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Unsere Zeit in Gottes Händen

von Gabriele Wulz (Ulm )

Predigtdatum : 31.12.2020
Lesereihe : III
Predigttag im Kirchenjahr : Silvester (Altjahrsabend)
Textstelle : 2. Mose 13,20-22
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Wochenspruch: Meine Zeit steht in deinen Händen. (Psalm 31,16a)

Psalm: 121

Lesungen

Reihe I: Jesaja 51,4-6
Reihe II: Hebräer 13,8-9b
Reihe III: 2. Mose 13,20-22
Reihe IV: Matthäus 13,24-30
Reihe V: Römer 8,31b-39
Reihe VI: Prediger 3,1-15

Liedvorschläge

Eingangslied: EG 64, 1-6 Der du die Zeit in Händen hast
Wochenlied: EG 365,1-3 Von Gott will ich nicht lassen
Predigtlied: EG 379, 1-5 Gott wohnt in einem Lichte
Schlusslied: EG 65, 1-7 Von guten Mächten

Predigttext 2. Mose 13,20-22

20 So zogen sie aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste.
21 Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten.
22 Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.

Hinführung

Das Jahr 2020 ist in einer so dynamischen Veränderung, dass ich zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Meditation noch nicht wirklich überblicken kann, wie sich die nächsten Monate entwickeln werden. Es kann also gut sein, dass die Passagen des Rückblicks auf das Jahr 2020 Anpassungen und Überarbeitungen benötigen. In dieser Zeit wirkt der Text aus dem 2. Buch Mose erstaunlich aktuell. Der große Umweg, den das Volk Israel bereits zu Beginn seiner Wanderung macht, zeigt: Der Weg ins Gelobte Land ist nicht geradlinig, sondern kennt Schleifen und Bögen. So können Exodus und Wüstenwanderung zum Gleichnis für unser Leben werden, das auch nicht glatt verläuft. Die Frage, wo und wie Gott in all dem erlebt und erfahren wird, legt sich nahe und will eine Antwort finden. Ex 13, 20ff beschenkt uns am Altjahrabend mit dem Bild von der Wolkensäule und dem Feuerschein. Vielleicht erkennt der eine oder die andere im Rückblick auch im eigenen Leben die Gegenwart Gottes im vergangenen Jahr.

Ziel

Gott begleitet das Volk Israel auf seinem Weg als Wolkensäule und Feuerschein. Am letzten Tag des Jahres 2020 werden wir eingeladen, auf Spurensuche zu gehen.

Gliederung

I. 2020 – Kein Jahr wie jedes andere
II. Der Text
III. Die Wüstenwanderung als Symbol für unseren Weg durch die Zeit(en)
IV. Wo ist Gott?
V. Und wir?

Predigt

I. 2020 – Kein Jahr wie jedes andere

„Geh unter der Gnade, geh mit Gottes Segen!“
Am letzten Tag des Jahres geht dieser Wunsch unter die Haut.
Auf der Schwelle zum neuen Jahr geht uns ja so vieles durch den Kopf. Wir blicken zurück, denken an das, was gewesen ist und was nun hinter uns liegt – und stellen fest:
2020 war ein in vielerlei Hinsicht herausforderndes Jahr.

Am Anfang – ich erinnere mich noch gut -, stand der Vergleich mit den 1920-er Jahren. Fröhliche Ausgelassenheit, frischer Wagemut, Lust am Experiment – und dann kam der Absturz. Unvorstellbar. Unfassbar, wie schnell alles weggebrochen ist, was so stabil erschien. Die Pandemie hatte uns im Griff. Und nicht nur uns. Die ganze Welt. Ab März gab es nur noch ein Thema auf allen Kanälen. Da war Solidarität gefragt – und Geduld!

Ich vermute, es gibt niemanden, den diese Erfahrung nicht herausgefordert und nicht verändert hat.
Wir haben von neuem buchstabiert, was Solidarität bedeutet – und Rücksichtnahme. Wir haben lernen müssen, dass wir Abstand halten und einander dennoch nicht aus den Augen verlieren. Wir haben uns neu kennengelernt. Dabei sind Seiten unseres Wesens ans Licht gekommen, die wir so gar nicht kannten.

2020 war wahrlich kein Jahr wie jedes andere. Es hat uns an Grenzen gebracht, von denen wir vorher nichts ahnten. Verblüfft sind wir in ein neues, in ein anderes Leben eingetaucht und haben uns – manchmal einsichtig, manchmal unwillig – in das Unabänderliche geschickt.
Nun nehmen wir Abschied von diesem Jahr. Es wird in die Geschichtsbücher eingehen. Und wir hören auf einen Text, der sich einem ähnlich epochalen Einschnitt verdankt.
Es sind nur drei Verse aus dem 2. Buch Mose. Aber die haben es in sich! Sie bilden das entscheidende Scharnier zwischen Ägypten, dem Sklavenhaus, und der Wüste, dem Ort, an dem die Freiheit gesucht und gefunden wird.

Wir hören, wie Israel aus der Unterdrückung in Ägypten durch die Wüste hindurch in die Freiheit geleitet wurde.

II. Der Text

(Lesen des Predigttextes 2. Mose 13,20-22)

III. Die Wüstenwanderung als Symbol für unseren Weg durch die Zeit(en)

Gott, liebe Gemeinde, - so heißt es ein paar Verse zuvor – lässt das Volk Israel einen Umweg gehen. Nicht auf dem direkten Weg geht es zum Schilfmeer, sondern in Schleifen und großen Bögen.
Und so wird das auch bleiben. 40 Jahre lang. Umweg reiht sich an Umweg. Zäh schleppt sich die Karawane, und die Generation der Wüste wird das Ziel nicht erreichen und das Gelobte Land nur von Ferne sehen.
40 Jahre für eine Strecke von ein paar hundert Kilometern, das klingt nach allem anderen als nach einem zielgerichteten Marschieren.
Und selbst wenn man die Langsamsten zum Maßstab nimmt und darauf achtet, dass wirklich alle mitkommen – ein bisschen schneller hätten die Israeliten schon ins Land Kanaan kommen können! Aber Befreiung braucht Zeit. Und es sind längst nicht alle frei, die meinen, sie hätten ihre Ketten abgeschüttelt.
So wird die Zeit der Wüstenwanderung zum Symbol für das Leben von uns Menschen überhaupt.
Zum Symbol für ein Leben zwischen Aufbruch und verheißenem Ziel. Für ein Leben zwischen erlebter und erlittener Unfreiheit und erhoffter Freiheit.

Die Zeit der Wüstenwanderung umfasst vierzig Jahre. Eine ganze Generation. Vierzig Jahre wird gewandert, gemurrt, geklagt, geschimpft und gefeiert. Vierzig Jahre sterben Menschen und werden neue Menschen geboren. Vierzig Jahre gilt es Bedrohungen standzuhalten: äußerem Mangel, Hunger und Durst, aber auch Krankheiten und Seuchen und Feinden. Vierzig Jahre Bedrohung und Bewahrung. Verzweiflung und Rettung. Vierzig Jahre Durststrecken und Oasen. Und wenn es hochkommt, dann sind es achtzig Jahre und was daran köstlich erscheint, ist doch nur vergebliche Mühe (Ps 90, 10).

Aber heute Abend stehen wir noch ganz am Anfang des großen Umwegs. Von Sukkot, von den Laubhütten, sind die Israeliten aufgebrochen und kommen nun nach Etam, an den Rand der Wüste.
Dort macht Israel eine erstaunliche Erfahrung.
Gott zeigt sich dem Volk. Er zieht vor ihnen her und weist den Weg.
Tags als Wolkensäule. In der Nacht als Feuersäule.
So können sie gehen.
Tag und Nacht.

IV. Wo ist Gott?

Eine kurze Wegnotiz. Drei Verse, die uns die Augen öffnen für Gott. Sie zeigen uns an: Dieser Weg ist mehr als ein großer Umweg.
Und sie schärfen uns ein und sagen: Dieser Weg ist das Ziel. Das ganze Leben ist ein Weg. Mehr gibt es nicht und wird es nicht geben. Bis dereinst Gott alles in allem sein wird und kein Leid und kein Geschrei und keine Tränen mehr sein werden. Aber Gott sei Dank, sind wir auf diesem Weg nicht allein.

Feuerschein und Wolkensäule begleiten den Zug der Israeliten. Die Erscheinungsweisen Gottes könnten gegensätzlicher nicht sein. Nur im Kontrast ist Gott wahrnehmbar. Ganz anders, aber dennoch seinem Volk ganz nah. Im hellen Sonnenlicht, in flirrender Hitze erscheint Gott im Wolkendunkel. In der Dunkelheit der Nacht erkennt man seine Gegenwart als hellen Feuerschein.

Eine jüdische Auslegung zur Stelle schlägt vor, dieses Bild von Feuerschein und Wolkensäule zu übertragen:
In der klaren Welt der Aufklärung, in der Welt der eindeutigen Definitionen und Begriffe erscheint Gott als Wolke. Sinnbild für das Undeutliche, Verschwommene, Dunkle. Als Geheimnis, das sich unseren Definitionen und Begriffsbildungen entzieht.

In einer Welt und in einer Zeit aber, in der das Dunkel herrscht, wo die Gefühle und Emotionen schalten und walten, wo die Nachtseite des Lebens überhandnimmt und stil- und gesellschaftsbildend wird, da erscheint Gott in der Klarheit, als erhellende Wahrheit, die uns ruft und uns in die Verantwortung nimmt.

Wolkensäule und Feuerschein – zwei Erscheinungsweisen Gottes, der je nach dem anders da ist. Aber immer so, dass man sehen und erkennen kann: Er geht mit uns. Auch wenn man Gott nicht greifen und fassen kann, so ist er doch da.
Immer wieder anders. Immer wieder neu.
Das ist die Erfahrung, die Israel in der Wüste macht.

V. Und wir?

Und wir?
Was bedeutet diese Erfahrung für uns? Wir sind nicht wirklich in der Wüste unterwegs und doch haben wir in diesem Jahr kollektiv Durststrecken erlebt und erlitten.
Wir haben Disziplin gezeigt und Verständnis. Wir haben geklagt und gejammert. Wir wollten unser altes Leben zurück.
Wir haben Entscheidungen getroffen und Weichen gestellt. Sicherlich manche auch falsch gestellt.
Wir sind Umwege gegangen und haben uns ab und zu auch in Sackgassen befunden.
Wir haben gehört, dass uns Gott auch in den schweren Zeiten begleitet. Aber haben wir es auch glauben können? Haben wir es wahrnehmen können?

Und dann fällt mir auf: Auch für die Wolkensäule, auch für den Feuerschein braucht es Augen, die sehen können.
Wolkensäule und Feuerschein sind nicht von der Art, dass sie sich aufdrängten – oder überwältigen würden. Wolkensäule und Feuerscheine geben Hinweise. Flackernd, manchmal auch verschwommen und undeutlich.
Und der Weg dauert ja auch ewig. Fast ewig: 40 Jahre! Es braucht also einen langen Atem.
Zum langen Atem gesellt sich das Vertrauen, dass Gott uns begegnen will. Und wenn er uns begegnet, dann eben nicht im Vertrauten und Altbekannten. Sondern im Anderen, im Kontrast, im Widerspruch.
Als Geheimnis, das sich unserer Vernunft entzieht.
Als Klarheit und Wahrheit, wenn wir im Nebel tappen.

Unter diesem Vorzeichen, liebe Gemeinde, können wir auch von diesem seltsamen Jahr 2020 Abschied nehmen.
Es hat uns in Situationen gebracht, die wir uns nicht haben vorstellen können. Es hat uns herausgefordert. Es hat das Beste in uns zum Vorschein gebracht. Aber auch Verzweiflung und Trauer wachsen lassen.

„Ich glaube; hilf meinem Unglauben“ – es gab wohl selten eine Jahreslosung, die so zur Wolkensäule, so zum Feuerschein wurde wie dieser Vers aus dem Markusevangelium.
Amen.

Eingangsgebet

Guter Gott,
zu dir richten wir unsere Augen auf.
Von dir erwarten wir Hilfe.
Oft und viel hast du uns geholfen in diesem Jahr.
Du hast uns Auswege aus Sackgassen gezeigt.
Du hast uns Kraft gegeben, auch mühsame Aufgaben zu erfüllen. Du hast uns Geduld gegeben, auf manches zu verzichten, was wir gerne getan hätten.
Du hast uns getröstet und aufgerichtet, wenn wir niedergeschlagen waren.
Danke Gott, für alle Hilfe.

Fürbittengebet

Herr, unser Gott,
in deine Hände legen wir das vergangene Jahr – dankbar für das, was uns zugewachsen ist, und traurig über das, was wir verloren haben.
Du bist auch in diesem Jahr mit uns auf dem Weg gewesen.
Manchmal haben wir das gar nicht bemerkt. Unscheinbar wie eine Wolke am Tage, flackernd wie der Schein des Feuers in der Nacht warst du – es braucht offene Augen und Herzen, um dich zu erkennen.

Manchmal haben wir uns verrannt in unserem Zorn und in unserer Wut. Der Blick gesenkt, die Fäuste geballt. Doch du warst da und hast uns aufsehen lassen und auf neue Ideen gebracht.

Manchmal sind wir einfach weitergetrottet. Wir hatten keine Kraft, keine Energie, um uns große Gedanken zu machen. Doch du hast uns mit neuer Lebenskraft erquickt und unsere Verzweiflung in Hoffnung verwandelt.

Du bist mit uns auf dem Weg.
So gehen wir von einem Jahr zum anderen und bitten dich um Frieden auf Erden und um Einsicht und Verstand.
Wir bitten dich um Mut und Hoffnung, um Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit.
Wir bitten dich für die Menschen, die in Angst und Schrecken leben, und für die, die meinen, es sei alles in Ordnung.
Wir bitten dich für die Kranken und die Sterbenden. Gib den Trauernden Kraft und Halt.
Segne uns mit deiner Gegenwart und höre uns, wenn wir gemeinsam zu dir rufen: Vaterunser im Himmel …

Verfasserin: Prälatin Gabriele Wulz, Adlerbastei 1, 89073 Ulm


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