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Hingabe - einer für alle

von Rudolf Gümbel (Flecken Zechlin)

Predigtdatum : 06.04.2014
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Lätare
Textstelle : Hebräer 13,12-14
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Wochenspruch:
Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.
(Matthäus 20, 28)
Psalm: Psalm 43

Lesungen
Altes Testament: 1. Mose 22, 1 - 13

Epistel: Hebräer 5, 7 - 9

Evangelium: Markus 10, 35 - 45

Liedvorschläge
Eingangslied: EG 428, 1.4.5 Komm in unsre stolze Welt
Wochenlied: EG 76, 1. 2 O Mensch, bewein dein Sünde groß
vor der Predigt EG 94, 1.2.5 Das Kreuz ist aufgerichtet
Predigtlied: EG 393, 1.4.8. 11 Kommt Kinder, lasst uns gehen
Schlusslied: EG 171 Bewahre uns, Gott

Hinführung
Der Hebräerbrief ist in einem intensiven Gespräch mit alttestamentlicher Frömmigkeit. Darum ist es richtig, gründlich 3. Mose 16 zu 1esen, zu zitieren und zu erklären. Nicht zuletzt beginnt ja auch der Predigttext mit einem „Darum“. Zweifellos ist V.13 die Mitte und das Ziel des Textes. Da die „Lagersituation“ und damit auch die „draußen“ jeweils in den Gemeinden sehr verschieden sein können, möchte ich mich nicht festlegen, sondern will nur Anfragen stellen. Zwei kräftige Beispiele – Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ und Bischof Gaillot – mögen zum Nachdenken anregen.

Predigt

Liebe Gemeinde,
„Die Kirche muss im Dorf bleiben.“ Das ist ein Satz, den man heutzutage oft hören kann, vielleicht sogar selbst öfter gebraucht. „Die Kirche muss in Dorf bleiben“ das heißt soviel wie: Es soll alles seine Ordnung behalten. Lass die Dinge wie sie sind. Viele Christen meinen es aber auch ganz wörtlich als Ausdruck ihrer Kirchentreue. Selbst wenn man persönlich mit dem Glauben nicht mehr viel anfangen kann, aber „die Kirche muss im Dorf bleiben.“ In unserem „christlichen Europa“!

Aber muss sie das wirklich? Oder muss sie vielleicht ganz woanders bleiben als „im Dorf“?

Der Predigttext aus dem Hebräerbrief erinnert an die Feier des jüdischen Versöhnungsfestes, des größten und heilig-sten Festtages der Juden. In der alten Überlieferung des Volkes Israel war das der Tag, an dem der Hohepriester für das ganze Volk opferte und das Allerheiligste im Tempel betrat. In der Zeit der Wüstenwanderung war das die Stiftshütte. Heute haben die Juden keinen Tempel mehr und opfern auch keine Tiere mehr. Früher aber mussten ein Stier und zwei Ziegenböcke als Sündopfer dargebracht werden (s. 3.Mose 16). Der Stier und ein Ziegenbock wurden geschlachtet und mit ihrem Blut der Altar im Allerheiligsten besprengt. Der zweite Ziegenbock wurde vor den Hohenpriester gestellt, der legte seine Hände auf den Kopf des Bockes und sprach die Verfehlungen des Volkes über ihm aus, legte sie ihm gewissermaßen aufs Haupt. Dann wurde der Bock, beladen mit den Sünden des Volkes, in die Wüste gejagt. Das ist bei uns sprichwörtlich geworden, wir laden einem „Sündenbock“ unsere Schuld auf und „jagen ihn in die Wüste“. Das Fleisch der geopferten Tiere, auch ihr Fell und sogar der Mist, mussten aus dem Lager - wir sind in der Zeit der Wüstenwanderung - geschafft werden und draußen vor den Toren des Lagers verbrannt werden. Mit diesem Vorgang vergleicht der Hebräerbrief das Schicksal Jesu. Ihm ist unsere Schuld aufgeladen worden. „Fürwahr er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten.“ (Jes. 53, 4 + 5).

Golgatha - draußen vor den Toren der Stadt. Das entspricht jüdischem Volksempfinden und römischer Rechtsprechung: die Hinrichtungen geschahen vor den Toren, draußen. Lange Zeit wurden auch bei uns Selbstmörder außerhalb des Friedhofs beerdigt. Womit wir nichts zu tun haben wollen, das stoßen wir aus, das soll draußen bleiben.

1946 hat ein junger deutscher Dichter, Wolfgang Borchert, ein Theaterstück geschrieben, „Draußen vor der Tür". 1921 geboren, hat er als junger Soldat in seinen Briefen nach Hause das Unrecht und Elend des Krieges beschrieben. Die Briefe wurden bei einer Hausdurchsuchung gefunden. und er wurde von der russischen Front weg verhaftet und zum Tode verurteilt. Um seiner Jugend willen wurde er begnadigt zur Frontbewährung. Schwerkrank und elend hat er das Kriegsende erlebt. 2 1/2 Jahre hat er noch, wie ein Besessener arbeitend und mit der Krankheit kämpfend, gelebt bis er 1947 starb. In seinem Stück „Draußen vor der Tür“ gibt er seiner Generation eine Stimme und stellt seine Fragen. Die zentrale Gestalt ist der Kriegsheimkehrer Beckmann. Beckmann kommt nach drei Jahren sibirischer Gefangenschaft nach Hause: Seine Frau findet er bei einem anderen Mann. Seine Eltern haben sich das Leben genommen. Ein Mädchen, bei dem er unterkommt, wird von ihrem heimkehrenden Mann überrascht. Immer wieder steht er „draußen vor der Tür“. Der Oberst, dem er die Verantwortung für einen mörderischen Fronteinsatz zurückgeben will, hat sich längst wieder eingerichtet im zivilen Leben und lacht ihn aus, der Theaterdirektor hält ihn für die Arbeit auf der Bühne für ungeeignet. Immer wieder steht er draußen. „lch habe Hunger, du. Mich friert, hörst du. Ich kann nicht mehr stehen, du, ich bin müde. Mach eine Tür auf, du. Ich habe Hunger. Die Straße ist finster, und alle Türen sind zu.“ Gott, an den „keiner mehr glaubt“, ist ein „weinerlicher alter Mann“. „Gott, sei lebendig. Sei mit uns lebendig, nachts, wenn es kalt ist, einsam und wenn der Magen knurrt in der Stille - dann sei mit uns lebendig, Gott.“

Gott ist lebendig. Mit uns. Sagt der Hebräerbrief. Er hat in Jesus mit uns gelebt. Und zwar „draußen vor der Tür“, außerhalb des Lagers, in der Fremde, im Elend, im Leiden. Derjenige von uns, der so war wie Gott, ist in das Haus der Zöllner und Sünder gegangen. Er hat bei ihnen gegessen, hat eine Ehebrecherin in Schutz genommen. Er hat Kinder, die oft so stören, auf den Arm genommen und gesegnet. Er hat einem Verbrecher in der letzten Stunde das Paradies versprochen und hat die Einsamkeit eines Menschenherzens im Sterben durchlitten. „So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen.“

Als Gemeinde dieses Herrn gehören wir draußen vor die Tür, sollen wir das feste Lager verlassen, die Sicherheiten der Ordnungen und Gewohnheiten. Die schützenden Mauern der Stadt. Hinaus aus den engen Mauern bürgerlich christlicher Moralbegriffe, mit denen wir uns und andere einmauern. Hinaus auf das freie Feld gewagter Entscheidungen und unüblicher Parteinahmen. Da fängt die Jahreslosung aus dem Jahr 2013 an zu sprechen: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“, allein gezogen und geleitet von der Liebe Jesu.
„Komm in unser festes Haus, der du nackt und ungeborgen. Mach ein leichtes Zelt daraus, das uns deckt kaum bis zum Morgen, denn wer sicher wohnt vergisst, dass er auf dem Weg noch ist.“ Gottes Volk war in seiner besten Zeit ein wanderndes Volk. Der Hebräerbrief sieht auch die christliche Gemeinde als das wandernde Gottesvolk.

1995 wurde der katholische Bischof von Evreux (sprich: evro) Jacques Gaillot (sprich: schak gajo) vom Papst aus seinem Amt entfernt. Er hatte sich für die Migranten, die „ohne Papiere“ in Frankreich lebten, eingesetzt und öffentliche Proteste gegen die Einwanderungsgesetze organisiert, für „die draußen“. Das passte weder der französischen Regierung noch den Kirchenoberen. Der Papst gab ihm ein Bischofsamt im Wüstensand Nordafrikas, das nur auf dem Papier existierte und schon lange gar keine Gemeinden mehr hatte. Das wurde aber in der Folgezeit ein Symbol für die Kirche der Unterdrückten. Gaillot (Gajo) hat einmal gesagt: "Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts.“

Wir müssen das immer wieder lernen und buchstabieren und in unsere Situation umsetzen, was es heißt, um Jesu willen die eigenen Gewohnheiten und Sicherheiten aufzugeben und an der Seite der Ausgegrenzten, Ausgestoßenen, Abgewerteten, gering Geachteten und Fremden und kleinen Leute zu stehen.

Das fängt mit der Sprache an. Unsere Gottesdienste sind das beste Beispiel dafür, dass wir oft eine Kirchensprache sprechen, die „draußen“ kaum noch einer versteht.

Das setzt sich in dem fort, was uns beschäftigt. Machen Sie mal die Probe aufs Exempel. Sehen sie sich die Tagesordnungspunkte des Gemeindekirchenrates an: Gemeindefinanzen / Bausachen/ Amtshandlungen /Gemeindekreise - wir kreisen um uns selbst.

Haben wir die sozialen Nöte in unserem Ort zur Chefsache erklärt, oder sind wir für uns selbst ein Notfall geworden? Hinter welchen Mauern sitzen wir, geschützt und abgesichert, und was ist bei uns Lagermentaliät, Verteidigung der Festung, Eigeninteresse, eingeschliffene Moral?

Der Wochenspruch weist uns auf Jesus: Jesus ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung (Erlösung! Befreiung!) für viele.

Darum gilt auch für seine Gemeinde: "Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts!"

Die Kirche soll also gar nicht in ihrem Dorf bleiben. Für viele Situationen mag diese Redensart zutreffen. Aber nicht für die Kirche selbst. Die Kirche soll aufbrechen, und zu denen draußen, am Rand der Gesellschaft, gehen und für sie und mit ihnen glauben, hoffen und lieben.
Amen.

Verfasser: Pfarrer i. R. Rudolf Gümbel
Weinbergsring 9, 16837 Flecken Zechlin

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