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Gott kommt und schafft Freude

von Karsten Müller (39104 Magdeburg)

Predigtdatum : 21.12.2008
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 4. Advent
Textstelle : Lukas 1,(39-45).46-55(56)
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Wochenspruch:

Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe! (Philipper 4, 4.5b)

Psalm: 102, 17 – 23 (EG 741)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 52, 7 - 10
Epistel:
Philipper 4, 4 – 7
Evangelium:
Lukas 1, ( 39 – 45 ) 46 – 55 ( 56 )

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 16
Die Nacht ist vorgedrungen
Wochenlied:
EG 9
Nun jauchzet, all ihr Frommen
Predigtlied:
EG 4
Nun komm, der Heiden Heiland
Schlusslied:
EG 13
Tochter Zion, freue dich

Liebe Gemeinde,
Weihnachten steht vor der Tür, ein Fest, das mit vielen Umschreibungen versehen ist: Fest des Friedens, Fest der Liebe, Fest des Schenkens und nicht zuletzt: Fest der Familie. Zum Fest der Familie gehört auch, dass wir uns besuchen. Viele Menschen sind in diesen Tagen unterwegs, um zu ihrer Familie zu kommen. Weihnachten ist auch das Fest des Besuchens.
Im Evangelium des vierten Advents ist von einem Besuch die Rede. Wir lesen bei Lukas im 1. Kapitel:

39 Maria aber machte sich auf in diesen Tagen und ging eilends in das Gebirge zu einer Stadt in Juda 40 und kam in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth. 41 Und es begab sich, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe. Und Elisabeth wurde vom heiligen Geist erfüllt 42 und rief laut und sprach: Gepriesen bist du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes! 43 Und wie geschieht mir das, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? 44 Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe. 45 Und selig bist du, die du geglaubt hast! Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dem Herrn.

Die schwangere Maria besucht ihre ebenfalls schwangere Cousine Elisabeth. Ein Besuch unter Schwangeren, wie er sich bis heute abspielt. Wenn Gott Mensch werden soll, geht es eben auch ganz menschlich zu.
Allerdings ist etwas bei diesem Besuch besonders, und darauf richtet die Bibel ihre und unsere Aufmerksamkeit: Maria weiß durch die Botschaft des Engels um die Besonderheit ihrer Schwangerschaft, und Elisabeth ist durch den Heiligen Geist im Bild über das Kind, das ihre Cousine erwartet.

Das sollten wir nicht überhören: Einsichten des Glaubens kommen nicht nur aus unserer eigenen menschlichen Einsicht heraus. Sie werden von außen an uns herangetragen. Wie Menschen „vom Geist erfüllt“ werden können, ist dabei ganz verschieden: Durch Erziehung, durch das Vorbild anderer Menschen oder vielleicht auch durch den Besuch einer Kirche am Heiligen Abend. Da steht plötzlich Gottes Engel im Leben und sagt: So und so ist das.
Auf jeden Fall sehen wir erst durch den Geist klar: Das Kind, mit dem Maria schwanger geht, ist der Herr Jesus, Sohn Gottes, unser Heiland.
„Selig bist du, die du geglaubt hast“, sagt Elisabeth zu Maria. Unser Volksmund kennt die in der Regel abwertend gebrauchte Formel: „Wer’s glaubt, wird selig.“ Warum eigentlich nicht: Wer’s glaubt, dass Maria ein ganz menschliches und doch ganz besonderes Kind zur Welt bringt, der wird zu Weihnachten selig, weil er oder sie nicht nur das Fest des Friedens oder des Schenkens feiert, sondern weil wir feiern können, dass Gott zu uns kommt, zu dir und zu mir.
Maria antwortet auf die Erkenntnis der Elisabeth mit einem Gesang. Wem das Herz voll ist, dem geht tatsächlich der Mund über.
Hören wir weiter auf das Evangelium:

46 Und Maria sprach:
Meine Seele erhebt den Herrn,
47 und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;
48 denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.
Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.
49 Denn er hat große Dinge an mir getan,
der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.
50 Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten.
51 Er übt Gewalt mit seinem Arm
und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
52 Er stößt die Gewaltigen vom Thron
und erhebt die Niedrigen.
53 Die Hungrigen füllt er mit Gütern
und lässt die Reichen leer ausgehen.
54 Er gedenkt der Barmherzigkeit
und hilft seinem Diener Israel auf,
55 wie er geredet hat zu unsern Vätern,
Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.

(Man kann den Lobgesang der Maria auch mit der Gemeinde gemeinsam lesen, weil er in den Anhängen der Gesangbücher abgedruckt ist als Teil des liturgischen Abendgebetes [EKHN/KPS Nr. 785.6; ELKTh Nr. 799])
Wir merken beim Hören (Lesen): Das sind große, gewaltige Worte. Es steckt viel Tiefsinn in ihnen und gleichzeitig die Gefahr, dass sie sich abschleifen, wie andere große Worte auch. Vor diesem Schicksal bewahren wir Marias Worte nur, wenn wir fragen: Was sagen sie uns heute, ein paar Tage vor Weihnachten 2008?
Ich möchte Antworten mit drei Schwerpunkten versuchen:
1. Weihnachten geschieht unter uns
2. Zu Weihnachten geschieht das Große im Kleinen
3. Weihnachten stellt die Dinge vom Kopf auf die Füße

1. Weihnachten geschieht unter uns
Hier singt, betet, lobt eine junge Frau. Eine ganz normale junge Frau spricht aus, was gar nicht normal scheint und bis heute unsere Aufmerksamkeit erregt. Normal heißt hier: Die Weltgeschichte nimmt von ihr nicht Notiz. Was wir heute von ihr durch die Überlieferung wissen, ist ja im Nachhinein erinnert und aufgeschrieben worden. Als es geschah, hat es nur wenige Menschen betroffen, und nur wenige sind Zeugen der Vorgänge gewesen.
Wer nimmt eigentlich von uns Notiz? Die große, weite Welt in der Regel nicht. Die interessiert sich für die meisten von uns nur in unserer Eigenschaft als Verbraucher oder Steuerzahler. Menschen, die mit uns leben, nehmen von uns Notiz: der Partner oder die Partnerin, Kinder, Eltern, Freunde. Je enger wir mit anderen Menschen zusammenleben, desto besser kennen sie uns und wir sie. Trotzdem: im menschlichen Miteinander kommt es immer wieder zu Enttäuschungen, Verletzungen, Missverständnissen. Man verliert sich aus den Augen, Menschen, die früher wichtig waren, sind gleichgültig geworden. Wir nehmen nicht mehr Notiz von ihnen.
Was für menschliche Beziehungen gilt, gilt auch für die Beziehung vieler Menschen zu Gott: Sie nehmen von ihm keine Notiz, weil er in ihrem Leben keine Rolle spielt. Manche sind auch enttäuscht: Gott, das müsste doch etwas ganz Großes sein, etwas, das sichtbare Veränderungen schafft. Aber stattdessen bleibt zu oft im Leben alles beim Alten.
Scheinbar jedenfalls. Denn was für menschliche Beziehungen gilt, gilt nicht für die Beziehung Gottes zu uns Menschen. Gott nimmt zu uns eine Beziehung auf, indem er sich ganz auf unsere Verhältnisse und unsere Existenz einlässt.
Bei Gott geht es um uns. Wenn Gott in unserer Nähe ist, dann geschieht das mitten unter uns. Sonst wäre er ja nicht in unserer Nähe. Wenn uns deutlich wird, das Gott in der Nähe ist, dann geschieht das so, dass wir begreifen, dass uns Gott im Mitmenschen begegnet und wir seine Nähe im Gegenüber erfahren. Die Bibel erzählt, dass ein Engel, ein Gottesbote Maria davon informierte, was Gott mit ihr vorhat. Wir haben Vorstellungen davon, wie ein Engel auszusehen hat, aber wissen wir wirklich, wie ein Gottesbote aussieht?
Wenn es geschieht, dass Gott zu Weihnachten Mensch wird, dass er uns begegnet in der geringsten Schwester oder dem geringsten Bruder, dann müssen wir genau hinschauen, damit wir nicht übersehen, wenn Weihnachten unter uns geschieht.

2. Zu Weihnachten geschieht das Große im Kleinen
Wo geschehen die wichtigen Dinge in der Welt? Im Weißen Haus oder im Kreml? In Peking oder in Berlin? Werden im tropischen Regenwald unsere Weichen für die Zukunft gestellt oder auf den abschmelzenden Polkappen? Wie ist es mit der Börse oder den Ölquellen?
Vor 2000 Jahren hätte man vielleicht geantwortet: Die wichtigen Dinge geschehen in Rom. Dort hält der Kaiser Augustus das Heft fest in der Hand. Rom ist die Zentrale. Von dort kommen die Anweisungen, die in der Provinz umzusetzen sind. „Es ging ein Gebot aus von dem Kaiser Augustus“ oder „Bundestag und Bundesrat haben beschlossen...“ – wir kennen das.
Es wäre auch völlig abwegig, wenn wir leugnen wollten, dass die Dinge, die etwa in Berlin ausgedacht werden, uns nicht beträfen. Von daher geschieht dort schon Großes. Auch die Volkszählung des Augustus hat die Leute ja betroffen bis in ihr persönliches Leben hinein - „Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger.“
So kommt die Geschichte ins Rollen. Aber die Politik des Augustus, damals vielleicht als das „Große“ wahrgenommen, wie eben die so genannte „große Politik“ heute auch, ist eben nur der Rahmen, nur der Treibriemen, nur das Mittel zum Zweck.
Das wirklich Große geschieht im Kleinen. Von Rom aus gesehen liegen Bethlehem und auch ganz Judäa am Rand der Welt. Kann im Zweifel vernachlässigt werden.
Ein junger Mann und eine junge Frau sind auf dem Weg, fragwürdige Familiensituation, vielleicht später einmal ein Fall für das Sozialamt. Und diese Frau spricht einen so grandiosen Satz aus: „Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.“ Zwischen dem Kaiser in Rom und ihr, zwischen den Regierenden und uns stehen die Instanzen, unüberwindlich viele. Aber zwischen dem, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist und Maria und zwischen ihm und uns steht nichts.
Wo geschehen die wichtigen Dinge dieser Welt? Dort wo Gott Menschen unmittelbar begegnet – damals in Nazareth und immer wieder neu hier unter uns. Was geschieht in diesen Begegnungen? Große Dinge vollziehen sich: Kinder werden geboren, Menschen begegnen sich, Neues entsteht. Zu Weihnachten geschieht das Große im Kleinen.

3. Weihnachten stellt die Dinge vom Kopf auf die Füße
Wir haben in der Regel ein klares Gefühl von „oben“ und „unten“, von dem, was erstrebenswert ist und dem, was man nach Möglichkeit nicht erleben möchte. Es gibt genaue Vorstellungen von dem, was Erfolg und Misserfolg ist.
Maria singt: „Gott übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.“ Wir hören sofort, dass dieser Gesang mit unserem Gottesbild kollidiert: Der „liebe Gott“ übt Gewalt? Da rufen doch die einen: „Keine Gewalt!“, und die anderen denken: „Wenn er es doch mal täte und es den Reichen und Rücksichtslosen mal so richtig zeigen würde.“
So sehr es auch danach aussieht: Maria ist keine Revolutionärin, jedenfalls nicht im oberflächlichen Sinn. Es geht nicht darum, die Mächtigen von der Macht zu entfernen und sich nach Möglichkeit selbst an ihre Stelle zu setzen.
Was gemeint ist, wir deutlich, wenn wir uns einmal die Akteure der Weihnachtsgeschichte anschauen und fragen: Welche hatten damals Bedeutung und von wem reden wir heute noch?
Die Schlagzeilen damals bestimmten Leute wie Augustus und Herodes, der Statthalter Quirinius nicht zu vergessen. Wenn die mit dem Finger schnipsten, dann mussten die anderen tanzen.
Aber haben wir diese Figuren in unseren Krippen dabei? Da stehen Josef und Maria, die Hirten und die Weisen und das Kind. Das sind Menschen, die damals nichts zählten – aber sie sind die, auf die es ankommt.
Und was ist mit den anderen? Luther hat es einmal in seiner drastischen Weise so ausgedrückt: „Die andern wiederum lässet Gott groß und mächtig sich erheben. Er zieht ihre Kraft heraus und lässet sie nur aus eigner Kraft sich aufblasen. ... Wenn nun die Blase voll ist und jedermann meinet, sie liegen oben und haben gewonnen, und sie selbst auch sicher sind und es auf die Spitze gebracht haben, dann sticht Gott ein Loch in die Blase: Dann ist’s ganz aus. Die Narren wissen nicht, dass eben, wenn sie aufgehen und stark werden, sie von Gott verlassen werden und Gottes Arm nicht bei ihnen ist.“
Wohl gemerkt: Diese Sicht auf die Dinge ist keine Rechtfertigung der damals wie heute bestehenden Ungerechtigkeiten. Aber uns wird der Blick geschärft, auf wen und worauf es ankommt. Es geht nicht um Geld und Macht, es geht darum, offen zu sein und zu bleiben für Gott und seine Botschaft, seinen Auftrag. Für Maria damals war das: „Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben“ (Lukas 1, 30-33).
Für uns heute ist es vielleicht: „Eure Güte lasst kund sein allen Menschen!“ (Philipper 4,5). Wie anders sollen denn die Verhältnisse, von denen wir nicht selten den Eindruck haben, sie stehen auf dem Kopf, auf die Füße kommen?
Amen.

Anmerkung: Martin Luther wird zitiert nach: Martin Luthers Evangelienauslegung; Bd. 1; S. 148 f.

Verfasser: Provinzialpfarrer Karsten Müller, Leibnizstraße 4, 39104 Magdeburg

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