Menü

Mitten unter uns

von Brigitte Bertelmann

Predigtdatum : 09.11.2008
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres
Textstelle : 1. Thessalonicher 5,1-6.(7-11)
Wenn Sie diese Predigt als Word-Dokument erhalten möchten, tragen Sie bitte Ihre E-Mail-Adresse ein und klicken Sie auf "Abschicken"
Ihre E-Mail

Wochenspruch:



Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade; siehe, jetzt ist der Tag des Heils.

(2. Kor. 6,2b)



Psalm: 90,1-14 (15-17) (EG 735) oder 139



Lesungen



Altes Testament:

Hiob 14,1-6

Epistel:

Römer 14,7-9

Evangelium:

Lukas 17,20-24 (25-30)



Liedvorschläge



Eingangslied:

EG 147

Wachet auf, ruft uns die Stimme

Wochenlied:

EG 152

oder EG 518

Wir warten dein, o Gottes Sohn

Mitten wir im Leben sind

Predigtlied:

EG 560 oder EG 262/263

Es kommt die Zeit, in der die Träume sich erfüllen Sonne der Gerechtigkeit

Schlusslied:

EG 241, 8

Du wirst dein herrlich Werk vollenden



1 Von den Zeiten aber und Stunden, liebe Brüder, ist nicht not euch zu schreiben; 2 denn ihr selbst wisset gewiß, daß der Tag des HERRN wird kommen wie ein Dieb in der Nacht.3 Denn sie werden sagen: Es ist Friede, es hat keine Gefahr, so wird sie das Verderben schnell überfallen, gleichwie der Schmerz ein schwangeres Weib, und werden nicht entfliehen. 4 Ihr aber, liebe Brüder, seid nicht in der Finsternis, daß euch der Tag wie ein Dieb ergreife.



5 Ihr seid allzumal Kinder des Lichtes und Kinder des Tages; wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis. 6 So lasset uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasset uns wachen und nüchtern sein. 7 Denn die da schlafen, die schlafen des Nachts, und die da trunken sind, die sind des Nachts trunken; 8 wir aber, die wir des Tages sind, sollen nüchtern sein, ange-tan mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung zur Seligkeit. 9 Denn Gott hat uns nicht gesetzt zum Zorn, sondern die Seligkeit zu besitzen durch unsern HERRN Jesus Christus, 10 der für uns alle gestorben ist, auf daß, wir wachen oder schlafen, wir zugleich mit ihm leben sollen. 11 Darum ermahnet euch untereinander und bauet einer den andern, wie ihr denn tut.



Der Gemeinde in Thessalonich ist Paulus besonders herzlich verbunden. Sie hat ihn bei seinem Besuch nicht nur offen und freundlich aufgenommen, die Menschen waren auch offen für seine Botschaft. Darüber ist er immer noch froh und glücklich und dankt Gott für die Glaubensstärke der Gemeinde, die trotz mancher Anfeindungen daran festhält und das Gehörte im brüderlichen Miteinander und in Solidarität mit anderen Gemeinden umsetzt.

Der Brief des Paulus an diese Gemeinde ist deshalb vor allem als Bestärkung gedacht, sich nicht beirren zu lassen, sich an das zu erinnern, was er und später Timotheus ihnen von Jesu Leben, Tod und Auferstehung gesagt haben.

Paulus selbst und die Gemeinden, die er besucht hat, leben zu dieser Zeit noch in der Erwartung, dass die meisten von ihnen die Wiederkehr Jesu noch erleben werden, obwohl keiner von ihnen den genauen Zeitpunkt kennt. Mit eindrücklichen Bildern beschreibt Paulus die Wiederkehr des Herrn. Wie ein Dieb in der Nacht, heimlich und unerwartet oder wie die Wehen bei einer schwangeren Frau wird der Herr kommen. Zwei sehr unterschiedliche Bilder für das gleiche, grundsätzlich erwartete Ereignis.

Wenn ein Dieb kommt, verbreitet er Angst und Schrecken. Er ist grundsätzlich immer unerwartet und selbstverständlich auch unerwünscht. Er bedeutet eine Bedrohung und eine Gefahr. Nach Möglichkeit wird man ihn verjagen oder von vornherein am Eindringen in das Haus hindern. So wartet die Gemeinde in Thessalonich doch eigentlich nicht. Die Christen dort erwarten ja den Tag des Herrn eher ungeduldig. Sie hoffen, dass er bald kommt. Sie sehnen die Wiederkehr Jesu und den Tag der Erlösung herbei. Dazu passt das zweite Bild eigentlich besser.

Eine schwangere Frau mag sich auch ängstigen vor den Schmerzen, die auf sie zu kommen. Gleichzeitig ist diese Angst aber verbunden mit der Vorfreude auf das Kind, und schließlich weiß sie zwar die genaue Zeit nicht im voraus, zu der die Wehen einsetzen, aber eine Frau hat doch eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wann die Geburt ihres Kindes zu erwarten ist – und grundsätzlich unerwartet kommt sie am Ende einer Schwangerschaft natürlich auch nicht. Mit Sorge mag eine Frau, insbesondere zu Zeiten des Paulus, ohne die uns heute verfügbare ärztliche Versorgung und hygienischen Bedingungen, der Geburt trotzdem entgegen gesehen haben, waren doch die Säuglings- und auch die Müttersterblichkeit zu dieser Zeit sehr hoch – also auch eine ernst zu nehmende Gefahr, obwohl sie ein grundsätzlich erwartetes und erwünschtes Ereignis war. Die Sorge war aber verbunden mit Hoffnung und freudiger Erwartung.

Der Sorge und Angst, die mit dem überraschenden Ereignis und dem Tag des Gerichts für die Gemeinde verbunden sein kann, will Paulus entgegentreten. Er tröstet die Menschen in Thessalonich mit dem Hinweis darauf, dass sie die Dunkelheit, das Unbekannte nicht fürchten müssen. „Ihr seid Kinder des Tages, Kinder des Lichts“, spricht er ihnen zu. D.h. ihr habt schon jetzt, während ihr wartet, Gemeinschaft mit Jesus, der das Licht der Welt ist.

Sehr deutlich wird hier getrennt zwischen Licht und Finsternis, zwischen Tag und Nacht, zwischen Gut und Böse. Ich gebe zu, dass mir bei einer solchen eindeutigen Zuordnung, man könnte auch sagen, „Schwarz-Weiß-Malerei“, meist nicht ganz wohl ist. Wir wissen zu genau, dass die Übergänge zwischen Licht und Dunkel, zwischen Tag und Nacht, fließend sind. Wir kennen die Zeit der Dämmerung, des Zwielichts, wo nicht immer alles klar und eindeutig ist. Wann genau beginnt der Tag und wo endet die Nacht?

Eine Antwort auf diese Frage gibt die folgende kleine Geschichte:

Ein weiser Rabbi wurde von einem Schüler danach gefragt: Rabbi, woran erkenne ich, dass die Nacht zu Ende ist und der Tag beginnt? Ist es dann, wenn es hell genug ist, dass ich ein Schaf von einem Hund unterscheiden kann oder dann, wenn es hell genug ist, dass ich einen Dattelbaum von einem Feigenbaum unterscheiden kann? Woran erkenne ich, wann der Tag beginnt?

Der Rabbi antwortete: Der Tag beginnt nicht wenn du einen Hund von einem Schaf unterscheiden kannst oder einen Dattelbaum von einem Feigenbaum. Der Tag beginnt, wenn Du in das Gesicht eines Menschen blickst und in ihm deinen Bruder (oder deine Schwester) erkennst.

Bruder und Schwester – diese Worte können sehr liebevolle Gefühle wecken, aber auch an heftige Auseinandersetzungen bis zu Feindschaft und Hass erinnern. Zwischen leiblichen Brüdern herrscht keineswegs selbstverständlich eitel Liebe und Sonnenschein. Schon in den ersten Büchern der Bibel lesen wir mehrfach von ausgesprochen schwierigen Beziehungen zwischen Brüdern, von tödlicher Eifersucht und Neid zwischen Kain und Abel, zwischen Jakob und Esau, zwischen Joseph und seinen Brüdern.

So wie die Worte in der Bibel und auch umgangssprachlich nicht selten auch ideologisch gefärbt gebraucht werden, setzt einander Bruder und Schwester sein auch keineswegs voraus, dass man von den gleichen Eltern abstammt. Was wir oft unter Bruder und Schwester verstehen, sind Menschen, die uns sehr nahe sind, mit denen uns etwas Wichtiges verbindet, die wir lieben und schätzen, auf die wir uns verlassen können und für die wir verlässlich sein wollen, Menschen, die für einander einstehen und für einander Verantwortung übernehmen. Menschen, die etwas Wichtiges verbindet und die einander etwas bedeuten. Paulus lobt die Gemeinde in Thessalonich auch deshalb, weil die Menschen dort geschwisterlich miteinander leben, sich gegenseitig stützen und ermutigen. Er ist ihnen auch dankbar für ihre Solidarität mit den weiter entfernten Gemeinden z.B. in Jerusalem, die sie mit Geldsammlungen unterstützen. Diese Brüderlichkeit macht in Paulus’ Augen deutlich, dass sie „Kinder des Lichts“ sind.

In den Mitmenschen Bruder oder Schwester zu erkennen bedeutet zunächst, ihnen offen und freundlich zu begegnen und nicht mit Misstrauen und Vorurteilen. Es bedeutet auch, andere nicht selbstherrlich von vornherein in Schubladen einzusortieren, in solche, die dazu gehören und solche, die ausgeschlossen sind. Gerade in unserer jüngeren Geschichte und bis in die heutige Zeit haben wir damit schlimme Erfahrungen gemacht. Menschen mit anderer Nationalität oder Religion, mit fremder Kultur oder anderen politischen Zielen dem „Reich des Bösen“ zuzuordnen schafft oder vertieft Feindschaft, statt sie zu überwinden. Es führt in die Dunkelheit und nicht zum Licht.

Auch in unserem Land und in unserer Gesellschaft werden Menschen ausgeschlossen. Ihnen wird Teilhabe verweigert, wenn sie nicht die Möglichkeit haben, ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu verdienen, obwohl sie dazu bereit und in der Lage wären. Kindern und Jugendlichen wird gerechte Teilhabe verweigert, wenn sie beispielsweise aufgrund ihres familiären Hintergrunds nicht so gefördert werden, dass sie tatsächlich ihre Fähigkeiten und Begabungen voll entwickeln und damit auch die Bildungsangebote, die grundsätzlich allen zur Verfügung stehen, auch für sich nutzen können. Ihnen wird gerechte Teilhabe verweigert, wenn sich nicht nur Reichtum, sondern auch die Armut der Eltern auf die Kinder vererbt und sie keine reelle Chance bekommen, die Ausgrenzung und Einschränkungen, die das bedeutet, zu überwinden. In den Mitmenschen Bruder und Schwester zu erkennen, bedeutet vor allem, Gleichgültigkeit zu überwinden und das Licht zu nutzen, um genau hinzusehen.

Aus der christlichen Sozialethik kennen wir den Dreischritt „Sehen – Urteilen – Handeln“. Das bedeutet, die Situation, möglicherweise die Not der anderen wahrzunehmen, sich auf der Grundlage von Glaubensüberzeugungen und christlichem Menschenbild ein Urteil zu bilden und dementsprechend im Rahmen der eigenen Möglichkeiten aktiv zu werden.

Angeregt durch die Denkschrift des Rates der EKD, die im Herbst 2006 unter dem Titel „Gerechte Teilhabe“ erschienen ist, haben in vielen Gemeinden und Dekanaten Menschen genauer hingesehen und sich überlegt, was sie gegen Ausgrenzung und mangelnde Teilhabe von Benachteiligten tun können. Sie haben „Tafeln“ eingerichtet und dort nicht nur Lebensmittel ausgegeben sondern z.B. auch Kochkurse eingerichtet, in denen sie Rezepte ausgetauscht und interessante Tipps weitergegeben haben, wie man aus bisher unbekanntem Gemüse oder aus verschiedenen Resten ein gutes, preiswertes Essen für eine Familie kochen kann. Vor allem aber haben sie miteinander gegessen und geredet, um einen Tisch zusammen gesessen und einander zugehört. Nicht nur das Essen, sondern auch die Sorgen, Freuden und Hoffnungen geteilt.

Andere haben in Kindergärten und Grundschulen Lesepatenschaften übernommen. Sie haben Kindern vorgelesen, die diese Erfahrung teilweise von zuhause kaum kannten. Sie haben dabei ihre Freude an Büchern und an Sprache geteilt und mitgeteilt und im Gespräch über die Bilder und Geschichten in den Büchern auch viel aus der persönlichen Geschichte der Kinder erfahren. Sie haben Nähe zugelassen und Teilhabe ermöglicht und auf diesem Weg echte Integration erleichtert.

Etwas Ähnliches tun Männer und Frauen, die Langzeitarbeitslose beraten. Sie unterstützen sie nicht nur dabei, Bewerbungen zu schreiben und Praktikumsplätze zu finden, um damit wieder Zugang zu Erwerbsarbeit zu bekommen, sondern helfen ihnen auch dadurch, dass sie zuhören und das Gefühl vermitteln, dass der Wert eines Menschen nicht nur von der Höhe seines Gehalts abhängt. Sie stärken das Selbstvertrauen der an den Rand Gedrängten, indem sie ihnen Respekt und Wertschätzung entgegenbringen, die nicht von marktgängigen Leistungen abhängig sind.

Neben dieser überaus wichtigen und sinnvollen Zuwendung zu Einzelnen ist gleichzeitig aber auch eine gemeinsame Arbeit an Rahmenbedingungen nötig, die einer Ausgrenzung von Menschen strukturell entgegenwirkt. Kinder des Tages und Kinder des Lichts nennt Paulus die Menschen in Thessalonich, und er lobt sie, weil sie einander stärken und ermutigen.

Wenn sich viele von diesem Geist der Brüderlichkeit oder Solidarität anstecken lassen, wenn viele in dem Menschen neben sich den Bruder oder die Schwester erkennen, dann wird es für uns alle hell. Dann haben wir schon jetzt einen wichtigen Schritt auf das verheißene Reich Gottes hin getan. Wir sind nicht selbst das Licht, aber wir können das Licht, das uns geschenkt und anvertraut ist, auch für andere leuchten lassen. Wir können die Erfahrungen der Liebe und Hoffnung teilen. Das ist auch dann und gerade dann wichtig, wenn die darin ausgedrückte Zuwendung nicht sofort freudig angenommen oder gar erwidert wird, wenn auf Freundlichkeit mit Misstrauen und Zurückhaltung oder sogar Ablehnung reagiert wird. Dann ist es entscheidend, dass Erwartungen nicht zu hoch geschraubt werden, dass wir uns nicht selbst zum Maßstab machen für das, was wir von anderen erwarten, die vielleicht von ganz anderen Voraussetzungen ausgehen. Dann ist es wichtig, dass Hilfsprojekte ein Anliegen und eine Sache einer Gruppe, am besten einer ganzen Gemeinde sind und dass Einzelne, die frustriert und enttäuscht sind, von anderen entlastet und gestützt werden können. Dann hilft es, sich gegenseitig zu ermutigen, wie Paulus dies in seinem Brief tut, und mit einander und füreinander „geduldig in Trübsal und beharrlich im Gebet“ zu sein.

Auf diese Weise werden Christen miteinander und für einander „Kinder des Lichts“, und das Licht wird auch für andere leuchten und einladend sein. Das vor allem ist unsere Aufgabe. Es steht uns nicht zu, „die im Schatten“ auszugrenzen, und nicht wir entscheiden darüber, wer dazu gehört und wer nicht. Der Tag beginnt dann, wenn wir ohne Vorurteile in dem anderen den Bruder oder die Schwester nicht nur sehen, sondern auch erkennen und verstehen und entsprechend handeln. Amen.



Verfasserin: Dr. Brigitte Bertelmann

Herausgegeben vom

Logo Zentrum Verkündigung

Referat Ehrenamtliche Verkündigung
Markgrafenstraße 14, 60487 Frankfurt/Main,
Telefon: 069.71379-140
Telefax: 069.71379-131
E-Mail: predigtvorschlaege@zentrum-verkuendigung.de

in Kooperation mit dem

Logo Gemeindedienst der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland
Gemeindedienst der
Evangelischen Kirche
in Mitteldeutschland

Pfarrer Dr. Matthias Rost
Zinzendorfplatz 3 (Alte Apotheke), 99192 Neudietendorf
Telefon: 036202.7717-97

Logo MÖD – Missionarisch Ökumenischer Dienst
Pfarrer Thomas Borchers
Missionarisch-Ökumenischer Dienst
Westbahnstraße 4
76829 Landau
Telefon: 06341.928912
E-Mail: info@moed-pfalz.de