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Gottes Macht über den Tod

von Felipe Blanco Wißmann (64354 Reinheim)

Predigtdatum : 19.09.2021
Lesereihe : III
Predigttag im Kirchenjahr : 16. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Klagelieder 3,22-26.31-32
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Wochenspruch: Christus Jesus hat den Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium. (2. Timotheus 1,10b)

Psalm: 68,4-7.20-21.35-36

Lesungen

Reihe I: Johannes 11,1(2)3.17-27(28-38a)38b-45 / Jesaja 58,7-12
Reihe II: 2. Timotheus 1,7-10
Reihe III: Klagelieder 3,22-26.31-32
Reihe IV: Lukas 7,11-17
Reihe V: Hebräer 10,35-36(37-38)39
Reihe VI: Psalm 16,(1-4)5-11

Liedvorschläge

Eingangslied: EG 440 All Morgen ist ganz frisch und neu
Wochenlied: EG 115 Jesus lebt, mit ihm auch ich
Predigtlied: EG 613 Freunde, dass der Mandelzweig
Schlusslied: EG 347 Ach bleib mit deiner Gnade

Predigttext: Klagelieder 3,22-26.31-32

Die Güte des Herrn ist's, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß. Der Herr ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen. Denn der Herr ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt. Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des Herrn hoffen. Denn der Herr verstößt nicht ewig; sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte.

Hinführung

Kerstin Menzel hat während des „Lockdowns“ im Frühjahr Henning Luthers provozierenden pastoraltheologischen Zwischenruf über die „Lügen der Tröster“ (aus dem Jahr 1991) noch einmal für die Zeit der Corona-Pandemie aktualisiert (Kerstin Menzel, „Nur wer klagt, hofft“ – Die „Lügen der Tröster“ in Zeiten der Pandemie, online: https://www.feinschwarz.net/nur-wer-klagt-hofft/ [abgerufen am 5.3.2021]). Luther bzw. Menzel kritisieren massiv eine Kirche, die ihre Anstrengungen angesichts einer trostlosen Welt auf Bestärkung, Trost und Hoffnung richtet. Trost werde zur Lüge, wo Klage nicht oder nur gering dosiert zugelassen wird. Menzel schreibt: „Kirche wäre dann nicht nur der Raum, in dem ich Zuspruch finde, sondern in dem ich zuerst einmal mit all dem sein darf, was schwer ist“.

Der Predigttext aus Klgl 3 erscheint mir geradezu ein Belegtext für diesen Blick auf das Thema Klage und Trost zu sein. Zwar spricht Klgl 3 auch von Hoffnung und Güte – aber eben gerade nicht als Erfahrung eines „Happy Ends“ nach einer Durststrecke, sondern eher als unverfügbarer Lichtblick in einer weiterhin beklagenswerten Welt – nach Kap. 3 folgen weitere Klagelieder.

Hilfreich waren mir Beiträge aus zwei Bänden der „Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext“ von Manuel Goldmann (Wernsbach 2010, 342-348) und Sylvia Bukowski (Berlin 2020, 361-365). Beim im Abschnitt III. der Predigt erwähnten Zeitungsartikel handelt es sich um: Sabine Maurer, Wer zu viel jammert, verspielt die Zuwendung, online: https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article5737337 (abgerufen am 5.3.2021).  Die im letzten Abschnitt der Predigt erzählte Geschichte findet sich in christlichen Lese- und Andachtsbüchern und online in vielen Varianten, ist aber offenbar ursprünglich buddhistisch; vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Kisa_Gotami

Predigt

I.

Liebe Gemeinde!

„Mein Vater hat noch nie geweint“, höre ich ein Kind erzählen. Es klingt ein wenig bewundernd, aber auch verwundert. Wie machen das die Erwachsenen bloß?

Wir wissen natürlich: Erwachsene verstecken Trauer und Tränen oft. Vielleicht ist diese Tendenz speziell bei manchen Männern auch immer noch besonders stark ausgeprägt. Wahrscheinlich wird die Einschätzung des Kindes also nicht so ganz stimmen.

Es gibt in jedem Leben genug Gründe, die zum Weinen bringen können. Und in den letzten Monaten war es wohl besonders schlimm.

Es gibt solche Situationen, da zerbricht alles. Da ist nichts mehr wie vorher. Die Corona-Zeit hat der ganzen Welt da viel zugemutet. Menschen haben ihr Leben verloren, andere die Existenz, das Vertrauen vielleicht auch; in die Politik zum Beispiel. Oder darin, dass es eine gute Zukunft gibt.

Unser heutiger Predigttext stammt aus dem Buch der Klagelieder. Der Titel sagt schon, worum es geht. Hier wird geklagt in einer Welt, die zusammengebrochen ist. Es geht um menschliches Leid nach dem Zusammenbruch eines Staates, nämlich des judäischen Königreiches. 587 v. Chr. wurde Jerusalem von den Babyloniern erobert und zerstört.

Was kann aber helfen, wenn alles zusammenbricht?

„Die Güte des Herrn ist's, dass wir nicht gar aus sind.“ So beginnt dieser Bibeltext. Also: „Es könnte alles noch schlimmer sein“? Das nackte Überleben als Grund zur Freude? Ist das gemeint? Dem will ich nachgehen und heute Morgen drei Schlaglichter auf das Thema „Klage und Trost“ werfen.

Um drei Punkte soll es nun also gehen:

Erstens: Wer klagt, braucht keine Vertröstung.

Zweitens: Klagen ist etwas anderes als Jammern.

Und drittens: Wer klagt, braucht keine Sündenböcke.

II.

Zum ersten Punkt:

Wer klagt, braucht keine Vertröstung.

Ich denke an ein Gespräch mit einem jungen Paar. Sie hatten ein Kind verloren, es war einige Wochen vor der Geburt im Mutterleib gestorben. Das hat Mutter und Vater natürlich sehr mitgenommen. Dann gab es aber noch etwas, was furchtbar war. Und das waren manche Reaktionen anderer Menschen. Die Frau erzählt: „Jemand hat gesagt: Kopf hoch, ihr seid noch jung. Ihr könnt noch viele Kinder haben. Als wäre ein Kind einfach so zu ersetzen.“

Wie ist das bei Ihnen, liebe Gemeinde? Wenn Ihnen etwas Schlimmes widerfahren ist, gab es dann auch solche Sätze, die gar nicht geholfen haben? Vielleicht Sätze wie „Kopf hoch, das wird schon wieder“. Oder: „Wer weiß, wofür es gut war“.

Wir wollen uns nicht falsch verstehen: Ich kann gut nachempfinden, dass man solche Sätze sagt. Das ist natürlich. Man will irgendetwas sagen, man will irgendwie Trost spenden. Aber das funktioniert eben nicht. Denn solche Sätze können höchstens Vertröstungen sein.

Übrigens können Vertröstungen auch sehr fromm sein. Ich kann von Gottes Barmherzigkeit oder Vorsehung reden und es ehrlich meinen. Und doch bleibt es möglicherweise eine Vertröstung, wenn der andere es nicht fühlt und dann sogar noch der Gedanke aufkommt: Wieso spüre ich den Trost nicht? Liegt es an mir?

Wer leidet, wer gerade klagt, der braucht keine Vertröstung. Was kann aber tröstlich sein? Darauf komme ich später zurück.

III.

Zunächst aber zu meinem zweiten Punkt: Klage ist etwas anderes als Jammern.

In einem Zeitungsartikel lese ich: In Deutschland wird zwar gerne gejammert, jedoch meist nicht laut geklagt. Denn das ist nicht gut angesehen. Anders als in Südeuropa. Denn da ist das Klagen laut und theatralisch, zum Beispiel bei einem Todesfall. Und das kann entlastend sein.

Und dann heißt es weiter in dem Zeitungsartikel: In Beziehungen sind Jammereien meistens verschlüsselte Botschaften. So kann zum Beispiel der Satz einer Ehefrau wie „Immer musst du ständig unterwegs sein“ auch bedeuten: „Ich möchte mit dir alleine Zeit verbringen“. Weil sie das aber nicht so sagt, versteht er es nicht, sondern reagiert unwirsch. Und schon hat sie noch mehr Grund zum Jammern.

Im Unterschied zur lauten Klage bringe das Herumjammern außerdem fast nur Nachteile. Das Problem wird nicht gelöst, der Jammerer zieht sich selbst immer weiter nach unten.  Wer jammert, will eventuell gar nichts ändern. Und wer ständig nur jammert, aber nichts ändert, bekommt irgendwann auch keine Zusatzportion Zuwendung mehr.

So weit die Behauptungen in diesem Zeitungsartikel. Harte Worte. So ganz will ich mir das Jammern eigentlich nicht vermiesen lassen. Es ist menschlich, und es tut manchmal gut. Und doch, eines stimmt wohl: Klagen ist etwas anderes als Jammern.

IV.

Zu meinem dritten Punkt: Wer klagt, braucht keine Sündenböcke.

In der Corona-Krise gab und gibt es Klage vor allem als Anklage:

Man konnte auf andere zeigen, die angeblich bevorzugt behandelt wurden. Oder man benannte gar Sündenböcke für die ganze Misere.

Nach der Maxime: Wer hat jetzt wieder etwas falsch gemacht? Die Medizinerinnen und Mediziner? Die Bundeskanzlerin, der Gesundheitsminister?

Plötzlich war dann in der Zeitung mit den vier großen Buchstaben sogar zu lesen: Die Corona-Patienten seien inzwischen vor allem Menschen mit Migrationshintergrund. Obwohl es dafür gar keine Datengrundlage gab, sondern nur einige ausgesuchte Beispiele aus Krankenhäusern in großen Städten.

Natürlich kann ich auch Gott anklagen, kann ihm die Schuld für alles geben. Einen anderen Weg ist in der Corona-Zeit eine Kirche in Leipzig gegangen: Hier gab es eine regelmäßige Klagezeit. Dort kamen ganz unterschiedliche Menschen zusammen. Jung und Alt, Selbständige und Angestellte, Künstlerinnen und Gastwirte. Um dann eben nicht sich gegenseitig anzuklagen. Auch nicht, um Gott anzuklagen. Sondern um die unterschiedlichen, widersprüchlichen Arten des Leidens in der Krise nebeneinander zu ertragen und sie Gott vorzuhalten. Um erst einmal hinzuhören und dann füreinander zu beten.

V.

Und damit kommen wir nun auch einer Antwort auf die Frage näher, auf welchem Weg man einen Trost finden könnte, liebe Gemeinde. Sätze wie „Alles wird schon wieder gut“ sind nicht tröstlich. Denn manchmal ist unsere Welt so, dass gar nichts wieder gut wird. Vertröstungen helfen nicht.

Die Sätze aus dem Predigttext sind aber keine Vertröstung: „Die Güte des Herrn ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende“. In den Kapiteln vor diesem Satz wird bitter geklagt über die Verwüstung des Landes, über die Not der Menschen. Und auch danach geht es im Buch der Klagelieder genauso weiter. Das Leid wird hier gerade nicht übermalt, es ist nicht das Vorspiel zum Happy-End. Die Betroffenen stehen mittendrin, sie können jederzeit wieder kippen – können wieder zurückfallen in das Klagen. Denn der Grund dafür ist nicht beseitigt.

Aber gerade inmitten dieser Trostlosigkeit geschieht doch etwas. Nämlich dann, wenn die Tränen endlich fließen. Und das ist etwas Gutes. Das kann ein Kind vielleicht noch nicht ausdrücken, wenn es sagt: „Mein Vater hat noch nie geweint“. Aber am eigenen Leib erfahren kann man das wohl in jedem Alter.

Denn Tränen können eine Gnade sein. Sie sind dann der Beginn des Trostes, der zu uns kommt, wenn wir es gewagt haben, dem Schrecken in die Augen zu schauen. Die Tränen können den Blick für das öffnen, was nicht in unserer Macht steht: „Der Herr ist mein Teil, spricht meine Seele, darum will ich auf ihn hoffen“ (V. 24). Hier spricht jemand, der keinen Teil, keinen „Anteil“ mehr hat am Land, weil alles zerstört ist. Die üblichen Sicherheiten sind zerbrochen. Aber gerade jetzt hält er, im Klagen, die Verbindung zu Gott.

Ich glaube, hier ist etwas, was wir aus dem Alten Testament, was wir aus der Geschichte des jüdischen Volkes auch lernen können: Sogar in der Heimatlosigkeit, sogar dort, wo alles nur noch nach Katastrophe aussieht, wird nach Gott gefragt, wird Gott das Leid geklagt, wird in einem solch alltäglichem Vorgang wie dem neuen Sonnenaufgang wieder Gottes Zuwendung erkannt: „Die Güte des Herrn ist's, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu“. Wer schon einmal eine Nacht voll Schmerzen und Angst erlitten hat, der weiß, was das Licht des neuen Tages bedeuten kann.

Der Gott der Hoffnung wirkt auch dort, wo nach menschlichem Ermessen nichts mehr zu hoffen ist. Davon erzählt das Alte Testament schon voll und ganz. Mit der Geschichte von Jesus von Nazareth hat auch uns Christinnen und Christen diese Botschaft erreicht. Obwohl ja auch für uns der Grund der Klage nicht aufhört mit dem Licht des Ostermorgens. Denn auch wir haben in dieser Welt letztlich nichts Sicheres, haben keine Heimat, sind unterwegs – dieser Gedanke findet sich im Neuen Testament wie auch im Alten: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ (Hebr 13,14).

Liebe Gemeinde!
Ist das alles aber nicht zu wenig an  - Trost? Wie soll etwas Gutes daraus erwachsen, wenn die Welt auch für gläubige Menschen oft genug trostlos ist? Kann es dann je etwas anderes geben als endloses Klagen?

Ich möchte darauf heute am Ende dieser Predigt mit einer Geschichte antworten. Sie geht so:

In einem fernen Land lebte eine Frau, deren einziger Sohn starb. In ihrem Kummer ging sie zu einem weisen Mann und fragte ihn: „Welche Gebete und Beschwörungen kennst du, um meinen Sohn wieder zum Leben zu erwecken?“ Er antwortete ihr: „Bring mir einen Senfsamen aus einem Haus, das niemals Leid kennen gelernt hat. Damit werden wir den Kummer aus deinem Leben vertreiben.“

Die Frau begab sich auf die Suche nach dem Zauber-Senfkorn. Auf ihrem Weg kam sie bald an ein prächtiges Haus, klopfte an die Tür und sagte: „Ich suche ein Haus, das niemals Leid erfahren hat. Ist dies der richtige Ort? Es wäre wichtig für mich.“ Die Bewohner des Hauses antworteten ihr: „Da bist du an den falschen Ort gekommen“, und sie zählten all das Unglück auf, das sich jüngst bei ihnen ereignet hatte. Die Frau dachte bei sich: „Wer kann diesen armen unglücklichen Menschen wohl besser helfen als ich, die ich selber so tief im Unglück bin?“ Sie blieb und hörte zu.
Später brach sie wieder auf und suchte aufs Neue ein Haus ohne Leid. Aber wo immer sie sich hinwandte, in Hütten und Palästen, überall begegnete ihr das Leid. Schließlich beschäftigte sie sich ausschließlich mit dem Leid anderer Leute. Sie hörte ihnen lange zu, ohne gleich etwas zu sagen oder etwa schnelle Ratschläge zu geben. Sie weinte mit den anderen Menschen. Dabei vergaß sie die Suche nach dem Zauber-Senfkorn, ohne dass ihr das bewusst wurde. So konnte sie mit der Zeit auch ihren Schmerz leichter ertragen.

Liebe Gemeinde!

Wir sind gemeinsam in dieser schwierigen und oft traurigen Welt unterwegs. Wir sind aufeinander angewiesen. Wer den Mitmenschen vertröstet mit Floskeln, auch mit frommen Floskeln vielleicht, der überlässt ihn seiner Traurigkeit. Wer aber zuhört, vielleicht auch mitklagt, der hält die Verbindung zum Anderen. So können Lasten gemeinsam getragen werden. Nur wer klagt, hofft auch.

Amen.

Verfasser: Pfarrer Dr. Felipe Blanco Wißmann, Kirchstraße 65, 64354 Reinheim


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