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Leitbild: Die Krone des Lebens

von Doris Joachim (Zentrum Verkündigung der EKHN)

Predigtdatum : 17.11.2013
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres
Textstelle : Jeremia 8,4-7
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Wochenspruch:

„Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi.“ (2. Korinther 5, 10)

Psalm: 50, 1.4 – 6.14 – 15.23

Lesungen

Altes Testament: Jeremia 8, 4 – 7

Epistel: Römer 8, 18 – 23 (24 – 25)

Evangelium: Matthäus 25, 31 – 46

Liedvorschläge

Eingangslied: EG 450 oder EG 452 Morgenglanz der Ewigkeit Er weckt mich alle Morgen

Wochenlied: EG 149 oder EG 412 Es ist gewisslich an der Zeit So jemand spricht: „Ich liebe Gott“

Predigtlied: EG 234 oder EG 237 „So wahr ich lebe“, spricht dein Gott Und suchst du meine Sünde

Schlusslied: EG 421 oder EG 640 Verleih uns Frieden gnädiglich Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehn

Vorbemerkung

Für diese Predigt empfehle ich die Übersetzung der Neuen Zürcher Bibel. Sie gibt den hebräischen Urtext genauer wieder, indem sie, anders als die Lutherübersetzung, das so häufig verwendete hebräische Wort „schub“ konsequent mit dem deutschen „wenden“ übersetzt. Damit ist der Ruf Gottes zur Umkehr, der sich durch das ganze Jeremia-Buch zieht, stärker hervorgehoben.

Predigttext (Neuer Zürcher Bibel)

Und du sollst zu ihnen sagen:

So spricht der HERR:

Wenn man fällt,

steht man dann nicht wieder auf?

Oder wendet sich einer weg

und wendet sich nicht wieder hin?

Warum wendet dieses Volk, Jerusalem, sich ab,

sich fortwährend ab?

Am Trug halten sie fest,

sie weigern sich, sich wieder hinzuwenden.

Ich gab acht und hörte hin:

Es ist nicht so, wie sie sagen!

Keiner bereut seine Bosheit,

dass er sagte: Was habe ich getan!

Jeder wendet sich ab in seinem Lauf,

wie ein Pferd, das in die Schlacht stürmt.

Selbst der Storch am Himmel kennt seine Zeiten,

und Taube und Mauersegler und Schwalbe halten die Zeit ihrer Heimkehr ein,

mein Volk aber kennt nicht die Ordnung des HERRN.

Predigt

Woher wissen die Störche, wann sie aus dem Süden nach Norden zurückkehren sollen? Und wie finden sie den Weg? Es ist ein Rätsel, bis heute. Da gibt es Untersuchungen und Theorien. Instinkte sind es, sagt man. Aber was genau sind Instinkte? Letztlich stehen wir staunend da und schauen zum Himmel. Die Vögel fliegen Jahr für Jahr an den Küsten des Mittelmeeres entlang über Israel, damals wie heute. Ein Wunder. Schwärme von Zugvögeln in geheimer Ordnung. Sie wissen, was sich gehört und wann sie umkehren müssen. Die Menschen wissen das nicht immer.

Und wie kommt es, dass ein Pferd in die Schlacht stürmen kann? Pferde sind doch eigentlich Fluchttiere. Sie sind ängstlich und nicht auf Kampf aus. Pferde kann man dressieren. Störche nicht. Pferde kann man desensibilisieren, also unsensibel machen. Dann folgen sie nicht mehr ihren Instinkten, sondern den menschlichen Reitern. Für die berittene Polizei z. B. ist das heute noch wichtig oder eben früher für die Kriegspferde. Dafür brauchen sie Scheuklappen, Übung und eventuell einen Tritt des Reiters mit Sporen an den Fersen.

Mit Tritten, Übung und Scheuklappen macht man Tiere und Menschen gefügig. Unsensibel für ihre eigenen Instinkte. Und das Verrückte ist, dass Menschen das nicht nur anderen, sondern auch sich selbst zufügen können. Eine Engstirnigkeit, die den guten Weg nicht sehen will. Die Instinkte sagen: Ich kehre um, wenn ich auf dem falschen Weg bin. Ich stehe auf, wenn ich gefallen bin. Die Engstirnigkeit sagt: Aber vielleicht können wir diesen Krieg doch gewinnen. Die Risiken können wir kalkulieren. Schließlich geht es um unsere Sicherheit und Freiheit, die am Hindukusch und an vielen anderen Orten der Welt verteidigt wird.

Natürlich lässt sich jetzt viel über Instinkte diskutieren. Ob die uns denn immer den richtigen Weg weisen, ob es nicht auch niedere Instinkte gibt und dass wir Menschen ja auch noch Seele und Verstand haben. Die Wissenschaft ist sich in dieser Frage nicht einig. Darum halten wir uns einfach an die Beobachtungen, die sich seit Jeremias Zeiten nicht geändert haben: Es gibt Tiere, die einfach wissen, was richtig ist und auch so handeln. Und es gibt Tiere und Menschen, die das zwar auch irgendwie wissen, aber nicht danach handeln. Und Gott kann einfach nicht begreifen, warum die Menschen etwas tun, was gegen ihre Natur, gegen ihr Gefühl ist. Sie treten um sich, üben sich in Unrecht und tragen Scheuklappen, um nicht zu sehen, dass sie ins Unheil rennen.

Was war das nun für ein Unheil zur Zeit des Propheten Jeremia? Was war da eigentlich los, damals so zwischen 627 und 587 vor Christi Geburt? Um zu verstehen, was Jeremia im Auftrag Gottes sagt, müssen wir kurz ausholen:

Der Nordteil des ehemaligen Königreiches Israel war schon vor 100 Jahren von dem Großreich aus dem Osten, den Assyrern, überfallen und vernichtet worden. Die Menschen wurden in alle Himmelsrichtungen verstreut. Von ihnen hat man nie wieder etwas gehört. Übriggeblieben ist der Südteil, das Königreich Juda. Das ist ein kleiner Flecken am Toten Meer. Etwa so lang wie von Frankfurt bis in den Vogelsberg und so breit wie von hier bis Mainz. Ein Flecken, der Weltgeschichte schreibt, bis heute. Jerusalem ist die Hauptstadt. Die Judäer haben sich eifrig den Nachbarn aus dem Osten unterworfen, damit ihnen nicht auch der Garaus gemacht wird. Dafür zahlen sie. Und zwar ziemlich viel. Und dafür beten sie auch deren Götter an. Das müssen sie zwar nicht unbedingt. Aber sicher ist sicher. Wer weiß, ob der eigene Gott stark genug ist. So tummeln sich im Jerusalemer Tempel eine bunte Schar von Göttern in Gestalt von Statuen und Kunstwerken neben dem einen Gott, dem das Gottesvolk doch eigentlich dienen sollte.

Und dann passiert Folgendes: Die Assyrer im Osten verlieren ihre Macht. Das kleine Königreich Juda wittert seine Chance. Sie erobern die verlorenen Gebiete im Norden zurück. Dazu befragt der König seine Propheten. Alle, außer Jeremia, sind dafür. So fing es an. Jeremia wird der Unheilsprophet, immer wieder und das über 40 Jahre lang. Und er wirft seinen Herrschern vor: „Nichts, aber auch gar nichts habt ihr aus dem früheren Krieg dazugelernt. Wenn ihr nicht umkehrt, werden wir untergehen wie der Norden Israels.“ Sie haben nicht auf Jeremia gehört.

Inzwischen haben sich die Ägypter im Westen in den Konflikt eingeschaltet. Sie töten kurzerhand den König, machen Juda zum ägyptischen Vasallenstaat und setzen einen König ihrer Wahl ein. Aus der Traum von einem vereinten Israel. Aber die Ägypter halten sich nicht lange. Ein neues Reich im Osten entsteht: Babylon. Die Babylonier hatten die ehemalige Großmacht Assur unterworfen. Babylon erstreckt sich von Gaza über den heutigen Libanon, Teile von Anatolien und den Irak. Innerhalb weniger Jahre erobern sie das Königreich Juda und all die kleinen Staaten drumherum, zuletzt auch Ägypten. Ungefähr 30 Jahre lang geht das hin und her. Die Ägypter im Westen gegen die Babylonier im Osten, dazwischen die kleinen Vasallenstaaten wie Juda. Und das Gottesvolk paktiert mal mit den Ägyptern, mal mit den Babylonieren. Und immer geht das schlecht aus. Sie sind wie die Pferde, die in die Schlacht stürmen, desensibilisiert für das, was ihnen Instinkte und Vernunft sagen. Dann passiert es: Nebukadnezer, der König der Babylonier überfällt Juda, als der jerusalemer König mal wieder den Aufstand probt. Zwei Mal wird Jerusalem vernichtend geschlagen. Ein Teil der Bevölkerung wird deportiert: 597 und dann zehn Jahre später ist endgültig Schluss. Im Jahr 587 v. Chr. Da wird der Tempel zerstört, Jerusalem dem Erdboden gleichgemacht und die meisten Juden in die Verbannung verschleppt. Danach gibt es keinen eigenständigen Staat mehr.

Wie konnte Gott das zulassen? Wie konnte Gott sein eigenes Volk im Stich lassen? Das fragten sich die Übriggebliebenen, die in der Verbannung in Babylon saßen. Und sie fanden eine Antwort: „Weil wir nicht umgekehrt sind. Weil wir nicht wie die Störche, sondern wie die Pferde waren. Unsensibel für das, was Recht ist und was Gott von uns will. Weil wir nicht auf die Warnungen Gottes und seines Propheten Jeremia gehört haben.“

Ein ganzes Volk am Boden. Aber sie suchen nicht die Schuld bei den anderen. Vielmehr sehen sie glasklar: „Was wir jetzt erleiden, das ist die Folge von dem, was wir früher getan haben.“ Sie verschweigen nicht ihre Schuld. Sie klagen und trauern. Aber sie sehen genau hin. Die Leistung des Gottesvolkes in der babylonischen Gefangenschaft ist: Sie kehren um. Und das heißt für sie: Sie bewahren die Erinnerung an ihre Schuld und nehmen das ganze Buch des Propheten Jeremia in ihre Heiligen Schriften auf. Nun betreiben sie Vergangenheitsbewältigung. Schonungslos wird aufgedeckt. Jeremia hatte doch gewarnt. 40 Jahre lang. „Lasst euch nicht auf Kriege ein. Und: Kehrt um von eurem bösen Tun. Ihr unterdrückt die Armen und steckt die Gewinne für euch selbst ein. Ihr betrügt die Menschen und wirtschaftet in die eigene Tasche. Ihr tut so, als sei alles in Ordnung. Und dabei seht ihr die Gefahren nicht, die ihr selbst herbeigeführt habt. Ihr habt Gott vergessen. Ihr betet die Sterne an und opfert eure eigenen Kinder einem fremden Gott durch das Feuer.“

Ob es die Kinderopfer wirklich gegeben hat, ist in der historisch-theologischen Wissenschaft umstritten. Man kann sich einfach nicht vorstellen, dass Menschen ihre eigenen Kinder verbrennen und hält es für Propaganda. Aber das haben die alliierten Mächte während des zweiten Weltkriegs auch gedacht. Sie haben es nicht für möglich gehalten, dass die kultivierten Deutschen jüdische Menschen wirklich ins Gas und ins Feuer schicken. Und doch ist es wahr. Menschen sind zu unvorstellbar Bösem fähig.

Das jüdische Gottesvolk in der Verbannung lässt bei seiner Selbstkritik nichts aus. Da ist nicht von Revanchismus die Rede oder davon, dass sie doch ach so unschuldig sind. Ihre Vertreibung aus der Heimat war eine Folge ihres bösen Tuns. Das haben sie gesehen. Niemand sagt: „Wir haben doch nur Befehlen gehorcht. Oder: Schließlich war Krieg. Oder: Es war doch nicht alles schlecht. Immerhin haben unsere Könige Straßen gebaut.“ Sie sehen, dass sie die Katastrophe selbst verursacht haben. Ihre Gier und ihr Gewinnstreben, ihre Kriegslust und ihre Blindheit für die Gefahren haben eine Unheilsphäre geschaffen, die den Untergang bewirkte.

Wir können die Katastrophe von 587 v. Chr. nicht mit der Katastrophe des Nationalsozialismus und dem 2. Weltkrieg vergleichen. Aber an dem jüdischen Gottesvolk in der Verbannung können wir lernen, was es heißt umzukehren und Schuld zu übernehmen.

Heute am Volkstrauertag gedenken wir der Toten der beiden Weltkriege. Wir trauern um so viele Menschen, um die Toten und um die an Leib und Seele Verletzten. Viele mögen sagen: Das ist jetzt lange her. Wozu ein Volkstrauertag? Ja, es ist lange her. Aber immer noch leben Menschen, die das Grauen überlebt haben. In Russland, Frankreich, Israel, Deutschland. Und eines wird in den letzten Jahren immer deutlicher: Die, die den Krieg überlebt haben, haben ihre seelischen Verletzungen an ihre Kinder weitergegeben. Die Kinder der ehemaligen KZ-Häftlinge hatten schwer traumatisierte Eltern. Und die Kinder der ehemaligen KZ-Wächter hatten Mörder als Eltern. Männer, die als gehorsame Soldaten Partisanen erschossen haben und Frauen, die sich jahrelang voller Angst im Luftschutzkeller vor den Bomben verkriechen mussten oder von den Russen vergewaltigt wurden – sie bekamen Kinder. Wie sollte sich das nicht auf die nächste Generation auswirken? Was Kriege in den Seelen der Überlebenden und ihrer Familien anrichtet, sehen wir an den jungen Männern und Frauen, die aus Afghanistan oder dem Irak heimkehren. Es gibt wieder Kriegsversehrte!

Darum brauchen wir einen Volkstrauertag. Damit wir wie die Störche sind und nicht wie die Pferde, die in neue Schlachten rennen. Die Kritik des Propheten Jeremia ist beängstigend aktuell. Aktuell ist aber auch Gottes Werben um Umkehr. Heute sind es andere Themen. Aber immer noch geht es darum: Lasst euch nicht desensibilisieren. Bleibt sensibel für die Armen. Lasst euch nicht verführen von denen, die euch die Sporen geben und in den nächsten Krieg treiben. Lasst euch nicht Scheuklappen anlegen, sondern schaut hin, wo Unrecht geschieht in diesem Land.

Denn – so sagt Gott durch Jeremia – „ich habe Gedanken des Friedens über euch, um euch eine Zukunft zu geben und Hoffnung. Und ihr werdet mich suchen, und ihr werdet mich finden, wenn ihr nach mir fragt mit eurem ganzen Herzen.“ (Jer 29,11f)

Verfasserin: Pfarrerin Doris Joachim

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