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Unsere Zeit in Gottes Händen

von Paul-Ulrich Lenz (63679 Schotten-Einartshausen)

Predigtdatum : 31.12.1999
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Silvester (Altjahrsabend)
Textstelle : 2. Mose 13,20-22
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Wochenspruch:

Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte. (Psalm 103,8)

Psalm: 121 (EG 749)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 30, (8-14) 15-17
Epistel:
Römer 8,31b-39
Evangelium:
Lukas 12,35-40

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 329
Bis hierher hat mich Gott gebracht
Wochenlied:
EG 59
oder EG 64
Das alte Jahr vergangen ist
Der du die Zeit in Händen hast
Predigtlied:
EG 296
Ich heb mein Augen sehnlich auf
Schlußlied:
EG 321
Nun danket alle Gott

20 So zogen sie aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste. 21 Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. 22 Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.

Liebe Gemeinde!
Der Weg in die Freiheit hat angefangen. Der Aufbruch ist gemacht. Die ersten Schritte sind getan. Am Horizont eines glutheißen Tages ist der Rauch der Ziegelbrennöfen verschwunden und verweht. Die mächtigen Umrisse der Stadttürme sind kleiner und kleiner geworden, bis auch sie nicht mehr zu sehen waren. Immer spärlicher wurden die Zeichen der Macht der Ägypter. Und jeder Schritt auf diesem Weg, wie beschwerlich er auch war, war ein Schritt in die Freiheit, ein Schritt ins Gelobte Land. “Wir gehen den Weg Gottes.” So sagten es die Jungen den Alten und die Alten den Jungen, und so machten sie sich gegenseitig Mut auf ihrem Weg über Stock und Stein.
“So zogen sie hinaus.” - wie ein Ruck geht es durch unser Wort. Die belastende Vergangenheit bleibt zurück. Die ungezählten Tränen bleiben zurück. Die Angst vor den Schlägen, die Angst vor den Antreibern, die Angst vor dem Griff nach den Kindern bleiben zurück. Die Schreie und der Streit bleiben zurück. Die Arbeit, die so manchen zerbrochen hat, lange vor der Zeit, bleibt zurück. Alles, was über Jahrzehnte hin gedemütigt und kleingemacht hatte, was zu Boden gedrückt und die Luft zum Atmen genommen hatte, bleibt zurück.
Und weil so viel Last zurück bleibt, zählt das andere nicht mehr, daß man auch Lebensgewohnheiten verlassen mußte, daß man auch die Sicherheit eines kleinen, aber geregelten Besitzes verlassen mußte, daß da auch der über Generationen gewohnte Lebensraum und die über Jahrzehnte gewachsene Form des Lebens verlassen werden mußte: wo so viele Lasten abfallen, da zählt das andere nicht, das man da mit loslassen muß. “So zogen sie hinaus!” - das Volk Gottes auf dem Weg ins Gelobte Land.
Wenn wir doch auch so ausziehen könnten! Wenn wir doch auch mit einem mutigen Schritt unsere Vergangenheit hinter uns zurücklassen könnten und aufbrechen in eine neue Zukunft! Wenn wir doch auch mit einem Auszug ganz neu anfangen könnten, frei von allen Altlasten, frei von allen Fehlentscheidungen früherer Tage, frei von allen Festlegungen aus früherer Zeit.
Ob nicht darin die Anziehungskraft des Silvesterabends liegt, erst recht in diesem Jahr mit der historischen Wende von 1999 nach 2000, daß er in uns die Hoffnung nährt: mit dem neuen Jahresdatum kannst du auch ein neues Lebensdatum schreiben. Mit den Schritt über die Schwelle eines neuen Jahres - und diesmal gar eines neuen Jahrhunderts und Jahrtausends fängt ein neuer Lebensabschnitt an? Ob wir es uns deshalb gegenseitig wünschen: komm gut rüber - rosh hashana* - gutes neues Jahr - guten Rutsch!
* aus dem Hebräischen “rosh hashaná” wurde unser deutsches “guten Rutsch”. Rosh bedeutet Kopf oder Anfang.
Das steckt doch als Hoffnung in uns. Mit dem neuen Kalender - wie behutsam nehme ich da meine ersten Eintragungen vor! - fängt ein neues Kapitel Deines Lebens an. Und manches, was in den vorigen Kapiteln falsch gelaufen ist, das wird nun einfach abgehakt, wird nicht mehr aufgegriffen. Manches, was belasten will, wird mit dem letzten Kalenderblatt des Jahres einfach abgerissen und zur Seite gelegt.
Aber: mit dem abgerissenen Kalenderblatt ist es nicht getan. Wir wissen es nur zu gut, wie schnell uns die Vergangenheit wieder einholt, wie schnell sich die alten Fehler wieder melden und die vergessenen und verdrängten Altlasten sich nicht mehr verschweigen lassen.
Und doch: mit diesem Wort vom Auszug ist über diesen Silvesterabend 1999 ein Verheißungswort aufgerichtet: wir können so ausziehen wie das alte Gottesvolk - denn der gleiche Gott, der damals Israel gerufen hat, der ruft uns heute. Der gleiche Gott, der die Vergangenheit Israels aufgebrochen hat, hat uns den Weg in die Freiheit geöffnet hat, der tritt auch uns in diesem Wort entgegen und ruft: Komm heraus aus den zermürbenden Tagen deines alten Jahres. Komm heraus aus den dunklen Wegen deiner letzten Monate. Komm auch weg von der Schuld, die dich bedrängt, weg von den Selbstanklagen und Selbstzweifeln, komm weg von den Ängsten vor dem neuen Jahr, die dich lähmen wollen: komm und geh meinen Weg. Komm zu mir, deinem Gott.
Gott ruft wie das alte Gottesvolk auch das neue Gottesvolk. Er ruft uns als Gemeinde: Brecht doch auf aus den alten gewohnten Gleisen des Gemeindelebens. Laßt die alten Streitereien und das alte Mißtrauen fahren. Laßt die alten Urteile los und vertraut euch mir an. Ich will mit euch den Weg ins Gelobte Land gehen. Keine Knechtschaft darf die Gemeinde mehr halten - nicht die Anpassung an den Staat, nicht die unter das “was werden die Leute nur sagen”, nicht die unter die Angst um die vollen Fleischtöpfe - der Herr ruft und “so zogen sie aus.”
Aber: der Weg Gottes ist seltsam anders als wir ihn uns vorstellen würden. Am Rande der Wüste wird Halt gemacht. Ethan hat das Volk Gottes vor Augen. Ethan - das heißt Raubvogelort. Dort, wo Fuchs und Hase sich Gute Nacht sagen, dort, wo man nicht leben kann, dort, wo es nur noch ein Schritt bis in die weglose Wüste ist, dort läßt Gott sein Volk lagern.
Liebe Schwestern und Brüder! Es ist nichts mit dem “lieben” Gott. Es ist nichts mit dem Gott, der nur für das Wohlergehen seiner Leute sorgt, der mitbaut an den Türmen der Wohlstandsgesellschaft und der Erfolgsgesellschaften. Es ist nichts mit dem Gott, der immer für guten Schlaf und gute Verdauung und ein wohltemperiertes Gefühlsleben sorgt. Wie mancher Christ hat ins seinem Leben am “Raubvogelort” gelagert: zermürbt von Wochen der Krankheit oder der Pflege eines kranken Familiengliedes. Umdüstert von Schatten und Dunkelheit der Depression. Bis zum Rand gefüllt mit Bitterkeit über den Tod des Lebensgefährten - oder manchmal, fast schlimmer noch: über die Abwendung des Lebensgefährten. Wie mancher hat das erlebt, wie die Lebenskraft aufgesaugt wird, der Schwung erlahmt, die bitteren Linien des Leidens sich in das Gesicht tief eingraben.
Nein, liebe Freunde, es ist nichts mit einem Gott, der mit seinen Leuten nur an den sonnigen Seiten des Lebens entlang geht. Er läßt sie auch am Raubvogelort sein.
Aber: der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs hat sich dort nicht aus dem Staub gemacht. Er hat sich dort nicht davon gemacht und gesagt: Jetzt wird es zu hart - seht ihr selbst zu. Gott geht mit seinem Volk nach Ethan, an diesen Ort am Rande der Wüste. Und Gott selbst geht dann noch einmal einen Schritt weiter, als sein Volk gehen muß: Er wird in Gethsemane und in die Hände der Raubvögel fallen und wird dort am Golgatha-Berg sterben für dich und für mich, wo die Raubvögel sich ihre Beute suchen.
Liebe Schwestern und Brüder, nicht von dem “lieben” Gott, wohl aber von dem Gott, dessen Liebe bis zum Äußersten geht, haben wir zu reden. Und wenn es an diesem Abend etwas zu sagen gibt, dann doch dies: daß in dieser Liebe Gottes Platz ist für dich und für mich, Platz für uns Leute, die wir unser Leben vielleicht wie am Raubvogelort erfahren und auch Platz für Leute, denen es viel wohler ist.
Und von diesem Gott wird nun gesagt: Er geht mit. Gott geht mit, so daß es sein Volk erfahren kann. Bei Tag in der Wolkensäule und bei Nacht in der Feuersäule. Er ist am Anfang des Tages und an seinem Ende. Er ist bei denen, die weit vorauseilen und vorne weg sind und er hat sein Auge auf die, die hinten nachhängen und den Anschluß verpassen könnten.
Gott selbst geht mit. Er ist an diesem Abend da. Er will die Lasten des alten Jahres von unseren Schultern und von unseren Herzen nehmen. Er will die Bangigkeit vor dem Morgen von uns wegnehmen. Er will uns den Rücken freimachen, daß wir nach vorne schauen können. Und er will uns eben auch helfen, den Weg nach vorne zu sehen: Keiner von uns muß sich alleine nach vorne ins Niemandsland wagen. Auch das Land, das uns Niemandsland scheinen will, weglos und gestaltlos, ist doch schon Land unter Gottes Augen und unter Gottes Macht. Auch die Tage, die noch werden sollen, sind doch schon umhüllt von seinen Gedanken der Liebe und von seiner Treue.
Gott geht mit. Auf dem Weg in die Zukunft wird uns kein Schritt zugemutet, den er nicht schon vor uns getan hätte. Und wohin wir auch unseren Fuß setzen - da ist er zuvor gewesen. Und wenn unser Weg in den Tod geht: auch diesen Schritt ist er vor uns gegangen und hat ihn für uns durchschritten.
Bleibt ein Letztes: wir werden auf diesen Weg mit Gott gerufen. Wenn wir weiterlesen, bekommen wir es zu hören: Gott ist diesen Weg in großer Treue gegangen - aber sein Volk hat ihn manchesmal verlassen. Gott hat diesen Weg in das Gelobte Land niemals aufgegeben - aber sein Volk ist manchmal am Weg sitzen geblieben. Es hat sich dem mitgehenden Gott verweigert, es hat geglaubt, den Weg selbst finden zu können oder selbst finden zu müssen. Es hat manchmal geglaubt, daß es doch bessere Zeichen geben müsse als die Wolken- und die Feuersäule, als diese Zeichen, die so fatal nach Windsturm und Vulkan aussehen.
Und auch wir stehen oft genug vor der gleichen Versuchung: daß uns die Zeichen des mitgehenden Gottes zu gering vorkommen, daß wir mehr haben möchten als das Wort und den Geist, mehr als das Brot und den Wein, mehr als diese arme Gemeinde und den gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus Christus.- aber: mehr bekommen wir nicht auf den Weg und mehr brauchen wir auch nicht auf dem Weg.
Denn in dem Wort und dem Geist, in dem Brot und dem Wein, in der Gemeinde und dem gekreuzigten und auferstandenen Herren haben wir Gott selbst, der dir und mir nahe ist und nahe bleibt und der von uns nichts will als dies eine: daß wir seinen Vorangehen folgen. Amen.

Verfasser: Pfr. Paul-Ulrich Lenz, Leonhardstr. 20, 61169 Friedberg

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