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Tränen

von Hans Peters (68649 Groß-Rohrheim)

Predigtdatum : 03.08.1997
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 9. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Lukas 19,41-48
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Wochenspruch: Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist, dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat! (Ps. 33,12)

Wochenlied: EG 138 oder 290

Und als er nahe hinzukam, sah er die Stadt und weinte über sie und sprach: Wenn doch auch du erkenntest zu dieser Zeit, was zum Frieden dient! Aber nun ist’s vor deinen Augen verborgen. Denn es wird eine Zeit über dich kommen, da werden deine Feinde um dich einen Wall aufwerfen, dich belagern und von allen Seiten bedrängen, und werden dich dem Erdboden gleichmachen samt deinen Kindern in dir und keinen Stein auf dem anderen lassen in dir, weil du die Zeit nicht erkannt hast, in der du heimgesucht worden bist.

Und er ging in den Tempel und fing an, die Händler auszutreiben, und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben (Jesaja 56,7): ‘Mein Haus soll ein Bethaus sein’; ihr aber habt es zur Räuberhöhle gemacht. Und er lehrte sie täglich im Tempel. Aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten und die Angesehensten des Volkes trachteten danach, daß sie ihn umbrächten, und fanden nicht, wie sie es machen sollten; denn das ganze Volk hing ihm an und hörte ihn.

Liebe Gemeinde,

„Tränen passen nicht zu dir, viel zu schade sind dafür, deine Augen...“ an diese Liedzeile erinnerte ich mich, als ich jetzt den Predigttext wieder las. Sie eröffnet einen Schlager der Kastelruther Spatzen. Hier zielt sie ins Zentrum des Textes. Warum? Starke Männer haben keine Tränen, dürfen keine Schwächen zeigen, so erzählen wir es bei uns und geben es mitunter auch an Söhne weiter. Welch’ eine irrige Annahme! Menschen, die in Krisensituationen in der Lage sind, auch ihren Tränen freien Lauf zu lassen, leben leichter, denn Weinen schafft Befreiung.

Am heutigen Sonntag, dem zehnten Sonntag nach Trinitatis, gedenkt die Kirche der Tränen, die Jesus über Jerusalem geweint hat: „Wenn doch auch du erkanntest zu dieser Zeit, was zum Frieden dient! Aber nun ist’s vor deinen Augen verborgen.“ Der Text und die vorangehende Erzählung vom Einzug in Jerusalem gehören zusammen. Wollen wir beides heute verstehen, so müssen wir die Texte für uns lesen, ohne ihren historischen Sinn zu verkennen.

Der Gottesdienst, in dessen Mittelpunkt die Tränen Jesu über Jerusalem stehen, hat den Charakter eines Bußgottesdienstes. Die Frage ist zu stellen, was dem Frieden dient. Dorothee Sölle formuliert das einmal so: „Ich glaube an den Geist, der mit Jesus in die Welt gekommen ist, an die Gemeinschaft aller Völker und unsere Verantwortung für das, was aus unserer Erde wird, ein Tal voller Jammer, Hunger und Gewalt oder die Stadt Gottes. Ich glaube an den gerechten Frieden, der herstellbar ist, an die Möglichkeit eines sinnvollen Lebens für alle Menschen, an die Zukunft dieser Welt Gottes.“

In diesem Sinne ist Glaube an Jesus als den Christus die Entscheidung für die Nachfolge Jesu inmitten politischer Konstellationen: An das Kreuz Christi glauben heißt, es als das eigene übernehmen.

Nun geht es nicht mehr um die Juden, ihre Schuld am Tode Christi, nein, es geht vielmehr um uns. Wir sind gemeint! Die Arbeit am Frieden ist unsere wichtigste Aufgabe. Das fängt im Alltag an. Denn dem Frieden dient es, wenn wir mit unserem Planeten rücksichtsvoll umgehen, die Natur und das damit verbundene Leben von Menschen, Tieren und Pflanzen ernst nehmen. Unsere Kinder und Enkel haben auch ein Recht auf Leben in einer gesunden Welt. Zum Frieden gehört es auch, daß die Schere zwischen arm und reich näher zusammengeht, die Reichen nicht ständig reicher werden und die Armen nicht immer noch ärmer.

Der Frieden fängt nicht irgendwo an, sondern bei uns, in unserem Leben, in unseren Köpfen, bevor er konkret werden kann. Die Tränen Jesu über Jerusalem sind prophetische Tränen. Wir haben sie nicht nur zu deuten als Ausdruck persönlicher Erschütterung über das von ihm vorausgeschaute Schicksal der Stadt. Sie tragen - wie im AT - den Charakter einer prophetischen Zeichenhandlung.

Die Tränen, die Jesus weint, gelten heute uns. Wir dürfen uns nicht hinter den historischen Dingen verstecken und uns darauf beschränken, in diesem Text das Schicksal der Israeliten zu sehen. Vieles gibt es heute bei uns auch zu beklagen. Noch nie war es mit der Klage allein getan, damit änderte sich nichts. Nur wenn der Klage auch der Wille, etwas Neues zu probieren, folgte, war die Klage sinnvoll.

In vielen Dörfern und kleineren Orten gibt es nicht mehr die gewohnte Infrastruktur. Geschäfte machen dicht, Wirtschaften schließen, Rolläden gehen herunter, Zäune werden aufgebaut. Das zu beklagen, das genügt nicht. Die Gründe gilt es zu analysieren, und dann muß gemeinsam überlegt werden, was geändert werden kann. Senioren und Seniorinnen setzte man in schöne Appartements ins Grüne, vergaß dabei aber das Menschliche, die Kommunikation, den Einfluß der jungen Generation auf das Wohlbefinden der älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger. Inzwischen haben Städteplaner daraus gelernt und setzen Wohnanlagen in die Mitte der Städte und Gemeinden.

Auch in religiösen Dingen gilt es manches neu zu überdenken. Da treffen sich Menschen zu Gottesdiensten, Andachten, Jugend- und Familiengottesdiensten. Sie geben sich Mühe und lassen sich die Vorbereitungen viel Zeit kosten. Es ist ihnen ernst damit, Gott auf viele Weisen zu suchen und zu loben. Aber der Rahmen ist jeweils so festgelegt, daß für die Wirklichkeit Gottes nicht mehr viel Platz ist. Menschen beten zu Gott, ohne wirklich in den Dialog einzutreten. Wir hören sein Wort, nicken zustimmend, aber verändern wollen wir nichts. Wir reden von Gerechtigkeit und Frieden, aber wenn wir sie konkret werden lassen wollen, dann fehlt uns dazu der Mut.

Es läuft alles in durchdachter und bewährter Weise. Wir fühlen uns religiös angesprochen. In den Schränken liegen die Schriften, die alles nach besten Erfahrungen regeln und ordnen und alle Fragen beantworten. Und wir merken nicht, wie wenig wirkliches Leben davon erreicht wird, Veränderungsprozesse eingeleitet werden.

So gehört hier im Predigttext beides zusammen, das Weinen und der Ruf zur Erneuerung des Glaubens, dargestellt am Beispiel der Tempelreinigung. Für mich lädt der Text ein, nachzudenken über mein Leben, in mich hineinzuhören, dem nachzuspüren, was es heißt zu leben. Versuchen wir doch eine Neuorientierung, die da anfängt, wo andere aufhören, in den Tälern meines Lebens. Nicht andere verantwortlich machen für mein Leben, sondern selbst versuchen, an mir zu arbeiten, aus meinen Fehlern zu lernen und mich über Gelingendes zu freuen. Zum Lernen ist es nie zu spät, zum Neuanfangen auch nicht. Lassen wir uns dabei von Gott leiten, in dessen Hand unser Leben gehalten ist in guten und auch in nicht so guten Tagen.

Amen.

Weitere Liedvorschläge:

EG 450,1-5

EG 503,1-3.14

EG 414,1-2

Dekan Pfr. Hans Peters

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