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Gebote der Freiheit

von Matthias Welsch (Ev. Kirchengem. Ober-Roden)

Predigtdatum : 07.10.2007
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 16. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : 2. Mose 20,1-17
ggf. Homepage, auf der die Predigt verzeichnet ist : http://home.arcor.de/kumwelsch/Predigtseite/html/gebote.html
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Predigt zum 18. Sonntag nach Trinitatis
Datum: 07.10.2007
Matthias Welsch

2. Mose 20,1-17
201 Und [a] Gott redete alle diese Worte:
2 Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe. [a]
3 Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. [a]
4 Du sollst dir [a] kein Bildnis noch irgendein Gleichnis[A] machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist:
5 Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein [a] eifernder Gott, [b] der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen,
6 aber Barmherzigkeit erweist an vielen tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten. [a]
7 Du sollst [a] den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht mißbrauchen; denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen mißbraucht.
8 Gedenke des Sabbattages, daß du ihn heiligest. [a]
9 Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun.
10 Aber am siebenten Tage ist der [a] Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt.
11 Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn. [a]
12 Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß du lange lebest in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, geben wird. [a]
13 Du sollst nicht töten. [a]
14 Du sollst nicht ehebrechen. [a]
15 Du sollst nicht stehlen. [a]
16 Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. [a]
17 Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, Knecht, Magd, Rind, Esel noch alles, was dein Nächster hat. [

Liebe Gemeinde,

ich muss zugeben, dass es mir heute mit diesem alten Text besonders schwer fällt zu predigen. Das hat mehrere Gründe:
1. Der Text gehört mit Sicherheit zu den bekanntesten Texten der ganzen Bibel. Auch wer nicht in die Kirche geht hat davon gehört und kennt ihn.
2. Seine Inhalte scheinen uns selbstverständlich und daher ist es doch gar nicht mehr notwendig darüber zu reden, außer im Konfirmanden oder Religionsunterricht,
aber es kommt
3. auch eine gewisse Abneigung dazu als Kirche in Geboten zu den Menschen zu reden gerade in unserer Zeit.
Es könnte klingen wie es ein kleines Gedicht von Bertold Brecht beschreibt, es heißt:
„Was ein Kind gesagt bekommt“
und geht so:
„Der liebe Gott sieht alles,
Man spart für den Fall des Falles.
Die werden nichts, die nichts taugen.
Schmökern ist schlecht für die Augen.
Kohlentragen trägt die Glieder.
Die schöne Kinderzeit kommt nicht wieder.
Man lacht nicht über Gebrechen.
Du sollst Erwachsenen nicht widersprechen.
Man greift nicht zuerst in die Schüssel bei Tisch.
Sonntagsspaziergang macht frisch.
Zum Alter ist man ehrerbötig.
Süßigkeiten sind für den Körper nicht nötig.
Kartoffeln sind gesund.
Ein Kind hält den Mund.“

Lauter Erwachsenenweisheiten- und Ge- bzw. Verbote, die Kinder so gesagt bekommen. Manchmal nur so daher geredet zeigen sie Kindern ihr Verhältnis der Unterordnung zu Erwachsenen auf. Vielleicht liegt da auch ein Teil des Unbehagens gegenüber den 10 Geboten begründet. Sie stammen aus einer fernen Zeit, in der die Menschen wie Kinder behandelt werden, von Gott und von der Kirche. Als mündiger Mensch lassen wir uns nicht so leicht von einem „Du sollst“ ansprechen. Wir wollen gerne selbst entscheiden und den Mund nicht halten. Ein Gott, der alles sieht ist uns dann zumal suspekt. Und sicher auch zu recht.
Irgendwie müssen wir heute also anders an die zehn Gebote herangehen, ihnen nicht in der Rolle der Kinder begegnen, sondern einen neuen Zugang versuchen.
Immerhin gehört es nach der Umfrage der Evangelischen Kirche in Deutschland für gut 90% der Christinnen und Christen zum evangelisch sein, dass man sich bemüht, ein anständiger und zuverlässiger Mensch zu sein und die Freiheit anderer tolerant zu achten. 30% weniger Zustimmung erhält allerdings die Aussage, es gehöre dazu nach den 10 Geboten zu leben.
Es gibt ein diffuses Gefühl von christlichen Werten, könnte man daraus schließen, die Konsens sind, sowie dann aber diese wie in den 10 Geboten konkret definiert werden, schrecken doch einige davor zurück. Wie wohl es da sicher auch noch Abstufungen zwischen den einzelnen Geboten gibt. Der Sonntag als Ruhetag, oder das Ehebruchverbot würden vermutlich noch weniger Zustimmung finden.
Also was, tun mit dem alten Text, den Mose am Berg Sinai als Gesetz des Zusammenlebens von Gott selbst erhält.
Es sind in der Auslegung der zehn Gebote viele Versuche gemacht worden, sie uns für unsere Zeit zugänglicher zu machen: Ernst Lange hat sie in die zehn großen Freiheiten umformuliert und damit betont, dass sie entstanden sind, nachdem Israel aus der Sklaverei in Ägypten befreit wurde.
Das diese Regeln uns tatsächlich die Freiheit sichern ist unbestreitbar. Das Gebot, du sollst nicht töten, schützt unser aller Leben, auch wenn es der Menschheit - auch den Christen - anscheinend in der Geschichte dennoch nie schwer gefallen ist, diesen Grundsatz zum Beispiel in kriegerischen Auseinandersetzungen, dann doch nicht für so wichtig zu halten.
Das alte Testament und Jesus selbst haben die Quintessenz aus den zehn Geboten im Doppelgebot der Liebe gezogen: Wonach zuerst die Gottesliebe kommt und aus ihr die Liebe zum Nächsten erwächst.
Eine Beobachtung am Urtext im Hebräischen mag uns wieder auf die Spur des befreienden Geistes der 10 Gebote führen. Der Text ist eigentlich in drei symmetrisch konstruierte Abschnitte geteilt. Das erklärt auch, warum in der deutschen Übersetzung die einzelnen Gebote so verschieden lang sind.
Der erste Teil behandelt in sechs Abschnitten das Verhältnis zwischen Gott und Mensch.
Der zweite Teil, die Mitte des Textes verhandelt den Schabbat, den göttlichen Ruhetag nach der Schöpfung. Den Grund und die Ursache also, warum es ein Verhältnis zwischen Gott und Mensch überhaupt gibt.
Und der dritte Teil behandelt wieder in sechs Abschnitten, die zwischenmenschlichen Beziehungen in ganz grundlegender Weise.
Die Mitte und das zentrale Thema des Textes ist dann vielleicht gar nicht das Gebot selber, sondern der Grund, warum wir Menschen befreit sind, uns positiv zu Gott und zu einander zu verhalten. Der Grund ist für den Text und für das Judentum der Schabbat. Der Tag, an dem wir selbst ruhen sollen, also aufhören, selbst etwas zu tun, sondern uns ganz Gott selbst überlassen.
Dieser Teil ist streng genommen kein Gebot und er ist auch bewusst nicht als Gebot formuliert: „Gedenke des Sabbattages“. Es wird daran erinnert, dass Gott die Welt geschaffen hat. Das ist der Grund für all unsere Freiheit, für unser Leben schlechthin. Und Gott hat diese Schöpfung auch selbst gefeiert. Er feierte Schabbat, Schöpfungsruhe nach der Vollendung seines Werkes: „Und er sah an, alles was er getan hatte und siehe, es war sehr gut.“ Aus diesem Satz speist sich der Geist des Dekaloges. „Siehe es war sehr gut“. Das ist der Ausgangspunkt von dem wir herkommen. Der Sabbat ist die Möglichkeit dieses Staunen an der Schöpfung wahr zu nehmen, inne zu halten und mit einzustimmen in diesen göttlichen Ausruf: Und siehe, es war sehr gut. Das Gesetz, die Gebote sind diesem einen Satz untergeordnet. Das Thema der 10 Gebote ist die Freude an der Schöpfung und der Frieden der Schöpfung, die Gott mitten in sie hinein geschaffen hat. Von dieser Mitte aus verlieren die anderen Gebote ihren dogmatischen Klang, sie werden vielmehr zu einer Freiheitsmusik, die wir nicht oft genug singen können.
Siehe es war sehr gut, wie Gott die Welt geschaffen hat: Wir brauchen sie nicht an Gottes Statt zu beherrschen oder grundlegend zu verändern, wir wissen ja, wenn wir es versuchen, besteht die Gefahr, dass wir die Schöpfung aus dem Gleichgewicht bringen und zerstören, wir sollten Gott achten und damit sein Werk und seine Schöpfung. Wir können uns auch unseren Mitmenschen in Liebe zu wenden, dann erfüllen sich die Gebote vom zwischenmenschlichen Zusammenleben fast von selbst. Nicht umsonst hat Jesus die Gebote im Doppelgebot der Liebe zusammengefasst. Auch darin kommen die zwei Aspekte zum Vorschein, die vertikale Linie, das Verhältnis zwischen Gott und Mensch, Du sollst den Herren deinen Gott lieben von ganzem Herzen von ganzer Seele und von ganzem Gemüt und die horizontale Linie: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Aus Horizontale und Vertikale entsteht das Zeichen der Christenheit, das Kreuz und im Schnittpunkt des Kreuzes, im Mittelpunkt, da, könnte man sagen, finden wir das Schabbatgebot mit der zentralen Aussage: Und siehe, es ist sehr gut. Mit Gottes Augen lernen wir das an jedem Sonntag neu sehen und so können wir Gott und unsere Mitmenschen wieder voll Liebe ansehen. So sind die Gebote Befreiung, nicht Gesetz, sondern Evangelium.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.