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Gottes Ruf gilt gebrochenen Existenzen

von Peter Lippelt (39517 Lüderitz)

Predigtdatum : 20.01.2008
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Septuagesimae
Textstelle : Römer 9,14-24
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Wochenspruch:

Wir liegen vor dir mit unserem Gebet und vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit. (Daniel 9, 18)

Psalm: 31 (EG 716)

Lesungen

Altes Testament:
Jeremia 9, 22 – 23
Epistel:
1. Korinther 9, 24 – 27
Evangelium:
Matthäus 20, 1 – 16a

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 168, 1-3
Du hast uns, Herr, gerufen
Wochenlied:
EG 342 oder EG 409
Es ist das Heil uns kommen her oder: Gott liebt diese Welt
Predigtlied:
EG 372, 1-3
Was Gott tut, das ist wohlgetan
Schlusslied:
EG 372, 4-6
Was Gott tut, das ist wohlgetan

Liebe Gemeinde!
Paulus ist nicht jedem sympathisch. Nicht alles, was er schreibt, wird ohne weiteres von allen akzeptiert oder hingenommen. Manchmal sind seine Meinungen und Ansichten auch nicht so ganz einfach oder leicht verständlich. Selbst mit bedeutenden Männer aus der ersten Generation der christlichen Gemeinden hat Paulus manchmal seine Schwierigkeiten gehabt und sie mit ihm. Das ist auch gut so, denn nicht alles ist schwarz oder weiß, richtig oder falsch, gut oder schlecht. Manches liegt dazwischen – in einem Spannungsfeld. Was scheinbar so gut ist, ist vielleicht gar nicht so toll, und was anfänglich schlecht erscheint, stellt sich mit der Zeit vielleicht als ganz brauchbar heraus.
Manchmal ist genau dies das Problem, mit dem sich Paulus beschäftigt.
Wir hören den Predigttext für den heutigen Sonntag aus dem Römerbrief im 9. Kapitel:

14 Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist denn Gott ungerecht? Das sei ferne! 15 Denn er spricht zu Mose (2.Mose 33,19): »Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.« 16 So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. 17 Denn die Schrift sagt zum Pharao (2.Mose 9,16): »Eben dazu habe ich dich erweckt, damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde.« 18 So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will.
19 Nun sagst du zu mir: Warum beschuldigt er uns dann noch? Wer kann seinem Willen widerstehen? 20 Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst? Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: Warum machst du mich so? 21 Hat nicht ein Töpfer Macht über den Ton, aus demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem Gebrauch zu machen?
22 Da Gott seinen Zorn erzeigen und seine Macht kundtun wollte, hat er mit großer Geduld ertragen die Gefäße des Zorns, die zum Verderben bestimmt waren, 23 damit er den Reichtum seiner Herrlichkeit kundtue an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die er zuvor bereitet hatte zur Herrlichkeit.
24 Dazu hat er uns berufen, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Heiden.

Liebe Gemeinde!
Ist das Handeln Gottes gut oder schlecht? Ist das, was Gott tut gerecht oder ungerecht? Ist Gott ein lieber Gott oder ein strafender Gott?
„Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott ungerecht? Das sei ferne!“
So beginnt Paulus seinen Abschnitt im Römerbrief, der uns am heutigen Sonntag als Predigttext vorgeschlagen ist.
Der Römerbrief ist eines der wichtigsten und bedeutendsten Schriftstücke des Christentums. Gerade für uns evangelische Christen ist er ein grundsätzliches theologisches Dokument.
Eines der Hauptthemen des Römerbriefes ist die so genannte Rechtfertigungslehre. Sie beinhaltet wohl die wichtigste Erkenntnis der Reformation: Die Rechtfertigung des Sünders vor Gott geschieht nicht aufgrund irgendeiner Handlung oder einer Leistung des Menschen. Sie geschieht allein dadurch, dass Gott gerecht macht durch den Glauben an Jesus Christus (Röm 3,22).
Rechtfertigung ist die Wiederherstellung von Gerechtigkeit im Sinne einer rechten, richtigen Beziehung. Hier ist es die Beziehung zwischen Gott und den Menschen.
Gerechtigkeit ist bereits im Alten Testament ein zentrales Wort. Es meint das Versprechen Gottes gegenüber seinem erwählten Volk Israel, aber auch die Treue des Gottesvolkes zu seinem Gott. Diese Treue zeigt sich zum einen darin, wem und was ich glaube und bekenne. Sie zeigt sich an meiner inneren Einstellung. Das andere ist das äußere, erkennbare in meinem Leben, das soziale Verhalten. Das Verhältnis und Verhalten zu den Menschen, die um mich und mit mir leben.
Die Kernfrage der Rechtfertigungslehre ist: Was ist entscheidend dafür, dass das gestörte Verhältnis zwischen Gott und Menschen wieder in Ordnung kommt? Kann dieses Verhältnis allein durch den Glauben wieder hergestellt werden? Wie kann das sein, dass Gott mir, einfach aus Gnade, wieder „gut“ ist? Ist es nicht leichter nachzuvollziehen, dass das besser durch Aufopferung für Gott, durch gutes und vorbildliches Verhalten und überdurchschnittliches Streben nach dem Besten, durch gute Werke also, geschieht?
Für beides gibt es ein FÜR und WIDER:
Das eine wäre viel zu einfach; das andere viel zu schwer. Das Nichtstun fällt oft schwer, weil wir gewohnt sind, immer eine Leistung zu erbringen. Andererseits: Ich kann mir bei Gott nichts verdienen, schon gar keinen Fensterplatz im Himmel oder seine gnädige Zuwendung. Darin scheint Gott unwillkürlich und frei zu sein, manchmal sogar ungerecht. So scheint es zumindest. Das jedenfalls sind oftmals unsere Lebenserfahrungen. Die Bibel kennt diese Erfahrungen auch:
„Ich sah, dass es den Frevlern so gut ging. Sie leiden ja keine Qualen, ihr Leib ist gesund und wohlgenährt. Sie kennen nicht die Mühsal, sind nicht geplagt wie andere Menschen. Wahrhaftig, so sind die Frevler: Immer im Glück, häufen sie Reichtum auf Reichtum“ – so der Beter des Psalms 73 (Psalm 73, 3b.4-5.12).
Das ist es doch, was uns täglich vor Augen ist. Das ist doch das wahre Leben, oder!?
Es gibt aber, Gott sei Dank, auch die umgekehrte Erfahrung. Dass es mir nämlich in meinem Leben auch gut gehen kann, dass ich an mancher Stelle und in manch einer Situation bewahrt worden bin – dass ich Glück gehabt habe.
In diesem Spannungsfeld verläuft unser Leben. Es ist Gnade, wenn Gott sich erbarmt – ein gerechtes Urteil, wenn er verhärtet. Gott ist es, der auswählt, wem er gnädig ist und wem er im Herzen verstocken lässt, unabhängig davon, ob wir es gut oder schlecht heißen. Denn das eine nennen wir gerecht – das andere ungerecht.
Da stehen wir dann als Menschen auf der einen Seite mit „unserer Gerechtigkeit“, d.h. mit all dem, was nach unserer Meinung gut und wertvoll, gerecht, brauchbar, lobens- und liebenswert an uns ist. Und gleichzeitig erwartet dieses Liebenswerte an uns Liebe, das Lobenswerte Lob und die Leistung ihren Lohn.
Auf der anderen Seite steht Gottes „große Barmherzigkeit“, und dieser Barmherzigkeit entspringt alles, was wir nicht verdienen können. Diese Barmherzigkeit umfasst alles, was wir uns einfach schenken lassen müssen. Von dem, was unserem täglichen Leben Sinn gibt bis hin zu der Gnade in Jesus, dem Christus. Und wir müssen uns scheinbar entscheiden: Wollen wir Lohn oder Gnade?
„Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott ungerecht?“
Gott schenkt seine Gnade und Barmherzigkeit. Dieses Geschenk ist eben nicht hinterfragbar, aushandelbar und verdienbar. Gottes Wahl ist es. Gottes Gnade ist es. Gottes Barmherzigkeit. Darin ist er gerecht und darin gibt es auch keinen Zweifel. Auch der Grund seiner Wahl, Gnade, Barmherzigkeit ist nicht zu hinterfragen.
Denn: Wer hat Einsicht in den Ratschluss Gottes, und wer könnte mit Gott über seine Entscheidungen verhandeln?
- Abraham. Er verhandelt mit Gott über Sodom und Gomorra. Zwar erfolglos, aber er verhandelt.
- Jona. Zwar auch erfolglos, aber er versucht es.
- Die Psalmbeter. Immer wieder hadern sie mit Gott um die Frage der gerechten Behandlung von Frommen und Frevlern.
Aber dies sind Menschen anderen Kalibers, Menschen mit einem ganz anderen Verhältnis zu Gott.
Gottes Gnade, seine Zuwendung bleiben unverfügbar. Ich habe von mir aus keine Gewalt oder Entscheidungskraft darüber.
Wenn Gott aber, unabhängig von den moralischen Qualitäten „gut“ oder „böse“ oder sonstigen Voraussetzungen die Menschen verwirft oder annimmt, handelt er dann nicht ungerecht? Oder gar willkürlich?
„Das sei ferne!“ – schreibt Paulus.
Es sind nicht die „guten Werke“, „das Wollen oder Laufen“, die zählen, sondern allein der Wille Gottes. Dieser Wille Gottes bewegt sich nach unseren Erfahrungen immer wieder im Spannungsfeld zwischen dem, dass dem Guten und Frommen Schlechtes und Böses begegnen und erleben lässt, und dass es dem Bösen gut ergeht. Jedoch ist dieses Spannungsfeld nicht die launische Willkür eines Despoten oder strafenden oder missgestimmten Gottes. Es ist nicht ein blind waltendes Geschick, Schicksal oder unabwendbare Verhältnisse. Sondern dieses Spannungsfeld, das Leben, ist letztlich aufgehoben in der Einheit des durch Christus offenbarten göttlich Willen, der auch mit der Verstockung dem Erbarmen dienen will.
Was Paulus an dieser Stelle seines Römerbriefes aufschreibt ist keine abstrakte Vermutung, keine theologische Spekulation, sondern er bearbeitet und stellt real existierende Widersprüche da, die unser Leben und unseren Glauben als Christen betreffen. Mit diesen Widersprüchen muss sich der Glaubende immer wieder auseinandersetzen und beschäftigen. Sie begegnen uns im täglichen Vollzug unseres Lebens. Und das ist keine neue Erfahrung. Das Nebeneinader und Gegeneinander von zwei verschiedenen Erfahrungen mit Gott und in unserem Glaubensalltag, ist eine Lebenstatsache.
„So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will.“
Was hier so wie beiläufig festgestellt wird, ist im Grunde ein tiefer und ehrlicher seelsorgerlicher Trost. Im besten Sinne des Wortes. Diese Feststellung tröstet unsere Seele und nimmt uns eine schwere Last, weil nicht wir entscheiden, was gut und richtig, fromm und unfromm, heil und unheil ist, sondern Gott. Trotzdem ist der manchmal empfundene Gegensatz zwischen dem freien Willen Gottes und unserem Urteil über gut und böse nicht immer logisch, mit unserem Verstand und Gefühl vereinbar. Gottes Grenzen verlaufen ganz anders als unsere. Seine Entscheidungen sind anders als unsere Urteile und Verurteilungen. Gott handelt anders. Er ist darin nicht „planbar“, „einplanbar“ oder „manipulierbar“. All unseren Sicherungen und Sicherheiten zum Trotz. Die Gefahr in dieser Spannung zwischen dem, was wir von Gott erwarten, und dem, was er tut oder wie er sich erweist, ist unser Einteilen, unser Urteilen in Fromme und Nichtfromme, in Gute und Böse, in Menschen und Unmenschen, in die, die dazu gehören und in die, die draußen sind.
Wir brauchen scheinbar klare Aussagen, klare Urteile, eindeutige Wege. Das Leben im Spannungsfeld zwischen zwei Entscheidungen, zwischen zwei Wahrheiten und Tatsachen, fällt und ist schwer. Gott aber handelt genau in dieser Polarität. Gott beruft sich uns, seine Gemeinde genau in diesem Spannungsfeld. Wer diese Spannung akzeptieren kann, der ist in seinem Glauben einen Schritt weiter. So steht am Ende: Wir – nicht nur, sondern auch – sind berufen zum Erbarmen aus Gottes Hand. Gottes Gnade ist es und sein Wille.
Amen.

Verfasser: Pfarrer Peter Lippelt, Straße der Freundschaft 35, 39517 Lüderitz

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