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Josef

von Anne Schumann (Ev. Auferstehungsgemeinde Mainz)

Predigtdatum : 30.12.2018
Lesereihe : I
Predigttag im Kirchenjahr : 1. Sonntag nach dem Christfest
Textstelle : Matthäus 2,13-18.(19-23)
ggf. Homepage, auf der die Predigt verzeichnet ist : http://www.auferstehungsgemeinde.de
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Wochenspruch: "Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, vol-ler Gnade und Wahrheit."  (Johannes 1,14 b)

Psalm: 71,1-3.12.14-18

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Reihe I: Matthäus 2,13-18(19-23)
Reihe II: Hiob 42,1-6
Reihe III: Lukas 2,(22-24)25-38(39-40)
Reihe IV: 1. Johannes 1,1-4
Reihe V: Jesaja 49,13-16
Reihe VI: Johannes 12,44-50

Liedvorschläge

Eingangslied: EG 39 Kommt und lasst uns Christus ehren
Wochenlied: EG 34 Halleluja, Halleluja, freuet euch Ihr Christen alle                    
Predigtlied: EG 50 Du Kind, zu dieser heilgen Zeit oder EG 38 Wunderbarer Gnadenthron
Schlusslied: EG 56 Weil Gott in tiefster Nacht erschienen

Predigttext Matthäus 2, 13 - 18 (19 - 23)

Die Flucht nach Ägypten

13 Als sie aber hinweggezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir's sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen.
14 Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich bei Nacht und entwich nach Ägypten
15 und blieb dort bis nach dem Tod des Herodes, auf dass erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Hosea 11, 1): »Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.«
16 Als Herodes nun sah, dass er von den Weisen betrogen war, wurde er sehr zornig und schickte aus und ließ alle Knaben in Bethlehem töten und in der ganzen Gegend, die zweijährig und darunter waren, nach der Zeit, die er von den Weisen genau erkundet hatte.
17 Da wurde erfüllt, was gesagt ist durch den Propheten Jeremia, der da spricht (Jeremia 31,15):
18 »In Rama hat man ein Geschrei gehört, viel Weinen und Wehklagen; Rahel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn es war aus mit ihnen.«
[19 Als aber Herodes gestorben war, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum in Ägypten
20 und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und zieh hin in das Land Israel; sie sind gestorben, die dem Kindlein nach dem Leben getrachtet haben.
21 Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich und kam in das Land Israel.
22 Als er aber hörte, dass Archelaus in Judäa König war anstatt seines Vaters Herodes, fürchtete er sich, dorthin zu gehen. Und im Traum empfing er einen Befehl und zog ins galiläische Land
23 und kam und wohnte in einer Stadt mit Namen Nazareth, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch die Propheten: Er soll Nazoräer heißen.]

Predigt

Wer – außer dem Baby Jesus – ist die Hauptperson der Weihnachtsgeschichte? Wenn Sie mich das vor zwei Wochen gefragt hätten, hätte ich ohne Zögern geant­wortet: Maria, ganz klar Maria. Und dann las ich den Anfang des Matthäusevangeliums mal am Stück und stellte völlig verblüfft fest, dass Maria da kaum erwähnt wird. Stattdessen geht es um Josef und immer wieder um Josef. Dieselbe Geschichte, aber aus einem völlig anderen Blickwinkel.

Es gibt ja vier sogenannte Evangelien in der Bibel, alle vier erzählen vom Leben Jesu, aber sie erzählen aus verschiedener Perspektive und mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Weihnachtsgeschichte, wie ich sie im Kopf hatte, steht im Lukasevangelium. Lukas ist der Evangelist, dem es vor allem um die Armen, um die Schwachen, um die Leute an den Rändern der Gesell­schaft und eben immer wieder auch um die Frauen geht. Lukas erzählt, wie der Engel zu Maria kommt und ihr die Schwangerschaft ankündigt. Lukas erzählt nicht nur von dem Priester Zacharias, sondern von seiner Frau Elisabeth, die schon so alt ist und doch noch ein Kind bekommt. Lukas erzählt, wie Maria Elisabeth besucht und dort in ein Loblied ausbricht, das wir vor­hin als Psalm gebetet haben. Lukas erzählt von der eigentli­chen Geburt und davon, wie Maria ihr Kind zärt­lich in Windeln wickelt und in eine Krippe legt. Und Lukas er­zählt nicht nur von Simeon, sondern auch von Hanna; ein alter Mann und eine alte Frau, die den neu­gebore­nen Messias im Tempel erkennen. Immer wie­der sind es Frauen, über die Lukas in seinem Evange­lium berich­tet und in die er sich einfühlt, und in der Weihnachts­geschichte ist es eben vor allem Maria.

Bei Matthäus ist das anders. Das Matthäusevangelium beginnt mit dem Stammbaum Jesu, genauer gesagt mit dem Stammbaum Josefs. Und dann erfahren wir, wie Josef sich damit auseinandersetzen muss, dass seine Verlobte Maria schwanger ist, aber eben nicht von ihm. Er soll Maria trotzdem heiraten und er bekommt direkt nach der Geburt den Auftrag, mit seiner Frau und dem Säugling ins Ausland zu fliehen. In der Weihnachts­geschichte nach Matthäus wird Maria fast nur am Rande erwähnt; Josef ist die zentrale Figur.

Was wissen wir eigentlich über Josef? Wir wissen, dass er Jude war und ein Nachkomme des großen Königs David. Seinetwegen – und nicht wegen Maria – trug Jesus den Ehrentitel „Sohn Davids“. Er war von Beruf Zimmermann, genauer gesagt Bau­handwerker, er arbeitete also mit Holz und Steinen am Bau und hatte wohl eine kleine Firma, mit der er auf Montage ging. Damit gehörte er nicht zu den Allerärmsten im Land, aber jede Krankheit und jeder ent­gan­gene Auftrag konnte den unmittelbaren Bankrott bedeuten; es war ein Leben nur knapp über dem Exis­tenz­minimum. Auf Gemälden wird Josef oft als sehr alter Mann dar­gestellt, um zu zeigen, dass er nicht der leibli­che Vater Jesu sein konnte. Historisch ist es wahr­scheinlicher, dass er so um die 20 war, als Jesus gebo­ren wurde. Das Ehepaar hatte insgesamt mindestens sieben Kinder. Als Jesus mit 30 Jahren dann öffentlich auftrat, war Josef höchstwahrscheinlich schon tot.

Soweit die dürren Fakten, soweit wir sie kennen. Aber was war Josef denn für ein Mensch? Josef will Maria nicht bloßstellen, als er merkt, dass sie schwanger ist. Zu diesem Zeitpunkt der Geschichte geht er noch selbstverständlich davon aus, dass ein anderer Mann im Spiel ist. Dass seine Verlobte ein Kind erwartet und dieses Kind nicht von ihm ist, das muss ihn zutiefst ver­letzt und auch in seiner Ehre gekränkt haben. Und trotzdem will er sich nur stillschweigend von ihr tren­nen und nicht an die Öffentlichkeit gehen. Er will still und leise die Beziehung beenden und damit sähe es für alle Welt nämlich so aus, als hätte er dieses Mädchen geschwängert und dann einfach sitzenlassen. Und das will Josef auf sich nehmen, weil er weiß, dass es in der damaligen Gesellschaft für Maria wirklich gefährlich ist, unverheiratet schwanger zu werden. Und er weiß auch: Er als Mann ist in einer viel stärkeren Position und nur dadurch, dass er diese Vaterschaft auch wider besseres Wissen anerkennt, sind Mutter und Kind einigermaßen geschützt. Wenn ich mir vorstelle, Josef hätte mit sei­nen Kumpels über diese Sache geredet – wahrschein­lich hätten die zu ihm gesagt: „Du bist doch blöd, das mit dir machen zu lassen! Die dumme Kuh verdient es doch nicht besser, der würd ich’s zeigen!“ Aber Josef ist tatsächlich bereit, seinen eigenen Ruf zu ruinieren, um seine Verlobte, die ihn offenbar hintergangen hat, so gut er kann zu schützen.

Matthäus benutzt ein einziges Wort, um Josef zu cha­rakterisieren. Er schreibt, Josef war gerecht.  Gerecht, damit ist viel mehr gemeint als nur fair. Fair ist das nämlich nicht, was Josef da tut, das ist viel, viel mehr. In der Bibel wird dieses Wort „gerecht“ immer wieder benutzt, um Gott selber zu beschreiben, die Treue und Liebe Gottes zu seinen Menschen. Gott wird gerecht genannt, weil er auch dann noch zu uns steht, wenn wir uns von ihm abwenden, wenn wir schuldig werden an ihm und an anderen. Gott wird gerecht genannt, weil er eben nicht so handelt, wie es ihm zustünde, weil er nicht auf seinem guten Recht besteht und uns straft. Gott wird gerecht genannt, weil er seinen Sohn gibt, damit wir Menschen heil werden. Gott ist großzügig, Gott ist treu, Gott vergibt uns, das ist gemeint, wenn von Gottes Gerechtigkeit die Rede ist. Und Josef war so ein Mensch, der diese Eigenschaft Gottes spiegelte. Er hatte sich sozusagen eine Scheibe davon abgeschnit­ten. Deswegen war Josef gerecht, und deswegen konnte er so reagieren.

Josef hatte soviel verstanden von der Liebe und Treue Gottes und setzte es in seinem Leben in die Tat um, und deshalb hatte er auch wirklich viel zu sagen. Sollte man meinen. Tatsache ist, Josef sagt – gar nichts. Es ist nicht ein einziger Satz von ihm überliefert. Nichts, was Josef jemals gesagt hat, war es wert, ins Neue Testa­ment aufgenommen zu werden. Möglicherweise hat er ja auch kaum etwas gesagt. Seine Frau, die redet mit dem Engel, die dichtet einen wunderbaren Lobgesang mit vielen Zitaten aus dem Alten Testament, die disku­tiert später mit dem herangewachsenen Jesus. Aber Josef sagt einfach gar nichts. Solche Ehepaare gibt es ja, von der Sorte kenne ich noch mehr. Und wären Josef und Maria in einem Hauskreis gewesen, dann hätte sie vielleicht den Abend geleitet und in der Gebetsgemein­schaft das Wort geführt und er hätte still und stumm dabei gesessen. Dinge in Worte zu fassen war einfach nicht seins, da konnte er nicht mithalten.

Und trotzdem hat Joseph eine ganz eigene Spiritualität, die auch anders war als die Gottesbeziehung seiner Frau. Ganz selten nur spricht Gott zu ihm im Traum, und dann hört Josef gut hin und folgt dem, was er hört. Josef ist wirklich kein Träumer, er steht mit beiden Bei­nen auf dem Boden, und normalerweise kann er das, was er tun soll, aus dem Wesen und aus den Geboten Gottes gut ableiten. Aber in seltenen Fällen, genau vier Mal in seinem Leben, da braucht er eine besondere Weisung und dann bekommt er sie auch, weil er prinzi­piell offen dafür ist, dass Gott zu ihm reden kann und darf. Heirate Maria trotzdem. Flieh nach Ägypten. Geh zurück nach Israel. Zieh nach Galiläa. Josef träumt nicht, dass ein Engel Gottes zu ihm sagt: „Kümmere dich um deine Frau und sei ein guter Vater für Jesus.“ Das weiß er auch ohne Traum und diese Verantwor­tung schultert er ganz tapfer und bereitwillig. Da muss Gott keine großen Worte machen und Josef schon mal gar nicht. Nur in wenigen entscheidenden Momenten seines Lebens bekommt er ein besonderes Wort von Gott ganz allein für sich, und dann nimmt Josef ernst, was er hört. Gott schwätzt nicht. Wir haben die Bibel und das genügt zur Orientierung in den allermeisten Situationen unseres Lebens. Und wenn wir offen dafür bleiben, dann wird Gott uns schon nicht in die Irre gehen lassen, wenn wir darüber hinaus eine besondere Wegweisung brauchen.

Josef ist gerecht, denn er orientiert sein Verhalten an der Treue und Liebe Gottes. Und er ist prinzipiell offen dafür, dass Gott auch direkt und persönlich zu ihm sprechen kann. Abgesehen von diesen beiden Eigen­schaften ist Josef aber ein sehr normaler Mann und in dem wunderbaren Buch von Otfried Preußler „Die Flucht nach Ägypten“  macht er sich permanent Sorgen wegen der Reisepässe und ab und zu braucht er abends auch mal ganz dringend ein Glas Bier. Der Josef der Bibel kannte politische Freiheit nur aus den Geschich­ten seiner Vorfahren. Zeit seines Lebens war Israel von den Römern besetzt, und als der Engel ihn im Traum vor Herodes warnt, zögert Josef keine Sekunde, son­dern flüchtet Hals über Kopf und mitten in der Nacht. Josef erwartet keinen Schutzengel für Maria und das Baby, dieser Schutzengel muss er schon selber sein und sich in einer harten und oft erbarmungslos brutalen Welt ir­gendwie zurechtfinden. Durch die Wüste musste er und über die Grenze, sich in einem fremden Land über Was­ser halten, nach Jahren zurück in die Heimat und sich dort schon wieder eine neue Existenz auf­bauen. Und das alles wegen dieses Kindes, das, was auch immer es war, jedenfalls nicht sein Kind war.

Wer weiß, wieviel Josef überhaupt verstanden hat von dem, was da passierte. Der Engel hatte ihm zwar gesagt, dass Jesus sein Volk von den Sünden retten würde. Aber wie das jemals geschehen soll, das erfährt Josef bis an sein Lebensende nicht. Anders als Maria ist er nicht dabei, als Jesus predigt, er erlebt nicht mit, wie Jesus Menschen heilt, wie er Tote auferweckt, wie er gekreuzigt wird und selbst vom Tod aufersteht. Der Evangelist Matthäus aber deutet das, was Josef erlebt hat, im Rückblick. Matthäus zitiert immer wieder aus dem Alten Testament, man nennt das „Erfüllungs­zitate“. Was die alttestamentlichen Propheten voraus­gesagt haben, das erfüllt sich nun durch Jesus, darauf will Matthäus hinweisen. Sogar in dem entsetzlichen Abschlachten der Kinder sieht Matthäus die Erfüllung einer Prophezeiung, aber an dieser Stelle muss man ganz genau auf die Formulierung achten: Der Kinder­mord findet nicht statt, damit eine Prophezeiung erfüllt wird. Er findet einfach nur statt und der kleine Jesus entkommt, nur um 30 Jahre später von den Römern brutalstmöglich ermordet zu werden. Im Unterschied zu Matthäus weiß Josef von alledem nichts und hat keine Erklärung für das, was geschieht. Wie sein per­sönliches Schicksal und das Schicksal seiner Familie in den Zusammenhang der Heilsgeschichte hineinpassen, davon hat Josef keine Ahnung.

Josef ist nicht derjenige, der mit seiner umfangreichen Bibelkenntnis das Alte Testament ausdeutet, und er kann auch nicht in die Zukunft schauen. Wenn Josef sich fürchtet, dann ist das nur vernünftig. Aber mit dem, was er als Handwerker eben so hat an Lebens-klugheit und Tüchtigkeit, lässt er sich von Gott in den Dienst nehmen. Ohne diesen Mann wäre Maria als alleinerziehender Teenager verloren gewesen; sie hätte es niemals geschafft, sich und ihr Kind zu schützen und es großzuziehen. Josef ist gerecht und liebevoll und treu. Er ist offen für das Reden Gottes. Und auch wenn er sein eigenes Schicksal nicht versteht und nicht deu­ten kann, verliert er nicht das Vertrauen, sondern erfüllt den Willen Gottes, so gut er eben kann. Mat­thäus hatte allen Grund, ihn in den Mittelpunkt der Weih­nachtsgeschichte zu stellen als Vorbild für uns.

Verfasserin: Anne Schumann, Mainz