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Vergebung

von Siegmund Gattermann (64653 Lorsch)

Predigtdatum : 26.10.1997
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 21. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Matthäus 18,21-35
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Schriftlesung: Phil. 1,3-11

Wochenspruch:Bei dir ist die Vergebung, daß man dich fürchte

Wochenlied: EG 404

Weitere Liedvorschläge: EG 358; 412; 413

21 Da trat Petrus zu ihm und fragte: Herr, wie oft muß ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Genügt es siebenmal? 22 Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal.

23 Darum gleicht das Himmelreich einem König, der mit seinen Knechten abrechnen wollte. 24 Und als er anfing abzurechnen, wurde einer vor ihn gebracht, der war ihm zehntausend Zentner Silber schuldig. 25 Da er's nun nicht bezahlen konnte, befahl der Herr, ihn und seine Frau und seine Kinder und alles, was er hatte, zu verkaufen und damit zu bezahlen.

26 Da fiel ihm der Knecht zu Füßen und flehte ihn an und sprach: Hab Geduld mit mir; ich will dir's alles bezahlen. 27 Da hatte der Herr Erbarmen mit diesem Knecht und ließ ihn frei, und die Schuld erließ er ihm auch.

28 Da ging dieser Knecht hinaus und traf einen seiner Mitknechte, der war ihm hundert Silbergroschen schuldig; und er packte und würgte ihn und sprach: Bezahle, was du mir schuldig bist! 29 Da fiel sein Mitknecht nieder und bat ihn und sprach: Hab Geduld mit mir; ich will dir's bezahlen. 30 Er wollte aber nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis er bezahlt hätte, was er schuldig war.

31 Als aber seine Mitknechte das sahen, wurden sie sehr betrübt und kamen und brachten bei ihrem Herrn alles vor, was sich begeben hatte. 32 Da forderte ihn sein Herr vor sich und sprach zu ihm: Du böser Knecht! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich gebeten hast; 33 hättest du dich da nicht auch erbarmen sollen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe?

34 Und sein Herr wurde zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis er alles bezahlt hätte, was er ihm schuldig war.

35 So wird auch mein himmlischer Vater an euch tun, wenn ihr einander nicht von Herzen vergebt, ein jeder seinem Bruder.

Liebe Gemeinde!

Unser Text berichtet im vorausgehenden Vers 15, daß Jesus mit den Seinen über die Bereitschaft eines Jüngers spricht, dem Bruder im Falle eines Streites zu vergeben. Daraufhin ergreift Petrus das Wort. Seine Frage lautet: Wie oft muß man einem Bruder verzeihen? Ihm waren Bedenken in seiner Seele aufgestiegen, ob man wirklich dem anderen immerwährend entgegenkommen soll, um zu vergeben. Hat nicht alles Vergeben und Erlassen aus bereitwilligem Herzen nicht auch eine Grenze?

Petrus kannte die jüdische Überlieferung zum Thema Vergeben. Da hieß es: „Man vergebe einem Menschen ein-, zwei- bis dreimal, aber das vierte Mal vergebe man ihm nicht.“ Diese jüdische Tradition war Petrus bekannt und so setzt er die Vergebungsbereitschaft noch einmal sehr hoch an. Er meint, man muß wohl sehr weit entgegenkommen und bereit sein zum Vergeben. Er sagt sich, siebenmal sei die Zahl der Fülle und der Grenze. Mehr als siebenmal zu vergeben sei nicht nötig.

Aber Jesus weist diese scheinbare Gutmütigkeit und Hochmütigkeit und Bereitschaft zum siebenmaligen Vergeben als ein menschlich enges und begrenztes Verhalten ab. Jesus sprengt mit seinem gewaltigen Wort auch dieses menschliche Maß. Er sagt dem Petrus: Wenn dein Beleidiger siebenmal des Tages an dir sündigen würde und siebenmal des Tages wiederkäme und zu dir spräche: „Es reut mich,“ so sollst du ihm vergeben. Und wenn sich das siebzig Tage nacheinander wiederholte, so sollst du ihm vergeben siebzig mal siebenmal.

Das heißt: Unbegrenzt ist das Maß der Vergebung. Jesus muß Petrus belehren: Wenn man noch zählen kann, hat man das Vorige noch nicht vergessen, also noch gar nicht von Herzen vergeben. Damit Petrus und die Jünger erfahren, warum eine so unbegrenzte Bereitwilligkeit zum Verzeihen für einen Jünger Jesu eine Pflicht und wie verabscheuungswürdig die Unversöhnlichkeit gegen den fehlenden Bruder ist, erzählt Jesus ihnen als Gleichnis vom Schalksknecht.

Ein „König“, im weiteren Verlauf der Parabel „Herr“ genannt, hat einem seiner Diener ein großes Darlehen gegeben. Der betreffende Diener betrieb damit ein Bankgeschäft. Die Schuld wird unermeßlich groß. 10.000 Talente sind etwa 50 Millionen Mark. Diese Summe ist eine riesengroße unbezahlbare Schuld. Um die Größe der Summe zu veranschaulichen, vergegenwärtige man sich z. B. das Jahresgehalt von Herodes Antipas, das etwa 200 Talente betrug, also etwa eine Million Mark.

Dann kam der schreckliche Tag der Abrechnung. Der Knecht mußte über den großen Betrag Rechenschaft geben und bekennen, daß er ihn nicht zurückzahlen kann. Die Folge ist, daß der König des Gleichnisses sich auf den Rechtsstandpunkt stellt und Befehl gibt, den zahlungsunfähigen Diener samt Frau, Kindern und Habe zu verkaufen (2. Mose 21, 2). Aber durch das inständige Flehen des Schuldners gerührt, läßt er ihn frei, ja schenkt ihm die ganze Schuld.

Der Sinn des Gleichnisses ist: Der König, der mit seinen Knechten rechten wollte, ist Gott, die Knechte sind wir Menschen. Gott hat jedem von uns sein Gut und Haben gegeben, damit zu wirtschaften. Gott fragt nach dem Ertrag und Gewinn dieses Gutes, das sind die guten Werke, die Gott von uns verlangt. Von Zeit zu Zeit fordert Gott seine Knechte vor sich und läßt sich die Rechnungen vorlegen. Das geschieht, wenn er uns im Gewissen zur Rechenschaft zieht und alle unsere Werke in das Licht seiner Wahrheit stellt. Denn es gibt Zeiten, da merken wir die Nähe des lebendigen Gottes, des Richters über alles. Dann hören wir die Stimme: Tue Rechnung von deinem Haushalten. Gott rechnet anders als wir, und vor ihm ist nichts verborgen und nichts wird übersehen. So oft ein Tag dahin ist und ein Jahr seinen Lauf vollendet hat, ist es eine Erinnerung an uns, daß Gott Abrechnung halten will.

Jedes Sündenbekenntnis ist solch eine Abrechnung. Manche Menschen schieben diese Abrechnung so gerne hinaus, bis daß der Herr am Ende unsere Rechnung schließt durch den Tod. Gott möchte, daß wir seinem Wort gehorsam sind und seinen Willen tun. Der lautet als Grundsatz: Liebe Gott von ganzem Herzen und deinen Nächsten wie dich selbst. Dieses Grundgesetz der Liebe zu Gott und den Menschen übertreten wir aber mannigfaltig.

Niemand bringt von Haus aus so gute Werke und Liebe mit, daß Gott damit zufrieden ist, wenn wir Rechenschaft geben müssen. So sagt Martin Luther zur Stelle richtig: „Dein Gewissen sagt dir, daß du schuldig bist, Gottes Willen zu tun. Aber du hast ihn nicht getan und du mußt bekennen, daß du Gott nicht einen Augenblick geglaubt oder geliebt hast.

Der Knecht in unserem Gleichnis sagt: „Ich will dir alles bezahlen“ (Vers 26). Er will alles bezahlen. 10.000 Talente: Wo aber will der Bettelmann die hernehmen? Er sucht sein Heil nicht in des Königs Erbarmen, sondern auch zum guten Teil in seinem eigenen Tun und Werk. Er will einen Teil der Schuld tilgen und hofft dann für den anderen Ersatz zu bekommen.

Wenn Gott uns zur Rechenschaft ruft, müssen wir bekennen, daß wir den Preis der Schuld, die 50 Millionen Mark, nicht begleichen können. Deswegen rettet uns nur Gottes Barmherzigkeit: „Der Herr jenes Knechtes hatte Erbarmen und gab ihn los und die Schuld erließ er ihm auch“ (Vers 27). Ja, Gott jammert unser, darum hat er seinen eingeborenen Sohn dahingegeben ans Kreuz. Dort hat sich Jesus für uns als Bürge festnageln lassen. Die Schuld ist erlassen, weil Jesus Christus sie für uns bezahlt hat. Der Schuldbrief ist durch Christi Tod am Kreuz für uns zerrissen. So sehr hat uns Gott in seinem Sohn geliebt. Und nicht nur einmal, sondern millionenmal, täglich und reichlich vergibt uns Gott unsere Schuld.

Aber kaum hat jener Diener im Gleichnis die unbezahlbare Riesenschuld erlassen bekommen, so geht er hin und tut mit seinem Mitknecht das gerade Gegenteil: Er stellt sich ihm gegenüber auf den Standpunkt des Rechts und bleibt trotz aller Bitten seitens seines Mitknechtes darin verharrend, obwohl es sich um die kleine Summe von 100 Denaren, d. h. um etwa 80 Mark handelt. Wir Menschen pflegen gerne sehr „gerecht“ zu sein gegen den Nebenmenschen. Wir verharren im Rechtsstandpunkt ihm gegenüber, sehen seine Vergehungen gegen uns riesengroß und wollen oft nicht vergeben. Jesus veranschaulicht uns, in welch furchtbaren Gegensatz wir mit unserer Unversöhnlichkeit zu Gott treten. Während wir fort und fort aus Gottes Vergebung leben und diese in einem Maß brauchen, das sich mit dem, was wir einander schulden, gar nicht vergleichen läßt, so versetzt uns jede Verletzung unserer Ehre in einen Zorn.

Es ist oft ein Zorn, der sich nicht begütigen läßt und vom Vergeben nichts wissen will, sondern schreit nach Recht und Gericht. Gott muß es tragen, daß wir nicht nach ihm fragen, aber wir können den nicht tragen, der uns nach unserer Meinung nicht genug achtet. Vor Gott sagen wir ungescheut viel Verkehrtes; dagegen rächen wir jedes verkehrte Wort über uns an anderen. Für Gott haben wir oft keine Zeit, kein Geld, kein Herz; wenn uns dagegen jemand nicht dankt und es an der Liebe gegen uns mangeln läßt, so dünkt uns das unerträglich.

Deswegen bestellt im Gleichnis der Herr den Knecht zu sich und sagt zu ihm: „Du böser Knecht, jene ganze Schuld habe ich dir erlassen, da du mich batest. Mußtest du nicht auch dich erbarmen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe?“ (Vers 32 und 33). Luther übersetzt das Wort „Du böser Knecht“ mit „Schalksknecht“.

Ein Schalk bezeichnete zu Luthers Zeit einen Menschen von niedriger Gesinnung: Heuchler, Gottloser und Taugenichts, bei dem Hinterlist und Verstellung hervorstechende Laster sind. Ein Schalk und Schelm ist nicht das Gleiche. Der Schelm ist nur auf originell angelegte, listige und scherzhafte Streiche aus, während der Schalk mit Ironie und Hochmut den anderen zu bessern beabsichtigt. Jesus sagt, daß auf diesen Schalksknecht Gottes Gericht kommt.

Am Schluß des Gleichnisses zeigt uns Jesus die Folgen einer solchen Unbarmherzigkeit und Unversöhnlichkeit. Wer nicht an Gottes Barmherzigkeit barmherzig wird und durch Gottes Vergebung vergeben lernt, hat die Gnade Gottes verscherzt. Die Sünde der Unversöhnlichkeit ist schrecklich, denn sie will weder sich selbst bessern lassen noch Besserung von anderen annehmen. Sie will ungestraft und ungebessert sein. Die Schalksknechte aller Zeiten, die Gottes Barmherzigkeit erfahren haben, sollen durch dieses Gleichnis lernen, daß mit ihrer neuen Schuld der Unversöhnlichkeit die alte Schuld wieder lebendig wird.

Es ist eine neue Schuld, die einem wieder angerechnet wird, wenn einer seinem Mitknecht die 80 Mark nicht nachlassen will. Sie werden ihm jetzt angerechnet wie die 50 Millionen Mark. Dieser hohe Preis muß jetzt bezahlt werden, weil es eine unendliche Schuld ist. Damit leidet der Schuldner ewige Pein, es ist also eine wirkliche Bezahlung, aber eine solche, bei der die Zahlung kein Ende nimmt.

Wie ernst ist deshalb dieses Wort Jesu vom Vergeben untereinander. Es ist die umgekehrte Formulierung der Vater-Unser-Bitte: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Diesmal lautet die Formulierung: Du hast uns unsere Schuld vergeben, so wollen wir auch denen vergeben, die an uns schuldig geworden sind.

Die Vergebung ist das Herzstück der Kirche Jesu Christi. Hier gelten andere Gesetze und Maßstäbe als draußen in der Welt. Martin Luther sagt denn richtig: „Im weltlichen Regiment ist nicht Vergebung, sondern Strafe. Wenn man im weltlichen Regiment vergeben sollte, so würden ich und du nichts behalten“. Deshalb gibt es nur in der Gemeinschaft der Kirche eine Vergebungsbereitschaft und eine Vergebungsgemeinschaft. Wo jeder Bruder dem anderen von Herzen vergibt, da können zwei eins werden im Gebet, da können sie einander zurechtweisen, das Verirrte suchen, das Verderbliche überwinden, die Kleinen schützen und die Erniedrigten hochachten, da ist Jesus in der Mitte. Amen.

Pfr. Siegmund Gattermann

In der Wolfshecke 40

64653 Lorsch


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