Menü

Mitten unter uns

von Paul-Ulrich Lenz (63679 Schotten-Einartshausen)

Predigtdatum : 12.11.2000
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres
Textstelle : Hiob 14,1-6
Wenn Sie diese Predigt als Word-Dokument erhalten möchten, tragen Sie bitte Ihre E-Mail-Adresse ein und klicken Sie auf "Abschicken"
Ihre E-Mail

Wochenspruch:



Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade; siehe, jetzt ist der Tag des Heils.

(2. Kor. 6,2b)



Psalm: 90,1-14 (15-17) (EG 735) oder Psalm 139



Lesungen



Altes Testament:

Hiob 14,1-6

Epistel:

Römer 14,7-9

Evangelium:

Lukas 17,20-24 (25-30)



Liedvorschläge



Eingangslied:

EG 147

Wachet auf, ruft uns die Stimme

Wochenlied:

EG 152

oder EG 518

Wir warten dein, o Gottes Sohn

Mitten wir im Leben sind

Predigtlied:

EG 401

Liebe, die du mich zum Bilde

Schlusslied:

EG 241,1+8

Wach auf, du Geist der ersten Zeugen



1 Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe,

2 geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. 3 Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. 4 Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! 5 Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: 6 so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.



Liebe Gemeinde!

Dieser Aufschrei des Hiob hat mich getroffen: “Gott. Bleib mir vom Leib! Gott, rücke mir doch nicht so nahe auf die Pelle. Gott, schau doch nicht mehr nach mir.” Da will einer, dass Gott sich nicht mehr um ihn kümmert, dass Gott nicht mehr seine Augen auf ihn richtet, dass Gott nicht mehr nach ihm fragt. Was muss er erlebt haben, wie muss es in ihm aussehen, dass er das herausschreit!

Das ist ja nicht der Satz eines gelangweilten Konfirmanden, der zu seinen Genossen sagt: Wenn der uns nicht doch schon wieder mit seinen frommen Geschichten käme, wenn der uns doch bloß mit Gott vom Leibe bleibe. Das ist nicht der Satz eines Menschen, der schon lange keine Kirche mehr von innen gesehen hat, bei dem die Trau-Bibel inzwischen fest verstaubt im Bücherregal steht und der in irgendeinem Biertischgespräch dann erklärt: Bleib mir bloß mit Gott vom Leib. Das ist auch nicht der Satz eines Menschen, der aus der Kirche ausgetreten ist, weil sie seinen politischen oder intellektuellen Ansprüchen nicht genügt, weil der Pfarrer so unmöglich und die Kirchenmusik so langweilig und im Übrigen das Christentum doch sowieso veraltet ist und der dann jeden Versuch eines Gespräches abblockt mit den Worten: Bleib mir bloß mit Gott vom Leib!

Nein - sie alle mögen diesen Satz sagen und er klingt so ähnlich wie der Aufschrei Hiobs - aber es ist doch etwas ganz anderes: Hiob ist kein gelangweilter Konfirmand, nicht ausgetreten und kein freundlich distanzierter Kirchensteuerzahler ohne inneren Bezug zum Glauben. Hiob ist ein frommer und gottesfürchtiger Mann. Er ist einer, der von Gott selbst das Zeugnis hat: ‚weit und breit ist kein Mensch wie Hiob, fromm und gottesfürchtig‘. Und der nun sagt sich los von Gott! Der nun schreit es Gott entgegen: Sieh weg von mir! Überlass mich doch meinen Tagen und meinem Elend bis zu meinem Ende!

Was ist geschehen? Hiob war ein reicher Mann. Hiob war ein glücklicher Mann. Er hatte Geld, hatte Herden, hatte Kinder. Und dann kommt es, Schlag um Schlag, knüppeldick: die Herden werden geraubt, die Kinder werden bei einem Fest durch eine Naturkatastrophe erschlagen - sein ganzer Reichtum ist dahin. Eine Hiobsbotschaft nach der anderen trifft ihn. Und schließlich kommt er selbst an die Reihe: er wird krank, schwer krank, so dass er weg muss aus der Gemeinschaft. Er ist nur noch ein Bild des Elends: ein reich gewesener Mann, der auf dem Misthaufen sitzt, seine Wunden mit Scherben schabt und der auf nichts mehr warten kann als auf den Tod. Und da fängt er an, so zu schreien. Denn eines ist ihm aufgegangen: das sind nicht nur Schicksalsschläge, was mir da geschehen ist. Das sind nicht nur boshafte Menschen, die sich gegen mich stellen. Gott selbst steht gegen mich. Gott hat diese Schläge gegen mich geführt. Das öffnet Hiob den Mund zu seinem Aufschrei!

Ob wir nicht auch manchmal so schreien möchten? Wenn Gott in unser Leben eingegriffen hat - einen Menschen genommen, der uns lieb war; einen Wunsch versagt, an dem unser Herz hing; einen Plan durchkreuzt, auf den wir unsere Hoffnung gesetzt hatten oder wenn es gar an unseren Leib gegangen ist, wenn er Hand an uns gelegt hat? Es ist erschreckend: Gott kann es nicht immer nur gut mit uns meinen - er kann sich auch gegen uns stellen? Wir wollen uns eine kurze Zeit nehmen um nachzudenken, wo wir in unserem Leben vielleicht schon einmal ganz nahe an diesen Schrei waren: “Gott, schau doch weg von mir! Überlass mich meinem Elend!”

- Pause mit meditativer Musik -

Was Hiob so fertig gemacht hat, das war noch nicht sein Elend, das waren nicht die schweren Schicksalsschläge, die Lasten, die er zu tragen hatte. Was ihn fertig machte, war dies, dass er sah, dass Gott gegen ihn steht. Denn soviel wusste Hiob: Wenn Gott gegen mich steht, dann gibt es keinen Zufluchtsort mehr. Wenn Gott gegen mich steht, dann kann ich mich in der tiefsten Höhle verkriechen - er findet mich doch. Dann kann ich mit den Wolken bis ans Ende des Himmels fliehen - er holt mich doch ein. Dann kann ich bis in die letzen Tiefen der Erde mich verbergen - erspürt mich doch auf. Dann gibt es keinen Punkt und keinen Zeitpunkt mehr, an dem ich ruhig werden könnte: dann bin ich auf der Flucht vor einem Feind, der mich von allen Seiten umstellt, der mich zu allen Zeiten einholt, der mir immer schon einen Schritt voraus ist und alle meine Gedanken im voraus durchkreuzen kann.

Sie merken es: Ich habe jetzt an den 139. Psalm angeknüpft, den wir am Altar gehört haben. Es ist einer der Psalmen, die mir lieb sind, die mich schon oft getröstet und aufgerichtet haben. Es ist der Psalm, an dem ich das Staunen gelernt habe: Dass der ewige Gott auf mich schaut, der ich doch nur wie ein Sandkorn in der Wüste bin, eine Blume, die bald vergeht, ein kleiner Mensch ohne großen Namen - und ich bin doch Gott bekannt. Ich komme vor Gott vor, bin ihm seine Aufmerksamkeit wert.

Genau diese Worte sind Hiob zum Schrecken geworden! Die Gegenwart Gottes tröstet ihn nicht mehr, sie liegt wie eine Last auf ihm. Es ist schrecklich, wenn sich einer das sagen muss: die Augen Gottes sind nicht zum Guten auf mich gerichtet. Gottes Augen sehen unerbittlich, was ich getan habe. Gott sieht so vieles, was in meinem leben nicht stimmt.

Seht, das dürfen wir - um Gottes und um unseretwillen - nicht unterschlagen: Wenn Gott der Herr ist, der nach uns schaut, dann sieht er eben auch, wie es um uns steht. Dann sieht er auch unsere Lieblosigkeiten, unsere harten Worte, unsere Alleingänge, in die wir uns nicht hineinreden lassen. Dann sieht er unsere Versäumnisse, unsere halben Wahrheiten und ganzen glatten Lügen und sieht unsere faulen Kompromisse. Dann sieht er all das, was wir Menschen gegenüber unter den Teppich kehren können und gekonnt verbergen: vor ihm können wir nichts verbergen, und alle Beschönigungen enden in jämmerlichem Schweigen. Dann klagt uns unsere Leben an und ich muss mir - und sie sich womöglich auch sagen: Gott steht zu Recht gegen mich. Ich bin nicht so, wie ich nach seinem Willen sein sollte. Ich bin nicht so, wie es seinem Wort an mich entspricht. Aber: Wohin soll ich fliehen, wenn Gott so auf mich schaut?

Wir wollen das Bild zur Hand nehmen und anschauen:

(Bild “Christuskopf")

(Pause)

Es gibt einen Ort der Zuflucht, von dem Hiob noch nicht sagen konnte. Es gibt einen Ort, vor Gott und seinem Zorn Schutz zu suchen: wir dürfen zu dem gekreuzigten Christus gehen. Wir dürfen mit allem, was uns vor Gott verklagen will, was zur Anklage gegen uns werden könnte, vor diesen gekreuzigten Jesus Christus hintreten und ihn bitten: Herr, lass auch das durch dein Leiden, durch dein Kreuz bezahlt sein. Lass auch diese Schuld durch deinen Tod getilgt sein, so dass wir - frei von aller Schuld - uns nicht mehr vor den Augen Gottes fürchten müssen.

Der Gekreuzigte, dessen Bild wir in Händen halten - er allein ist es, der den Zorn Gottes aufhalten kann, der das Gericht Gottes von uns abwenden kann - er allein, weil er der eine ist, an dem kein Falsch und in dem kein Sünde war, der ganz rein war. Er ist der eine, der für uns gestorben ist, damit wir mit ihm leben dürfen.

Das ist für mich eine ganz praktische Sache, etwas, was ich immer wieder tue und was ich immer wieder nötig habe: Dass ich in einer stillen Stunde meines Tages die Hände falte und dies zu ihm sage: ‚Herr, nimm die Schuld dieses Tages von mir. Nimm weg, was ich falsch gemacht habe im Umgang mit Menschen. Sieh mir nach , was ich versäumt habe. Nimm weg, was ich lieblos getan habe.‘ Und dann kann ich ihn auch ganz neu bitten: ‚Herr, und nun nimm mein Leben in deine Hand. Führe du mich. Zeige mir die Wege, die ich gehen soll. Wecke in mir die Liebe zu den Menschen. Und wenn du mich durch Tiefen führst, so wie den Hiob, dann lass es mich doch immer wissen und spüren: du bist bei mir, auch dann, wenn ich dich nicht spüre. Lass ich festhalten daran, dass nichts mich von deiner Liebe trennen kann.‘

Sehen sie - mancher unter uns wird sich schwer damit tun, so mit Gott zu reden. Wir tun uns ja auch schwer damit, Gott unseren Zorn und unsere Angst entgegen zu schreien. Aber: Wo sollen wir denn sonst hingehen, wenn wir nicht zu ihm gehen? Wem sollen wir uns denn sonst in unseren Tiefen anvertrauen, wen wir uns nicht Jesus anvertrauen?

Und auch das gilt: Es liegt nichts daran, ob einer solch ein Gebet gut formuliert oder es stammelt, es liegt auch nichts daran, ob er oder sie es zum ersten Mal oder zum hundertsten Mal sagt. Aber daran liegt alles, dass wir uns mit unserem Leben in die Hände Jesu geben, die kurze Zeit, die wir hier voller Unruhe verbringen, damit wir nicht eine ganze Ewigkeit in der Unruhe bleiben, sondern wirklich für alle Ewigkeit die Ruhe seiner Herrlichkeit empfangen. Amen.



Verfasser: Pfr. Paul-Ulrich Lenz, Leonhardstr. 20, 61169 Friedberg

Herausgegeben vom

Logo Zentrum Verkündigung

Referat Ehrenamtliche Verkündigung
Markgrafenstraße 14, 60487 Frankfurt/Main,
Telefon: 069.71379-140
Telefax: 069.71379-131
E-Mail: predigtvorschlaege@zentrum-verkuendigung.de

in Kooperation mit dem

Logo Gemeindedienst der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland
Gemeindedienst der
Evangelischen Kirche
in Mitteldeutschland

Pfarrer Dr. Matthias Rost
Zinzendorfplatz 3 (Alte Apotheke), 99192 Neudietendorf
Telefon: 036202.7717-97

Logo MÖD – Missionarisch Ökumenischer Dienst
Pfarrer Thomas Borchers
Missionarisch-Ökumenischer Dienst
Westbahnstraße 4
76829 Landau
Telefon: 06341.928912
E-Mail: info@moed-pfalz.de