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Unsere Zeit in Gottes Händen

von Jörg Uhle-Wettler (04849 Bad Düben)

Predigtdatum : 31.12.2005
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Silvester (Altjahrsabend)
Textstelle : 2. Mose 13,20-22
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Wochenspruch:

Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte. (Psalm 103,8)
Psalm:
121 (EG 749)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 30, (8-14) 15-17
Epistel:
Römer 8,31b-39
Evangelium:
Lukas 12,35-40

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 329
Bis hierher hat mich Gott gebracht
Wochenlied:
EG 59
oder EG 64
Das alte Jahr vergangen ist
Der du die Zeit in Händen hast
Predigtlied:
EG 65
Von guten Mächten wunderbar geborgen
Schlusslied:
EG 258
Zieht in Frieden eure Pfade

Liebe Lektorin, lieber Lektor, liebe Prädikantin, lieber Prädikant,
die Gedanken von mir wollen mit Ihnen in einen Dialog treten. Nehmen Sie sich bitte die Freiheit – und ergänzen Sie die Assoziationen zum Text. Ich habe mir meinerseits die Freiheit genommen, die Verse 18 und 19 in die Predigt mit einzubeziehen und schlage Ihnen vor, diese mitzuverlesen.
Sie werden es zum Silvestergottesdienst mit der so genannten Kerngemeinde zu tun haben. Da ist die Geschichte vom Auszug aus Ägypten sicherlich vertraut. Aber vielleicht nicht jede Nuance? Gutes Gelingen und Dank für Ihren Dienst im Lande!
U-W

Liebe Gemeinde,
was hinter uns liegt, liegt vor uns. Ein Jahr. Es steht uns vor Augen. Wir denken, das, was wir erlebt haben, liegt hinter uns. Aber das stimmt nicht ganz. Es liegt vor uns. Sozusagen ausgebreitet. Und das, was vor uns liegt – das neue Jahr, das sehen wir nicht. Keiner von uns weiß, ob er im April noch lebt. Wir haben die Vergangenheit vor Augen. Und mit dieser halten wir heute im Gottesdienst am letzten Tag des Jahres inne. In der Vergangenheit liegt der Schlüssel für die Zukunft verborgen. Wir sind ab Morgen ja keine Anderen. Und Vorsätze sind Schecks, auf eine Bank ausgestellt, auf der wir kein Konto haben.
Vielleicht sind einige Fehler dieses Jahres im Kommenden noch zu regulieren?
Der vorgegebene Predigttext ist aus dem Buch Exodus – dem Zweiten Buch Mose. Das Buch vom Auszug aus der Knechtschaft Ägyptens. In der Textreihe sind nur drei Verse aus dem 13. Kapitel ausgewählt. Ich möchte gerne diese drei um die beiden vorhergehenden (18+19) ergänzen:
18 Darum ließ er das Volk einen Umweg machen und führte es durch die Wüste zum Schilfmeer. Und Israel zog wohlgeordnet aus Ägyptenland. 19 Und Mose nahm mit sich die Gebeine Josefs; denn dieser hatte den Söhnen Israels einen Eid abgenommen und gesprochen: Gott wird sich gewiss euer annehmen; dann führt meine Gebeine von hier mit euch fort.
20 Die Israeliten zogen aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste. 21 Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. 22 Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.
Umwege sind auch Wege. Das merkt man aber erst im Nachhinein. Das Volk wird nicht auf geradem Weg in die Freiheit geführt. Vor den blühenden Landschaften steht die Wüste mit ihren Erfahrungen der Strapazen und Ausweglosigkeiten. Die Umwege sind es, die zum Leben und in die Freiheit führen. Das hat sicherlich schon jeder und jede von uns erlebt.
Mose nimmt den Toten der Vergangenheit mit.
Mit dem Vergessen bricht die Tradition des Lebens ab. Das Vergessen ist eine Gestalt des Todes. Das zweite Buch Mose beginnt mit dem Hinweis, dass ein neuer König erstand, „der von Josef nichts wusste“. Und Mose hält die Erinnerung wach, in dem er die sterblichen Überreste Josefs mitnimmt. Er wusste, wie schnell die Menschen vergessen. Und schon am Jahresende nicht mehr wissen, was sie am Beginn gesagt oder versprochen haben.
Mose, in seiner schwierigen Rolle als ein von Gott berufener Führer, hat keine leichte Aufgabe vor sich. Das Volk ist nie zufrieden. Es murrt, es klagt, es feilscht. Gerne hätte er die Führungsrolle von sich gewiesen. Wie anders waren die Zeiten doch damals, als noch nicht zwei von sich behaupteten – sie hätten die Volkesführerlegitimation. Damals wurde noch von Gott berufen – und nicht von Parteien gekürt. Wir haben es im letzten Herbst erlebt.
Bevor sie sich aufgemacht haben, waren die Selbstzweifel groß. Veränderungen gehen nicht nur mit Glücksgefühlen einher.
In der Sklaverei geht das Gottvertrauen verloren. Sie werden mir nicht glauben, sagt Mose (2. Mose 4,1). Auch in Diktaturen richten die Menschen sich ein und führen ein Leben in der Nischengesellschaft. Dass es sich auch bei den Fleischtöpfen aushalten lässt, ist bekannt.
Der Schriftsteller Erich Fried hat die Gründe ausgemacht, die uns am Aufbruch hindern:
Weil das alles nichts hilft
Sie tun ja doch was sie wollen
Weil ich mir nicht nochmals
Die Finger verbrennen will
Weil man nur lachen wird:
Auf Dich haben sie gewartet
Und warum immer ich?
Keiner wird es mir danken
Weil da niemand mehr durchsieht
Sondern höchstens noch mehr kaputt geht
Weil jedes Schlechte
Vielleicht auch sein Gutes hat
Weil es Sache des Standpunktes ist
Und überhaupt wem soll man glauben?
Weil auch bei den Anderen nur
mit Wasser gekocht wird
Weil ich das lieber
Berufeneren überlasse
Weil man nie weiß
Wie einem das schaden kann
Weil sich die Mühe nicht lohnt
Weil sie alle das gar nicht wert sind.
Gründe, die zu Abgründen werden, weil nur noch abgewägt – und nichts mehr gewagt wird. Soviel Aufbruch, der verschoben wird, weil Menschen nicht mehr aus - bzw. aufbrechen.
Sie ziehen dann, dank des Verhandlungsgeschickes von Mose, los, und bekommen am Tag die Wolkensäule und in der Nacht die Feuersäule zur Seite gestellt. Nun gibt es die so wichtige Orientierung, die man sich nicht selber geben kann: Orientierung für Orientierte.
Mose ist nicht mit dem Volk allein. Gott ist mit ihnen. Was sollte Pharao da tun können?
Das Ziel des Auszuges ist die Freiheit, die darin besteht, mit Gott in Verbindung zu bleiben. Nur in dem Maße, in dem Israel für Gott lebt, wird es frei sein. Denn Bindung an Gott ist Freiheit. Freiheit von gesellschaftlichen Zwängen, von Ausbeutung, Verkrüpplung der Seelen und Anbetung falscher Götter und Autoritäten. Die Bindung an Gott ist Revolution. Und eine radikale Umkehr der bestehenden Verhältnisse. Der Pharao wird es als erster Herrscher der Weltgeschichte erleben müssen. Und nach ihm noch viele Diktatoren und Despoten. Bis in die jüngste Vergangenheit. „Auf alles waren wir vorbereitet“, sagt der Offizier der Staatssicherheit nach dem Zusammenbruch der DDR, „auf alles – nur nicht auf Kerzen und Gebete!“
Die Wolken als Zeichen des Flüchtigen, des Vergänglichen, des Ungebundenen. Man schaut ihnen nach, nimmt teil an ihrer Wanderschaft von Irgendwo nach Irgendwo und kann sie nicht aufhalten. Und träumend schwingt der Mensch sich empor mit dem Lied von Reinhard Mey: „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein ...” Freiheit und Kälte ... Das alles sind Wolken, die nichts bedeuten, im Wetterbericht finden sie Erwähnung, verknüpft mit der Hoffnung, sie mögen verschwinden - besonders im Urlaub; dunkle Wolken mag man da nicht haben.
Ganz anders die Himmelsverhältnisse im vorliegenden Text. Am Tage eine Wolke und in der Nacht “ein feuriger Schein”. Dieser Vorgang der göttlichen Führung wird, unter Konzentration auf die Wolke, in vielfachen Variationen ausführlich allein im Alten Testament sechsmal beschrieben. Hier zieht sie vor den Flüchtigen her.
Eine Wolke, aus der heraus sich Gott den Israeliten offenbarte? Oder waren Bewegung und Stillstand der Wolke an sich für die Israeliten schon so etwas wie Wort Gottes, zeichenhaft-wortlos? Man lagert oder man ist in Bewegung, was gibt es von Gott her mehr zu erwarten, als solche Weisung?
Woran orientieren wir uns heute, welche Zeichen sind Wegweisung für ein Volk, für ein Menschenleben? Ob einer weiterzieht oder sich lagert an einem Ort, dafür schaut heute keiner mehr an den Himmel. Von Wolken erwarten wir nichts. Gott Vater mit langem Bart auf einer Wolke - das ist ein Zerrbild des Glaubens. Der sichtbare Wolkenhimmel erreichbar, meteorologisch erfasst, als Verkehrsraum durchdrungen, kein Mysterium mehr. Gott nicht in den Wolken. Der Himmel (das Reich Gottes) anderswo. Theophanien heute, sofern es sie gibt und Menschen sie als solche erkennen, sind wolkenlos. Himmel und Erde sind beherrscht von zwiespältigen Offenbarungen eines zerrissenen Menschseins, wie es täglich seinen Niederschlag findet in den Medien mit ihrem dunklen journalistischen Gewölk und dem Schwindel der Horoskope.
Gott in einer Wolke, die vorangeht am Tage und in der Feuersäule bei Nacht? So einfach ist es heute nicht. In den Feuersäulen des 20. Jahrhunderts - der moderne Mensch assoziiert unweigerlich Hiroshima und Nagasaki - war eher der Teufel. Da wurde kein Weg gewiesen, ein Weg mit Gott schon gar nicht, nur ein Un-Weg der Menschheit aufgezeigt: So, um Himmels willen, nicht!
„Aus dem Feuer und der Wolke” hat Gott einst den Dekalog gesprochen. Gottes Wolke wacht auch heute über dem Gesetz. Die Wolke ist da, leuchtend wie ehedem im Dunkel der Nacht, nur unsere Wahrnehmung scheint getrübt, aufgeklärt und ohne Gott. Wo aber Gott zu Hause ist in einem Land, einem Volk, einer Kirche, einem Menschen-Leben, da ist Gottes Wolke mit dabei, sichtbar jedem, der sie sehen will. Die Wolke als Zeichen der verhüllten Gegenwart Gottes, der „verhüllen muss, um zu offenbaren” wie in der Geschichte vom brennenden Dornbusch.
Gottes Wolke ist da, sie ruht und bringt in Bewegung. Wer ihr folgt, dem gibt sie Hoffnung, die Chance zu einem neuen Leben. So schreibt Carl Zuckmayer in einer Kriegsheimkehrer-Geschichte 1914 - 1918 (Als wär’s ein Stück von mir, Frankfurt a. M: Fischer, 1966, S. 301), dieses Hoffnungs-Wort zum Schluss:
„Ich bin ein Regen und sinke bewusstlos, wunschlos, hingeschenkt, auf Herzen und Hände, dürstende Felder voll Saat und Sehnsucht - Immer neu gebiert mich Gottes gütige Wolke.”
Immer neu. Das gilt auch für das morgen beginnende Jahr.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Amen

Pfarrer Jörg Uhle-Wettler, Kirchplatz 1, 04849 Bad Düben

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