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Simeon

von Paul-Ulrich Lenz (63679 Schotten-Einartshausen)

Predigtdatum : 29.12.2002
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 1. Sonntag nach dem Christfest
Textstelle : Lukas 2,(22-24).25-38.(39-40)
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Wochenspruch:

Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit. (Johannes 1,14)

Psalm: 71,14-18 (EG 732)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 49,13-16
Epistel:
1. Johannes 1,1-4
Evangelium:
Lukas 2, (22-24) 25-38 (39-40)

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 39
Kommt und lasst uns Christus ehren
Wochenlied:
EG 25
oder EG 34
Vom Himmel kam der Engel Schar
Freuet euch, ihr Christen alle
Predigtlied:
EG 8
Es kommt ein Schiff geladen
Schlusslied:
EG 19
O komm, o komm, du Morgenstern

[22 Und als die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz des Mose um waren, brachten sie ihn nach Jerusalem, um ihn dem Herrn darzustellen, 23 wie geschrieben steht im Gesetz des Herrn (2.Mose 13,2; 13,15): »Alles Männliche, das zuerst den Mutterschoß durchbricht, soll dem Herrn geheiligt heißen«, 24 und um das Opfer darzubringen, wie es gesagt ist im Gesetz des Herrn: »ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben« (3.Mose 12,6-8). 25 Und siehe:]
Ein Mann war in Jerusalem, mit Namen Simeon; und dieser Mann war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der Heilige Geist war mit ihm. 26 Und ihm war ein Wort zuteil geworden von dem Heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen. 27 Und er kam auf Anregen des Geistes in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz, 28 da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach:
29 Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren,
wie du gesagt hast;
30 denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen,
31 den du bereitet hast vor allen Völkern,
32 ein Licht, zu erleuchten die Heiden
und zum Preis deines Volkes Israel.
33 Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde. 34 Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird 35 - und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen -, damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden.
36 Und es war eine Prophetin, Hanna, eine Tochter Phanuëls, aus dem Stamm Asser; die war hochbetagt. Sie hatte sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt, nachdem sie geheiratet hatte, 37 und war nun eine Witwe an die vierundachtzig Jahre; die wich nicht vom Tempel und diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht. 38 Die trat auch hinzu zu derselben Stunde und pries Gott und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.
[39 Und als sie alles vollendet hatten nach dem Gesetz des Herrn, kehrten sie wieder zurück nach Galiläa in ihre Stadt Nazareth. 40 Das Kind aber wuchs und wurde stark, voller Weisheit, und Gottes Gnade war bei ihm.]

Liebe Gemeinde!
Als die Geschenke alle ausgepackt waren, trat Stille ein. Es lag noch etwas in der Luft. Es war wie eine unausgesprochene Frage: War das alles?
Kennen Sie das auch, diesen Augenblick am Heiligabend? Alles ist ausgepackt. Alles ist ausgebreitet. Alles ist angekommen. Es hat gestimmt, die Wünsche sind erfüllt worden. Die Freude auf allen Seiten ist groß. Eigentlich könnte man jetzt wunschlos glücklich sein. Eigentlich könnte man sich jetzt zusammensetzen und miteinander essen und erzählen. Das wird dann auch geschehen - der eine schmökert in dem neuen Buch, der andere hört die neue CD und wieder jemand probiert aus, was er bekommen hat. Und doch: dazwischen liegt so ein winziger Augenblick und die unausgesprochene Frage: War’s das schon?
Simeon war alt geworden. In Jerusalem kannten sie ihn alle, den frommen Mann, der Tag für Tag in den Tempel kam. Sie wussten: Simeon ist ein großer Beter. Er liegt Gott in den Ohren. Er hat soviel im Lauf seines Lebens gesehen und erlebt - ein gerütteltes Maß an Lebensschicksal ist ihm zuteil geworden, Gutes und Schlimmes. Seine Frau hat er verloren, seine Kinder sind irgendwann ihre eigenen Wege gegangen. Nun scheint sein ganzes Leben nur noch Beten zu sein.
Simeon ist noch nicht lebenssatt. Er hat das Leben noch nicht satt. Er ist wie die gestaltgewordene Frage: Das ist doch noch nicht alles? Das kann doch nicht alles gewesen sein - das Glück der jungen Jahre und das Leid der alten Jahre. Das kann doch nicht alles gewesen sein - die harte Mühe um das tägliche Brot und die Feste, die es ab und an zu feiern gilt. Das kann doch nicht alles gewesen sein - das Geben und Nehmen, das Schenken und Beschenktwerden, das Haben und wieder Loslassen. Da muss doch noch etwas kommen, was das Leben ganz anders erfüllt, was dem Leben eine Richtung gibt über all das hinaus, was wir so tagaus, tagein sehen. Danach streckt Simeon sich aus.
Ich glaube, dass es in jedem und jeder von uns auch so ein Warten, so ein Sehnen gibt, das wir oft kaum noch wahrnehmen: Nach dem, was mehr ist als das, was wir alltäglich und auch festtäglich erleben. Dass es in uns ein Warten gibt, nach dem, was die Wechselfälle, die guten und die schweren Erfahrungen unseres Lebens umgreift und durchdringt. Dass es ein Warten gibt nach dem, was uns tröstet über all dem, was in unserem Leben halbfertig, Bruchstück, und manchmal auch Schuld ist.
In dem winzigen Augenblick am Heiligen Abend, wenn alle Geschenke ausgepackt sind und dies „War’s das?“ in der Luft hängt, meldet sich dieses Warten. Wenn Sie in einem normalen Gottesdienst sitzen bleiben und noch nicht aufstehen wollen, weil da doch noch etwas kommen müsste, meldet sich dieses Warten. Wenn Sie manchmal mit Ihren Augen am Abendrot hängen bleiben und der sinkenden Sonne nachschauen und nachsinnen, meldet sich dieses Warten. Und wenn Sie übermorgen die Minuten und Sekunden zählen, bis ein neues Jahr beginnt, meldet sich dieses Warten.
Musik
Simeon, dieser alte, wartende Mann ist von seinem Warten in den Tempel getrieben worden. Er ist nicht auf den Straßen Jerusalems stehen geblieben, nicht am Schafstor und nicht am Davidstor, nicht in der Tempelgasse und nicht in der Straße zum Königspalast. Er ist in seinem Warten wieder und wieder in den Tempel geführt worden.
Wenn wir ihn heute fragen könnten und fragten: „Warum wartest du denn gerade im Tempel?“ würde er uns sagen: „Da ist doch der Ort, wo Gott sich finden lassen will. Da hat er es doch versprochen, dass er uns begegnen will. Da haben ihn die Väter erfahren: Jesaja ist im Tempel vor seiner Gegenwart auf die Knie gefallen. Amos ist von seinem Geist in den Tempel geführt worden. Jeremia hat im Tempel sein Wort empfangen. Wo sonst soll ich denn Gottes Gegenwart, den Trost Israels und der ganzen Welt erfahren dürfen?“
Vorsichtig würde er hinzusetzen: „Ich habe eine Verheißung empfangen, die mich nicht weggehen lässt aus diesem Haus: Hier werde ich Gottes Trost schauen. Hier werde ich den sehen mit meinen alten Augen, der der Helfer und Heiland ist, der Tröster aller Welt und der Trost meines Lebens. Gottes Geist selbst hat mich darüber getrost werden lassen und deshalb warte ich hier - jeden Tag neu.“
Ich kann dieses alte Wort von der Verheißung an Simeon nicht anders lesen als eine Verheißung Gottes auch an uns: Keiner von uns muss ins Leere warten. Keiner von uns muss an unbestimmtem Ort und einfach so warten. Jede und jeder von uns hat dieses Versprechen Gottes; Es gibt eine Stunde in deinem Leben, da wirst du Gott erfahren als den Trost aller Welt und als den Trost deines Lebens. Es gibt eine Stunde, da wird es dir tief in deinem Herzen und deutlich für dein Denken und Fühlen klar sein: Das ist Gottes Stunde mit mir. Jetzt habe ich es nicht nur mit Menschenworten und Menschengedanken zu tun. Jetzt geht es nicht nur um meine Sehnsucht und um mein Warten - jetzt stehe ich vor Gott. Er will sich mir schenken und ich darf mich ihm lassen.
Muss ich etwas dafür tun, dass ich das erfahren kann? Kann ich überhaupt etwas dafür tun, dass ich das erfahren kann? Simeon hat sich von diesem Versprechen Gottes in den Tempel führen lassen. Er hat sich von diesem Versprechen Tag um Tag rufen lassen und sich ihm hingehalten. Ich denke: er hat dieses Versprechen als ein Beter Gott auch oft genug vorgehalten: Herr, es ist Zeit, mein Leben geht dem Ende zu. Lass mich den schauen, auf den ich warte. Lass mich ihn sehen, bevor meine Augen nichts mehr sehen können.
Das können wir auch. Wir können, wir sollen Gott seine Verheißungen vorhalten, sie bei ihm einfordern, sie ihm „in die Ohren reiben“, wie Luther einmal gesagt hat. Wir können und sollen die Orte suchen, wo Gott sich finden lassen will - denn so gewiss Gott uns überall begegnen kann, so gewiss gilt doch auch, dass er sich an einigen Orten finden lassen will: In seinem Wort, in der Gemeinschaft seiner Leute, die in seinem Namen zusammen sind; in seinem Haus, in dem wir vor ihm beten und still sein dürfen und nicht zuletzt: bei den Armen. Indem ich diese Wege gehe, diese Schritte tue, halte ich Gott sein Versprechen hin, damit er es erfüllt.
Musik
Nach langem Warten, nach vielen Jahren erfüllt sich die Verheißung Gottes an Simeon. Sooft er als ein neu Wartender nach Hause gegangen mag - jetzt erlebt er seine Gottesstunde. Es ist die Stunde, in der er Jesus in den Armen hält. Es ist die Stunde, in der sagen kann: Jetzt hat mein Leben seine Erfüllung gefunden. Jetzt habe ich meinen Trost und meine Hoffnung gefunden, meinen Tröster und meinen Heiland. Es ist die Stunde, in der sagen kann: Jetzt kann ich alles loslassen, weil ich mit eigenen Augen den Heiland gesehen habe. Das ist seine Gottesstunde: er sieht das Licht der Welt und sieht in ihm das Licht seines Lebens.
Nichts anderes werden wir in unserer Gottesstunde erfahren. Da sehen wir Jesus, der das Licht der Welt ist und das Licht unseres Lebens sein will.
Manche erwarten sich von so einem Erleben, dass sie von Stund an alles begreifen und verstehen werden: Alle Geheimnisse der Welt werden enthüllt, all die Rätsel und das Unbegreifliche, an dem wir uns oft genug schwer abschleppen, werden in einem Moment licht und klar. Alle Fragen können verstummen, weil wir auf alles Antwort haben.
Aber das ist es nicht, was uns in dieser heiligsten Stunde unseres Lebens geschenkt wird. Wir werden nicht aufgeklärt über dies oder das, sondern wir werden hineingestellt in die Gegenwart Gottes: Gott selbst schenkt sich uns. Gott legt sich uns in die Hände, so wie dies Kind dem Simeon in die Hände gelegt wurde. Gott legt sich uns ins Herz mit seinem Licht, seiner Liebe, seiner Güte, so wie Jesus dem Simeon ans Herz gelegt wurde.
Wo wir das erfahren, dass Gott selbst sich uns schenkt in unser Herz und unser Leben hinein, da findet unser Leben seine Erfüllung, da können wir dann mit Simeon sagen: Herr, nun ist alles gut. Nun kann ich loslassen und kann mich dir lassen - denn in dir habe ich alles - für Zeit und Ewigkeit.
Zwei Lieder aus unterschiedlichen Zeiten sagen das auf ihre Weise.
Paul Gerhard hat vor 350 Jahren gesungen:
Ich sehe dich mit Freuden an und kann mich nicht satt sehen
und weil ich sonst nichts weiter kann, bleib ich anbetend stehen.
O dass mein Sinn ein Abgrund wär’ und meine Seel’ ein weites Meer,
dass ich dich könnte fassen.
Und in Taize wird es heute so gesungen:
Sole dios basta - Gott allein genügt.
Nichts anderes sagt Simeon und will, dass wir es mit ihm sagen: Sole dios. Basta. Amen.

Verfasser: Pfr. Paul-Ulrich Lenz, Leonhardstr. 20, 61169 Friedberg

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