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Unsere Zeit in Gottes Händen

von Uwe Handschuch (Dietzenbach-Steinberg)

Predigtdatum : 31.12.2004
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Silvester (Altjahrsabend)
Textstelle : Jesaja 30,(8-14).15-17
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Wochenspruch:

Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte. (Psalm 103,8)
Psalm: 121 (EG 749)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 30, (8-14) 15-17
Epistel:
Römer 8,31b-39
Evangelium:
Lukas 12,35-40

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 58,1-7
Nun lasst uns gehn und treten
Wochenlied:
EG 59
oder EG 64
Das alte Jahr vergangen ist
Der du die Zeit in Händen hast
Predigtlied:
EG 398
In dir ist Freude
Schlusslied:
EG 65
Von guten Mächten wunderbar geborgen

[8 Sopricht der HERR: Geh nun hin und schreib es vor ihnen nieder auf eine Tafel und zeichne es in ein Buch, dass es bleibe für immer und ewig. 9 Denn sie sind ein ungehorsames Volk und verlogene Söhne, die nicht hören wollen die Weisung des HERRN, 10 sondern sagen zu den Sehern: »Ihr sollt nicht sehen!«, und zu den Schauern: »Was wahr ist, sollt ihr uns nicht schauen! Redet zu uns, was angenehm ist; schaut, was das Herz begehrt! 11 Weicht ab vom Wege, geht aus der rechten Bahn! Lasst uns doch in Ruhe mit dem Heiligen Israels!« 12 Darum spricht der Heilige Israels: Weil ihr dies Wort verwerft und verlasst euch auf Frevel und Mutwillen und trotzt darauf, 13 so soll euch diese Sünde sein wie ein Riss, wenn es beginnt zu rieseln an einer hohen Mauer, die plötzlich, unversehens einstürzt; 14 wie wenn ein Topf zerschmettert wird, den man zerstößt ohne Erbarmen, sodass man von seinen Stücken nicht eine Scherbe findet, darin man Feuer hole vom Herde oder Wasser schöpfe aus dem Brunnen. Denn:]
15 So spricht Gott der HERR, der Heilige Israels: Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; adurch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. Aber ihr wollt nicht 16 und sprecht: »Nein, sondern auf Rossen wollen wir dahinfliehen«, - darum werdet ihr dahinfliehen, »und auf Rennern wollen wir reiten«, - darum werden euch eure Verfolger überrennen. 17 Denn euer tausend werden fliehen vor eines Einzigen Drohen; ja vor fünfen werdet ihr alle fliehen, bis ihr übrig bleibt wie ein Mast oben auf einem Berge und wie ein Banner auf einem Hügel.

Hinführung
Ein sehr sperriger Text für einen so geprägten Anlass wie den Gottesdienst am letzten Abend des Jahres! Jeder weiß, dass der Übergang von einem Jahr zum andern geprägt ist durch die widersprüchlichsten Gefühle. Da wird ein dankbarer Blick zurück geworfen und ein banger Blick voraus. Da ist das Leid der letzten Monate ganz besonders präsent, aber auch die überschwängliche Freude auf einen neuen Anfang mit seinen Chancen.
Ich habe mich dafür entschieden, dem Jesaja-Text fast nichts von seiner Sperrigkeit zu nehmen: Die scharfen Worte Gottes an sein Volk müssen auch wir aushalten. Gründe, solche Worte an die Christenheit unserer Tage zu richten, hätte Gott und hätten die Propheten genug. Es geht wohl darum, wem wir in Wahrheit vertrauen. Sind nicht viele Riten der Silvesternacht (Bleigießen, Horoskope, Feuerwerk, Anstoßen mit alkoholischen Getränken) nicht in traditionelle Formen gepackte Misstrauensanträge an Gott?
Der Rat des Jesaja (Stärke durch Umkehren, Stillesein und Hoffen) scheint mir da durchaus aktuell und praktikabel zu sein und trifft wohl den Nerv der Gottesdienstbesucher eher als den derer, die zur Zeit des Gottesdienstes schon anderes feiern.

Liebe Gemeinde,
stellen Sie sich einmal vor, der Text, den ich Ihnen gerade vorgelesen habe, wäre die Basis für die diesjährige Neujahrsansprache des Bundeskanzlers geworden. Ich bin mir sicher, abgesehen davon, dass es mal etwas anderes als das ewig Ähnliche der vergangenen Jahrzehnte gewesen wäre, es hätte mit Sicherheit einen großen Skandal gegeben: Denn so redet man doch nicht mit seinem Volk. Das ist weder politisch korrekt, noch menschlich höflich, noch von irgendeiner jovialen Verbindlichkeit geprägt, die wir mit Recht von unseren Regenten erwarten.
„Ungehorsam seid ihr, liebe Untertanen (sprich: Mitbürgerinnen und Mitbürger), verlogen und unverbesserlich. Und deshalb wünsche ich euch (sprich: Ihnen) ein schlechtes Jahr 2005. Es ist an der Zeit alle Vertröstungen einmal hinten an zu stellen. Es ist an der Zeit alle Versprechungen herunter zu schlucken und endlich einmal zu sagen, was Sache ist. Ihr habt aufs falsche Pferd gesetzt, und damit meine ich nicht mich, euren Kanzler. Ihr verlasst euch auf die, die von allen guten Geistern verlassen sind. Ihr werdet es noch am eigenen Leibe zu spüren bekommen, im kommenden Jahr. Kein Stein wird mehr auf dem anderen bleiben. Die Sicherheiten, auf die ihr euch verlassen habt, werden sich als das herausstellen, was sie sind: Falsche Sicherheiten.
Da wird keine Rückversicherung mehr helfen und kein Nummernkonto in der Schweiz, da werden die Bindungen eurer Seilschaften reißen und die goldenen Käfige eurer Beziehungen zerbrechen. Es wird sein, wie ein großer, nationaler Polterabend: Millionen Scherben, aber keine Freude. Ja, ihr könntet das noch ändern, und ich als euer Kanzler wäre durchaus auch bereit dazu, mit zu machen. Aber ich habe das Vertrauen in euch verloren. Ich traue euch nicht zu, dass ihr euch ändern werdet. Nächstes Jahr sprechen wir uns wieder, wenn es uns noch gibt. Guten Abend, liebe Untertanen (sprich Mitbürgerinnen und Mitbürger).“
Liebe Gemeinde,
ich weiß, ich habe Ihnen da eben viel zugemutet mit dieser fiktiven Neujahrsansprache. Aber was da der Gott der Israeliten den Israeliten als Ansprache durch den Mund des Propheten Jesaja um die Ohren haut, war mit Sicherheit keine geringere Zumutung. Propheten stoßen Menschen vor den Kopf und treten sie verbal gegen die Schienbeine. Sie tun das aber nicht aus purer Lust an der Provokation oder aus Freude am Schaden, den sie in ihren Mitmenschen anrichten. Sie tun das nicht aus eigennützigen Motiven oder weil sie sich am Schrecken der anderen weiden. Propheten versuchen, die Menschen aufzuwecken aus dem Schlaf der Ignoranz; sie wollen Menschen bewegen, umzudenken auf den eingefahrenen Bahnen ihres Denkens; sie wollen Menschen dazu bringen, umzukehren von den falschen Wegen, die sie nur ins Verderben führen.
Jesaja hatte es damals vor über zweieinhalbtausend Jahren nicht einfach mit seinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, und vor allen nicht mit denen, die die politischen Geschicke seines Landes bestimmten. Ganz Israel war in zwei Teile geteilt, zwei sich meist feindlich gegenüber stehende Bruderstaaten: Das Nordreich Israel und das Südreich Juda. Durch unterschiedlichen Koalitionen mit den beiden Weltmächten Assyrien im Nordosten und Ägypten im Südwesten versuchten die Staaten ihre Stellung zu behaupten und ihre Existenz jeweils zu sichern. Für die Propheten war dieses Verlassen auf die militärische und politische Stärke einer heidnischen Großmacht so etwas wie ein infamer Misstrauensantrag an den Gott Israels. Die Geschichte sollte zeigen, dass beide Staaten tatsächlich zwischen den Großmächten aufgerieben wurden: Zuerst wurde das Nordreich zur Zeit Jesajas im Jahre 722 von Assyrien erobert und vernichtet, und dann rund hundertfünfzig Jahre später Juda, dessen Einwohner von den Babyloniern ins Exil nach Mesopotamien deportiert wurden.
Für Jesaja war es klar: Das diplomatische Lavieren zwischen den Machtblöcken führt nicht aus, sondern gerade in die sich abzeichnende Katastrophe. Das kommende Unheil ist für ihn schon am Horizont sichtbar. Jetzt den Menschen im Land eine heile Welt zu versprechen, jetzt zu vertrösten auf eine rosarote Zukunft, das wäre mit seinem Amt nicht zu vereinbaren gewesen. Es gilt nicht, die Menschen in falscher Sicherheit zu wiegen und sie mit Heilsversprechungen einzuschläfern. Nein, die Menschen sollen endlich aufwachen und sehen, was Sache ist. Und die Sache heißt: Keiner verlässt sich mehr auf Gott, keiner traut Gott mehr etwas zu. Und wo Gott keine Rolle mehr im Vertrauenshorizont der Menschen spielt, da müssen Menschen diese Rolle übernehmen. Da übernehmen sich Politiker mit dieser Rolle und Großmächte dürfen mit ihrem Sendungsbewusstsein und ihrer eigensüchtigen Machtpolitik auf Gottes Thron Platz nehmen.
Sie spüren: So ganz fremd ist uns dies alles nicht. Es kommt uns durchaus nicht so vor, als sei dies alles vor zweieinhalbtausend Jahren geschehen: Feindlich gesinnte Bruderstaaten, Bündnisse mit Großmächten, Ideologien, die Heil versprechen, das ist in unsren deutschen Landen gar nicht so lange her. Und dass unser Volk sich nicht gerade durch ein kollektives Gottvertrauen auszeichnet, scheint mir offensichtlich und ist ja wohl auch gar nicht im Sinne des Erfinders: Einen Gottesstaat wollen wir nicht!
Und doch mag ja die Summe der individuellen Vertrauensdefizite sich durchaus auch im Gesamten niederschlagen. Nicht umsonst versuchen seit Jahren Menschen in unsrem Land einen Ruck herbeizurufen, der kommen soll, aber nicht kommen will. Wie es sein müsste, damit es besser wird, wissen scheinbar alle. Nur keiner scheint bereit zu sein, auf eigenes Risiko den ersten Schritt zu tun und sich unabhängig zu machen von Gedanken an Wiederwahl oder Verschlankung des eigenen Besitzstandes. Und so ändert sich nichts, im Gegenteil – der Kurs scheint klar: „Der Steuermann lügt, der Kapitän ist betrunken / und der Maschinist in dumpfe Lethargie versunken, / die Mannschaft lauter meineidige Halunken / der Funker zu feig’, um SOS zu funken. / Klabautermann führt das Narrenschiff. / Volle Fahrt voraus und Kurs aufs Riff.“ (Reinhard Mey, Das Narrenschiff)
Liebe Gemeinde,
Jesaja gab damals seinen Mitmenschen einen ungewöhnlichen Rat, wie es dennoch hinter dem so unerfreulich zerstörerisch auf sie zukommenden Horizont weitergehen könnte: Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. Und ich denke, dass das auch für uns gerade heute, an diesem Altjahresabend, an der Schwelle zu einem neuen Jahr das Gebot der Stunde sein kann. Umkehr, Stille, Hoffnung, Stärke. Eine sehr ungewöhnliche, aber pfiffige Kombination von Begriffen, die wir wohl weniger zusammen denken und in einer Reihe nennen würden.
Stärke ist ja für uns ja eher mit Lärm verbunden. Wenn heute Nacht sich wieder Hunderttausende Menschen um das Brandenburger Tor versammeln, um in kollektiver Hilflosigkeit mit viel Lärm und Getöse dem neuen Jahr die Schrecken auszutreiben; wenn Millionen heute Nacht mit Alkohol, Böllern und Raketen das neue Jahr begrüßen, so, als wollten sie es zum Teufel jagen; wenn erwachsene Menschen heute Nacht aus in Wasser erkaltetem flüssigen Blei ihre Zukunft herausraten wollen, dann hat das für mich etwas von jenem Kind, das laut singt, wenn es in den dunklen Keller geht, um Kohlen zu holen: Es setzt Lärm gegen die Angst, so wie die Massen grölend gegen Hilflosigkeit und Verzweiflung zusammenstehen. Stille scheint da nicht hinein zu passen, und Umkehr im Strom einer Masse ist wohl auch kaum möglich.
Ich wünsche uns, dass es uns gelingen möge, gerade heute Abend gegen all den Lärm und Trubel eine stille Zeit zu finden. Dieser Gottesdienst kann ein guter Anfang sein. Eine stille Zeit, die auf die leisen Töne hört, jene Töne, mit denen Gott so manches Mal durch all den Lärm hindurch spricht. Eine stille Zeit, die unsre Wege lenkt auf die Wege neben den Boulevards, die aber gerade oft die rechten Straßen sind. Eine stille Zeit, die spürt, dass die Apfelbäumchen der Hoffnung nicht in den Himmel wachsen, aber fest auf dieser Erde wurzeln. Eine stille Zeit, die versteht, dass Gott noch nicht mit uns am Ende ist, sondern immer wieder etwas mit uns anfangen kann und will. Eine stille Zeit, die uns erkennen lässt, dass Gottes Stärke seine Schwäche für uns ist.
Wer diese stille Zeit, diese Zeit der leisen Töne, der anderen Wege, der zarten Pflänzchen, neuen Anfänge und starken Schwächen in sich wach küsst, der mag dann auch wieder in den Lärm der Zeit hinaus gehen können, getragen von einer Hoffnung, die über den Wechsel der Zeiten weit hinausreicht. Der mag die Stärke gefunden haben, nicht zuerst die Gesellschaft und unsere Zeiten ändern zu wollen, sondern sich und bei sich anzufangen. Der mag sehen, dass der Mast auf dem Berge in Wahrheit ein Kreuz ist: Ein Bild für das Ende wie ein Fingerzeig Gottes, dass es im Vertrauen auf Ihn weitergehen wird. Amen.

Verfasser: Pfr. Uwe Handschuch, Waldstraße 12, 63128 Dietzenbach

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