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Jesu Hingabe befreit uns zur Hingabe

von Uwe Handschuch (Dietzenbach-Steinberg)

Predigtdatum : 05.04.2012
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Palmsonntag
Textstelle : 1. Korinther 10,16-17
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Tagesspruch:

„Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder, der gnädige und barmherzige Herr.“ (Ps 111, 4)

Psalm: 111 (EG 744)

Lesungen

Altes Testament: 2. Mose 12, 1.3 – 4.5 – 7.11 – 14

Epistel: 1. Korinther 11, 23 – 26

Evangelium: Johannes 13, 1 – 15 (34 – 35)

Liedvorschläge

Eingangslied: EG 488, 1 - 5 Bleib bei mir, Herr

Wochenlied: EG 98, 1 - 3 Korn, das in die Erde

Predigtlied: EG 221, 1 - 3 Das sollt ihr, Jesu Jünger

Schlusslied: EG 266, 1 - 5 Der Tag, mein Gott, ist nun vergangen

Liebe Gemeinde,

es gehört zu den einfachsten und beliebtesten Spielen, die ich kenne. Zugegeben, es mag ein „Kinderspiel“ sein, aber eben eines, das man auch von Zeit zu Zeit als Erwachsener gerne mitspielt. Ein Spiel, das sich ganz ohne Material, völlig ohne Vorbereitung und großes Regel-Erklären, praktisch überall spielen lässt. Ein Spiel, zu dem es überhaupt nur zwei Mitspieler braucht.

Ein Ratespiel ist es, das damit spielt, dass sich die Weltanschauungen der Mitspielenden meist deutlich voneinander unterscheiden. Ein Spiel, das auf dem ersten Blick dem Mitspieler mit einem einzigen Satz unterstellt, dass dieser der eigenen Weltsicht ganz offensichtlich unterlegen ist: „Ich seh' etwas, was du nicht siehst...“

Und häufig sieht der andere dann in der Tat nicht, was der eine sieht, obwohl er doch dasselbe vor seinen Augen hat. Manchmal ist das Gesuchte nämlich einfach zu unauffällig und zu winzig, als dass es wahrgenommen, und manchmal ist es eben zu groß und offensichtlich, als dass es bemerkt werden würde.

„Ich seh' etwas, was du nicht siehst...“ - ich finde, das ist mehr als nur ein Spiel. Es ist schon fast eine Art Gleichnis auf das, was Menschen, die glauben können, oft erleben, wenn sie es mit Menschen zu tun bekommen, denen das Glauben schwer fällt. Glaubensdinge sind ja in der Tat meist der Offensichtlichkeit und dem Erkennen von Jedermann entzogen. Und manchmal tut es auch dem Glaubenden Not, an diesen anderen Blick des Glaubens erinnert zu werden. Der Apostel Paulus tat das vor fast zweitausend Jahren mit seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth.

Lesung des Predigttextes

Liebe Gemeinde,

„Ich seh' etwas, was du nicht siehst...“ Unterschiedliche Sichtweisen auf ein und dasselbe waren wohl eher nichts Spielerisches, sondern ganz offensichtlich das große Problem der Christenmenschen in Korinth. Sie hatten sich nämlich in ihren Ansichten weit auseinander entwickelt und dabei nicht nur voneinander, sondern auch vom Zentrum ihres Glaubens entfernt. Der Apostel Paulus versuchte nun ihnen mit seinem Brief wieder die Augen zu öffnen für das Wesentliche ihres Glaubens:

Den gekreuzigten Jesus zu verehren mag zwar für die eine Hälfte der Welt eine Dummheit und für die andere Hälfte eine Unverschämtheit sein, für Christen ist das Kreuz aber die Kraftquelle, mit der sie die eigene Schwachheit im göttlichen Licht der Gnade sehen können. Die einen mögen zwar in ihrem christlichen Enthusiasmus alles für erlaubt halten, während die andern lieber immer neue Gesetze und Traditionen aufrichten wollen; für Christen aber ist der Blick auf die Schwachen der Horizont, vor dem sie handeln sollen und handeln wollen.

Und auch beim Abendmahl, dem „Herrenmahl“ wie es der Apostel nennt, muss Paulus die Korinther auf das weisen, was wirklich Glaubenssache ist. Das Essen von Fleisch, das nach heidnischen Riten geschlachtet wurde, das sogenannte „Götzenopferfleisch“ ist das eine: Wenn dies Fleisch nicht als solches deklariert ist, so schadet es dem „ fleischfressenden“ Christenmenschen nicht. Wenn es aber als solches gesehen und erkannt wird, ist es eben im engeren Sinne des Wortes christliche „Ansichtssache“ und besitzt darum eine Bedeutung über das Fleischliche hinaus. Deshalb hat es auch nichts beim Herrenmahl und im Magen eines Christenmenschen zu suchen, die ja keinen Gott kennen neben und keinen Herren verehren außer dem Einen. Es ist Tabu, und zwar nicht, weil es einem selber schaden würde, (da ist ja nun wirklich nur ein Stück Fleisch zu sehen, das in einem dubiosen Zusammenhang zu nicht-existenten Göttern steht), sondern weil ein in seinem Glauben Schwächerer darin eine mehr als irrtierende Verletzung des ersten Gebots sehen könnte.

Den Blick des Bruders und der Schwester gilt es also immer mit in Betracht zu ziehen. Und der Blick auf die Geschwister lehrt dann in aller Regel wie in aller Freiheit ein rücksichtsvolles Verhalten. Denn wenn einer von dem anderen absieht, wenn der eine wie der andere nur auf sich sieht, beeinträchtigt oder zerstört er gar damit das, worauf es dem Apostel vor allem ankommt: Die Gemeinschaft – und zwar nicht nur die Gemeinschaft untereinander, sondern gerade die Gemeinschaft mit Jesus Christus. Diese Gemeinschaft ist das Kriterium, nachdem Gemeinde sich beurteilen lassen muss.

Nun, Beurteilungen sind ja zurzeit offenbar in Mode: „Qualitätsmanagement“ heißt das Stichwort und ist keine Sache der mittleren bis höheren Führungsebenen mehr, sondern etwas, das mir in meinem Alltag begegnet. Wenn ich etwas im Internet bestelle, dann werde ich, kaum dass die Ware bei mir angekommen ist, auf elektronischem Wege gefragt, wie das Produkt bei mir ankommt. Als Verkäufer auf ebay erlebe ich sogar, wie „positiv“, „neutral“ oder „negativ“ ich von denen beurteilt und bewertet werde, die einen Artikel von mir ersteigert haben. Und auch vor den Kirchentüren scheint diese neuzeitliche „Bewertungs-Seuche“ nicht Halt zu machen: Da gibt es anonyme Gottesdienstbesuche durch Journalisten, die ihre verdeckten Ermittlungen mit null bis fünf Sternchen dann in einem Kirchen-blatt (chrismon) veröffentlichen; und neuerdings findet sich sogar ein Hirtenbarometer(.de) im WorldWideWeb, auf dem die Schafe null bis sechs Punkte für die Arbeit ihrer Hirten abgeben können. Dagegen kommt ein mehrseitiger Bericht bei einer kirchlichen Visitation schon wie eine wissenschaftliche Arbeit daher.

Aber wie lässt sich überhaupt in diesem Bereich „Qualität“ managen und feststellen? Nach welchen Kriterien wird da bewertet? Nach welchen Werten wird da kritisiert? Was wird als Erfolg verbucht und was wird bemängelt? Welche Qualität sähe zum Beispiel ein Kritiker, der heute (Abend) unseren Gottesdienst besuchen würde? Eine Kirche mit richtig viel, vielleicht zu viel Platz? Eine Ansammlung von Menschen, die ein beredtes Zeugnis für die Überalterung unserer Gesellschaft abgeben? Ein Gottesdienst zu ungünstiger Zeit, an einem Abend, der für die meisten Mitmenschen ein ganz normaler stressiger Werktag vor einem Feiertag ist? Eine Feier vor einem hohen Feiertag, die von einer Prädikantin geleitet wird, weil der Pfarrer sich lieber ganz auf morgen konzentrieren möchte?

Und, um nicht bei unseren „Qualitäten“ stehen zu bleiben: Was hätte der werte Kritiker gesehen damals vor knapp zweitausend Jahren beim ersten Gründonnerstagsgottesdienst? Gerade mal dreizehn Männer bei Tisch? Eine geschlossene Männerrunde ohne Außenwirkung? Gedrückte Stimmung, jene fatale Mischung aus gegenseitigen Vorwürfen und Selbstzweifeln? Leute, die kurz danach das Weite suchen und ihren Gastgeber im Stich lassen, wenn sie ihn nicht gerade verleugnen und verkaufen werden? Ein Gastgeber, der in hilflosen Gesten versucht das Schlimmste zu verhüten und dann auf der ganzen Linie scheitert - und stirbt?

Ja, das sieht alles andere als nach Erfolgsgeschichte aus: Hirtenbarometer auf Tiefdruck und von Qualität wie Quantität nichts zu sehen. Und da ist auch auf den ersten Blick kein Grund zur Hoffnung, dass da irgendwann einmal irgendetwas daraus werden könnte, und da gibt es auch auf den zweiten Blick keinen Anlass, nicht zu verzweifeln. Aber dieser Befund muss ja nicht unbedingt an dem liegen, was gesehen wird, sondern kann sich auch an dem festmachen, der sieht.

Denn erst wenn anders gesehen wird, kann es wohl so etwas wie den Durchblick geben. Erst wenn sich die Blicke nicht mehr von den Äußerlichkeiten gefangen nehmen lassen, lässt sich hinter das Gesehene blicken: „Ich seh' etwas, was du nicht siehst – und wenn du sehen könntest wie ich, würdest du Augen machen!“

Dort wo Gott unsichtbar in die Mitte von Menschen tritt, geschieht nämlich etwas, das oft genug den Blicken verborgen ist. Dort wo Gott die Mitte ist, konzentriert sich das Denken auf eine Gemeinschaft, die sich dem unabhängigen Beobachter nicht immer erschließt, die sich aber dem, der sich darauf einlässt, den ganzen Himmel öffnen kann.

„Ich seh' etwas, was du nicht siehst...“: Für die einen mag es die Jahreshauptversammlung der gescheiterten Existenzen sein, für die anderen ist es der Nährboden für eine weltweite Bewegung.

„Ich seh' etwas, was du nicht siehst...“: Für die einen mag es ein Becher mit billigem Wein sein, für die anderen ist es die Vergegenwärtigung des teuren Heilandes.

„Ich seh' etwas, was du nicht siehst...“: Für die einen sieht es nur aus wie ein Stück trocken Brot oder Esspapier, für die anderen ist es die ganze Gemeinschaft mit Gott.

„Ich seh' etwas, was du nicht siehst…“: Für die einen ist es ein erschöpfter und verlassener Wanderprediger, der da am Kreuz stirbt, für die anderen ist es der Sohn Gottes, der die ganze Menschheit erlöst.

„Ich seh' etwas, was du nicht siehst...“: Für die einen ist es nur ein zusammengewürfelter Haufen Menschen, für die anderen ist es aber die Gemeinschaft der Heiligen.

„Ich seh' etwas, was du nicht siehst...“: Für die einen sind es nur leere Worte, für die anderen spricht da Gott selbst.

„Ich seh' etwas, was du nicht siehst...“: Für die einen ist es nur vertane Zeit, für die anderen ist es ein Segen für ihr ganzes Leben.

Christsein heißt, es trotzig wie tapfer immer wieder mit dem Blick der anderen zu versuchen, den Horizont weiter und den Blick heiter sein zu lassen, tiefer zu sehen und deshalb auch weiter gehen zu können.

Christsein heißt, als so ganz anderer dem einen zu helfen, dass er den Blick frei bekommt, um seinen Augen zu nehmen, was sie noch gefangen hält: Das was sie Realität nennen, und was sie in Wirklichkeit nicht an der Gemeinschaft mit Christus teilhaben lässt.

Christsein heißt, immer wieder ins Spiel zu bringen: „Ich seh' etwas, was auch du glauben kannst und was dich tragen wird.“ Amen.

Verfasser: Pfarrer Uwe Handschuch

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