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Früchte des Geistes

von Stephan Arras (64743 Beerfelden)

Predigtdatum : 05.08.2001
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 7. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Johannes 9,1-7
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Wochenspruch:

Lebt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.
(Epheser 5,8b.9)

Psalm: 48,2-3a.9-11

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 2,1-5
Epistel:
Epheser 5,8b-14
Evangelium:
Matthäus 5,13-16

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 440,1-4
All Morgen ist ganz frisch und neu
Wochenlied:
EG 318
O gläubig Herz, gebenedei
Predigtlied:
EG 552
Einer ist unser Leben
Schlusslied:
EG 432,1-3
Gott gab uns Atem

Hinführung:
Grundsätzliches
Heilungsgeschichten Jesu bergen die Gefahr in sich, dass man beim Nachdenken über die wundersame Heilung stehen bleibt. Angesichts der damaligen medizinischen Erkenntnisse dürfte die Frage nach dem „Wunder“ nicht das Hauptmotiv des Textes sein. Es geht vielmehr um ein sehr hintergründiges Nachdenken über Blindheit: Vordergründig wird der Blinde geheilt, hintergründig wird durch das Heilungswunder die Blindheit der Herzen derer aufgedeckt, die nicht erkennen, wer Jesus wirklich ist. Den Lesern (und Hörern) dieser Geschichte sollen die Augen geöffnet werden für Jesus als den, der das Reich Gottes bereits jetzt in der Welt beginnen lässt.

Kontext:
Diese „Blindheit des Herzens“, das heißt das Nicht-Sehen, wer Jesus ist, wird sehr schön in den auf die Heilung folgenden Versen deutlich: Die Ratlosigkeit angesichts der wunderbaren Heilung mündet in die Ablehnung Jesu. Die Mehrheit der Menschen „sieht“ nicht, wer er ist.

Zur Predigt:
1) Beginnen möchte ich mit einem Nachdenken über das, was Blindheit für einen Menschen bedeutet. Wenn in der Gemeinde blinde Menschen bekannt sind, dann ist es lohnend, sie in die Predigtvorbereitung und in den Gottesdienst mit zu integrieren.
2) Anknüpfungspunkt an das Heute ist auch die Frage nach der Schuld, der sogenannte Tun-Ergehen-Zusammenhang. Damals wie heute fragen die Menschen bei Krankheiten nach der Ursache, oft genug nach Schuld. Jesus durchbricht diesen Zusammenhang, er fragt nach dem „Wozu“: Die Blindheit dieses einen Menschen hat den Sinn, dass an ihm Gottes Reich offenbar werden soll.
3) Eine Vertiefung dieses „Sehens mit dem Herzen“ bietet das bekannte Zitat aus dem „Kleinen Prinzen“ von Antoine de Saint – Exupéry. Ich erzähle die Episode in der Predigt nach.

Liebe Gemeinde!
Sie sehen mich hier vorne auf der Kanzel stehen. Sie sehen – wie die meisten Menschen sehen können. Und wenn man blind ist?
Für die meisten von uns sind Begegnungen mit blinden Menschen sehr selten. Aber ich erinnere mich an solche Begegnungen: Ich komme auf jemanden zu, der mich nicht richtig anschaut und dann sagt: Ich bin blind.
Für Sehende ist das nahezu unvorstellbar: Blind sein! Denn wir nehmen so unglaublich viel über die Augen wahr: Licht und Dunkel, Schönheit, den Verkehr, die Mimik und Gesichtsausdrücke anderer Menschen, Fernsehen, Computer, Werbung. Selbst zu Musik gibt es heute Musikvideos. Das Hören allein reicht vielen nicht. Und so gehört zu jedem Rockkonzert eine gigantische Bühnenshow – Musik für die Augen. Und längst telefoniert man nicht mehr nur mit Mobiltelefonen, sondern schickt sich kurze Texte und bald auch bunte Bilder aus dem Internet via UMTS. Wir modernen Menschen sind auf visuelle Wahrnehmung ausgerichtet.
Wie kommt man als Blinder zurecht?
Als Sehender kann man sich das kaum vorstellen. Man kann sich nur erinnern an Gespräche mit Blinden. Ich möchte kurz von einer Reise mit drei blinden Frauen durch Israel erzählen. Da waren wir unter anderem auch in der Wüste unterwegs. Das Faszinierende für mich war: Sie „sahen“ mit den Ohren und dem Geruchssinn und der Gabe, etwas genau ertasten zu können. Sie beschrieben, wie die Wüste klingt und riecht, und sie erschlossen sich Ausgrabungen durch das Ertasten einzelner Gegenstände und Mauerreste. Und so „sahen“ sie – vielleicht mehr als die Sehenden.
Blindheit. Von einem blinden Menschen handelt die Geschichte aus dem Johannesevangelium, die heute unser Predigttext ist:
1 Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war.
2 Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist? 3 Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm. 4 Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. 5 Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. 6 Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden. 7 Und er sprach zu ihm: Geh zum Teich Siloah - das heißt übersetzt: gesandt - und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.
In der Geschichte von Jesus und dem Blinden steht eine Frage im Mittelpunkt, die damals wie heute die Menschen beschäftigt: Gibt es eine Ursache dafür, dass jemand eine solche Krankheit hat?
Die Anwesenden fragen: Hat der Blinde sich etwas zuschulden kommen lassen? Oder die Eltern? - Damals hat man hinter Krankheiten Schuld vermutet: Grundlos ist niemand blind - es muss ein schuldhaftes Verhalten vorliegen.
Denken Sie nicht, man hätte nur damals so gedacht: Auch heute spielt die Frage nach Schuld und Unschuld eine große Rolle beim Kommentieren von Krankheiten. So wird beispielsweise bei einer Krebserkrankung immer gleich gefragt: War er Raucher? Wenn ja, heißt es gleich: Selbst schuld! Und umgekehrt: Wie oft heißt es bei dem Opfer eines Verkehrsunfalls: Sie war doch unschuldig!
Jesus weist diese Frage nach einer Ursache zurück. Er blickt nach vorne und sagt: Dieser Mensch ist blind, damit an ihm etwas deutlich werden kann. Jesus durchbricht den Zusammenhang zwischen Schuld und Krankheit, an den damals die Menschen glaubten - und heute manche abergläubische Menschen wieder glauben. Jesus fragt nicht: Warum ist da jemand krank; in diesem Fall: blind, sondern er fragt: Wozu ist der Mensch da blind?
Und dann heilt er den Blinden.
Und wozu geschieht die Heilung? Was soll deutlich werden durch sie? Zwei Dinge fallen mir auf, ja, in zweifacher Hinsicht werden mir die Augen im Blick auf Jesus geöffnet:
1.) Mit Jesus beginnt in Ansätzen das Reich Gottes, von dem die Offenbarung sagt, dass es dort kein Geschrei, kein Leid und keinen Schmerz mehr geben wird. Dass das deutlich werden kann, diesen Sinn hat die Blindheit des Menschen vor ihm, der einzige Sinn. Jesus zeigt durch diese eine Heilung, was einmal für alle gelten wird. Heiles Leben. Jetzt nur in Ansätzen, exemplarisch. In Gottes Reich aber, so wird es in der Offenbarung verheißen, für alle Menschen.
2.) Jesus selber als das Licht der Welt offenbart sich hier. „Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt“, sagt er. Wenige haben das damals erkannt. Auch in der Fortsetzung dieser Geschichte ist davon die Rede, dass die Augenzeugen ratlos waren oder verärgert oder sie sahen es als Anmaßung, was Jesus da tat. Nur wer mit dem Herzen sah, wer Jesus glaubte, ihm vertraute, dem wurden die inneren Augen geöffnet. Und so erkannten die Jünger und einige Frauen und manche mehr, wer Jesus war. Sie sahen in ihm das Licht der Welt, den Sohn Gottes.
Und das ist noch heute so. Nur wer mit dem Herzen sieht, nur wer glaubt, kann Jesus sehen als den Herrn, den Sohn Gottes, den Erlöser, den Hoffnungsträger der Auferstehung von den Toten. Für andere bleibt er ein Aufrührer, oder Spinner, oder einer voller Torheit.
Eine Geschichte also, in der es nicht nur um blinde Augen geht, sondern auch um blinde Herzen. Und insofern steckt in ihr mehr drin als nur eine wunderbare Heilung eines Blinden. Wenn wir heute diese Geschichte hören, dann will sie uns sagen:
Es gibt offensichtlich eine noch schlimmere Krankheit als Blindheit: Nämlich die Blindheit des Herzens:
* Menschen leben nebeneinander und merken es einfach nicht, wie es dem anderen geht. Es herrschen Gleichgültigkeit und Blindheit in der Beziehung. Wir kennen diese Blindheit, wenn wir nachdenken, nur zu gut.
* Blindheit des Herzens gibt es auch im Blick auf die Schöpfung: Wie viele moderne Menschen sind blind den Wundern der Natur gegenüber. Sie können nicht mehr staunen über die Vielfalt der Schöpfung, über die Schönheit all dessen, was der Mensch nicht selbst geschaffen hat.
* Blindheit des Herzens gibt es auch im Blick auf die geistigen Zusammenhänge: Viele Menschen sagen: Ich glaube nur, was ich sehe. Und sie reduzieren so die Welt auf die Dinge dieser Welt. Sie sind blind den geistigen Zusammenhängen gegenüber, dem Unerklärbaren, der Ahnung von Gott, vielleicht auch der Liebe.
Zum Schluss möchte ich Sie in eine Episode aus dem Märchen „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint - Exupéry einladen:
Da lebt der kleine Prinz auf seinem sehr kleinen Planeten. Dort wächst eine einzige Rose, und für die hat er sehr gut gesorgt und sie schließlich sehr liebgewonnen.
Eines Tages beschließt er, andere Planeten zu besuchen und kommt so auf die Erde. Da ist ein blühender Rosengarten. Die Rosen gleichen alle sehr seiner Rose. Da wird er ganz traurig, denn seine Rose hatte ihm erzählt, sie sei einzigartig auf der Welt. Er wirft sich ins Gras und weint, denn er hatte geglaubt, eine ganz besondere, einzigartige Rose zu haben, und nun gleicht sie tausend anderen.
Da kommt ein Fuchs vorbei. Der kleine Prinz will mit ihm spielen. Da sagt der Fuchs: „Das geht noch nicht, denn ich bin noch nicht gezähmt“. Und er erklärt dem kleinen Prinzen, dass „zähmen“ bedeutet, sich vertraut machen. Man muss ein inneres Verhältnis gewinnen. Und dann wird aus dem gewöhnlichen Fuchs ein ganz besonderer. Und so ist die eine Rose auf dem Planeten des kleinen Prinzen, auch wenn sie tausend anderen gleicht, eine ganz besondere für den kleinen Prinzen. Denn er hat sie gehegt und gepflegt.
Am Ende dieser Episode sagt der Fuchs dem kleinen Prinzen sein Geheimnis: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
Mit dem Herzen sehen. Nur so kann man anderen Menschen wirklich nahe kommen. Und nur mit dem sehenden Herzen kann man verstehen, wer Jesus war. Jesus hat sich durch solche Geschichten wie die von der Heilung eines Blinden uns Menschen bekannt gemacht.
Das ist die Kernbotschaft der Geschichte von der Heilung eines Blinden. Ob sie uns hilft, dass wir mit dem Herzen sehen lernen? Ich wünsche es uns allen. Amen.

Verfasser: Pfr. Stephan Arras, Marktplatz 10, 64743 Beerfelden

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