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Totaliter aliter. Total anders.

von Gerrit Boomgaarden (61191 Rosbach)

Predigtdatum : 07.06.1998
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Pfingstmontag
Textstelle : Römer 11,(32).33-36
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Schriftlesung: Joh. 3,1-8 (9-15)

Wochenspruch:

Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll! (Jes 6,3)

Wochenlied:

EG 126 oder 139

Weitere Liedvorschläge:

EG 179; 331; 379; 616

Liebe Gemeinde!

Zwei Mönche treffen sich und unterhalten sich über die Zukunft, und ganz besonders darüber, wie es später im Himmel einmal sein wird. Sie grübeln und rätseln, und jeder hat eine andere Meinung. Der eine glaubt, daß er recht haben wird, der andere ist der Ansicht, daß er recht hat. Und dann beschließen sie folgendes: Der erste, der von ihnen beiden sterben wird, soll dem anderen im Traum erscheinen und ihm sagen, wie es bei Gott in seinem Reich ist. Und damit es dann bei der Beschreibung nicht so uferlos lang wird, einigen sie sich auf zwei Stichworte:

Die Mönche sind mit der lateinischen Sprache vertraut. Wenn es also so sein würde, wie sie sich es vorgestellt hatten, sollte das Stichwort „taliter“ (Übersetzung: ebenso, dergleichen) lauten. Wenn es anders sein würde, als sie gedacht hatten, sollte das Stichwort „aliter“ (Übersetzung: anders) lauten. Und dann gingen die beiden Mönche wieder auseinander.

Dann kam es, daß der eine Mönch starb und in Gottes Reich kam. Wie auf Erden schon vereinbart, erschien er dem anderen Mönch im Traum, um ihm das eine oder das andere Stichwort zu sagen. Aber er sagte weder taliter noch aliter, sondern es hatte ihm beim Anblick des Reiches Gottes so die Sprache verschlagen, daß er sagte: Du, Freund: Es ist totaliter aliter.

Totaliter aliter. Total anders. Wir haben überhaupt keine Ahnung gehabt, wie toll es bei Gott sein würde, daß alles noch viel wunderbarer ist, als wir uns das jemals ausgemalt hatten, daß Gott noch viel herrlicher ist, als wir es je erfahren haben, daß wir nie gedacht hätte, daß es einmal so sein würde. Viel besser, viel schöner, viel wunderbarer, viel unbeschreiblicher - es ist einfach nur zum Staunen. Es ist einfach ganz anders gekommen, als wir gedacht hatten.

Das kennen wir doch auch aus unserem Alltag. Da ist ein Problem. Und dieses Problem läßt uns einfach nicht los. Es hält uns Tag und Nacht in Bewegung. Es beschäftigt uns. Es nimmt uns über die Maßen in Anspruch. Wir machen uns unzählige Gedanken, fangen an, uns alles mögliche auszumalen, beginnen zu planen und für alle Eventualitäten vorzusorgen. Und dann kommt doch alles ganz anders, als wir es uns vorgestellt hatten. Und es ist viel besser gekommen als wie je gedacht hatten. Wir beginnen zu staunen, wie sich manche Probleme in Wohlgefallen aufgelöst haben. Wir sind überwältigt. Unsere zuvor so angespannten Gesichter entspannen sich wieder. Ein Lächeln macht sich breit und so manch einer schüttelt über sich selbst den Kopf und kann es noch gar nicht glauben. Totaliter aliter ist es gekommen. Es ist einfach zum Staunen.

So geht es auch Paulus an einer Stelle in seinem Brief an die Gemeinde in Rom. Da zerbricht er sich drei Kapitel lang den Kopf über die Frage: Was passiert eigentlich mit dem Volk Israel, das Jesus von Nazareth ans Kreuz gebracht hat und damit zum Ausdruck brachte: Diesen Jesus, der angeblich der Sohn Gottes sein möchte, wollen wir nicht.

Wie ist nun das Verhältnis Gottes zu diesem Volk, das er doch ursprünglich mal als sein Volk ausgewählt hatte und mit dem er Geschichte machen wollte. Er hatte es ausgewählt aus Liebe, nicht weil es irgendetwas besonderes an sich hätte oder irgendetwas besonderes geleistet hätte. Und jetzt auf einmal lehnt dieses Volk sogar seinen Sohn ab, als ob Gott nicht schon genug schlechte Erfahrungen mit diesem Volk gemacht hätte? Hat Gott diesem Volk nun endlich den Rücken zugewandt? Hat er sich nun endgültig vom ihm verabschiedet, um sich anderen Menschen zuzuwenden, die seine Botschaft nicht nur hören, sondern auch annehmen wollen? Wie ist das jetzt mit der Barmherzigkeit und der Liebe Gottes und damit, daß dieses Volk doch einmal ausgewählt wurde, das Volk Gottes zu sein? Paulus spürt ja, daß Gott ihn als Missionar zu anderen Menschen und Völkern schickt, um ihnen von der Liebe Gottes in Jesus Christus zu erzählen und sie zum Glauben einzuladen. Welchen Stellenwert hat da noch das Volk Israel?

Sie, liebe Gemeinde, werden jetzt denken: Das ist ja wirklich keine sehr grundlegende Frage! Meine Güte, es gibt doch wirklich Wichtigeres! Aber für Paulus war das eine ganz, ganz wichtige Frage, hing sie doch zentral mit seinem Auftrag und seiner Verkündigung zusammen und das war ja schließlich der Hauptinhalt seines Lebens. Und so widmet er diesem Thema drei Kapitel seines Briefes an die Gemeinde in Rom. Er grübelt, gebraucht Bilder und merkt, wie schwierig es ist, auf diese Frage eine Antwort zu finden. Es hat fast den Anschein, als würde er immer wieder von vorne anfangen, weil er nicht richtig weiterkommt. Und nachdem letztlich doch von der Barmherzigkeit Gottes gegenüber Israel überzeugt ist, schließt er das Thema ab mit den folgenden Sätzen, die auch der Predigttext sind:

33 O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! 34 Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen?« (Jesaja 40,13) 35 Oder »wer hat ihm etwas zuvor gegeben, daß Gott es ihm vergelten müßte?« (Hiob 41,3) 36 Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.

Man könnte diese Worte auch so zusammenfassen: Es wird alles gut werden. Gott ist viel größer als alle Grübelei, und am Ende werden wir über den Reichtum Gottes nur staunen können. Am Ende werden wir ihn nur loben können für seine wunderbaren Wege und seine Weisheit. Es wird totaliter aliter sein. Es wird ein Staunen geben, denn Gott ist barmherzig.

Das klingt jetzt so klar und so einfach, aber Paulus brauchte für diese wenigen Sätze immerhin drei Kapitel, in denen er nachdachte, grübelte, rätselte. Seine Worte über den Reichtum und die Weisheit Gottes stehen am Ende, nicht am Anfang. Und das sicherlich ganz bewußt. Erst im Rückblick, erst viel später, erst hinterher kann Paulus so sprechen und Gott letztlich doch die Ehre geben.

Ich weiß nicht, was gerade Ihr Thema ist, liebe Gemeinde, worüber sie grübeln, was sie beschäftigt, was sie gerade in ständiger Anspannung hält und nicht losläßt. Ich weiß nicht, was Ihnen zur Zeit schlaflose Nächte bereitet und was sie hindert, sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Vielleicht sind es Beziehungsprobleme, vielleicht Fragen der finanziellen oder materiellen Zukunft oder etwas ganz anderes. Vielleicht ist es bei ihnen auch eine Frage, die Gott und den Glauben betrifft, wo sie einfach nicht weiterkommen, wo tiefe Zweifel in Ihnen hochgekommen sind und Sie sich fragen, was der Glaube noch soll und ob es Gott überhaupt noch gibt.

Oft ist es ja so, daß persönliche Fragen, Nöte und Sorgen auch das eigene Gottesbild nicht unberührt lassen. Wir stellen wir uns dann die Fragen: Wie konnte das nur passieren, wie konnte Gott, wenn es ihn gibt, das nur zulassen? Wie konnte mein Lebensweg nur so verlaufen? Diese Fragen und die damit verbundenen Erfahrungen kennen viele von uns. Viele haben sie schon durchgekaut.

Aber viele haben auch schon die Erfahrung gemacht, das manches im Rückblick ganz anders aussah, daß vieles rückblickend einen ganz anderen Stellenwert bekam. Da hat man an manchen Stellen im Leben gemerkt: Da war ja ein Sinn dahinter, da ist ein roter Faden verlaufen, das wäre nie so gekommen, wenn man nicht vorher diese oder jene schwere Erfahrung durchgemacht hätte. Hinterher weiß man oft, wofür dies oder jenes gut war. Und haben uns dann nicht oft genug ähnliche Worte auf der Zunge gelegen, wie Paulus sie nach drei langen Kapiteln über ein für ihn sehr wichtiges Problem findet: O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes. Es war totaliter aliter. Es sah hinterher doch ganz anders aus, als es vorher den Anschein hatte. Man konnte nur noch staunen. Klar, erst hinterher bekommen diese Worte ihren Stellenwert und manchmal dauert es lange, bis es dazu kommt.

Ich weiß, daß das für die von ihnen schwer zu hören und zu glauben ist, die mitten in Problemen stecken und weder ein noch aus wissen, die von einem Meer von Sorgen umgeben sind und im Moment überhaupt kein Land sehen. Trotzdem laden die Sätze des Römerbriefes ein, zu glauben, daß Gott Ihren Weg mitgeht und Sie ans Ziel führt mitten durch alle Nöte und Krisen hindurch. Und am Ziel steht Gottes große Barmherzigkeit.

So wie er sich nach Ansicht von Paulus über das Volk Israel schließlich erbarmen wird und trotz allem zu ihm als dem auserwählten Volk hält, so hält Gott auch zu einem jeden von uns, egal wo er jetzt gerade steht, egal was ihm schlaflose Nächte bereitet. Gott will uns durch alle Not hindurch zum Staunen führen, zum Staunen über seinen unermeßlichen Reichtum an Weisheit und Erkenntnis. Er will uns nicht ins Grübeln führen, sondern dahin, daß wir erkennen: In allem, was war, war Gott schon längst dabei und hat den Weg geebnet, den ich gehen darf. Es ist alles totaliter aliter gekommen, ganz anders als ich es gedacht hatte, so wie es bei den beiden Mönchen war. Es ist viel besser geworden als ich es je zu träumen gewagt hätte.

Ich wünsche uns allen, daß Gott unsere Ungewißheit in Gewißheit verwandelt, daß wir trotz aller Verworrenheit erkennen, daß er die Fäden unseres Lebens fest in Händen hält, daß er uns aus dem Grübeln zum Staunen und zum Loben führt, denn „von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen.“

Pfr. Gerrit Boomgaarden, Otzbergring 7, 64846 Groß-Zimmern


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