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Die wartende Gemeinde

von Hansjürgen Günther (64342 Seeheim-Jugenheim)

Predigtdatum : 28.05.2006
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Christi Himmelfahrt
Textstelle : Jeremia 31,31-34
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Wochenspruch:

Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen. (Johannes 12,32)
Psalm: 27,1.7-14 (EG 714)

Lesungen

Altes Testament:
Jeremia 31,31-34
Epistel:
Epheser 3,14-21
Evangelium:
Johannes 15,26-16,4

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 123
Jesus Christus herrscht als König
Wochenlied:
EG 128
Heilger Geist, du Tröster mein
Predigtlied:
EG 560
Es kommt die Zeit
Schlusslied:
EG 120
Christ fuhr gen Himmel

31 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, 32 nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, ein Bund, den sie nicht gehalten haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der HERR; 33 sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein. 34 Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.

Liebe Gemeinde,
ein berühmter, wunderbarer, aber auch höchst problematischer Text, der uns zum heutigen Sonntag Exaudi als Predigttext empfohlen wird. Wir Christen haben immer wieder behauptet, diese Verheißung vom neuen Bund könne man erst von Jesus her richtig verstehen. Mit dieser Verheißung vom neuen Bund zeigt der Prophet Jeremia am Ende seiner schrecklichen Laufbahn als Ansager des Gerichts für sein Volk Israel doch noch einen kleinen Schimmer einer großen Hoffnung.
Wir Christen verweisen dann gern auf den Herrn der Kirche und sagen, diese Verheißung sei mit Karfreitag, Ostern und Pfingsten erfüllt. Mit Jesus sei also die Zeit des neuen Bundes gekommen. Und wir können uns dabei auf Jesus selbst berufen, auf die Überlieferung vom letzten Abendmahl, wo Jesus selbst sagt: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut“. Jetzt ist also Heilszeit!
Unsere jüdischen Geschwister würden vermutlich an dieser Stelle leidenschaftlich widersprechen. Sie würden mit gewissem Recht auf den realen Zustand der Welt und der Kirche verweisen und fragen: „Wo ist denn das Heil? Liebe Christen, bei allem Respekt, seht Euch doch Eure Kirche an und die Welt mit ihrem desolaten Zustand, der bestimmt ist von Hass, Krieg, Zerstörung und Tod! Nein, Jeremia hat etwas anderes gemeint. Gott hat etwas anderes durch ihn verheißen, etwas unendlich viel Größeres und Herrlicheres als Euer Christentum.“
Liebe Gemeinde, ich fürchte, wir werden mit diesem Widerspruch leben müssen. Vielleicht ist es ein heilsamer Stachel, der uns bei unseren Betrachtungen dieses Textes begleitet. Vielleicht bewahrt er uns auch vor falscher Selbstsicherheit und Überheblichkeit.
Wer das Prophetenbuch des Jeremia aufschlägt und liest, spürt bald die ganze Tragik seines Auftrags: Er muss einem halsstarrigen Volk den beschlossenen Untergang Jerusalems und seine Deportation nach Babylon ansagen. Dafür wird er angefeindet, ins Gefängnis geworfen, der Wehrkraftzersetzung und Lüge angeklagt. Gern hätte er seinen göttlichen Auftrag einfach hingeschmissen.
Wir verstehen nur allzu gut, wenn er klagt (20,7-9): „Jahwes Wort ward mir zum Schimpf und Hohn den ganzen Tag. Dachte ich aber: Ich will nichts mehr davon wissen, nicht mehr reden in seinem Namen, ward es mir in meinem Herzen wie brennend Feuer, verhalten in meinen Gebeinen. Ich mühte mich, es auszuhalten – und konnte es doch nicht!“ Noch immer spüren wir beim Lesen dieser zweieinhalb Jahrtausende alten Texte die enorme seelische Belastung, unter der dieser Mann stand.
Vortrefflich fasst Martin Luther die tiefe Tragik seines Prophetenamts zusammen: „Denn er ein elender, betrübter Prophet gewesen ist, zu jämmerlich bösen Zeiten gelebt, dazu ein trefflich schwer Predigtamt geführet, als der über vierzig Jahre bis zum Gefängnis sich mit bösen, halsstarrigen Leuten hat müssen schelten und doch wenig Nutz schaffen, sondern zusehen, dass sie je länger je ärger wurden und immer ihn töten wollten und immer ihm viel Plage anlegten.“
Und nun also dieser helle Schein am Hoffnungshorizont: Einen neuen Bund wird Gott mit seinem Volk schließen. Drei Kennzeichen dieses neuen Bundes werden genannt:
1. „Ich werde mein Gesetz in ihr Herz schreiben“, sagt Gott. Es wird für die Menschen ein Herzensbedürfnis sein, nach Gottes Willen zu leben. Jeremia spricht offenbar von Menschen, die ohne Zwang aus sich heraus das Rechte tun und aus der Liebe leben. „Ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein“, so die Verheißung.
2. Keiner wird mehr den andern belehren.“ - Wir würden das heute vielleicht herrschaftsfreie Kommunikation nennen. Der neue Bund, das ist die Welt, in der keiner oben ist und die andern unten oder hinten. Keine Frontalsituation wie in manchen Schulen und vielen Kasernen und erst recht bei allen sozialen Konflikten. Der Chef wird den Mitarbeitenden gerecht, die Männer den Frauen, die Alten den Jungen. Jede/r hat ein Gespür für die Not der andern und sucht nach gerechten Lösungen.
3. „Ich will ihrer Sünden nicht mehr gedenken“, verspricht schließlich Gott. Das meint nicht bloß: Ich tilge ihre Strafpunkte in meiner himmlischen Verkehrssünder-Kartei. Das alte Israel hatte einen umfassenderen Schuldbegriff. Es ging um Frevel und seine Folgen: zerstörte Beziehungen, zerstörte Leben, zerstörte Zukunft, zerstörte Würde und Freiheit. Gott verspricht Befreiung aus dem Teufelskreis, in dem alle Kinder, selbst die Ungeborenen, immer schon Opfer der Weltzerstörung und Schuld ihrer Eltern sind.
Also, dieser „neue Bund“ zielt auf eine wirklich menschliche Welt, in der die Liebe regiert, Gleichheit und Freiheit herrschen, und in der die Vergangenheit kein Strudel mehr ist, der immer mehr Zukunft in sich hineinreißt und zermalmt.
So gesehen müssen wir eigentlich zugeben: Unsere jüdischen Geschwister haben recht. Dieses Reich ist noch nicht gekommen. In der Welt nicht, in der Kirche nicht, und wohl auch nicht in unseren Herzen. – Und doch steht da Jesus am Vorabend seiner Kreuzigung, den Abendmahlskelch in der Hand und sagt: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut!“
Das ist kein Triumphgeschrei, sondern eine leise Stimme. Sie verspricht, dass die Liebe in der Welt ist und bleibt! Die Liebe, das Neue und Erneuernde, das Jeremia gesehen hat, die ansteckende Menschlichkeit ist in der Welt mit diesem Mann aus Nazareth. Sie ist kein Traum, sondern ein Stück wirkende Wirklichkeit.
Heißt das: Jeremia und überhaupt das ganze Alte Testament als Geschichte der Verheißungen Gottes seien überholt? Nein, nicht überholt, sondern bestätigt und bekräftigt durch Jesus. Es darf gehofft werden, liebe Gemeinde, die Liebe Gottes ist in der Welt und ist nicht totzukriegen! Amen.

Verfasser: Pfr. Dr. Hansjürgen Günther, Villastr.8, 64342 Seeheim-Jugenheim

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