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Licht in der Finsternis

von Uwe Handschuch (Dietzenbach-Steinberg)

Predigtdatum : 26.12.2012
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Christfest 2. Feiertag
Textstelle : Jesaja 11,1-9
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Wochenspruch:

"Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit." (Johannes 1, 14 a)

Psalm: 96

Lesungen

Altes Testament: Jesaja 11, 1 - 9

Epistel: Hebräer 1, 1 - 3 (4 - 6)

Evangelium: Johannes 1, 1 - 5 (6 - 8). 9 - 14

Liedvorschläge

Eingangslied: 8, 1-4 Es kommt ein Schiff geladen

Wochenlied: 31, 1-4 Es ist ein Ros entsprungen

Predigtlied: 19, 1-3 O komm, o komm, du Morgenstern

Schlusslied: 47, 1-5 Freu dich Erd und Sternenzelt

Jesaja 11, 1 - 9

Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN.

Und Wohlgefallen wird er haben an der Furcht des HERRN. Er wird nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, noch Urteil sprechen nach dem, was seine Ohren hören, sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande, und er wird mit dem Stabe seines Mundes den Gewalttätigen schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten. Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue der Gurt seiner Hüften.

Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter. Man wird nirgends Sünde tun noch freveln auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land wird voll Erkenntnis des HERRN sein, wie Wasser das Meer bedeckt.

Liebe Gemeinde,

ich bin mir sicher, Sie alle haben jenes Schild vor Augen: das Schild mit der schwarzen Schrift auf gelbem Grund; das Schild aus Plastik oder Metall, das in den unterschiedlichsten Größen angeboten wird; das Schild, das immer mit einem variabel formulierten Verbot beginnt und mit der immer gleichen Androhung von Konsequenzen endet. Das Schild, das sich an Bauzäunen und unbebauten Grundstücken findet wie an Garageneinfahrten und zugefrorenen Seen: BETRETEN VERBOTEN – ELTERN HAFTEN FÜR IHRE KINDER.

Ja, „Eltern haften für ihre Kinder“, diese Droh-Botschaft haben die meisten unter uns verinnerlicht, wohl auch, weil sie es so oft gelesen haben. Allerdings steht dieser Satz juristisch nur auf sehr tönernen Füßen. Das Bürgerliche Gesetzbuch sagt zwar, dass „wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustands der Beaufsichtigung bedarf, zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, den diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt (BGB §832), doch diese Aufsichtspflicht ist abhängig von bestimmten Gegebenheiten, wie zum Beispiel dem Alter des betreffenden Kindes. Und da ist auch unter Beachtung aller gebotenen Vorsichts- und Aufsichtsmaßnahmen ein Schaden nicht immer zu vermeiden: Kinder betreten nun mal Baustellen trotz höchst-elterlicher Warnung oder spielen auf Garagenhöfen Fußball, selbst wenn es Papa und Mama verboten haben. Und wenn dann was zu Bruch geht und ein Schaden zu beklagen ist, heißt es darum noch lange nicht automatisch „Eltern haften für ihre Kinder.“

„Eltern haften für ihre Kinder“ - dennoch beschreibt dieser Satz auch jenseits juristischer Winkelzüge und rechtlicher Feinheiten bei der Aufsichtspflichtverletzung eine von vielen gefühlte Realität: Als Vater / als Mutter bin ich doch verantwortlich für mein Kind! Wie sich mein Kind verhält, das hat doch ganz klar auch etwas mit meinem Verhalten zu tun! Wohin es mein Kind in seinem Leben zieht, das liegt doch auch an meinen Erziehungsmaßnahmen! Und als gute Mutter sorge ich halt dafür, dass mein Baby gerade nicht seine Krabbelstunde am „Loch der Otter“ hat; und als guter Vater zerre ich mein Kind sofort am Arm, wenn es seine Hand gerade in die „Höhle der Natter“ stecken will. Da mögen die Zeiten noch so paradiesisch sein: Gute Eltern kontrollieren immer, bevor sie solchen Zeiten vertrauen. Die Sorge um das Wohl des Nachwuchses ist einfach zu fest in ihnen verwurzelt. Eltern mögen zwar nicht immer für ihre Kinder haften, aber: Eltern haften an ihren Kindern.

Liebe Gemeinde

um nichts anderes als um eine solche „Verhaftung“, um solch inniges Aneinanderhängen geht es an dem Fest, dessen Feier gerade in die dritte Runde geht. Wenn wir am zweiten Weihnachtstag noch einmal davon singen, dass eine Rose aus einer „Wurzel zart“ entsprungen ist, wenn wir hören wie der Anker des bis an „sein höchsten Bord“ beladenen Schiffes auf Erden haftet, dann lassen wir uns damit Bilder vor Augen malen, wie etwas dadurch entstehen und bleiben kann, dass es sich in Beziehung mit etwas anderem setzt: Weil die Pflanze fest verwurzelt ist, kann selbst mitten im kalten Winter die Rose blühen; weil der Anker die Erde erreicht, kann das Schiff bei uns ankommen.

Diese Weihnachtlieder gewordenen Bilder stehen dafür, dass Gott etwas zu tun haben will mit uns Menschen, und dass sein göttlicher Wille eben nicht aus dem luftleeren Raum kommt, sondern auf eine Geschichte mit uns Menschen bauen will: Denn Gottes Zugehen auf die Menschen hat eine Geschichte, und dieses Geschichte ist verwurzelt in der Geschichte seines Volkes, diese Geschichte wurzelt in Israel. Der Prophet Jesaja verheißt: Da, wo Gott schon einmal Wurzeln geschlagen hat, da wird er auch weiter wirken. Da wo Gott bei den Menschen ankommt, wird es auch weiter Wachstum geben, auch wenn die Menschen alles dafür getan haben mögen, dass der göttliche Spross einfach nicht in den Himmel wachsen kann.

Es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Da wird ein Wort zu einer Quelle mitten in der Wüste. Da wird ein Wort zur Zuversicht in der Hoffnungslosigkeit. Da wächst neue Kraft in menschliche Schwäche hinein. Da öffnet sich eine Zukunft für Gedanken, die bisher nur der Vergangenheit verhaftet waren. Da wird deutlich: Wenn es denn überhaupt noch Hoffnung geben soll - für diese Welt der Torheit und des Unverstandes, für diese Welt der Ratlosigkeit und der allzu-menschlichen Schwächen, für diese Welt ohne tiefgehende Einsicht und Ehrfurcht vor Gott, dann ist nicht der Mensch Garant dafür. Der Mensch gehört eher in die Kategorie „hoffnungsloser Fall“. Wenn aber dieser hoffnungslose Fall doch noch Hoffnung haben darf, dann ist es immer Gott, der die Hoffnung garantiert und der aus dem totgeglaubten, gefällten und gefallenen Baum einen neuen, jungen Zweig erwachsen lassen kann.

Und wenn Gott Totholz leben, wenn er es dann wieder keimen und wachsen lässt, sieht das Ergebnis anders aus, als wenn der Mensch dafür verantwortlich zeichnen würde. Dann wächst sich das alles eben ganz anders aus: Dann sind Herrschaftsstrukturen nicht mehr auf Macht, Gewalt und Herkunft begründet sondern auf den göttlichen Geist. Dann gehören nicht Kampf und Krieg zu den bleibenden Begleitern einer Herrschaft, sondern Sanftmut und Friedfertigkeit. Dann wird die Gottlosigkeit ein Ende haben, sein göttlicher Geist ausstrahlen und die ganze Umwelt mit hineinnehmen in diese göttliche Bewegung des neuen Friedens und der Gerechtigkeit.

Dann heißt es aber auch: Das alles gibt es nicht sofort und auf einen Schlag. Alles muss klein beginnen, so wie wir alle einmal klein angefangen haben. Aber während wir uns dann immer noch gegenseitig klein halten, während wir dafür sorgen, dass keiner unter uns hoch kommen kann (zumindest nicht höher als wir selbst), da zieht Gott den zarten Reis nach oben, da lässt er seinen Spross über sich hinauswachsen und eines Tages reiche Frucht bringen.

Liebe Gemeinde,

es ist also wirklich kein Wunder, dass diese alttestamentliche Verheißung des Jesaja schon früh als Folie für unser Weihnachtsfest gedient hat und Bildgeber war für unsere Weihnachtslieder, auch wenn es historisch schon damals fragwürdig gewesen sein mag, die Propheten des Alten Testaments als Kronzeugen der christlichen Glaubenslehre und Hoffnung herbei zu zitieren. Die Christen haben sich dennoch sehr bald diesen ganz speziellen prophetischen Blick auf Gott und die Welt angeeignet. Sie haben bei Jesaja lesen können, was sie im Blick auf Jesus verstanden haben und glaubten: Dass Gott neu anfängt mit den Menschen. Ganz unten, da wo Menschen nur Abbruch und Ruinen sehen können, da legt Gott sein Fundament, da lässt Gott es wachsen und gedeihen.

Und der da wächst und gedeiht, ist gerade kein Kerl wie ein Baum. Der Träger des göttlichen Geistes bleibt sein Leben lang verletzlich wie die Rose aus der zarten Wurzel „mitten im kalten Winter“: Scheinbar ohne Aussicht auf Erfolg, ausgeliefert allen denkbaren widrigen Mächten, und dennoch mit einem fast schon unglaublichen Hang zum Leben.

Denn so wie im Wüstensand alle Hoffnungen auf dem kleinsten Pflänzchen ruhen, so ruht Gottes Geist auf seinem Spross. So wie das Stück Holz auf dem Wasser zum Rettungsboot des Ertrinkenden wird, will sich das Kleine schließlich zum Retter auswachsen. Weihnachten sagt: Unser Hoffnungsträger liegt als Kind in einer Futterkrippe, all unser Hoffen ruht auf einem Neugeborenen. Kein Herrscher in Amt und Würden, kein gestandener Machthaber trägt die Verantwortung für Recht und Gerechtigkeit und Frieden, sondern ein Kind, noch dazu ein völlig auf alle anderen angewiesener Säugling. Das ist wirklich verrückt!

Aber so verrückt nun auch wieder nicht. Denn alle unter uns, die selbst einmal erleben durften, was das heißt, wenn ein Kind unter ihnen ankommt, die kennen das aus eigener Erfahrung: mit welcher Macht da ein so ohnmächtige kleines „Menschenjunges“ seine ganze Umwelt in Atem hält. Wie jedes neugeborene Kind sozusagen eine fleischgewordene deutliche Botschaft an die Welt ist: „Ich bin angewiesen auf Euch! Mir bleibt nichts anderes übrig, als Euch zu vertrauen! Seht her, wie zart und kostbar mein Leben - und doch auch Euer Leben - ist! Eure Aufgabe ist es, dieses Leben zu schützen, indem Ihr es mit Frieden und Gerechtigkeit und einer intakten Umwelt umgebt. Eure Aufgabe ist es, auf meinen Schrei hin Verantwortung für das neue Leben zu übernehmen!“

Mit dem Reis aus einem Stamm fängt ein Wald wieder von vorne an, und mit einem Kind gewinnt die Zukunft Gestalt. Und wir sollen uns staunend einen Begriff machen von einer auch für dieses Kind lebenswerten Zukunft. In der ganz und gar ungeschriebenen und unbeschriebenen Lebensgeschichte des Neugeborenen hält uns Gott sein „trotzdem“ entgegen: „Auch wenn ihr Menschen bisher immer nur auf der ganzen Linie versagt habt, auch wenn meine jahrtausendelangen Erfahrungen mit euch eigentlich nur gegen euch sprechen: Ich traue es euch trotzdem zu, dass ihr etwas mit meinem Neubeginn anfangen könnt. Mein kleiner Spross soll euch eine große Ahnung schenken davon, wie das sein könnte und wie das sein wird, wenn mein Reich unter Euch wächst und groß wird.“

Und dann kann es in der Tat – auch durch unsere Taten! - geschehen, dass sein Wachsen alles, was sich bewegt, mit hinein nimmt in diese göttliche Bewegung. Nichts kann dann mehr so sein, wie wir es uns als unabänderlich festgelegt und wie wir uns damit abgefunden haben, selbst nicht so uralte Prinzipien wie das „Recht des Stärkeren“ oder das „Gesetz von Fressen und Gefressen werden“. Dann kann es sogar geschehen, dass sogar der böse Wolf zum Vegetarier konvertiert und selbst die Natter zur besten Spielkameradin der Kinder mutiert.

Wie? So ist die Welt nicht? Typisch weihnachtliches Themaverfehlen? Weichgespülte Utopie für drei Tage in einem hundertmal längeren Jahr mit seinen grausamen Realitäten?

Mag sein: Und Jesaja hat diese grausame Wirklichkeit gekannt wie wenige von uns hier heute. Und Jesus musste Jahrhunderte später an dieser Realität zugrunde gehen, als sein himmlischer Vater auf so drastische und Menschen noch heute bewegende Art und Weise deutlich machte, dass er genauso für seine Kinder haftet wie er an ihnen hängt.

Jesaja zeigte uns die Welt nicht so, wie sie tatsächlich war und ist, aber er öffnete uns den Blick dafür, wie die Welt möglich wäre. Und Jesus, dessen Geburt wir heute feiern, hat die Menschen nicht nach dem behandelt, was sie darstellten, sondern nach der Zukunft, die er sich für sie wünschte. Er hat ein für alle Mal deutlich gemacht:

Gott haftet an seinen Kindern. Und deshalb dürfen seine Kinder an Ihm hängen.

Verfasser: Pfarrer Uwe Handschuch

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