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Viererlei Ackerfeld

von Martin Löffelbein

Predigtdatum : 15.02.2004
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Sexagesimae
Textstelle : Hebräer 4,12-13
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Wochenspruch:

Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht. (Hebräer 3,15)

Psalm: 119,89-91.105.116 (EG 748)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 55, (6-9) 10-12a
Epistel:
Hebräer 4,12-13
Evangelium:
Lukas 8,4-8 (9-15)

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 166
Tut mir auf die schöne Pforte
Wochenlied:
EG 196
oder EG 280
Herr, für dein Wort sei hoch gepreist
Es wolle Gott uns gnädig sein
Predigtlied:
EG 295
Wohl denen, die da wandeln
Schlusslied:
EG 384
Lasset uns mit Jesus ziehen

Liebe Gemeinde,
viele von uns haben sich nach diesem Wochenende, nach diesem Sonntag gesehnt! Endlich mal wieder ausspannen und zur Ruhe kommen, Pause machen und auftanken können! Für einige gehört der Gottesdienstbesuch dazu: „Hier kann ich über mich und mein Leben nachdenken“, sagen sie. Für andere ist das Ausschlafen wichtig, das gemeinsame Frühstück mit der Familie, ein Ausflug, ein Besuch bei Verwandten oder Freunden. Gottlob, es ist Sonntag, und der Terminkalender ist leer - oder zumindest leerer als an anderen Tagen.
Doch es gibt auch andere Erfahrungen. Immer mehr Menschen können gar nicht mehr richtig abschalten - oder sie haben zumindest große Schwierigkeiten damit, aus dem Alltag mit seinen Pflichten auszusteigen. Sie bleiben, selbst in der Freizeit, am Wochenende, im Urlaub noch atemlos und ereignisübersättigt. Der Lauf unserer Welt hat ihnen mit der Zeit das gute Maß, die lange Weile, die Fähigkeit zur Muße genommen: Wer tagtäglich unter Termindruck steht, merkt gerade in Zeiten der Ruhe, was alles noch liegen geblieben ist und erledigt werden muss! Atemberaubend ist das Tempo unserer Zeit geworden, der Stress, unter dem viele leiden, setzt sich oft noch in der Freizeit fort:
Manche Kinder und Jugendliche sind selbst in der so genannten „freien“ Zeit fast ausgebucht und müssen sogar einen Kalender führen, um noch den Überblick über all ihre Termine zu behalten.
Manchen Erwachsenen nimmt ein Nebenjob einen Teil der Zeit, die sonst zum Ausruhen zur Verfügung stünde.
Für junge Menschen von heute schließlich gehört es oft zum neuen Lebensstil, das ganze Wochenende in der Techno-Disco durchzutanzen.
Suchtmittel und Drogen müssen oft dazu dienen, den Stress überhaupt noch durchzuhalten. Das letzte aus Körper und Geist herauszuholen. Oder zu betäuben, wo sonst unangenehme Gefühle spürbar würden: Angst oder Leere vielleicht, Einsamkeit, eine ungestillte Sehnsucht.
Gottlob, es ist Sonntag, liebe Gemeinde. Hören wir heute, was Gottes Wort zu unserer Sehnsucht nach Ruhe und zur allgemeinen Rastlosigkeit zu sagen hat. - Ich lese den vorgeschlagenen Predigttext aus dem 4. Kapitel des Hebräerbriefes, die Verse 11, 12 und 13. Dort heißt es:
1 So lasst uns nun mit Furcht darauf achten, dass keiner von euch etwa zurückbleibe, solange die Verheißung noch besteht, dass wir zu seiner Ruhe kommen.
12 Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. 13 Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen.
Lasst uns darauf achten, dass wir die verheißene Ruhe finden - diese Empfehlung gab der Verfasser des Hebräerbriefes seiner Gemeinde gegen Ende des 1. Jahrhunderts. Trotzdem klingen seine Worte bis heute aktuell. Und wohltuend zugleich: Die Ruhe, nach der wir uns sehnen, ist nicht etwa irgendein Luxus, auf den man im Notfall verzichten muss! Nein, von Gott selbst ist uns ein Freiraum, eine Möglichkeit zum Entspannen verheißen. Gott weiß offenbar sehr genau, was wir brauchen. Ist das nicht „Gute Nachricht“, Evangelium für uns in einer atemlosen, stressgeplagten Zeit?!
Warum aber fällt es dann manchen so schwer, die ersehnte Entspannung zu finden? Warum jagen viele weiter, mit chronisch erhöhtem Pulsschlag, bis zum nächsten Wochenende, zum wohlverdienten Urlaub, bis zum so genannten Ruhestand? Warum wissen wir, wenn dann endlich einmal Ruhe eingekehrt ist, mitunter gar nicht recht, was wir damit anfangen sollen? Wie aus geschenkter Zeit erfüllte Zeit wird, die wir genießen können? Warum wird der Sonntag unter der Hand so leicht zum Freizeittermin, der Urlaub zur bis ins Detail geplanten Reiseveranstaltung, der Ruhestand zum „Unruhestand“?
Liegt’s an den vielen Wünschen, die ständig neu in uns entstehen, von der Werbung geschickt hervorgerufen und weiter kultiviert? Liegt’s am Tempo, das die Taktgeber unserer Zeit uns vorgeben, das wir gar nicht mehr hinterfragen?
Liegt der Sinn einer Ruhepause überhaupt noch in sich selbst - oder dient sie nur noch dazu, wieder fit zu werden für die nächste Runde im allgemeinen Wettlauf? Ist das eigentlich noch die Ruhe, von der der Hebräerbrief spricht, die von Gott verheißene Ruhe?
Man mag solche Fragen beiseite schieben - viele tun das ja auch. Solche Fragen stören, sie kratzen an unseren Gewohnheiten und Einstellungen. Sie klingen vielleicht sogar dumm, altmodisch und weltfremd.
Doch es ist auffällig, wie dringlich die Suche nach Ruhe in den wenigen Versen des Predigttextes gemacht wird: Lasst uns mit Furcht darauf achten, dass wir sie erreichen, heißt es da. Die verheißene Ruhe wird als ein Ziel beschrieben, das man leicht verfehlen kann.
Es geht bei alledem offenbar um viel mehr als nur um dieses oder jenes Wochenende, diesen oder jenen Feiertag oder um den Jahresurlaub. Um das ganze Leben geht es, um grundlegende Entscheidungen. Darum, unter welches Vorzeichen wir unser Leben stellen.
Gott wird als die letzte Instanz genannt, die über diese Grundentscheidungen urteilt. Alles wird aufgedeckt, nichts bleibt verborgen, kein Wunsch, kein Ziel, keine Sehnsucht. Über alles müssen wir Rechenschaft geben, heißt es im Hebräerbrief. Gottes Wort wird sogar mit einem scharfen Schwert verglichen, das über uns zu schweben scheint. Wird es alle die gnadenlos aburteilen, die ihr Leben unter das falsche Vorzeichen gestellt, die falschen Ziele verfolgt haben? Klingt das alles nicht wie nach einer letzten großen Gerichtsverhandlung im Himmel?
Kein Zweifel, solche Bilder schrecken zuerst einmal ab und machen Angst. Sie scheinen kaum zu den tröstlichen Worten zu passen, die unsere tiefe Sehnsucht so treffend beschreiben.
Genauso wenig aber passt ja oft auch unsere alltägliche Hektik zu unserem Bedürfnis nach Entspannung. Und gerade dieser Unterschied, diese Diskrepanz, dieses Nicht-Zueinander-Passen soll möglichst deutlich werden! Nicht mehr und nicht weniger. Die Unvereinbarkeit zwischen ersehntem Ziel und unserem Verhalten, unseren Wegen, soll ganz klar werden. Das eine wird vom anderen unterschieden, geschieden, auseinandergehalten. Als wenn man etwas mit einem Schwert durchtrennt. Keine Drohung ist bezweckt, sondern eine nüchterne Bestandsaufnahme. Eine Zwischenbilanz, eine Überprüfung unserer Grundentscheidungen. Darum geht es im Hebräerbrief!
Wer nur heute und morgen - und bestenfalls die letzte Woche - im Blick hat, dem wird es wohl schwer fallen, sich zu orientieren und die eigene Lage angemessen einzuschätzen. Darum nimmt der Verfasser des Hebräerbriefes Abstand vom gewohnten Lauf des Lebens. Er weitet sich und uns dabei die Perspektive: Die Gegenwart wird zu einem kleinen Punkt auf einer überaus langen Wegstrecke. Auf einem Weg, der vom Anfang der Welt bis zu ihrem Ziel führt.
Der Verfasser des Hebräerbriefes blickt zurück auf die Erzählungen vom Anfang der Welt, die uns in der Bibel überliefert sind. Darauf, wie es war, als Gott die Welt erschuf. Sieben Tage hat es gedauert, heißt es im 1. Buch Mose. Und an jedem Tag kam etwas Neues hinzu: Erst das Licht, Tag und Nacht. Dann der Himmel, das Meer und die Erde. Dann die Pflanzen, die Gestirne. Dann die Tiere des Himmels und des Meeres, die Tiere der Erde. Und schließlich der Mensch.-
Wir verstehen diese Erzählung heute - vor dem Hintergrund moderner wissenschaftlicher Erkenntnisse - sicher anders als die Menschen vergangener Zeiten. Aber vielleicht haben wir dabei zugleich auch mehr Gespür für eine ganz wichtige Pointe der Geschichte:
Den Schöpfer der Welt treibt nämlich weder Hektik noch Hast bei seinem Werk! Im Gegenteil - nach jedem Werk tritt Gott gleichsam ein paar Schritte zurück und schaut sich alles noch einmal ganz genau an. Ganz gelassen legt er eine schöpferische Pause ein. Um dann festzustellen: Es ist gut so. Und als die Welt am siebten Tag schließlich ganz fertig ist, denkt Gott nicht etwa darüber nach, wie es nun weitergehen könnte, welche Welt jetzt zu erschaffen wäre. Nein, wieder betrachtet er liebevoll sein Schöpfungswerk. Und als er sieht, dass alles gut ist, ruht er sich aus, einen ganzen Schöpfungstag lang.
Für das Volk Israel, das die Geschichten von der Erschaffung der Welt weitererzählte, ist dieser Ruhetag selbst ein Schöpfungswerk Gottes. Eigentlich ist die Welt erst mit diesem krönenden Abschluss wirklich fertig, wirklich perfekt. Ohne ihn würde etwas ganz Wesentliches fehlen. Ohne ihn würde nur Arbeit und Mühe, nur Planen und Ausführen zählen. Gott aber setzt am Ende ein wichtiges Zeichen. Er gönnt sich selbst die Ruhe. Er spricht sie sogar heilig - was er mit keinem anderen seiner Werke tut.
Heilig ist auch dem Volk Gottes dieser siebte Tag geworden. Ihn einzuhalten, ihn ebenso zu feiern wie Gott es getan hat, gehört für Israel zu den wichtigsten Lebensregeln. Ja, die Geschichte von der Erschaffung der Welt wird nicht zuletzt deshalb weitererzählt, um an den Ruhetag, den siebten Tag, zu erinnern: Denke an den Sabbattag und daran, dass auch du ihn heiligst (vgl. 2. Mose 20,8.f)! Feiere auch du diese Ruhe, nimm auch du Abstand von deinen Werken - so wie Gott es getan hat.
Gottes Wort als heilsame Erinnerung an den guten Anfang. Bewahrt und mitgenommen auf einen weiten Weg. Weitererzählt als Orientierung. Nicht um zu verurteilen, sondern um zu beurteilen. Um die Lage angemessen einzuschätzen - meine und unsere Lebenssituation, den Stand der Welt.
Uns gibt das die Möglichkeit zu unterscheiden: Zwischen dem, was dem Leben dient und dem, was Leben gefährdet oder vernichtet. Zwischen vermeintlichen Sachzwängen und dem, was Menschen wirklich brauchen. Zwischen der gewohnten Orientierung an Gewinn und Profit und einer Orientierung an menschlicher Gesundheit, seelisch, körperlich, geistlich verstanden.
Wir können dabei neu erkennen: Uns ist tatsächlich mehr verheißen als nur eine erschöpfte Atempause zwischen zwei Arbeitswochen. Mehr als reine Zerstreuung, die kaum dazu dient, wieder Kraft zu schöpfen für den harten Wettbewerb. Uns ist tatsächlich mehr verheißen als ein freier Tag, der dann zu nehmen ist, wenn die Maschinen oder der Produktionsablauf es erlauben. Uns ist mehr verheißen als Teilzeitarbeit oder Vorruhestand. Nicht nur die Arbeit, sondern auch die Ruhe gehört zum menschlichen Leben - zu einem Leben, das diesen Namen überhaupt erst verdient.
Nicht Geld, nicht Gewinn, nicht Konsum, nicht die Erfüllung immer neuer Wünsche ist das Ziel der Welt. Sondern die Erfahrung von Sinn. Die Erfahrung von Ruhe, von Frieden - mit sich selbst und mit Gott. Glück und Erfüllung. So dass am Ende auch wir sagen können: Es ist sehr gut!
Kein Zweifel: Von dieser Erfahrung sind wir oft noch weit entfernt. Wir sind unterwegs wie das Volk Gottes durch die Wüste, unterwegs aus dem Land der Knechtschaft in das gelobte Land. Und immer wieder laufen wir Gefahr, Konsum mit Glück zu verwechseln, Ablenkung mit Entspannung, Betäubung der Sinne mit echtem Frieden.
Darum ist es gut, dass das Wort Gottes dies alles immer wieder in Frage stellt. Es tut gut zu hören: Das ist nicht alles. Das ist nicht so, wie es am Anfang war - und nicht so, wie es am Ende sein soll.
Gott will die Hoffnung auf die verheißene Ruhe in uns wach halten, in unserer Gesellschaft, in unserem schnell gewordenen Leben:
Es ist doch möglich, dass die Wirtschaft sich nicht nur am Profit einiger weniger orientiert, sondern an der Zufriedenheit derer, die arbeiten. Dass Arbeitnehmer nicht nur als Kostenfaktor gesehen werden.
Es ist möglich, dass Arbeit nicht nur der Befriedigung immer neuer Bedürfnisse dient, sondern an sich sinnvoll wird für die, die sie tun.
Es ist doch möglich, dass nicht nur die Maschinen den Takt der Arbeit vorgeben, sondern auch menschliche Bedürfnisse nach Erholung und Orientierung.
Gott will die Hoffnung auf die verheißene Ruhe in uns wach halten, auch in persönlichen Lebenskrisen:
Es ist doch möglich, dass das, was ich bisher nur als Beschneidung meiner Möglichkeiten verstehen konnte, sinnvoll werden kann. Eine Krankheit, eine Schwäche, ein Versagen - kann nicht auch das am Ende trotzdem Sinn gewinnen?
Es bleibt doch möglich, Frieden zu finden - und sei es nach einer Phase der Enttäuschung, nach einer Phase der Wut darüber, dass etwas nicht sein kann.
Es bleibt möglich zu erkennen: Auch das war sinnvoll, auch das ist gut - vom Ende her gesehen.
Kein Zweifel: Von solchen Erfahrungen sind wir oft noch weit entfernt. Und wie die Dinge liegen, sind wir darauf auch schlecht vorbereitet. Wir haben uns ja daran gewöhnt, anderes zu erwarten, anders zu werten. Wir übersehen leicht, wo das Ersehnte zum Greifen nahe ist und Gestalt gewinnen könnte.
Wie gut, dass Gott es nicht dabei belässt! Wie gut, dass er uns immer wieder anredet, uns erinnert und tröstet:
Bis zur Erschöpfung arbeiten ist nicht das Ziel der Welt! Die Erfüllung des Solls um jeden Preis ist nicht das Ziel! Nicht das bisschen Leben, wenn alle Arbeit getan ist.
Ziel von Gottes Welt ist die Ruhe. Sie fühlt sich immer noch so an wie damals am Anfang. Damals, als Gott sich seine Werke ansah und sagte: Es ist sehr gut! So kann es bleiben.
Gottlob, es ist Sonntag, liebe Gemeinde! Lassen wir uns durch Gottes Wort daran erinnern, wozu wir wirklich leben. Gott möchte seine Ruhe mit uns teilen. Er möchte, dass wir den Frieden seiner Schöpfung ganz neu genießen und Erfüllung finden.
Welches andere Ziel kann demgegenüber wirklich Bestand haben?
Welches andere Ziel kann wirklich glücklicher machen?
Amen.

Verfasser: Martin Löffelbein (1998)

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