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Taufe

von Andreas Klodt (56370 Dörsdorf)

Predigtdatum : 25.05.1997
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Pfingstmontag
Textstelle : Johannes 3,1-8.(9-15)
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Wochenspruch: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll. (Jes. 6,3)

Wochenlied: EG 126 oder 139

Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, einer von den Oberen der Juden. Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist. Wundere dich nicht, daß ich dir gesagt habe: Ihr müßt von neuem geboren werden. Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist.

Liebe Gemeinde!

Es war Sonntagmorgen. Nico schlug die Augen auf und sah auf den Wecker: Erst acht Uhr! Er gähnte und streckte sich. So früh war er sonntags schon lange nicht mehr wachgewesen. Wie gut ihm doch die zwei Wochen Urlaub getan hatten! Aus Rücksicht auf die Kollegen mit schulpflichtigen Kindern hatte er seinen Urlaub in den Mai gelegt. Morgen mußte er wieder arbeiten - aber heute lag noch ein ganzer freier Tag vor ihm. Unter den Vorhängen ahnte man einen strahlendblauen Tag. Unternehmungslustig sprang Nico aus dem Bett. Er ging in die Küche, um erst einmal zu frühstücken, dann wusch er sich und zog sich an. Zufrieden blickte er auf seinen Schreibtisch, auf dem sich vor vierzehn Tagen noch verschiedene Akten gestapelt hatten. Jetzt war er fast leer, sogar die Steuererklärung war endlich im Briefkasten und auf dem Weg zum Finanzamt. Nur die Einladung zur Hochzeit seiner Schwester lag noch herum, er wußte nicht recht, ob er sie aufheben sollte. Es war ein schönes Fest gewesen, Samstag vor acht Tagen. Tante Ingrid war auch dagewesen, seine Patentante. Und natürlich gab es wieder einen ihrer peinlichen Auftritte, als sie vor dem Kaffeetrinken unbedingt für die frischgebackenen Eheleute beten wollte. Dabei kamen die doch gerade aus der Kirche! Aber auch das ging zum Glück vorbei.

Nico hatte in den letzten Jahren eigentlich kaum mehr als ein paar Worte bei Familienfeiern mit seiner Patentante gesprochen. Ihr Mann war schon viele Jahre tot, und seitdem lebte sie allein. Kinder hatten sie keine gehabt. Eigentlich war es mit dem Auto kein weiter Weg bis zu ihr... Ja, dachte er. Ich fahre einfach mal zu Tante Ingrid. Überrasche sie. Lade sie zum Mittagessen ein. Nico sah auf seine Uhr: Es war gerade neun. Wenn er jetzt losfuhr und sich Zeit ließ, dann war er um zehn bei seiner Tante. Bestimmt würde sie sich freuen. Nico zog sich eine Jacke über, steckte seine Brieftasche ein und holte das Auto aus der Tiefgarage.

Wie still es hier doch am Sonntagmorgen ist, dachte er, als er Wiesbaden in Richtung Bad Schwalbach verließ. Kein Vergleich zu dem, was hier, werktags und auch am Abend los war. Nur ein paar Leute, vorwiegend ältere, waren unterwegs. Wo die wohl hinwollten? Ach so, es war ja Sonntag. Sicher zur Kirche. Samstag letzter Woche, bei der Trauung seiner Schwester, war er zum ersten Mal seit seiner Konfirmation wieder in der Kirche gewesen. Die Pfarrerin hatte ein kleines Bäumchen mitgebracht, darüber gesprochen und es dem Brautpaar am Schluß geschenkt. Das war ganz nett gewesen, aber noch lange kein Grund, deswegen jeden Sonntag in die... - Zu dumm, daran hatte er gar nicht gedacht! Tante Ingrid ging ja regelmäßig in die Kirche. Wenn er Pech hatte, dann war sie jetzt gar nicht da. Egal, nun war er einmal unterwegs und fuhr auch weiter.

Die Bäderstraße war frei, nur weit vor sich sah er ein einzelnes Auto. Nicos Gedanken eilten voraus zum Haus seiner Tante. An eins konnte er sich noch gut erinnern von seinen Besuchen in Kindertagen her: An den alten, massiven, schwarzen Wohnzimmerschrank, den sie „Büffet“ nannten.

Als Kind hatte er immer fasziniert die Reihen von Liqueur-, Wein-, Sekt- und Schnapsgläsern betrachtet, die im oberen Teil des Büffets hinter Glas aufgestellt waren. Dazwischen thronte ein Paar dicker, vergoldeter Tassen, die seine Urgroßeltern zu ihrer goldenen Hochzeit geschenkt bekommen hatten. Ein wahres Paradies aber waren für Nico damals die drei Schubladen gewesen: Voll von altem Zeug, zu dem man sich die herrlichsten Geschichten ausdenken konnte. Ob der alte Schrank noch da war? - Nico mußte sich auf die Straße konzentrieren. Das Auto vor ihm wurde langsamer und steuerte einen Parkplatz an. Was hatte er gesagt, ein Wanderer, der aus der Stadt in den Taunus herauskam. Gerade, als Nico vorbeifuhr, stieg der Fahrer aus. Er hatte beim Wagen eines Blumenhändlers angehalten. Nico drehte den Kopf. Nein, wie ein Wanderer sah der nicht aus.

Der Mann war grauhaarig und trug Jackett und Krawatte. Offensichtlich wollte er nur rasch Blumen besorgen. Nico verzog das Gesicht. Das hätte ihm auch nicht schlecht angestanden, wo er doch zu seiner Tante fuhr. Beim nächsten Mal, tröstete er sich. Jetzt, wo die Straße frei war. fuhr er doch etwas schneller, als er es sich vorgenommen hatte. Es war gerade zwanzig vor zehn, als er vor dem Haus seiner Tante in Dörsdorf hielt. Auf dem Schild am Ortseingang hatte er gelesen: Evangelischer Gottesdienst - Sonntag 9.30 Uhr. Möglicherweise hatte er die Tante gerade verpaßt. Nico klingelte.

„Ja, Nico“, sagte die 'Tante, „wo kommst du denn her?“ Sie ließ ihn eintreten. Er murmelte ein paar Worte zur Begrüßung, lud sie dann zum Mittagessen ein und fügte hinzu: „Ich hatte schon Angst, du wärst in der Kirche.“ „Heute morgen nicht.“ Sie wies auf die Schürze und das Küchenmesser in ihrer Hand: „Ich erwarte nämlich Besuch zum Essen. Deshalb war ich auch etwas überrascht, dich hier zu sehen. Du kannst natürlich gerne mitessen. Geh' doch schon mal vor ins Wohnzimmer, ich komme gleich nach, wenn ich die Paprika geschnitten habe.“ Mit diesen Worten bugsierte sie ihn durch die Tür.

Nico ärgerte sich über sich selbst. Uneingestanden hatte er gehofft, seine Tante wäre völlig aus dem Häuschen, wenn er vor der Tür stände: Neffe tröstet einsame Witwe, und so. Doch jetzt stellte sich heraus, daß sie bereits Besuch erwartete und er ungelegen kam. Ihr Kontakt war halt nur sehr lose gewesen in den letzten Jahren, und die Zeit blieb nicht stehen. Immerhin - das alte Büffet war noch da. Ob da immer noch so alte Sachen drin waren? Er zog eine Schublade auf. Auf einem dicken Stapel mit alten -Ansichtskarten lag eine Taufurkunde. Für Ingrid - Müller - richtig, das war der Mädchenname seiner Tante. Alle Eintragungen waren in einer gestochenen Handschrift gemacht worden. Als Taufspruch las er: „Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“

Gerade kam die Tante ins Wohnzimmer. „So, jetzt mach' ich erst einmal eine Pause“, meinte sie. „Was hast du denn da? Ach so, meine Taufurkunde! Weißt du eigentlich, daß du den gleichen Taufspruch hast wie ich?“ „Nein, keine Ahnung“, sagte Nico.

„Hab' ich dir das wirklich nie erzählt? Also, das kam so: Als deine Eltern beschlossen, dich Nico zu nennen, da mußte ich sofort an den Nikodemus aus der Bibel denken. Und zu dem sagt Jesus: Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. Als Patentante überließen deine Eltern mir die Auswahl des Taufspruchs, und bei der Namensverwandtschaft von Nico und Nikodemus fand ich ihn auch für dich sehr passend.“

„Und was war das für ein Typ, dieser Nikodemus?“ „Irgendwie fand er Jesus wohl interessant. Seine Wunder und, was er sagte, haben ihn beeindruckt. Eines Nachts ist er dann zu Jesus geschlichen, um ihn näher kennenzulernen. Bei hellichtem Tage war ihm das wohl zu gefährlich oder peinlich oder beides. Er war ein angesehener und einflußreicher Mann in leitender Position, Jesus dagegen war bei vielen nicht angesehen und galt als gefährlich. Als Nikodemus nun zu ihm kam, hat Jesus ihm gehörig den Kopf gewaschen; ich glaube, er ist nicht besonders nett zu Nikodemus gewesen. Er hat klipp und klar gesagt: Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann er das.Reich Gottes nicht sehen.“

„Was ist denn daran klipp und klar? Klingt für mich irgendwie nach Reinkarnation“, meinte Nico. „Tja“, antwortete seine Tante, „das hat Nikodemus damals auch nicht verstanden. Jesus wollte ihm sagen: Es genügt nicht, sich für mich zu interessieren, wenn das in deinem Leben keine Konsequenzen hat. Es geht um mehr: Entweder du gehst meinen Weg oder nicht. Und wenn du meinen Weg gehst, dann ist das so, als ob du von neuem geboren wirst. Du darfst ein neues Leben beginnen, aber dazu gehört am Anfang ein ganz konkretes Zeichen: Die Taufe.

Vor allen Leuten wird damit gezeigt: Du gehörst zu mir. Du bist auf dem Weg des Reiches Gottes. - Mir ist an meinem Taufspruch wichtig geworden, daß er mir immer wieder sagt: Es gibt kein neues Leben nur in den eigenen vier Wänden, während ansonsten, in der Öffentlichkeit, alles beim Alten bleibt. So wurde man sich nur in die eigene Tasche lügen.“ „H-hm“, machte Nico. Das war ihm zu fromm. Er war zwar auch getauft, aber... „Das ist dir wohl zu fromm, was deine Patentante dir da erzählt, wie?“ Tante Ingrid schien seine Gedanken erraten zu haben. „Wieso, nein“, widersprach Nico. „Jesus find' ich doch gar nicht schlecht, wirklich. Aber so vor allen Leuten, na, ich weiß nicht, wie stellst du dir das denn vor!“

„Du machst deinem Namensvetter wirklich alle Ehre, Nico. Der fand Jesus auch gut, aber deswegen in seinem Leben etwas ändern, sich taufen lassen und zur Kirche gehören, das wolIte er nicht. »Aber ich bin doch getauft, und ausgetreten bin ich auch nicht«, warf Nico ein. »Also ist doch alles in Butter. Ab und zu denk' ich ja auch, man könnte mal wieder in die Kirche gehen, aber soll ich mich etwa sonntags zwischen die alten Leute und die Konfirmanden setzen?“

„Ich finde das nicht peinlich. Kein Mensch muß sich schämen, daß er zu Gott gehört und daß ihm das wichtig ist. Ganz im Gegenteil: Indem du dich dazu bekennst, zeigst du, daß es dir wichtig ist. Erinnere dich doch mal an die Hochzeit deiner Schwester vor acht Tagen. Die fand ja auch nicht im stillen Kämmerlein statt, sondern vor vielen Leuten haben die beiden auf den Traustühlen gesessen, waren furchtbar aufgeregt und haben sich bei der Hand gehalten. Sie gehören zusammen, und das haben sie auch gezeigt. Etwas ganz Entscheidendes in ihrem Leben hat sich geändert. Das ist vielleicht auch so etwas wie eine Wiedergeburt, wie es Jesus von der Taufe gesagt hat: Man wird von neuem geboren!“

„Hört sich an, als ob du Erfahrung damit hättest“, spottete Nico, entschuldigte sich allerdings auch gleich wieder dafür. „Wer weiß“, bekam er zur Antwort.

Es klingelte. Wenn das schon der Besuch seiner Tante war, dann wurde es sicher gleich ziemlich ungemütlich. Frauen unter sich! Besser, er würde sich unter einem Vorwand wieder auf den Weg machen. Lächelnd und mit gerötetem Gesicht kam die Tante mit einem Strauß Blumen im Arm von der Eingangstür zurück ins Wohnzimmer, das Fach mit den Vasen wurde geöffnet. Nico machte kein besonders intelligentes Gesicht, als im Türrahmen ein Mann auftauchte: Das war ja der Rosenkavalier von der Bäderstraße, von vorhin!

Tante Ingrid mußte lachen und hatte plötzlich gar keine Lust mehr zu kochen. „Wißt ihr was“, sagte sie zu den beiden Männern, „die Zutaten halten sich auch noch bis morgen - ich lad' euch zum Essen ins Gasthaus ein!“

Auf dem Weg dorthin mußte Nico an den Taufspruch seiner Tante, der ja auch sein eigener war, denken: Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes -nicht sehen.

Da war was dran.

Amen.

Anmerkungen:

* Den Predigttext kann ich mir am Anfang oder auch als Abschluß der Predigt vorstellcn. - Es bietet sich an, Orts-, Land-, Straßennamen sowie Gottesdienstzeiten nach den örtlichen Gegebenheiten abzuändern.

* Alternative Epistellesung, die die Verbindung von Taufe und Wiedergeburt herstellt: Titus 3,4-8.

Liedvorschläge:

EG 200

EG 204

EG 630

Pfr. Andreas Klodt

Schulstr. 2

56370 Dörsdorf


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