Menü

Seid realistisch – fordert das Unmögliche!

von Michael Tönges-Braungart (61348 Bad Homburg )

Predigtdatum : 17.07.2016
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 7. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Epheser 5,8b-14
Wenn Sie diese Predigt als Word-Dokument erhalten möchten, tragen Sie bitte Ihre E-Mail-Adresse ein und klicken Sie auf "Abschicken"
Ihre E-Mail

Predigt über Epheser 5, 8b-14, 17.07.16, Köppern


Liebe Gemeinde!
Seid realistisch – fordert das Unmögliche! Das war ein Slogan der 68er Jahre. Diese Aufforderung scheint zum letzten Vers unseres Predigttextes zu passen: „Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird Christus dir als Licht aufgehen!“ Da wird in der Tat das Unmögliche gefordert: „Steh auf von den Toten!“
Wahrscheinlich stammen diese Worte aus einem alten Tauflied, das in den ersten christlichen Gemeinden gesungen wurde. Und mit diesem Tauflied erinnerten sich die Christen gegenseitig daran, was es für sie bedeutete, getauft zu sein:
Ich bin getauft, d.h.: Ich stehe im Licht Jesu Christi. Er hat mich aus dem Dunkel geholt und in sein Licht gestellt, in das Licht seiner Liebe. Er nimmt mich an, so wie ich bin. Er hat sein unwiderrufliches Ja zu mir gesprochen. Das ist das Fundament, das mich und meinen Glauben trägt. Das ist die Grundlage für ein neues, ein anderes Leben.
Ich bin getauft, d.h.: Ich kann mich selber in diesem Licht sehen. Ich kann selber Ja zu mir sagen. Ich muss mich nicht immer krampfhaft um die Anerkennung anderer bemühen; ich muss auch nicht versuchen, aus mir selber etwas zu machen, damit ich wer bin. Ich kann so sein, wie ich bin. Aber ich muss auch nicht unbedingt so bleiben. Ich kann anders werden. Und wenn ich mich ins Licht Jesu stelle, dann wird das mich verändern.
Ich bin getauft, d.h.: Ich kann als „Kind dieses Lichtes“ leben. Ich kann so leben, wie es einem Menschen entspricht, der sich von Jesus Christus angenommen weiß und der sich selbst annehmen kann. Ich kann und soll mein Licht nicht unter den Scheffel stellen, sondern auf einen Leuchter. Denn es kommt nicht darauf an, dass ich möglichst unauffällig lebe, dass ich mich möglichst zwischen Hell und Dunkel, in der Dämmerung bewege. Sondern ich kann und soll durchaus auffallen. Dadurch, dass ich etwas ausstrahle von dem, was Jesus Christus mir schenkt und was mich erfüllt.
Seid realistisch – fordert das Unmögliche. Ich möchte diesen Spruch im Sinne des alten Taufliedes umformulieren: Übt keine falsche Bescheidenheit als Christen! Stellt Euer Licht nicht unter den Scheffel! Lebt, was Ihr seid! Und starrt dabei nicht nur auf Eure Grenzen, sondern rechnet mit Gottes Möglichkeiten! Seid realistisch – lebt das Unmögliche, lebt mit Gottes Möglichkeiten!
„Lebt als Kinder des Lichts! Die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.“ So wird das in unserem Predigttext beschrieben. Und diesen drei Begriffen: Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit, die das Leben von getauften Christen kennzeichnen können und sollen, möchte ich jetzt nachgehen.
Zuerst: Wahrheit. Die Wahrheit über.... diese Überschrift in einer Zeitung garantiert schon das Interesse der Leser/innen. Und darunter ist dann zu lesen, was der Enthüllungsjournalismus so alles an Wahrheiten über Personen und Begebenheiten ans Licht gebracht hat. Dabei geht es allerdings meistens gar nicht in erster Linie um die Wahrheit, sondern um die Sensation. Je spektakulärer, je aufregender, je skandalöser die Wahrheit, umso besser. Und der einzige Zweck, diese Wahrheit ans Licht zu bringen, ist oft, unsere Sensationslust zu befriedigen.
Um solche Art von Ans-Licht-Bringen der Wahrheit geht es hier nicht, wenn die Wahrheit als Frucht des Lichtes bezeichnet wird. Wenn Christen sich bemühen, die Wahrheit ans Licht zu bringen, dann dazu, dass diese Wahrheit Menschen befreit und hilft. Nicht dazu, dass sie sie ins Licht der Öffentlichkeit zerrt und bloßstellt oder blamiert.
Die Frucht des Lichts ist Wahrheit – das bedeutet für uns zuallererst: Wenn wir uns ins Licht Jesu Christi stellen, dann sind wir bereit, der Wahrheit über uns selber ins Auge zu sehen. Dann sind wir bereit, uns von ihm den Spiegel vorhalten zu lassen und uns so zu sehen, wie wir wirklich sind. Nicht so, wie wir uns selber gerne sehen würden und wie wir uns oft vor anderen ins rechte Licht rücken. Der Wahrheit über mich selber ins Auge blicken – das heißt meine Licht- und meine Schattenseiten erkennen, meine Stärken und Schwächen, auch die Gedanken und Gefühle und Wünsche, die ich vor mir selber und schon gar vor anderen oft verberge. Wenn ich mich ins Licht Jesu Christi stelle und mir von ihm selber den Spiegel vorhalten lasse, dann kann ich darauf vertrauen, dass die Wahrheit, die ich dann über mich selber erfahre, vielleicht manchmal unbequem ist und schmerzhaft; aber dass sie letzten Endes heilsam und hilfreich für mich sein wird. Weil sie mir hilft, nicht einem Wunschbild oder Trugbild von mir selber nachzujagen und zu versuchen, ihm ähnlich zu werden, sondern mich so zu sehen und zu nehmen, wie ich nun einmal bin. Das an mir zu erkennen und schätzen zu lernen, was ich mag und für erstrebenswert halte; und das, was mir an mir selber nicht gefällt, akzeptieren oder ertragen zu lernen. Und auch, mich zu verändern. Nicht damit ich mich akzeptieren kann, sondern weil ich akzeptiert bin.
Und so – nur so – können wir als Christen auch anderen den Spiegel vorhalten und ihnen helfen, die Wahrheit zu erkennen. Nicht aus Lust an Schlüssellochguckerei und Sensationen. Sondern um anderen zu helfen, sich selbst zu erkennen und realistisch einzuschätzen. Und manchmal ist die Erkenntnis einer vielleicht bitteren und schmerzhaften Wahrheit für einen Menschen der erste und entscheidende Schritt zur Veränderung. Bei Suchtkranken zum Beispiel gilt das in jedem Fall. Wenn alle Illusionen der Erkenntnis weichen: Ich bin abhängig und brauche Hilfe, dann ist ein allererster Anfang gemacht zur Heilung. Und ähnliches gilt immer dann, wenn Menschen Illusionen über sich selber oder über andere nachhängen und sich mit diesen Vorstellungen selber betrügen; wenn Menschen sich selber für stärker oder besser oder gesünder halten als sie sind und danach leben; und genauso auch, wenn sie sich für schwächer oder schlechter oder kränker halten. Die Wahrheit kann dann ein erster Schritt zur Befreiung sein.
Die Frucht des Lichtes ist Wahrheit – als Christen sind wir uns selber und anderen diese Wahrheit schuldig. Dass wir dabei nicht unbarmherzig und sensationslüstern vorgehen sollen, versteht sich von selber. Aber genauso versteht sich eben, dass wir nicht beim allgemeinen Vertuschen und Verstecken mitmachen müssen.
Das zweite: Güte. Sie gehört zur Wahrheit dazu. Wenn Christen anderen die Wahrheit zumute, dann können und sollen sie ihnen zugleich gut sein. Dann soll es ihnen nicht darauf ankommen, die anderen fertigzumachen, sondern ihnen zu helfen. Dann sollen sie danach fragen, was wirklich für die anderen gut ist. Und dann prüfen sie bei dem, was sie für andere tun, genau, ob sie sich nicht doch eher von eigenen Interessen leiten lassen. Denn das ist oft der Fall, wenn etwas gut gemeint ist. „Ich weiß genau, was für dich gut ist. Und ich werde dich schon dahin bringen, dass du das tust, was ich für richtig halte.“ Nach diesem Motto verfahren wir ja manchmal anderen gegenüber. Natürlich nicht offen; und wir gestehen uns das nur selten ein. Aber wenn wir ganz ehrlich uns selber gegenüber sind, gehen wir doch nicht selten mit anderen so um. Dabei spüren wir doch sehr genau, wie wir darunter leiden und wie zornig uns das macht, wenn andere so mit uns verfahren.
Güte – d.h. nicht, es gut meinen, sondern: dem Gegenüber gut sein. Ihm mit einem Ja im Herzen und in den Gedanken begegnen und nicht mit einem Nein; und auch nicht mit einem: Vorher musst du aber....
Güte, d.h.: Das Ja, das Christus zu mir gesprochen hat und das ich deshalb selber zu mir sprechen kann, auch anderen zubilligen; das Licht der Liebe, das von Jesus Christus her auf mich fällt, durch mich hindurchscheinen lassen auf andere. Und das nicht abhängig machen davon, ob die anderen das in meinen Augen auch wert sind oder ob sich das lohnt oder ob es mir auch gedankt wird oder ob etwas für mich dabei herausspringt.
Schließlich das dritte: Gerechtigkeit. Was gerecht ist, was Gerechtigkeit bedeutet, das ist nicht so einfach zu sagen. Heißt es: Allen das Gleiche? oder: Jedem das Seine; jedem das, was er verdient, was ihm zusteht? Auch da gilt es immer wieder zu prüfen, was Gerechtigkeit bedeutet.
Gerechtigkeit gegenüber den Menschen, mit denen wir leben, denen wir täglich begegnen – das heißt für uns: uns bemühen, ihnen gerecht zu werden; uns bemühen, sie zu verstehen und sie nicht vorschnell in Kategorien einzuordnen wie gut und böse, rechts oder links, fromm oder ungläubig, fleißig oder faul, fortschrittlich oder rückständig, verbohrt oder weltoffen – oder wie unsere Schubladen alle heißen, in die wir andere gerne stecken. Gerechtigkeit üben, das heißt nicht: Mit festen und vorgefertigten Maßstäben an Menschen herangehen und dann ein Urteil fällen oder versuchen, sie diesen Maßstäben anzupassen. Sondern das bedeutet: Sich bemühen, sie so zu sehen, wie sie wirklich sind mit ihren Schwächen und ihren Stärken, mit ihren unangenehmen und ihren liebenswerten Seiten. Ihnen mit dem Ja zu begegnen, das Christus zu uns gesprochen hat und von dem wir leben und auf das wir genauso viel oder genauso wenig ein Anrecht haben wie die anderen. Und uns dann ihnen gegenüber so verhalten, wie es ihnen entspricht und wie es ihnen hilft.
Unser Eintreten für Gerechtigkeit hat aber auch noch eine andere Seite. Es macht nicht halt bei unseren Beziehungen zu den Menschen in unserer nächsten Umgebung. Christen stellen auch die Frage nach der Gerechtigkeit in wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen. Nicht, dass wir dabei immer schon genau wüßten, was gerecht ist oder wie Gerechtigkeit zu erreichen wäre. Aber die Frage nach der Gerechtigkeit wachhalten und sie gerade auch im Namen derer stellen, die dabei oft vergessen werden, das können und sollen wir Christen schon. Für die Tafel spenden und sich bei der Tafel engagieren ist das eine - genauso wichtig ist es, nach den Ursachen dafür zu fragen, dass Menschen auf die Tafel angewiesen sind und die Politik an ihre Verantwortung zu erinnern. Sich für Flüchtlinge engagieren ist das eine – nach den Fluchtursachen fragen und die Politik an ihre Verantwortung für die Geflüchteten erinnern, ist das andere. Beides gehört zusammen und darf nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Seid realistisch - versucht das Unmögliche! Lebt als Kinder des Lichtes! Und wenn Ihr Euch in das Licht stellt, das von Jesus Christus her auf Euch und die Welt fällt, dann wird Euch das verändern. Dann wird es durch Euch hindurch scheinen. Und dann wird es in Euch und durch Euch seine Frucht hervorbringen: Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit.
Seid realistisch – versucht das Unmögliche! Rechnet in Euch selber und unter Euch mit Gottes Möglichkeiten!
Amen.

Pfarrer Michael Tönges-Braungart, Bad Homberg

Herausgegeben vom

Logo Zentrum Verkündigung

Referat Ehrenamtliche Verkündigung
Markgrafenstraße 14, 60487 Frankfurt/Main,
Telefon: 069.71379-140
Telefax: 069.71379-131
E-Mail: predigtvorschlaege@zentrum-verkuendigung.de

in Kooperation mit dem

Logo Gemeindedienst der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland
Gemeindedienst der
Evangelischen Kirche
in Mitteldeutschland

Pfarrer Dr. Matthias Rost
Zinzendorfplatz 3 (Alte Apotheke), 99192 Neudietendorf
Telefon: 036202.7717-97

Logo MÖD – Missionarisch Ökumenischer Dienst
Pfarrer Thomas Borchers
Missionarisch-Ökumenischer Dienst
Westbahnstraße 4
76829 Landau
Telefon: 06341.928912
E-Mail: info@moed-pfalz.de