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Unsere Zeit in Gottes Händen

von Johannes Seemann (35216 Biedenkopf)

Predigtdatum : 31.12.2001
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Silvester (Altjahrsabend)
Textstelle : Hebräer 13,8-9b
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Wochenspruch:

Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte. (Psalm 103,8)

Psalm: 121 (EG 749)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 30, (8-14) 15-17
Epistel:
Römer 8,31b-39
Evangelium:
Lukas 12,35-40

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 329
Bis hierher hat mich Gott gebracht
Wochenlied:
EG 59
oder EG 64
Das alte Jahr vergangen ist
Der du die Zeit in Händen hast
Predigtlied:
EG 391
Jesu, geh voran
Schlusslied:
EG 614
Lass uns in deinem Namen, Herr
EG 62,2-5; 63,6; 64,1-6

Einführung
Der sehr kurze, bekenntnishafte Textabschnitt ist Teil der Reihe von Ermahnungen, die den Hebräerbrief beschließt – vom Schlussgruß abgesehen. Die Ermahnungen haben einen einheitlichen Grundton in der Treue und im Fest-Bleiben der ChristInnen – im Blick auf viele Bereiche des gemeindlichen wie des persönlichen Lebens vor Gott. Besonders hervorgehoben ist die Bindung an die Lehrer des Glaubens (13,7.17) und an die rettende Botschaft, die der Gemeinde anvertraut ist und sie trägt (13,11-12). Das Bekenntnis zu Jesus Christus (13,8) ist Mitte und Grund aller Bindung und Treue der Gemeinde und ihrer Glieder, das Festwerden in ihm (13,9) zentrale Aufgabe (9a) und zugleich (unverfügbares) Geschenk seiner Gnade (9b).
Dass Jesus Christus die Mitte ist, wir in ihm gefestigt werden sollen, ist die Grundbotschaft des Textes. Die Aufgabe der Predigt ist es erstens, diese Grundbotschaft mit dem Tag des Gottesdienstes zu verbinden: Der Silvesterabend ist (viel stärker als der Nachmittag des Neujahrstages!) emotional für die meisten Menschen sehr nahegehend – verbunden mit einem starken Gefühl des Übergangs: mit dankbarem oder gedrücktem Rückblick auf das ausgehende Jahr und hoffnungs- oder sorgenvollem Ausblick in das neue. Das ist nicht im Predigttext vorgegeben, aber unbedingt aufzugreifen.
Am Silvestergottesdienst nimmt zumeist mehr als nur die gottesdienstliche Kerngemeinde teil. Die Botschaft des Hebräer-Textes aber ist offensichtlich an ChristInnen gerichtet, die ihrer Gemeinde eng verbunden sind. So hat die Predigt zweitens die Aufgabe, diese Botschaft auf die zu beziehen, die zu diesem Gottesdienst kommen, das Bekenntnis zu Jesus Christus aber (noch) nicht so selbstverständlich aussprechen (können) wie der Verfasser des Hebräerbriefes. Ein Text, der an einem emotional besonderen Tag so pointiert Jesus Christus ins Zentrum rückt, ermutigt zu einer missionarisch einladenden Predigt, die im Zentrum diesen einen Namen hat.
Für das Singen im Gottesdienst schlage ich Lieder und Strophen vor, die die Kernbotschaft des Textes mit dem besonderen Übergang des Jahreswechsels verbinden, vor allem: EG 62,2-5; 63,6; 64,1-6.

Liebe Gemeinde,
heute bringen Sie, anders als sonst, ein ganzes Jahr mit in den Gottesdienst. Ein Jahr mit seinen Höhen und Tiefen, mit schönen, bewegenden Stunden, auch mit Zeiten des Nachdenkens, der Sorge, der Unsicherheit. Das Viele, was Sie in diesen Gottesdienst mitgebracht haben – wie soll eine einzige Predigt es aufnehmen? Noch dazu, wo wir miteinander auf einen sehr einseitigen Predigttext hören: Hebräer 13, die Verse 8 und 9:
8 Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.
9 Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade.
Ein Name – mitten hinein in unsere vielfältigen Erfahrungen. Ein Name – für unsere Freuden und Sorgen, für unsere Hoffnungen und Ängste. Ein Name – für unser Gestern, unser Heute und unser Morgen. Ein Name – für unser Leben, Sterben und Auferstehen. Geht das? Genügt das? Passt unser vielfältiges Erleben in diesen einen Namen hinein? Kann er dies alles umfassen?
Oder ist das, was wir gehört haben, ein theologisch richtiger Satz, dem man als Christ nicht widersprechen darf? Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. Ein alter, wohlklingender Satz, aber so hoch und erhaben, dass mein Leben nicht bis dahin reicht.
Indem ich diesen Namen, Jesus Christus, nenne und ihm in dieser Predigt Raum gebe, vertraue ich darauf, dass er selbst die Zeiten meines Lebens mit seinen Zeiten verbindet, dass mein Gestern, mein Heute, mein Morgen, zutiefst verbunden ist mit seinem Gestern, Heute und Morgen.
Vieles gibt es zu bedenken an diesem Jahreswechsel – aber ich bin gewiss: All das findet seine Mitte und seine Ruhe, wenn dieser eine Name uns eingeprägt ist, wenn er unsere Lebens-Zeiten bestimmt und durchdringt. Und so lade ich Sie ein, sich mit mir diesem Namen auszusetzen, in den drei Zeiten, in denen wir Menschen denken können:
Jesus Christus,
(1) der Name, in dem unser Gestern aufgehoben ist
(2) der Name, der unser Morgen trägt
(3) der Name, der uns heute nahe ist
1. Jesus Christus – der Name, in dem unser Gestern aufgehoben ist
Viele Menschen halten an Silvester einen kleinen Jahresrückblick – in ganz verschiedener Form: Manche schauen noch einmal ihren Terminkalender durch und stellen fest, was alles in diesem vergangenen Jahr ihre Zeit füllte. Andere schauen in ihr Tagebuch und finden darin, welche Gedanken sie in den letzten zwölf Monaten bewegten. Wieder andere schauen in ihr Gästebuch und erinnern sich daran, welche Begegnungen das Jahr brachte. Alles gute Formen, bewusst zurück zu schauen. Ich ermutige Sie, zusätzlich aus einer anderen Richtung auf das Jahr 2001 zu blicken:
Jesus Christus – der Name, in dem unser Gestern aufgehoben ist. Was meint dieses „aufgehoben“? Ich möchte es ganz bewusst in dem doppelten Sinn verstehen, der in dem Wort „aufgehoben“ steckt.
(1) In Jesus Christus soll das Gute des vergangenen Jahres aufgehoben, aufbewahrt sein. In ihm haben wir eine Adresse für unseren Dank, in ihm, von dem die Menschen seiner Zeit gesagt haben: Er hat alles wohl gemacht. Was wir empfangen haben, was das Jahr 2001 für uns reich gemacht hat, soll nicht einfach verpuffen und sich in Rauch auflösen. Und wohl uns, wenn wir das Gute der letzten 365 Tage nicht auf unser eigenes Konto buchen müssen!
Dass meine Ehe stabil geblieben ist, eine Freundschaft neu entstanden ist, eine belastete Beziehung sich geklärt hat, das alles konnte ich nicht selbst machen. Dass beruflich vieles gelang, dass ich neu Arbeit fand, dass das Examen glücklich hinter mir liegt, schließt gewiss mein eigenes Tun ein – sicher war es mir am Beginn des Jahres nicht. Dass ich trotz Krankheiten leben darf, dass schlimme Unfälle mir erspart blieben, dass ein weiteres Jahr in unserem Land kein Krieg war, konnte ich mir nicht selbst erarbeiten.
Ich bewahre all dieses Gute auf, indem ich es noch einmal anschaue und von Herzen „Danke“ dafür sage: Der Gott, der mir in Jesus Vater geworden ist, hat mich begleitet, gestärkt, bewahrt, gesegnet.
(2) Aber auch das Dunkle des vergangenen Jahres soll aufgehoben sein – aufgehoben in dem Sinn, dass es mich nicht mehr belastet, mich nicht lähmt auf dem Weg ins neue Jahr. Wollte ich alles ehrlich betrachten, die Schritte würden mir schwer: seien es Versäumnisse aus mangelnder Liebe, verletzende Worte – schnell mal gesagt oder Lügen, die einzig dem eigenen Vorteil dienten. Ich kann diesen Blick wagen, denn dafür steht Jesus ein, dass Böses nicht nur vergangen ist, sondern aufgehoben. Es hat keine Macht mehr, meine Zukunft zu verzerren, es darf meinen Rücken nicht mehr beugen und mich zu einem unfreien Menschen machen – einem, der von seiner Vergangenheit gefangen ist. Was er ans Kreuz getragen hat, kann nun nicht mehr meine Last sein, was er getilgt hat, taucht auf meinem Konto nicht mehr auf.
Jesus – sein Name ist Programm: „Jahwe rettet“, er befreit uns von den dunklen Schatten unserer Vergangenheit und öffnet einen neuen Weg. In diesem Namen können wir das letzte Jahr versöhnt hinter uns lassen – selbst dort, wo unsere Armut uns schmerzlich vor Augen steht.
Jesus Christus – der Name, in dem unser Gestern aufgehoben ist!
2. Jesus Christus – der Name, der unser Morgen trägt
Während wir noch zurück schauen, wirft das neue Jahr bereits seine Schatten voraus. Für manche ist es wie ein noch unbeschriebenes Blatt: Alles ist möglich, wie die Autowerbung uns sagt. Viele von uns werden zurückhaltender sein, am Beginn dieses Jahr wohl noch stärker als sonst. Die Welt ist instabiler geworden – oder sollten wir sagen: Es ist im Jahr 2001 offenbar geworden, wie dünn das Eis ist, auf dem wir leben, auf dem auch unsere westliche Zivilisation nur eine scheinbare Sicherheit genießt.
Nicht nur die geborenen Schwarzseher äußern Sorge – auch das nüchterne Nachdenken legt sie nahe. Die Strukturen und Abläufe unserer Welt sind nicht so, dass wir uns in ihnen sicher einrichten könnten. Sie wandeln sich – und manchmal auch zum Bösen. Keiner kann sagen, wo wir am Ende des Jahres 2002 stehe werden.
Mitten hinein in solche realistische Unsicherheit dieses Wort: ... und derselbe, Jesus Christus, auch in Ewigkeit. Nicht die sich wandelnden und vergehenden Zeiten sind unser Zuhause – sondern der Name, der ewig bleibt: der Name des Auferstandenen, der die Zukunft schon gewonnen hat, der Name des Siegers über den Tod, der auch über den Todesmächten unserer und jeder Zeit steht. Seine Ewigkeit ist nicht kalt und starr, wie ein Edelstahlblock von scheinbar unendlicher Dauer ist – seine Ewigkeit ist gleichbleibende, liebevolle Zuwendung zu uns, eine stete Treue und Hingabe, die sich nicht verliert, wenn die Zeiten sich ändern.
Der Sohn Gottes, dessen Namen über uns genannt wurde bei unserer Taufe, dessen Namen am Ende jedes Gottesdienstes auf uns gelegt wird, ist der gleiche, der alle Tage bei uns ist und uns am Ende empfängt – am Ende unseres Lebens und am Ende dieser Welt. Wie er seinen Segen auf uns legt, dürfen wir die Unsicherheiten unseres Lebens und unserer Welt auf ihn legen. Ob wir Angst haben vor einer neuen Welle des Terrors oder „nur“ vor dem nächsten Gespräch mit dem Chef, es gilt: Die Zukunft gehört ihm, darum lohnt sich unser Vertrauen in ihn und unsere Hingabe an ihn. Im Namen Jesu ist zu sagen: Du darfst mit zuversichtlichen Gedanken ins neue Jahr gehen, denn ich, der dich liebt und dem dein Leben gehört, werde treu an deiner Seite sein.
Jesus Christus – der Name, der unser Morgen trägt.
3. Jesus Christus, der Name, der uns heute nahe ist
An Silvester schauen wir zurück, wir versuchen auch, durch den Nebel ein wenig in die Zukunft zu blicken – und trotzdem gilt auch für das neue Jahr: Die Gegenwart ist die einzige Zeit, die uns gehört und die wir gestalten können. Was aber bestimmt unsere Gegenwart? Was soll sie bestimmen? Mit was soll sie gefüllt sein?
Wir können es vom Hebräerbrief her mit einer einzigen Aufgabe beschreiben: „... dass das Herz fest werde.“ Mitten in einer sich wandelnden und letztlich ganz unsicheren Welt ein festes Herz zu haben, ist viel, wenn nicht das Entscheidende. Der Schreiber des Hebräerbriefs mahnt die Empfänger: „Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben!“
Über viele Jahrhunderte hinweg war dieses Wort im christlichen Abendland fast unverständlich: In einer rundum vom Christentum bestimmten Gesellschaft gab es keine „fremde Lehre“, war alles auf den christlichen Glauben bezogen. Heute dagegen nähern wir uns in Riesenschritten der multikulturellen und multireligiösen Situation der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung: Auf absehbare Zeit wird der christliche Glaube und die Kirche Jesu Christi von „fremden Lehren“ umgeben sein – nicht nur von einer, sondern von vielen: manche tief religiös wie der Islam, manche entschieden weltlich – wie die Wellnessbewegung oder die immer neuen Wellen der Jugendkultur. Wie leben Christinnen und Christen in einer Gegenwart, die nicht mehr die Sicherheit einer christlich geprägten Gesellschaft kennt? Bleibt ihnen da nur die Anpassung oder gar die Auflösung?
Jesus Christus heute – das scheint mir der entscheidende Impuls für unsere derzeitige Situation als Kirche zu sein: Verteidigen wir den schwindenden Einfluss einer Organisation, kämpfen wir für die Kirchensteuer und das Kreuz in den Schulsälen? Oder ist Jesus Christus in unserer Mitte so lebendig, dass wir zur Not ganz viel preis geben können, weil wir im Zentrum, in der Gemeinschaft mit ihm und um ihn, unendlich reich sind?
Und so sollten wir vor allem von der fremden Lehre Abschied nehmen, die unserer Kirche und unserem Glauben am meisten schaden kann: der Lehre nämlich, dass uns ein bisschen Christsein, ein wenig Kirchlichkeit schon genügt, dass es reicht, wenn wir in etwa die äußeren Formen wahren und dem Pfarrer wohlgesonnen sind.
Für die unter uns, die eher selten kommen, kann sich das leicht so anhören, als sollten sie mehr zur Kirche kommen – ist dem so? Natürlich: Wer Gottesdienste vorbereitet und gestaltet, freut sich auch über Resonanz. Aber es geht nicht um ein wenig mehr Kirchlichkeit, sondern um Jesus Christus, um den Namen über alle Namen, um den einen, in dem unser Heil und unsere Hoffnung liegt, um den, der heute mit uns leben will. Mit ihm geht es dann auch um das Leben in der Gemeinde, um den Gottesdienst, um das Mittun.
Aber jetzt möchte ich Ihnen, die hier sind, nicht sagen: Kommen Sie häufiger zum Gottesdienst – das gehört sich so! Sondern ich möchte Ihnen sagen: Lernen Sie Jesus Christus kennen, lassen Sie sich auf ihn ein, der uns unendlich liebt und der uns anbietet, was keine fremde Lehre uns bieten kann: Leben – befreit von Schuld, Leben aus der Kraft seiner Auferstehung, Leben – getragen von seiner liebevollen Begleitung, Leben heute und in Ewigkeit.
Und so rate ich Ihnen: Nehmen Sie sich für das neue Jahr nichts vor, sondern tun Sie etwas Konkretes:
- Schauen Sie an jedem Tag des neuen Jahres auf Jesus Christus;
- Nennen Sie an jedem Tag wenigstens einmal seinen Namen: betend, lobend, in Ehrfurcht;
- Lesen Sie im neuen Jahr wenigstens ein Evangelium laut und langsam durch.
Und ehe Sie sich’s versehen, schenkt er Ihnen die Gnade, dass Ihr Herz fest wird, dass Sie wissen, wohin Sie gehören und wem Ihr Leben gehört. Er allein kann es schenken, dass aus dem toten Lehrsatz ihr lebendiger Lebens-Satz wird:
Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. Amen.

Verfasser: Pfarrvikar Johannes Seemann, Obere Bergstr. 1, 35216 Eckelshausen

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