verläuft auch im neuen Jahr nach dem alten Trott.

Und da wir uns oft weder im Advent und noch zwischen den Jahren die Zeit zur Stille und zur Besinnung, zum Atemholen, genommen haben, besteht dann im neuen Jahr die Gefahr der Kurzatmigkeit, der vorzeitigen Erschöpfung, der Panik angesichts von unvorhergesehenen Situationen.

Ganz ähnlich sind die Umstände der Menschen zu denen Jesaja vor 2700 Jahren spricht und denen er das Wort Got-tes auszurichten hatte. Ganz ähnlich sind die Umstände und ähnlich auch die Verhaltensweisen, die sie an den Tag legten und die, die uns bestimmen.

Auch damals herrschten unruhige, auch politisch unruhige Zeiten und die Menschen hatten die Zuversicht in ihre Kraft und ihre Stärke verloren. Verzagt waren sie, so verzagt wie viele von uns angesichts des neuen Jahres.

Mangelnde Zuversicht lag damals über Israel und sie liegt heute über unserem Land und beherrscht viele von uns auch in ihrem Inneren. Und so gilt dieses Wort des Jesaja, das er seinem Volk auszurichten hatte, auch uns am heutigen Abend.

Verlesung des Predigttextes: Jesaja 30, 15 - 17

Nun sind Sie zum Gottesdienst gekommen, gehören durch-aus zu denen, die in Ruhe und in Besinnung sich vom alten Jahr verabschieden und auf das neue Jahr unter Gottes Wort eintreten wollen und dann so ein Text. Man fühlt sich beinahe bestraft. Es sind keine tröstlichen Worte, sondern eher eindringlich mahnende, ja drohende Worte. Und doch – obwohl die Worte so alt sind, klingen sie seltsam frisch und lebendig.

Die gläubigen Juden des Volkes Israel hatten ihren Propheten gefragt: Warum fühlen wir uns so schwach und matt? Warum geht es politisch nicht so gut voran mit unserem Land? Woher kommen unsere vielen Sorgen und mancherlei Ängste?

Und Jesaja antwortete ihnen auf ihre Fragen. Aber nicht so wie die anderen Propheten, die den Menschen nach dem Mund redeten, ihnen keine ehrlichen Antworten auf ihre Fragen gaben.

Ganz anders Jesaja: Er konfrontiert sie mit der harten und auch bitteren Wahrheit. Er antwortet auf ihre Frage in weni-gen, wohl sehr leisen Sätzen, die heute Abend den Predigt-text bilden.

Diese leisen Worte des Jesaja waren nun überhaupt nicht das, was die Leute hören wollten. Nur wenige schenkten ihnen darum Glauben. Aber sie wurden wahr. Aus den bitte-ren Worten wurde bittere Wirklichkeit: Die taktischen Über-legungen welcher Großmacht sich anzuschließen sei, um als Land zu überleben, erwiesen sie als ganz und gar falsch. Die Verfolger überrannten Israel und verschleppten viele hundert Gläubige nach Babylon. Eine harte Erfahrung für die, die an eine Rettung geglaubt hatten, sei es eine rein politische Rettung, dahinter aber die Rettung durch Gott.

Doch diese Worte bilden nicht darum den Predigttext für den heutigen Abend, um uns auf ein historisches Geschehen vor langer Zeit und die ihm vorausgehende Weissagung des Jesaja aufmerksam zu machen. Sie wollen auch nicht vor-nehmlich etwas über unser Geschick im nächsten Jahr aus-sagen. Sie wollen Antwort auf die innersten Fragen geben, die uns umtreiben, die uns wirklich umtreiben heute am Silvesterabend, am Vorabend des neuen Jahres.

Prophetie ist nur zum kleineren Teil Weissagung für die Zu-kunft als vielmehr Worte, die sich auf die Gegenwart bezo-gen. Prophetie ist Zeitansage, Ansage dessen, was jetzt, hier und heute von Bedeutung ist. Und so lautet das Zentrum unseres Textes: Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. Aber ihr wollt nicht.
Diese Worte galten den Israeliten vor 2700 Jahren und sie gelten uns gleichermaßen:
Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. Aber ihr wollt nicht.

Stille in uns und Stille um uns, das ist zu einem seltenen, kostbaren Gut geworden.

Es ist laut geworden um uns herum und auch laut in vielen Menschen. Wir sind umgeben von Geräuschen, wir machen Geräusche und umgeben uns ständig damit. Kein Einkauf mehr ohne Musikbegleitung im Geschäft; keine Gaststätte mehr ohne Unterhaltungsmusik, in vielen Wohnungen laufe Radio und Fernseher rund um die Uhr. Und dazu Feiern, Feiern, Feiern ohne Ende. Immerzu irgendetwas los. Das alltägliche normale Leben wird als langweilig und öde emp-funden. Darum Unruhe, Abwechslung und viel, viel Tempo, damit wir nicht zur Ruhe und damit auch nicht zur Besinnung kommen.

Zufällig ist das alles nicht. Dahinter lauert eine Absicht, eine Absicht, die uns noch nicht einmal bewusst sein muss. Es ist wohl in unserer Gesellschaft eine Art Furcht vor der Stille, vor der Leere, vor den ungefüllten Minuten und Stunden. Und für diese Angst kann es m. E. nur eine Begründung geben: Die Menschen haben Angst sich selber in der Stille zu begegnen. Konfrontiert zu werden mit dem, was im eigenen Leben gelungen und was misslungen ist, konfrontiert zu werden mit den Hoffnungen, die man hatte, mit den Enttäu-schungen, die einem zugemutet werden, mit den Zielen, die einem wichtig waren und mit dem, was wirklich unser Leben bestimmt.

Und obwohl die Menschen die Ruhe und die Stille meiden, und wir gehören alle auch dazu, haben die gleichen Menschen oft ein großes Verlangen nach Ruhe, nach Stille – nach ruhigen Orten, nach Zeiten der Stille, nach ganz leeren Momenten, nach weitem Raum.

Welche Eindrücke einer Urlaubsreise bleiben uns oft am längsten in Erinnerung? Nicht selten ist es der einsame Strandspaziergang, die Ruhe und Stille in den Bergen, wo nur der Wind zu hören ist, es ist die Abgeschiedenheit bei einer Wanderung im Wald oder das Zur Ruhekommen in einer uns fremden Kirche.

Viele von uns wissen genau, dass uns die Ruhe gut tut. Viele von uns ahnen auch, dass wir manches verfehlen, wenn wir jeder Abwechslung nachgehen, jedes Fest besuchen und jeden Film gesehen haben müssen.

Leben ist ja nicht so sehr Menge als vielmehr Tiefe.

Nicht die Menge der Erfahrungen und der Erlebnisse bringt die Erfüllung, sondern ihr tiefes Erleben.

Viele Menschen ahnen oder wissen auch, dass sie Gott eher in der Stille begegnen und hören als in den vielen Geräu-schen um sich herum. Nicht zufällig haben viele Landeskir-chen dies vor Jahren erkannt und Häuser der Stille einge-richtet. Und auch andere Angebote von Landeskirchen, wie Schweigeexerzitien werden gut angenommen.

Die Stille ist ein seltenes und wertvolles Gut, das wir brau-chen wie das Wasser zum Leben.

Wegen dieses alten Verlangens nach Stille, liebe Gemeinde, werden heute diese alten Gottesworte wieder gelesen und in Erinnerung gerufen: Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein.

Unter der rauen Schale dieser Worte steckt doch bei nähe-rem Hinsehen, bei näherem Hinhören ein freundlicher Kern, eine heilsame Botschaft.

Der Satz beinhaltet die Möglichkeit des Stillewerdens. Wir können stille sein und Hoffnung finden. Wir können stärker, gewisser werden durch Stille. Wenn wir es wollen.

Wir können stärker werden durch die Begegnung mit uns selbst. Uns wahrzunehmen, wie wir wirklich sind: Im Guten wie im Schlechten, im Gelingen und im Versagen. Nicht ei-nem Bild hinter hereilen, so oder so müsse man heute sein, sondern sich wahrnehmen, wie man wirklich ist, sich selber stellen und realistisch die eigenen Möglichkeiten und Chancen erkennen.

Und dann, indem man sich selber erkannt und wahrgenom-men hat, Gott in der Stille begegnen.

Mich vor seinem Angesicht noch einmal betrachten: Dank für seine Begleitung sagen, Dank für seine Fürsorge. Und auch die Schuld bekennen, im Verhältnis zu ihm und meinem Nächsten. Und seine Vergebung empfangen, die mich frei machen will für das neue Jahr.

In der Stille liegen Kräfte, die uns manchmal gar nicht so bewusst sind, die wir aber entdecken können, wenn wir uns darauf einlassen. So wie wir es am Anfang des Gottesdiens-tes für eine Minute miteinander versucht haben.

Durch Stillesein und Hoffen werdet ihr stark sein, so darf ich jetzt den Bibeltext mit einem geänderten Wort versehen. Gott will nicht unseren Untergang, er will immer wieder neues Leben stiften. Und dieses neue Leben keimt auf und wächst in der Stille, in der Ruhe und in der Besinnung auf das, was wirklich wichtig ist im Leben und im Sterben.

Alle Hoffnung und Zuversicht kommt aus der Stille – aus dem ruhigen Abwägen meiner Möglichkeiten, meiner Schwächen und meiner Bitte um Gottes Beistand und Hilfe. Darum lassen Sie uns solche stillen Zeiten suchen im kom-menden Jahr; hier in der Kirche und auch zu Hause, in un-serer Lebensgestaltung. Stille ist kostbar. Und sie ist um-sonst. Sie ist ein Geschenk Gottes.
Amen.


Verfasser: Pfarrerin Dr. Christiane Braungart
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