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Umkehr

von Uwe Handschuch (Dietzenbach-Steinberg)

Predigtdatum : 17.11.2021
Lesereihe : III
Predigttag im Kirchenjahr : Buß- und Bettag
Textstelle : Matthäus 7,12-20
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Wochenspruch: Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Sünde ist der Leute Verderben. (Sprüche 14,34)

Psalm: 130

Lesungen

Reihe I: Römer 2,1-11
Reihe II: Jesaja 1,10-18
Reihe III: Matthäus 7,12-20
Reihe IV: Offenbarung 3,1-6
Reihe V: Hesekiel 22,23-31
Reihe VI: Lukas 13,(1-5)6-9

Liedvorschläge

Eingangslied: EG 584 Meine engen Grenzen
Wochenlied: EG 299,1-3 Aus tiefer Not schrei ich zu dir
Predigtlied: EG 235 O Herr, nimm unsre Schuld
Schlusslied: EG 614 Lass uns in deinem Namen, Herr, die nötigen Schritte tun

Predigttext Matthäus 7,12-20

12 Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch! Das ist das Gesetz und die Propheten.
13 Geht hinein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt, und viele sind's, die auf ihm hineingehen.
14 Wie eng ist die Pforte und wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind's, die ihn finden!
15 Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe.
16 An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man denn Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln?
17 So bringt jeder gute Baum gute Früchte; aber ein fauler Baum bringt schlechte Früchte.
18 Ein guter Baum kann nicht schlechte Früchte bringen und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen.
19 Jeder Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.
20 Darum, an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.

Vorbemerkung

In meiner Predigt zum Buß- und Bettag versuche ich der „Falle“ aus dem Weg zu gehen, die in der Tradition der Auslegung dieses Abschnittes aus der Bergpredigt fest verankert zu sein scheint. Häufig wurden den Gläubigen - buchstäblich plakativ und ausgemalt - zwei Wege vor Augen und zur Wahl gestellt: Der scheinbar attraktive, einladend breite Weg mit all seinen unmoralischen Verlockungen, der dann aber im Höllenfeuer endet; oder der schmale, steinige Pfad der moralinsauren Askese und Entbehrungen, der aber direkt ins himmlische Jerusalem führt.

Die Kombination der metaphorischen Rede Jesu vom zielstrebigen Weg und fruchtbringenden Baum mit seiner „Goldenen Regel“ weist m.E. in eine andere Richtung: Es geht um gewissenhaftes und verantwortetes Handeln, das sich als Antwort auf die liebe- und vertrauensvolle Anrede durch Jesus versteht. Und in diesem Sinn muss ein gutes Gewissen nicht unbedingt zielführend sein und ein schlechtes Gewissen kein negatives Vorzeichen haben. Ein Handeln in diesem Sinn darf darum auch jenseits aller moralischen Kategorien Lust machen und liebevoll sein.

Predigt

(Predigttext)

Liebe Gemeinde,

an einer kleinen Privatstraße unweit der legendären „Route 66“ im Nordosten des US-amerikanischen Bundesstaates Arizona gibt es eine eigentlich nicht besonders spektakuläre Sehenswürdigkeit: Sie hebt sich so gar nicht von der mehr als kargen Umgebung ab; es handelt sich eigentlich nur um etliche Steine in einer Steinwüste, mehr zufällig zusammengewürfelt denn geplant aufgehäuft. Anders aber als die steinernen Naturdenkmäler in der unmittelbaren Umgebung sorgt dort keine Erosion dafür, dass die Steine schwinden. Im Gegenteil: Dieser spezielle Haufen Steine wächst – Jahr um Jahr, Stein auf Stein.

Die Ranger des Nationalparks, in dem diese unscheinbare „Sehenswürdigkeit“ sich befindet, nennen dieses stetig wachsende kleinen Hügelchen conscience pile - „Haufen des Gewissens“. Und die Ranger müssen es wissen: Denn sie sorgen ja dafür, dass jedes Jahr etliche Steine zu diesem „Gewissenshaufen“ dazukommen.

Diese Steine werden meistens per Post ins Besucherzentrum des Petrified Forest Nationalpark geliefert. Dort, wo heute Wüste ist und so gut wie nichts der Rede Wertes wächst, wucherte vor über 200 Millionen Jahren ein sumpfiger Dschungel. Der Petrified Forest, der „versteinerte Wald“ gibt davon beredtes Zeugnis, denn die ehemaligen Dschungelriesen sind im Laufe der Jahrmillionen zu bizarren Gebilden versteinert. Das wollen heute Menschen sehen, etwa 650.000 jedes Jahr. Und an ihren Besuch im versteinerten Wald möchten sich 650.000 Menschen im Jahr auch gerne erinnern. Was liegt da näher, als sich ein Andenken mitzunehmen, etwas, das dort ohnehin tonnenweise auf dem Boden herum liegt?

Dummerweise ist der Steinwald aber seit über 100 Jahren ein Nationales US-Monument, zählt seit 1962 zu den amerikanischen Nationalparks und ist Anwärter auf den Titel „UNESCO-Weltnaturerbe“. Deshalb kann die Mitnahme eines steinernen Andenkens einen schmerzhaften Denkzettel der zuständigen Behörden nach sich ziehen: Wer erwischt wird, hat mindestens 325 Dollar Strafe zu zahlen. Wer allerdings ungeschoren über die Parkgrenze davonkommt, was bei einer Park-Fläche in der Größe von Berlin nicht ganz unwahrscheinlich ist, der könnte sich eigentlich glücklich schätzen, wenn es denn nicht den Curse of the Petrified Forest, den „Fluch des versteinerten Waldes“ gäbe.

Seit etwa 90 Jahren wird nämlich davon berichtet, dass Menschen, die ein versteinertes Stück Holz aus dem Park mitgehen ließen, vom Unglück verfolgt werden. Der „Haufen des Gewissens“ im Park spricht davon, dass an diesem Fluch offenbar etwas dran sein muss: Aus allen Teilen Amerikas treffen nämlich per Post Steine ein, die einstmals aus dem Park entwendet wurden.

Und die Begleitschreiben zu den Steinen schildern eindrücklich das Unglück, das die Steine-Entwender dem „Fluch des versteinerten Waldes“ zuschreiben: Das geht von einer überfahrenen Katze über die plötzlich erkrankte Schwiegermutter bis zum bei einer Gasexplosion in die Luft geflogenen Eigenheim.

Die Ranger archivieren die im internen Sprachgebrauch Conscience Letters - „Gewissensbriefe“ genannten Schreiben fein säuberlich (inzwischen sind es über 1.200) und erweitern den Concience Pile Stein um Stein. Die „Halde des schlechten Gewissens“ wächst und wächst also, wird zum Mahnmal einer Tat die unerwartet und unvermutet Konsequenzen nach sich gezogen hat; und zum Denkmal einer Hoffnung, man könne eine Missetat wieder rückgängig machen oder die unglücklichen Folgen mittels Poststempel entsorgen: Return to sender!

Liebe Gemeinde,

es scheinen ja wirklich ganz einfache Gleichungen zu sein, die auch von Menschen mit mangelndem Mathematik-Talent nachzuvollziehen sind. Die erste Gleichung, die da lautet: „Unsere Taten haben Folgen“, und die zweite Gleichung: „Die Folgen haben etwas mit unseren Taten zu tun“. Und auch zwei weitere Gleichungen scheinen ganz logisch aus den ersten beiden ableitbar zu sein: „Gute Taten zeitigen gute Folgen und schlechte Taten verursachen schlechte Folgen“.

„Tun-Ergehen-Zusammenhang“ nennen das Theologinnen und Theologen, denn diese Gleichungen werden auch in der Bibel aufgestellt. Jesus scheint wie gehört diesen Zusammenhang am Ende seiner Bergpredigt sogar zu bestätigen. Gleich zweimal sagt er da: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Das heißt: Die Frucht zeigt, wes Geistes Kind der Mensch ist, der gehandelt hat; das Ergebnis des Handelns gibt Auskunft über die Güte des Handelnden.

Nun haben aber schon die biblischen Autorinnen und Autoren  erkannt, dass diese Gleichung nicht so einfach aufgeht, und dass da häufig unterm Strich ein Rest übrigbleibt, der nicht so einfach zu verrechnen ist: Nicht jede gute Tat, nicht jede vorbildliche Lebenshaltung wirkt sich immer positiv aus, und nicht alle großen und kleinen Sünden werden von Gott zeitnah und im unmittelbaren Zusammenhang mit der jeweiligen Tat bestraft: Irgendwie verabscheue ich den Gedanken, Gott hätte nichts besseres zu tun, als einen Autofahrer anzuweisen, meine Katze zu überfahren, nur weil ich vor ein paar Jahren ein Stück versteinertes Holz aus einem Park mitgenommen habe…

Und doch ist festzuhalten: Mein Verhalten zeitigt in der Tat immer auch Folgen, wie auch immer die dann aussehen mögen; und für meine Taten und ihre Folgen habe ich die Verantwortung zu übernehmen, vor wem auch immer das zu geschehen hat. Die Ranger im nordamerikanischen Nationalpark haben dieses Verantwortungsgefühl offenbar bei den Absendern der Steinpost lokalisiert und benannt: Consciene, das Gewissen. Die moralische Instanz in meinem Inneren also, jene Stimme, die mir sagt, wo ich in meinem Verhalten richtig gelegen habe oder wo ich besser anders gehandelt hätte.

„Gewissen“ ist aber ein durchaus schillernder Begriff. Ähnlich wie bei medizinischen Untersuchungen ein „positives“ Ergebnis die Katastrophe bedeutet und das „Negativ“-Urteil sehr erwünscht ist, muss beim Gewissen nicht immer das „Gute“ gut und das „Schlechte“ schlecht sein. Mein „schlechtes Gewissen“ ist ja eher ein gutes Zeichen, wenn es mich nämlich zur Verantwortung und zur Wiedergutmachung meiner Fehler ruft. Und ein „gutes Gewissen“ kann für mich zum viel zu bequemen Ruhekissen werden, sodass ich jede mir mögliche Wohltat verschlafe und die Welt um mich tatenlos ignoriere.

Mein innerer Gerichtshof, mein Gewissen will also wachgehalten werden. Und dazu muss man mich eben von Zeit zu Zeit aufrütteln, kritisieren, in Frage stellen, mahnen und wohl auch warnen. Zu solchen Mahnzeiten kann ein Buß- und Bettag wie heute gehören, und warnende Stimmen können durchaus auch aus dem Munde Jesu kommen, so wie im Predigttext zum heutigen Buß- und Bettag. Als eine solche deutliche Warnung und aufrüttelnde Mahnung verstehe ich nämlich Jesu Rede von den Bäumen und ihren Früchten: „Passt auf, dass ihr nicht zum Fallobst verkommt.“

Dabei ist aber immer höchste Vorsicht geboten: Denn wo der Tun-Ergehens-Zusammenhang die Ebene der Warnung verlässt und zum moralischen Prinzip erhoben wird, kann er nur eine unheilige Allianz eingehen mit einem Heilsweg, der nur noch an mir hängt und nur an meinem eigenen Verhalten festmacht. Ich wäre dann also für mein Heil allein verantwortlich, meine guten Früchte beruhten allein auf meinen Taten Das wäre dann genau die berühmte und von Luther einst so verteufelte Werkgerechtigkeit.

Ich glaube, die „enge Pforte“, von der Jesus spricht, ist eher Flaschenhals meines Gewissen, durch das mein Lebenswasser fließen soll. Und der „schmale Weg“, den der Christenmensch nach Jesus wählen soll, ist der Engpass der Verantwortung, durch den mein Lebensodem halt hindurchmuss, wenn ich ein gott- und selbstbewusstes Leben führen will.

Diese Engstellen sollen mich aber gerade nicht einengen, sie wollen mir erst ein gewissenhaftes Leben und sinnvolles Handeln ermöglichen. Erst diese Engführung eröffnet ein weites Feld für mein Handeln und stellt meine Füße auf einen weiten Raum. Und das genau macht Jesus auch mit seiner sogenannten „Goldenen Regel“ deutlich, die am Beginn unseres Predigttextes steht: Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch!

Es wird im Zusammenhang mit dieser „Goldenen Regel“ ja immer wieder gerne auf das alte Sprichwort Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu verwiesen. Von den etwas Intellektuelleren wird auch der „Kategorische Imperativ“ von Immanuel Kant ins Spiel gebracht: Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.

Diese drei Lebensregeln haben durchaus deutlich etwas miteinander zu tun. Aber sie gewichten doch sehr unterschiedlich:

Dem Volksmund geht es offenbar nur darum, unerwünschtes Verhalten zu vermeiden; es geht gar nicht so sehr ums Tun wie ums Unterlassen: „Was du nicht willst...“ Immanuel Kant will aber kategorisch hinter jedem Handeln eine ewige, allgemeingültige Regel in Geltung gesetzt sehen.

Jesu Lebensregel setzt dagegen rundum positiv ein: Es dreht sich alles erst einmal um mich, es geht um meine Wünsche und Vorstellungen von einem guten und gelingenden Leben. Darüber soll ich mir erst einmal klar werden. Und ich soll verstehen: Ein für mich ideales Leben kann mir immer nur gelingen, wenn mein Umfeld darin einstimmt und meine Mitmenschen dabei „mitspielen“, um mir meine Verwirklichung zu ermöglichen. Dadurch werde ich aber automatisch selbst zum Mitspieler, der auch die Wünsche und Vorstellungen seiner Mitmenschen sieht und der anerkennt, dass diese sie ebenso verwirklichen wollen, und ich ihnen dabei helfen kann.

Jesus geht es offenbar gar nicht um Verbote und Unterlassungsleistungen, sondern um ein umfassendes Ermöglichen eines sinnvollen und gelingenden Lebens; ein Handeln, das gar nicht die Ebene meiner Persönlichkeit verlassen muss oder sich zu irgendwelchen universal und ewig gültigen Maximen emporschwingen braucht. Jesu Goldene Regel ist keine übermenschliche Vermeidungstaktik und verlangt auch keine rechtsphilosophische Meisterleistung, sondern beschreibt schlicht wie ergreifend eine zutiefst empathische Motivation zum Guttun, die sich aus meinen eigenen Wünschen speist.

Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will. Albert Schweitzers so auf den Punkt gebrachte Formel von der „Ehrfurcht vor dem Leben“ geht in dieselbe Richtung: Mit dem Wissen über mich, kann ich gewissenhaft meinen Mitmenschen in den Blick nehmen, ihn eben lieben wie mich selbst.

Aber: Handeln, wie ich behandelt werden möchte, geht nur durch Liebe und im Vertrauen. Denn ich trete dabei in Vorlage, ohne mir von vorneherein sicher sein zu können, dass das klappt und etwas von dem zurückkommt, was ich investiert habe; das ist die enge Pforte und der schmale Weg.

Doch ich lebe ja selbst von dem vorauseilenden Vertrauen und der erstmal grundlosen Liebe eines anderen. Jesus traut mir nämlich offenbar mein Liebeshandeln zu, und er verspricht mir reichlich gute Früchte.

Bei allen berechtigten Warnungen davor, dass es immer noch schief gehen kann, selbst wenn dann doch die Steine auf meinem Conscience Pile wachsen und wachsen, ist das kein Grund zum Verzweifeln. Auf meiner „Gewissensstätte“ steht nämlich nichts anderes als Jesu Kreuz.

Und sein Kreuz steht dafür, dass ich ihn mit meiner Schuld belasten darf. Seine vorauseilende Antwort auf meine Verantwortung ist, dass mich keine Schuld trennen kann - von Gottes Liebe. Darauf will ich bauen, Stein auf Stein. Amen.

Verfasser: Pfarrer Uwe Handschuch, Evangelische Martin-Luther-Gemeinde, Dietzenbach-Steinberg, Waldstraße 12, 63128 Dietzenbach


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