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Umkehr

von Reinhard Keiling (04860 Zinna)

Predigtdatum : 19.11.2003
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Buß- und Bettag
Textstelle : Lukas 13,(1-5).6-9
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Wochenspruch:

Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Sünde ist der Leute Verderben. (Sprüche 14,34)

Psalm: 51,3-14 (EG 727)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 1,10-17
Epistel:
Römer 2,1-11
Evangelium:
Lukas 13, (1-5) 6-9

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 366
Wenn wir in höchsten Nöten sein
Wochenlied:
EG 144
oder EG 146
Aus tiefer Not lasst uns zu Gott
Nimm von uns, Herr, du treuer Gott
Predigtlied:
EG 145, 1-2.4.7
Preis, Lob und Dank sei Gott, den Herren
Schlusslied:
EG 170
Bewahre uns, Gott

[1 Es kamen aber zu der Zeit einige, die berichteten ihm von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte. 2 Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer mehr gesündigt haben als alle andern Galiläer, weil sie das erlitten haben?
3 Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen. 4 Oder meint ihr, dass die achtzehn, auf die der Turm in Siloah fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen sind als alle andern Menschen, die in Jerusalem wohnen? 5 Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen. Und]
6 Jesus sagte dies Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberg, und er kam und suchte Frucht darauf und fand keine. 7 Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, ich bin nun drei Jahre lang gekommen und habe Frucht gesucht an diesem Feigenbaum und finde keine. So hau ihn ab! Was nimmt er dem Boden die Kraft? 8 Er aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, lass ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn grabe und ihn dünge; 9 vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab.

Bemerkung:
Bei der Evangeliumslesung sollte darauf hingewiesen werden, dass dieser Text gleichzeitig Predigttext ist.

Liebe Gemeinde,
suchen Sie sich jetzt bitte eine Situation aus: das Wartezimmer eines Arztes oder ein Friseurgeschäft, eine Stammtischrunde oder ein Kaffeekränzchen, wo Freundinnen unter sich sind. An solchen Orten werden oft die neuesten Ereignisse der letzten Tage diskutiert:
* der Flugzeugabsturz vorgestern,
* die Ehescheidung im Nachbarhaus,
* der Verkehrsunfall, bei dem ein junger Mann gegen einen Baum raste und dabei zu Tode kam,
* die Frau von gegenüber, die wegen eines Krebsleidens eine Chemotherapie über sich ergehen lassen muss.
Und dann werden bei diesen Gelegenheiten auch gleich die entsprechenden Erklärungen und Verurteilungen dazu abgegeben: „Das musste ja so kommen mit der Krebserkrankung, so wie die geraucht hat...!“
„Das habe ich kommen sehen, dass der Junge sich noch mal den Kopf einfährt, warum musste der auch immer so rasen!“
„Das konnte mit dieser Ehe ja nicht gut gehen; nur wegen ein paar Euros mehr in der Lohntüte hatte der Mann einen Job ganz weit weg angenommen und kam nur alle 14 Tage nach Hause; selber schuld, dass sich seine Frau dann einem anderen Mann in ihrem Betrieb zuwandte.“
Merken Sie es? Irgendwie neigen wir wohl alle dazu, Ursachenforschung zu betreiben, wenn es anderen Menschen schlecht geht. Und: Wir finden auch immer ganz schnell den oder die Schuldigen! Wir suchen nach Sündenböcken und finden sie zumeist auch. Erklärbares schafft uns eine innere Distanz zu manch schrecklichem Ereignis. Unerklärbares macht uns Angst.
Und vor allem: Es stärkt unser Selbstbewusstsein, wenn wir auf die ach so schlechten Menschen in unserer näheren oder ferneren Umgebung hinweisen können. Denn ich bin ja viel besser als die, und darum wird mich der liebe Gott auch nicht mit solch schrecklichen Strafen überziehen.
Ja, wie viel liebloses Aburteilen und gleichzeitig welche unglaubliche Selbstgerechtigkeit gibt es unter uns in diesen Gesprächen im Wartezimmer oder am Stammtisch!
Das war offenbar zur Zeit Jesu nicht viel anders, vielleicht sogar noch schlimmer. Denn Zeitungen und Fernsehen gab es nicht; also wurden die neuesten Sensationen oder Katastrophen in Gesprächen auf der Straße weiterverbreitet.
Das Gemetzel römischer Soldaten unter galiläischen Pilgern etwa, - von dem wir vorhin im Evangelium für den heutigen Tag hörten - oder der Einsturz des Siloah-Turmes in Jerusalem, bei dem 18 Menschen umkamen. Und da wurde natürlich auch sogleich Ursachenforschung betrieben.
Möglicherweise so: „Selber schuld! Warum müssen diese Galiläer auch immer wieder gegen die Römer so massiv aufmüpfig werden! Warum auch betätigen sie sich immer wieder als Terroristen gegen die Besatzungsmacht!“
Und auch für die scheinbar unschuldig von den Turmsteinen Erschlagenen wird sich schon eine Ursache – nämlich eine konkrete Schuld – finden lassen. „Unsere Schriftgelehrten werden schon etwas finden, wenn sie nur sorgfältig ihre Lasterkataloge studieren!“.
Dazu müssen wir wissen, dass es im jüdischen Denken damals einen klaren Zusammenhang zwischen Schuld und Strafe gab. Unglück, Leiden, Krankheit und Tod mussten immer auf eine konkrete Schuld zurückgeführt werden können.
Jesus spielt dieses Spiel der Schuldzuweisungen nicht mit. Er treibt keine Ursachenforschung, die eine vermeintliche Schuld immer nur beim anderen sucht. Jesus dreht gewissermaßen die Blickrichtung seiner Zuhörer um 180 Grad: weg von der vermeintlichen Schuld der anderen, hin zu sich selbst: „Wenn ihr nicht radikal umdenkt, werdet ihr alle genauso umkommen“, sagt er.
Heute nun sind wir seine Zuhörer; und darum gilt dieses sein Wort auch uns heute, die wir am Buß - und Bettag zum Gottesdienst zusammengekommen sind. Und wir sollten als erstes die Schärfe und den Ernst dieses Jesuswortes nicht verwässern, sondern so, wie es gemeint ist, auf uns und an uns wirken lassen. Wo aber wären denn nun die Punkte, wo auch wir „radikal umdenken“ müssen?
Da springt natürlich sogleich das Thema „Gewalt und Gewaltlosigkeit“ ins Auge. Die von den Römern hingemetzelten Galiläer waren nämlich gewaltbereite Menschen; Zeloten nannte man sie. Mit Gewalt wollten sie die römische Fremdherrschaft über ihr geliebtes jüdisches Volk beseitigen. Aus Sicht der Römer wurden sie daher als Terroristen eingestuft und entsprechend bekämpft.
Jesus hält sich hier nicht lange mit Be- und Verurteilungen dieser Gruppe im jüdischen Volk auf, sondern sagt schlicht und einfach: Wenn ihr so weitermacht, werdet ihr auch so umkommen.
Wenn Ihr nämlich so weitermacht, indem ihr alle Probleme immer nur mit Gewalt lösen wollt.
Angefangen von militärischer Gewalt bis hin zur Gewalt in der Familie. Und Gewalt muss ja auch nicht unbedingt mit Fäusten ausgetragen werden, sondern kann auch auf mein Gegenüber durch verletzende Worte wirken.
Ja, wie viel Gewalt steckt auch in unseren oft so lieblosen Be- und Verurteilungen bei den Gesprächen im Wartezimmer des Arztes oder Friseurs. Darum geht die Warnung Jesu heute auch uns etwas an und nicht nur diejenigen, die sich der offenen Gewaltanwendung verschrieben haben.
Radikal umdenken heißt auch, nach der Gewalt zu fragen, die wir der Natur oder Tierwelt antun. Muss es erst zu einer Flutkatastrophe kommen – wie vor über einem Jahr im Osten Deutschlands – damit die verantwortlichen Politiker aufwachen und die Gewaltanwendung gegenüber der Natur beenden; hier z. B. den weiteren Ausbau der Elbe?
Schon vorher radikal umdenken, das könnte unsere beste Antwort auf die Warnung Jesu sein.
Es gab sie ja und gibt sie noch immer: Menschen, die im Sinne Jesu und in seiner Nachfolge und aus Liebe zu Gottes Schöpfung vor falschen Wegen warnen und gangbare Wege aufzeigen. Ein Gandhi und eine Mutter Theresa in Indien, ein Martin Luther King in Amerika, ein Nelson Mandela in Südafrika oder ein Karlheinz Böhm in Äthiopien.
Das Prinzip der Gewaltlosigkeit Gandhis und Martin Luther Kings, die Solidarität Mutter Theresas und Karlheinz Böhms mit den Schwachen und Hungernden haben viel größere Katastrophen verhindert als zweihunderttausend Soldaten am Golf.
Das Gleichnis vom Feigenbaum, das Jesus im folgenden erzählt, fragt uns nach der Frucht unseres Lebens. Und diese Frucht wird davon abhängen, wem wir mehr unser Ohr leihen: denen, die Sündenböcke suchen und in der Regel auch finden und diese dann vielleicht sogar noch mit Gewalt bekämpfen? Oder denen, die uns mit auf den Weg Jesu, den Weg seiner gewaltlosen Liebe, seiner uneingeschränkten Solidarität mit den Kleinen und Schwachen nehmen wollen und uns auf diesen Weg einladen.
Am Buß - und Bettag 2003 sollten wir uns daher fragen lassen: Waren die Wege, die wir bisher gegangen sind Wege, auf denen wir im Sinne Jesu Frucht gebracht haben? Was haben wir mit unserer Zeit angefangen? War es Zeit nur zur eigenen Spaßvermehrung? Oder vorrangig Zeit für andere? Zeit auch für Gott?
Liebe Gemeinde, Gott hat immer noch Zeit für uns, schenkt uns Zeit und damit die Möglichkeit, von falschen Wegen umzukehren und neue Wege einzuschlagen.
Wenn bei einer Bergwanderung ein schweres Gewitter naht, wäre es evtl. lebensgefährlich, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Dann ist es doch einfach vernünftiger, umzukehren und die schützende Hütte aufzusuchen.
Wenn ich mich in einer fremden Stadt verfahren habe, an einer Straßengabelung die falsche Richtung erwischt habe, dann ist es doch vernünftiger, umzukehren und den richtigen Weg zu wählen.
Wenn ich am Buß- und Bettag 2003 erkenne, dass ich in meiner Vergangenheit viele fruchtlose Wege gegangen bin, Wege, die lediglich meiner eigenen Spaßgewinnung dienten, dann wäre es ein hoffnungsvoller Schritt, diese Wege zu verlassen und andere, neue Wege, einzuschlagen, auf denen Gott Frucht in meinem Leben erkennen kann.
Früchte, die der Apostel Paulus einmal so benennt: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Treue, Sanftmut, Keuschheit.
Sich dafür zu öffnen, ist oft gar nicht so leicht. Aber da ist einer da, der sagt: „ Ich helfe dir dabei!“
Denn das ist die frohe Botschaft am Buß- und Bettag 2003: Gott müht sich um dich und mich! Er hat uns noch nicht aufgegeben. Er gräbt und düngt und hofft, dass der Feigenbaum nach langer Zeit der Fruchtlosigkeit nun doch noch Früchte tragen wird.
Gott ruft und warnt und lockt durch sein Wort, weil er uns lieb hat, trotz all unseres Versagens, unserer fruchtlosen Aktivitäten.
Ja, wie viel fruchtloses Reden, wie viel fruchtloses Be- und Verurteilen anderer Menschen gab es bisher in unserem Leben! An wie viel verbaler Gewalt beteiligen wir uns fast täglich! Wenn wir Leid und Elend in dieser Welt – in unserer Nachbarschaft, wie auch in der weltweiten Gemeinschaft – entdecken, schauen wir dann weg, oder tun wir das uns Mögliche, um Leid zu mildern oder gar ganz zu verhindern?
Wir wissen, wie mühsam das sein kann und darum wählen wir oft lieber den bequemeren Weg, indem wir wegschauen und weghören.
Wenn wir ehrliche Bilanz ziehen, müssten wir wohl erkennen, dass der Baum unseres Lebens in den Augen Gottes seine Weiterexistenz nicht mehr verdient. Aber Gott gibt uns noch einmal eine Chance, er gibt uns Zeit, umzukehren, und er steht dabei mit seiner Mühe an unserer Seite.
Wie antworten wir nun auf diese Mühe, die sich Gott um uns macht? Amen.

Verfasser: Pfr. Reinhard Keiling, Dorfstr. 22, 04860 Zinna

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