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Im Danken Gott finden

von Ralf Schultz (Erfurt)

Predigtdatum : 17.09.2017
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 12. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Markus 1,40-45
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Predigttext Markus 1, 40 - 45
Heilung eines Aussätzigen
„Und es kam zu ihm ein Aussätziger, der bat ihn, kniete nieder und sprach zu ihm. Willst du, so kannst du mich rei-nigen. Und es jammerte ihn und er streckte die Hand aus, rührte ihn an und sprach zu ihm: Ich will’s tun; sei rein! Und sogleich wich der Aussatz von ihm und er wurde rein. Und Jesus drohte ihm und trieb ihn alsbald von sich und sprach zu ihm: Sieh zu, dass du niemandem etwas sagst; sondern geh hin und zeige dich dem Priester und opfere für deine Reinigung was Moses geboten hat, ihnen zum Zeugnis.
Er aber ging fort und fing an, viel davon zu reden und die Geschichte bekannt zu machen, so dass Jesus hinfort nicht mehr öffentlich in eine Stadt gehen konnte; sondern er war draußen an einsamen Orten; doch sie kamen zu ihm von allen Enden.“


Liebe Gemeinde,

es fängt ganz harmlos an. Ein Fleck auf dem Rücken oder am Arm, nicht der Beachtung wert. Vielleicht ein Sonnen-brand, denkst du. Eine Allergie oder sonst etwas.

Eine kleine Unruhe stellt sich ein. Doch die Arbeit, das Leben geht weiter wie zuvor. Nur dass der Fleck nicht verschwin-det. Nur durch Zufall merkst du, dass dieser Fleck gefühllos geworden ist: kein Schmerz, keine Reaktion, ein Stück totes Fleisch. Die kleine Unruhe in dir steigert sich. Und mit jedem neuen Fleck wird das Gespenst der Angst größer.

Aus der Unruhe wird schließlich Todesangst. Denn du weißt jetzt: der kleine Fleck auf dem Rücken oder auf dem Arm, das war der Anfang vom Ende. Die Diagnose heißt: Aussatz! Und Aussatz bedeutet: Das Ende kommt nicht zuletzt, es kommt viel früher. Du wirst ausgestoßen aus der Gemein-schaft der Lebenden. Alles, was dir das Leben lebenswert machte, wird dir genommen. Du wirst lebendig begraben werden.
In Palästina zurzeit Jesu wurde ein Aussätziger tatsächlich „ausgesetzt“. Er musste das Dorf oder die Stadt verlassen. Irgendwo draußen hausten die Aussätzigen. Wo sonst nie-mand hinkam. Wo nachts die Schakale heulten. Sie musste sich äußerlich als Aussätzige kenntlich machen: zerrissene Kleider, ungeschnittenes Haar. Und sollte tatsächlich einmal ein Mensch sich dorthin verirren, wo die Aussätzigen haus-ten, so hatten die schon von weitem zu rufen: „Unrein, un-rein!“ Und Lärm machen mussten sie mit lauten Klappern. Solche Angst vor der Ansteckung hatte man.

Ein Aussätziger war lebendig tot. Er war exkommuniziert, ausgestoßen, kein Mensch mehr. Und nicht nur das: er war auch von jeglichem Trost ausgeschlossen. Seelsorge gab es nicht, allenfalls untereinander, wenn mehrere Aussätzige in einer Schicksals- und Leidensgemeinschaft zusammen wa-ren. Aber vom Leben der Familie oder des Dorfes waren sie ausgeschlossen. Und am Gottesdienst teilnehmen durften sie schon gar nicht. Sie galten auch dafür als unrein.

Wenn wir uns dies vor Augen führen, dann ahnen wir, was unsere Geschichte von der Heilung eines Aussätzigen tat-sächlich bedeutet. Sie erzählt nicht nur davon, dass ein Mensch krank war und wieder gesund wird. Sie erzählt auch davon, dass ein Ausgestoßener in die Gemeinschaft zurück-kehren darf, ja, sie erzählt im Grunde die Geschichte einer Auferstehung. Und wenn einmal das Wunder geschah, dass einer gesund wurde, musste er sich den Priestern zeigen, damit er auch wieder zur Gemeinschaft gehören und am Gottesdienst teilnehmen durfte.

Was kann uns diese Geschichte sagen, heute, 2000 Jahre, nachdem sie sich so zugetragen hat, wie uns da der Evange-list Markus erzählt? Ich sehe zwei Möglichkeiten, sich in diese Geschichte hineinzuversetzen, und zwar, indem wir uns je-weils neben eine der beiden handelnden Personen stellen.

Die erste Möglichkeit, diese Geschichte zu lesen, möchte ich die „diakonische Lesart“ nennen. Da stellen wir uns sozusa-gen neben Jesus und wenden uns dem zu, der Hilfe und Hei-lung braucht.

Das hat z. B. Ruth Pfau getan, eine Ärztin und Nonne. Sie ist tatsächlich unzähligen Aussätzigen - oder wie man heute sagt: Leprakranken – in Pakistan begegnet. Sie hat durch diese Begegnung eine Art Bekehrung erfahren. Von da an hatte ihr Leben nur noch ein Ziel: diesen ausgestoßenen Menschen zu helfen und ihnen ihre Würde und ihre Hoffnung zurück zu geben.

Bezeichnenderweise hatten ihre Bemühungen nicht in einer kurzen Geschichte Platz, so wie wir heute eine gehört haben, sondern sie hatte ein Buch schreiben müssen. Ein Buch von den vielen kleinen Schritten, die nötig waren, um der Krank-heit hier und da die Stirn zu bieten, sie vielleicht einmal zum Stillstand zu bringen. Ein Buch auch von vielen Rückschlägen, die sie erlitt, bis sie eine Therapie aufbauen konnte, die den teilweise Geheilten eine Beschäftigung und damit einen neuen Lebenssinn ermöglichte. Aber eben ein Buch, wo jede Seite von der heilenden Kraft unserer Geschichte inspiriert war. Von dem Zorn Jesu über die schreckliche Krankheit, von sei-nem Mitleid mit dem Kranken und von dem festen Willen, ihn nicht sich selbst zu überlassen, sondern ihn in die Gemein-schaft der Menschen, in die Gemeinschaft des Volkes Gottes zurück zu holen.

Mag sein, dass mancher unter uns dabei die Achseln zuckt. Nicht jeder ist schließlich eine Ruth Pfau oder ein Albert Schweitzer. Und Aussätzige haben wir auch nicht unter uns.
Aber so einfach können wir es uns nicht machen. Denn die Geschichte erzählt nicht nur von den Aussätzigen, die zeitlich oder räumlich weit weg sind, sondern auch von den Ausge-stoßenen, den so oder anders Kranken unter uns.



Da fallen uns selbst Menschen aus unserer Umgebung ein:
Eine Frau in der Nachbarschaft schafft es schon seit Jahren gerade noch bis ans Gartentor. Ihre Tochter hilft ihr einmal die Woche. Sonst spricht sie mit niemandem. Ist sie eigent-lich aussätzig?

Ein früherer Arbeitskollege ist endgültig dem Alkohol verfal-len. Man sieht es ihm an, man riecht es, wenn er, leicht wankend, neben dir an der Bushaltestelle steht und über alles schimpft. Und insgeheim bist du froh, dass im Bus nicht zwei Plätze nebeneinander frei sind.

Befällt uns manchmal auch ein Zorn, wenn wir so einen le-bendig Begrabenen treffen? Es müsste allerdings ein Zorn sein, aus dem schließlich Ideen und Kräfte zur Hilfe erwach-sen.

Das Besondere an Jesus ist, das er das Elend an sich heran-kommen lässt. Er respektiert das Tabu nicht, mit dem die Ausgestoßenen belegt waren. Er geht darüber hinweg.

Unsere Geschichte als diakonische Geschichte zu lesen, be-deutet, dass auch wir genauer hinsehen bei Menschen, für die man vielleicht normalerweise nur ein paar abschätzige Bemerkungen übrig hätte. Dass wir uns nicht abfinden mit den Ungerechtigkeiten in unserer Umwelt, frei nach dem Motto: „Wie gut, dass es mir gut geht!“, sondern dass wir unsere Hand ausstrecken. Zum Glück gibt es das ja auch unter uns. Die spontane und weitreichende Hilfsbereitschaft für die Opfer von Naturkatastrophen legt Zeugnis davon ab. [hier gegebenenfalls aktuelle Bezüge zu besonderen Notlagen her-stellen].

Jede wirksame Hilfe fängt damit an, dass jemand die Tabus ignoriert. Einer fängt an, die ungeschriebenen Gesetze der Ausgrenzung zu ignorieren. Diakonie überwindet Grenzen, diese Einsicht muss unter uns lebendig bleiben.

Die zweite Möglichkeit, den Text zu verstehen, möchte ich die „evangelische“ Lesart nennen. Diese Lesart lädt uns ein, uns neben den Kranken, neben den Aussätzigen zu stellen.

Zugegeben, das fällt schwerer. Wer möchte schon gern zu den Ausgestoßenen der Gesellschaft gehören?! Aber doch haben viele von uns so eine Situation schon erlebt: Eine schwere, vielleicht unheilbare Krankheit, die unerwartete Kündigung des Arbeitsplatzes, der Verlust eines lieben Men-schen, kann dazu führen. Plötzlich sind wir allein, weit ent-fernt vom Kreis derer, bei denen alles so glatt läuft. Es kann auch ein Fehler sein, eine Schuld, die wir auf uns geladen haben und die nicht im Handumdrehen wieder gutzumachen ist, die sich wie eine trennende Mauer zwischen uns und un-sere Mitmenschen schiebt. Ausgeschlossen aus dem Kreis des Lebens, so fühlen wir uns dann. Und vielleicht haben wir in solch einer Lage nicht einmal mehr die Kraft, unsere Hand auszustrecken und um Hilfe zu bitten.

In den Psalmen gibt es viele Worte, die solch ein Lebensge-fühl beschreiben. Mit mir ist es aus; die Kräfte schwinden mir, ich kann nicht mehr. Meine Freunde sind mir entfrem-det, sie wenden sich von mir ab. Meine Feinde zerreißen sich das Maul über mich. Ich bin im Elend gefangen und finde keinen Ausweg.
Können wir uns im Bild dieses angstbeladenen, nach Hilfe schreienden Menschen wiedererkennen? Sicher nicht jeder. Aber mancher von uns schon. Und wer so etwas einmal er-lebt hat, vergisst es nicht so leicht.

Die Bibel sagt uns, dass wir im Grunde alle so verletzlich und hilfsbedürftig sind, egal, ob wir nun gerade obenauf oder wirklich ganz unten sind. Wir alle sind angewiesen auf das Erbarmen und die Zuwendung unserer Mitmenschen, darauf, dass Gott auch an uns Wunder tut. Das ist evangelischer Glaube.

In unserer Geschichte geschieht das Wunder. Ein Mensch wird geheilt. Er kehrt in die Gemeinschaft der Lebenden zu-rück, er steht auf zu neuem Leben. Das ist kaum zu glau-ben. Aber das Wunder ist wahr. Mehr noch: Es lässt sich auch nicht geheim halten. Es erzählt sich fort – immer weiter bis in unsere Zeit, bis zu uns.

Heute sind wir die Menschen, unter denen diese Wunder ge-schehen. Sonst wären wir nicht hier. Sonst würden wir nicht Gottesdienst feiern, wir würden Gott nicht singen, wir wür-den ihm unsere Not nicht klagen und ihm nicht für seine Hilfe danken.
Aber wir tun es. Weil Gott auch heute Wunder tut.

Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut.

So beginnt ein Gedicht von Marie-Luise Kaschnitz.
Manchmal geschieht auch unter uns so etwas. Einer war lan-ge wie isoliert von den andern, war ausgesperrt, hatte kaum Anteil am normalen Leben. Aber dann: Auferstehung. Er ist noch derselbe, aber ist doch ein anderer geworden. Was ihm geholfen hat? Das kann er selbst gar nicht genau erklären. War es eine ausgestreckte Hand? War es ein offenes Ohr. War es ein heilendes Wort? Oder ein freundlicher Blick? – Was auch immer, er steht auf zu neuem Leben. Und er kann erzählen davon, dass Gott auch heute Wunder tut.
Amen.

Fürbittengebet
Gott, wir wollen dir danken für das Wunder des Lebens,
für die unzähligen Momente, in denen wir bewahrt blieben
und uns kein Unglück geschehen ist,
für die Augenblicke nach überstandener Gefahr
für die Zeiten der Besserung nach schwerer Krankheit.
Wir bitten dich für die Menschen,
die vergeblich auf Besserung hoffen,
die täglich und nächtlich mit Schmerzen leben,
die bis in die Träume von Schreckensmomenten
gequält werden.
Hilf uns, ihnen nahe zu sein.
Wir rufen zu dir: Herr, erbarme dich.

Danken wollen wir
für die Zeiten des Ausspannens, für Ruhe und Erholung,
für die wunderbaren Bilder von schönen Landschaften,
für die Begegnung mit Fremden, für das Wiedersehen mit Freunden,
Wir denken vor dir an die Menschen,
die der Leistungsdruck nicht loslässt,
auch für die, die keiner braucht, die keiner erwartet, auf die sich niemand freut, die sich an nichts mehr freuen können.
Hilf uns, unsere Freude und Dankbarkeit mit ihnen zu teilen.
Wir rufen zu dir: Herr, erbarme dich.

Dankbar sein wollen wir auch
für alles, was uns zugutekommt
und uns mancher Sorge enthebt,
für Medizin und ärztliche Behandlung,
für die Vorsorge und Fürsorge anderer.
Vergessen wollen wir die nicht,
für die jeder Tag ein Kampf ums Überleben,
jede Krankheit eine Lebensbedrohung ist,
die Medizin sich nicht leisten können,
die Aussätzigen unter den Völkern der Erde.
Hilf uns, dass wir uns nicht abfinden mit ihrer Not.
Wir rufen zu dir; Herr, erbarme dich.

Gott, du hörst nicht auf, unter uns wirksam zu sein,
bis alles geheilte und erlöste Leben dir dankt und dich lobt in Ewigkeit. Amen.


Verfasser: Pfarrer Ralf Schultz
Backhausstr. 6, 99094 Erfurt

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