Menü

Mitten unter uns

von Bernd Winkelmann (37339 Kirchohmfeld)

Predigtdatum : 07.11.2004
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres
Textstelle : Römer 14,7-9
Wenn Sie diese Predigt als Word-Dokument erhalten möchten, tragen Sie bitte Ihre E-Mail-Adresse ein und klicken Sie auf "Abschicken"
Ihre E-Mail

Wochenspruch:

Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade; siehe, jetzt ist der Tag des Heils. (2. Kor. 6,2b)

Psalm: 90,1-14 (15-17) (EG 735) oder Psalm 139

Lesungen

Altes Testament:
Hiob 14,1-6
Epistel:
Römer 14,7-9
Evangelium:
Lukas 17,20-24 (25-30)

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 526,1-3
Jesus, meine Zuversicht
Wochenlied:
EG 152
oder EG 518
Wir warten dein, o Gottes Sohn
Mitten wir im Leben sind
Predigtlied:
EG 384,1-2
Lasset uns mit Jesus ziehen
Schlusslied:
EG 384,3-4
Lasset uns mit Jesus sterben

Vorüberlegungen
Der Predigttext lässt sich am drittletzten Sonntag im Kirchenjahr in zweierlei Weise auslegen:
Einmal aus seinem Textzusammenhang in Römer 14 und 15: Hier geht es um das Zusammenleben von „Schwachen“ und „Starken“ in der Gemeinde, d. h. einerseits von Christen, die meinen, sich streng an viele religiöse Vorschriften, Gebote und Traditionen halten zu müssen, um gute Christen zu sein (die „Schwachen“); andrerseits Christen, für die durch Christus alle religiösen und sonstigen menschlichen Gebote, Sitten und Traditionen so relativ geworden sind, dass sie sich von ihnen gelöst haben (die „Starken“).
Paulus will eine Spaltung in der Gemeinde verhindern, indem er die „Starken“ ermahnt, wohl zu ihrer Freiheit zu stehen, aber in ihrem Handeln das Gewissen der „Schwachen“ nicht so zu belasten, dass es zu einer Spaltung kommt. Unsere Verse 7-9 sagen in diesem Zusammenhang: ein Christ lebt und stirbt nicht aus menschlichen Traditionen und Sitten, auch nicht aus eigenem Gutsein und in eigener Rechtfertigung, sondern aus der befreienden und heiligenden Kraft Christi. Er allein ist „Herr“ über mein Leben und Sterben, d.h. allein sein Geist und seine Liebe soll unsere Art zu leben und zu sterben bestimmen. Von daher können und sollen alle Spannungen aus den Unterschieden von religiöser Lebensgestaltung und Prägungen bewältigt werden. Folgen wir diesem Selbstverständnis des Textes, sollte die Predigt unterschiedliche Frömmigkeitsstile und Gruppierungen in der heutigen Gemeinde aufnehmen und vom Text her entsprechend angehen.
Die andere Auslegungsmöglichkeit geht vom Charakter und den anderen Texten des Drittletzten Sonntags aus. Hier steht die Frage des Endes unseres Lebens und des Kommens des Reiches Gottes im Mittelpunkt – vor allem die Frage, wie wir angesichts des Todes mit unserem Leben umgehen. Die Verse 7 - 9 können dann hierfür unabhängig vom Textzusammenhang eine grundlegende Orientierung geben.
Ich entscheide mich angesichts des besonderen Charakters dieses Sonntags und des anstehenden Ewigkeitssonntags mit der folgenden Lesepredigt für die zweite Möglichkeit. Die erste Möglichkeit könnte besser an einem weniger geprägten Sonntag wahrgenommen werden.

Liebe Gemeinde!
1) Am Ende des Kirchenjahres denken wir an unsere Verstorbenen. Wir besuchen und schmücken die Gräber und fragen uns vielleicht doch einmal mehr, wie es mit unserem eigenen Sterben sein wird. In der Regel möchten wir nicht daran denken, und wenn doch, kommen die zutiefst menschlichen Einsichten in uns auf, wie sie schon der alte Hiob und Psalm 90 bekannt haben: „Der Mensch, von einer Frau geboren, lebt nur kurze Zeit und ist voll Unruhe; er blüht auf wie eine Blume und vergeht wie ein Schatten.“ „Unser Leben währet siebzig Jahre und wenns hoch kommt, so sinds achtzig Jahre und was daran köstlich erscheint, ist doch nur vergebliche Mühe.“
Ist das nur resignierende Lebensweisheit? Oder können wir auch sagen: „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden“? Dass wir uns also mit ganzer Schonungslosigkeit unserem eigenen Sterben stellen - gar in der Gewissheit, so gerade klug für das Leben zu werden? Geht das? Ist nicht unser Leben oft schon Trümmerwerk genug, als dass wir auch noch unser Sterben ansehen müssen?
Ja, die Bibel mutet uns das zu, und zwar mit der festen Überzeugung, dass wir gerade so und erst so frei zu einem wirklich guten und gewissen Leben werden.
Dazu will uns auch der heutige Predigttext helfen. Wir hören ihn aus dem Römerbrief im 14. Kapitel:
7 Unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. 8 Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. 9 Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.
2) Kurze, vielleicht zu kurze Worte für diesen gewaltigen Inhalt. Aber verstehen wir sie nur im Ansatz, können sie unser Leben auf einen Grund stellen, von dem her wir wirklich klar leben und gut sterben können.
Das erste: „Keiner lebt sich selber, keiner stirbt sich selber.“ Also was wir auch selbst aus unserem Leben machen, ist noch nicht unser wirkliches Leben. Und was wir auch zur Bewältigung des Sterbens tun mit Testament und Abschiednehmen, mit Lebenswürdigung und Trauerritus, ist gut, aber nicht die entscheidende Bewältigung.
Sondern: „Leben wir wirklich, so leben wir aus Christus. Und wollen wir in Frieden sterben, so sterben wir in Christus. Denn er ist Herr über Lebende und Tote!“
Wie können wir das verstehen?
Vielleicht so: Jesus von Nazareth, seine Art zu leben, sein Geist, seine Liebe, vor allem seine tiefe Geborgenheit in Gott, ja, das war wirkliches Leben. Und selbst in seinem elenden Tod am Kreuz blieb er der Liebe treu selbst zu seinen Mördern. Und trotz aller Gottesverfinsterung, die er erleiden musste, blieb er an Gott. Ja, wer so leben und sterben kann, der hat es bewältigt. Sich so an Jesus halten, dem im eigenen Leben und Sterben nachstreben, das wäre schon viel!
Aber Paulus meint mehr. Er spricht hier ausdrücklich von Christus als dem „Herrn“ über Lebende und Tote. Damit meint er mehr als den irdischen Jesus. Er meint den auferstandenen und alle Zeit gegenwärtigen Christus: Christus, ein besonderer Wesenszug Gottes, die besondere Zuwendung Gottes: Gott als Liebe und Güte, als Auferstehung des Lebens durch Kreuz, Höllen und Tod hindurch. Das ist die Christuskraft Gottes.
Damit ist Gott nicht mehr dunkle Schicksalsmacht, nicht strafendes Gericht in unserem Leben und im Tod. Gott ist vielmehr erlösende Güte und Lebenskraft, die durch die schlimmsten Kreuzes- und Höllenerfahrungen hindurchführt. Diese Gotteswirklichkeit soll „Herr“ über unser Leben sein, also die uns leitende und tragende Kraft in unserem Leben und Sterben.
3) Haben wir das schon erfahren? Vielleicht öfter, als uns bewusst ist. Erinnern wir uns:
Gab es da nicht Momente, wo in verzweifelter Situation mich plötzlich etwas im Innersten anrührte und einen Trost aufsteigen ließ? Oder gab es da nicht eine befreiende Klarheit und Wahrheit für mein Leben, die da – und sei es auch nur für Momente – plötzlich aufging? Oder in Streit und Verletzungen plötzlich wieder ein Mitempfinden, die Kraft zur Liebe und Versöhnung? Oder in besonderen glücklichen Stunden eine tiefe Dankbarkeit und ein Erkennen, dass da eine unendliche Güte mein Leben trägt?
Das sind Gottes- und Christuserfahrungen, Perlen unseres Lebens, die Menschen auch heute öfter haben, als bekannt wird. Es sind Erfahrungen, die unser Leben im Entscheidenden tragen, und die wir viel mehr achten und bewusst wahrnehmen sollten.
Die Bibel sagt uns, das sind nicht nur subjektive Gefühle, es sind keine Illusionen. Es ist Gott selbst, es ist der ewige Christus, der da in uns wirkt. Es ist der Grund der Welt, aus dem seit Urbeginn die Welt und der Kosmos geschaffen wurden. Und es ist zugleich persönlichste Sinngebung und Stimme, die auch zu dir sagt: „Fürchte dich nicht, ich habe dich aus aller Nichtigkeit erlöst; ich habe dir dein Wesen gegeben; du bist mein!“ Also Güte und Liebe als Urgrund der Welt und zugleich als persönlicher Schöpfungsgrund des Lebens, aus dem jeder einzelne Mensch geboren wurde, und aus dem er sein Wesen und den Sinn seines Lebens erhält.
Um das so Unbegreifliche doch ein wenig zu begreifen, hilft manchen die Vorstellung vom großen kosmischen Lebensstrom, aus dem unser Weltall entstanden ist, und aus dem alle Evolution des Lebens kommt. In ihm ist und wirkt Gott als immerwährend schöpferische Liebe. In ihm wird Tod, Finsternis und Zerstörung durch Liebe und Auferstehung immer wieder überwunden. Dieser Lebensstrom beginnt weit jenseits unserer bekannten Welten und führt in Jenseitigkeiten und Ewigkeiten zu immer wieder neuem Leben. In ihm ist der einzelne Mensch geschaffen als winzige Zelle unter Milliarden von Zellen, aber doch mit einem einmaligen Sinn und Lebensruf.
Die entscheidende Aufgabe des Menschen ist es, diesem göttlichen Lebensstrom nachzuspüren und sich in ihn hinein zu geben. Aus diesem Lebensstrom Gottes zu leben, seine Liebe aufzunehmen und im eigenen Leben weiterzugeben – das ist der tiefste Sinn und tiefste Erfüllung menschlichen Lebens. Die Bibel nennt es das „Reich Gottes“, das im Kommen ist und schon mitten unter uns wirkt und in das uns Jesus Christus hineinruft.
4) Diese Gedanken sind uns ungewohnt. Aber sie können uns eine Hilfe sein zu begreifen, dass wir wirklich nicht nur für uns leben und sterben, sondern eingebunden sind in die große kosmische Liebesbewegung Christi. Daraus können wir leben. Trotz eigenem Versagen und trotz unzähliger Enttäuschungen und Verletzungen unseres Lebens können wir aus dieser Kraft immer wieder das Gute und die Liebe wagen.
Und darin können wir getrost sterben. Das Sterben wird wohl etwas Schmerzliches behalten. Aber es wird uns nicht mehr abgrundtief schrecken. Denn es ist für uns ja kein bloßes Verlöschen mehr ins Nichts, sondern eine neue Heimkehr in diesen Lebensstrom über unsere irdische Zeit hinaus. Schon hier in diesem Leben erahnen wir es und wir können es hin und wieder spüren.
Manchmal erleben wir es in der Begleitung eines Sterbenden: deutlich ist das letzte Verfallen seines Körpers zu sehen, er oder sie spricht kaum noch und scheint schon wie abwesend zu sein. Und da leuchtet plötzlich im Sterbenden eine andere Wirklichkeit auf, ein Friede wie ein Lichtglanz aus einer anderen Welt. Beschämt, beschenkt und sehr dankbar stehen wir am Sterbebett und spüren etwas von diesem Hinübergleiten in die jenseitige Welt Gottes. Um das zu erleben, müssen wir freilich sehr leise und still sein und nicht mehr mit allem möglichen Tun und Beschwichtigen den Tod verdrängen.
Oder erinnern wir uns an Berichte von Menschen, die sogenannte „Nahtodeserfahrungen“ gemacht haben. Sie lagen schon im Koma, waren klinisch für kurze Zeit schon tot, wurden aber zurück ins Leben geholt. Immer wieder erzählen sie, dass es wie ein Hinausgehen in ein jenseitiges wunderbares Licht war mit der Erfahrung einer vollkommenen Glückseligkeit, und dass sie ihr ganzes Leben in einem großen erfüllten Sinnzusammenhang sahen trotz aller Schmerzen und Brüche und eigenem Schuldigwerden.
5) Ob es die Menschen wissen oder nicht: Kein Mensch lebt aus sich selbst und kein Mensch stirbt nur in sich selbst, sondern alle leben und sterben letztlich aus dem und in dem Lebensstrom Christi.
Wenn wir es nicht wissen und nicht wahr haben wollen, leben wir an unserem eigentlichen Leben vorbei. Wir überfordern uns in Selbstüberanstrengungen, verbeißen uns mit Anderen in Rechthabenwollen und Siegenmüssen. Alles Bruchstückhafte unseres Lebens, alles Scheitern und vor allem unser Sterben verdrängen wir. Wir leben in Lüge an einem möglichen erfüllten Leben und gelingenden Sterben vorbei.
Unser Predigtwort will uns aus dieser Lüge herausholen. Es will uns gründen in dem, was uns getrost leben und gesegnet versöhnt sterben lässt. Es ist der ewige Christus, Gottes Güte und Liebe als Lebensgrund. Sein Lebensstrom trägt und umfängt uns und die ganze Welt. Vertrauen wir uns ihm an, dann werden wir Erstaunliches sehen. Amen.
(Variante zum Abschluss der Predigt:)
So sagt es ein Seher unserer Tage (nach Michel Quoist „Ich möchte hoch emporsteigen“):
„Manchmal gibt es Momente, in denen ich vermag mit den Augen Gottes zu sehen, die ganze Welt, den Kosmos und alles Leben.
Dann sehe ich das Weltall, die Menschheit, die Geschichte und auch mein Leben als eine ständige Umwandlung des Seins, und in ihm Gottes großen Leib, wie er geboren wird unter dem Hauch des Geistes.
Mit Gottes Augen sehe ich den schönen, den ewigen Gedanken der Liebe, wie er sich fortschreitend verwirklicht in jedem Mensch, in allem Geschehen, in dem kleinen Kind, das geboren wird, im Greis, der da stirbt.
Ich sehe den leisesten Pulsschlag des Lebens, die Liebe und den Hass, die Sünde und die Gnade.
Und ich begreife, dass sich vor mir das große Abenteuer der Liebe abrollt, das am Morgen der Welt begonnen hat. Ich begreife, dass alles ein Ziel hat und eine Bewegung ist hin zu Gott.
Und ich erkenne, dass mein Leben, dieser winzige unmerkliche Atemzug im Riesenkörper des Alls, ein unentbehrlicher Schatz ist im Netzwerk des Lebens.
Staunend und dankend stehe ich vor dem Geheimnis dieser Welt, die trotz der zahllosen und schrecklichen Versager der Sünde ein langer Herzschlag der Liebe ist hin zur ewigen Liebe.
So sehe ich mit den Augen Gottes.“

Verfasser: Pfr. i. R. Bernd Winkelmann, Adelsborn 113a, 37339 Kirchohmfeld

Herausgegeben vom

Logo Zentrum Verkündigung

Referat Ehrenamtliche Verkündigung
Markgrafenstraße 14, 60487 Frankfurt/Main,
Telefon: 069.71379-140
Telefax: 069.71379-131
E-Mail: predigtvorschlaege@zentrum-verkuendigung.de

in Kooperation mit dem

Logo Gemeindedienst der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland
Gemeindedienst der
Evangelischen Kirche
in Mitteldeutschland

Pfarrer Dr. Matthias Rost
Zinzendorfplatz 3 (Alte Apotheke), 99192 Neudietendorf
Telefon: 036202.7717-97

Logo MÖD – Missionarisch Ökumenischer Dienst
Pfarrer Thomas Borchers
Missionarisch-Ökumenischer Dienst
Westbahnstraße 4
76829 Landau
Telefon: 06341.928912
E-Mail: info@moed-pfalz.de