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Viererlei Ackerfeld

von Thomas Hessel (60311 Frankfurt)

Predigtdatum : 27.02.2000
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Sexagesimae
Textstelle : 2. Korinther (11,18. 23b-30);12,1-10
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Wochenspruch:

Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht. (Hebräer 3,15)

Psalm: 119,89-91.105.116 (EG 748)

Lesungen

Altes Testament:
Jesaja 55, (6-9) 10-12a
Epistel:
Hebräer 4,12-13
Evangelium:
Lukas 8,4-8 (9-15)

Liedvorschläge

Eingangslied:
EG 497
Ich weiß, mein Gott, daß all mein Tun
Wochenlied:
EG 196
oder EG 280
Herr, für dein Wort sei hoch gepreist
Es wolle Gott uns gnädig sein
Predigtlied:
EG 289
oder EG 397
Nun lob, mein Seel, den Herren
Herzlich lieb hab ich dich, o Herr
Schlußlied:
EG 384
Lasset uns mit Jesus ziehen

[18 Da viele sich rühmen nach dem Fleisch, will ich mich auch rühmen. 23 Ich habe mehr gearbeitet, ich bin öfter gefangen gewesen, ich habe mehr Schläge erlitten, ich bin oft in Todesnöten gewesen. 24 Von den Juden habe ich fünfmal erhalten vierzig Geißelhiebe weniger einen; 25 ich bin dreimal mit Stöcken geschlagen, einmal gesteinigt worden; dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, einen Tag und eine Nacht trieb ich auf dem tiefen Meer. 26 Ich bin oft gereist, ich bin in Gefahr gewesen durch Flüsse, in Gefahr unter Räubern, in Gefahr unter Juden, in Gefahr unter Heiden, in Gefahr in Städten, in Gefahr in Wüsten, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter falschen Brüdern; 27 in Mühe und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße; 28 und außer all dem noch das, was täglich auf mich einstürmt, und die Sorge für alle Gemeinden. 29 Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach? Wer wird zu Fall gebracht, und ich brenne nicht? 30 Wenn ich mich denn rühmen soll, will ich mich meiner Schwachheit rühmen.]
12,1 Gerühmt muß werden; wenn es auch nichts nützt, so will ich doch kommen auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn. 2 Ich kenne einen Menschen in Christus; vor vierzehn Jahren - ist er im Leib gewesen? ich weiß es nicht; oder ist er außer dem Leib gewesen? ich weiß es auch nicht; Gott weiß es -, da wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel. 3 Und ich kenne denselben Menschen - ob er im Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es -,
4 der wurde entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann. 5 Für denselben will ich mich rühmen; für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit. 6 Und wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht; denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört. 7 Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. 8 Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, daß er von mir weiche. 9 Und er hat zu mir gesagt: Laß dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. 10 Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Mißhandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten, um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.

Liebe Gemeinde,
“laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.”
Vielleicht tut mir so ein Wort gut, wenn die Kraft nachläßt, wenn uns Krankheit schwächt, wenn der Lebensmut schwindet. Solche Worte brauchen wir: Laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. – Also Gnade ist genug! Aber genügt uns die Gnade? Löst dieses Christuswort unsere Probleme und Sorgen? Immer noch Hunger auf die Welt, Krieg und Völkermord. Ist das für uns nicht viel eher Grund, traurig zu werden oder realistisch und hart?
Fast klingt es wie Polemik, wenn wir derartige Formulierungen hören wie: “Wenn wir nur um Gnade wissen und auf sie vertrauen, dann wird schon alles recht werden!”
Ist nicht manchmal Gottes Gnade nur im Rückblick für uns “begreifbar” und “nachvollziehbar”? – Wie oft sind wir ganz befaßt mit unseren Sorgen und Fragen? Und es gelingt uns nicht, über den Dingen zu stehen?
Im Leiden heiter und gelassen, im Unglück glücklich; ist das nicht ein Idealbild, dem wir so einfach nicht nachzukommen vermögen?
“Laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig”. Das ist doch wohl kein Satz allgemein menschlicher Erfahrung bei so viel Verzweiflung und Resignation um uns herum. – Paulus spricht vom Genügen an der Gnade; doch in der Welt, da genügt die Gnade nicht. Paulus spricht vom Gesetz der Gnade, doch die Welt hat ihre eigenen Gesetze. Paulus spricht von der Macht der Schwachen, doch in der Welt ist das eine schwache Macht. Wer Augen hat zu sehen, der sehe!
Paulus wird ganz offensichtlich Lügen gestraft, wo das Leben uns zerschindet, wo wir z.B. einer ethnischen Minderheit angehören und deshalb vertrieben werden. Wo Menschen andere verletzen, da ist wenig zu sehen von Gnade, da bleibt nur die schmerzhafte Erfahrung; ich bin geschlagen. Wo Menschen gesagt wird: DU BIST FÜR UNS ÜBERFLÜSSIG, da bleibt die gnadenlose Ohnmacht abgeschrieben in einer Welt der eigenen Gesetze.
Wem es so geht, der fühlt sich wohl kaum als Gefäß der Gnade und der Kraft. Eher ist er traurig und betroffen. Oder: Er stumpft ab in seinen Gefühlen, ist mit Gott und der Welt fertig. Manch eine und manch einer ist völlig am Ende...
Aber bei Paulus hören wir dieses besondere Wort, das uns nachdenklich machen kann, das uns bewegt oder ärgert, je nachdem, welche Erfahrung wir damit gemacht haben. Für Paulus auf jeden Fall gilt: Er, der Diener Christi, weiß, was menschliches Leid und Leben bedeutet; wenn er schreibt:
“Ich bin oft gefangen gewesen, habe Schläge erlitten, war oft in Todesnot, von den Juden erhielt ich fünfmal vierzig Geißelhiebe weniger einem, dreimal wurde ich mit Stöcken geschlagen, einmal gesteinigt, dreimal erlitt ich Schiffbruch.... ich war oft in Gefahr, in Städten, in Wüsten, auf dem Meer, unter falschen Brüdern, in Mühe und Arbeit... Hunger, Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße. Und außer all dem noch das, was täglich auf mich einstürmt und die Sorge für alle Gemeinden.”
Auf dem Hintergrund all dessen wird uns klar, daß Paulus nicht abhebt. Er steht mit beiden Beinen im Leben: ER KENNT DAS LEID.
Offenbar mehr als mancher von uns. Er schreibt auch nicht: “Als ich mit meinem Leben zu Ende schien, als ich im Meer trieb, als ich fast verhungerte, da habe ich erfahren, daß Gottes Kraft sich in meiner Schwachheit vollendet hat.” Nein, er schreibt: “Dreimal habe ich zu dem Herrn gefleht, daß der Pfahl im Fleisch, der Engel des Satans von mir weiche.”
Paulus kennt den “Pfahl im Fleisch.” Vermutlich waren es starke Kopfschmerzen oder eine Anfallskrankheit. Diesen “Pfahl” wollte er loswerden. Um Genesung bat er, doch sie kam nicht.
Paulus klagt, wie die Beter des alten Israel: “Herr, auf dich traue ich, Laß mich nimmermehr zuschanden werden, errette mich durch deine Gerechtigkeit. Sei mir ein starker Fels und eine Burg, daß du mir helfest.”
Gewiß doch, das können wir gut nachempfinden. Vielleicht kennt so mancher unter uns und so manche unter uns das Flehen: “GOTT; WENN ES DICH GIBT; DANN NIMM DIESE KRANKHEIT VON MIR!” – Herr, wenn du da bist, dann hilf mir jetzt! Schenke mir ein Zeichen deiner Kraft, denn ich bin am Ende! Wenn du mir jetzt nicht hilfst, dann ist alles aus!
Paulus geht es ebenso: Er muß mit seinem Leid fertig werden. Was ihm auferlegt ist, weicht nicht! Gott nimmt es nicht fort! Was aber bleibt dann?
Was bleibt nach den Prügeln, nach dem Hunger, nach dem Verrat? Was bleibt ihm in der Todesangst? – Und was bleibt uns, wenn wir auf unser Leben sehen? Auf die Tage, auf die Wochen, auf die Jahre und hinaus bis zum letzten Tag. – Für Paulus bleibt ein Satz... ein Satz von außen. Ein Satz des Herrn: “Laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig...”. d. h.: Wenn WIR schwach sind, dann ist CHRISTUS stark. Vielleicht geht uns das nicht ein und klingt bloß wie eine billige Vertröstung. Für Paulus ist das aber nicht so gewesen: Denn für ihn war die Kraft Gottes jetzt schon da mitten im Leiden.
So seltsam es klingt: Die Kraft Gottes hilft dem geschundenen Apostel auf. Sie wohnt in ihm. Die Kraft Gottes steht ihm auch dann bei, wenn die Gegner in Korinth ihn anfeinden und auslachen. “Deine Briefe,” werter Paulus, so spotten sie vielleicht, “die wiegen schwer und sind stark, aber wenn du selbst da bist, dann bist du schwach und deine Rede ist kläglich.”
“Ja,” sagt Paulus zu den Superaposteln, die in Korinth stolz daherschreiten und ihr Unwesen treiben, “ja, ich bin schwach und meine Rede ist vielleicht kläglich. Und wenn ihr euch rühmt, dann rühme ich mich auch – meiner Schwachheiten. Denn in meiner Schwachheit, da lebt die Gnade Christi, in meiner Schwachheit, da kommt Christus selbst zum Ziel.” Er kommt zum Ziel “in der Wahrheit des Evangeliums, in seiner Versöhnung.”
“IST JEMAND IN CHRISTUS; SO IST ER EINE NEUE KREATUR.
DAS ALTE IST VERGANGEN; SIEHE NEUES IST GEWORDEN.”
Er kommt zum Ziel in seiner Liebe, so daß der Apostel sagen kann: “Die Liebe Christi drängt uns.” Hebt Paulus jetzt ab? Hat er jetzt den Blick für die Weltwirklichkeit verloren? Vertröstet er billig aufs Jenseits? – Nein, er klagt. Er fleht zu Gott. So wie wir alle – vielleicht jeden Tag. Er wünscht sich von Gott, daß er ihm sein Leiden nimmt. Doch es geht ihm wie vielen Menschen: Der Pfahl im Fleisch bleibt.
Paulus leidet, und er muß damit leben. In Schwachheit damit leben.
Die Klage ist da, die Erhörung bleibt versagt. Aber Gott läßt ihn dennoch nicht alleine. Keine Gottesferne, sondern Christusgemeinschaft darf er erleben. Mit einem Mal gibt es für ihn keinen anderen Grund auf dem er bauen könnte außer Jesus Christus. –
Mögen die Spötter hänseln, die Kraft Christi wohnt in ihm. Mag er ein schwacher Redner sein, die Gnade Christi wohnt in ihm. Mag die Krankheit ihn quälen, die geduldige Hoffnung läßt ihn nicht zuschanden werden.
Paulus ergibt sich nicht blind in sein Schicksal, so, als ob das Leiden GOTTGEWOLLT wäre. Der Apostel klagt wie wir alle. Doch der Pfahl im Fleisch, der bleibt. So ist das nun einmal: Nicht jede Klage, nicht jede Bitte wird erhört. Aber wir bleiben mit unserer Not nicht alleine. Es gibt das Wort von außen, das uns hilft. Paulus jedenfalls hat es geholfen. Für ihn darf gelten: am Anfang die Klage, am Ende die Gnade.
Und für uns? Es mag jemand einwenden: Ja, Paulus, der hatte seine Offenbarungen. Er wurde schließlich bis in den dritten Himmel entrückt. Er hat Geheimnisse gehört und gesehen. Er hat Jesus Christus gesehen und sein Wort an ihn gehört. Aber zu mir spricht Christus nicht. Ich bleibe mit meiner Schwachheit alleine. Wenn‘s so ist, dann ist das traurig!
Das Wort von außen, das brauchen wir alle. PAULUS und Wir! Das Wort von außen, daß wir uns nicht selber sagen können.
Manchmal genügt da schon ein freundlicher Gruß. Ein Wort der Anteilnahme oder des Verstehens. Manchmal auch eine seelsorgerliche Ermutigung, wenn einer zweifelt. Ein Zuspruch, wenn jemand mit Gott und der Welt am Ende ist. Vielleicht können wir auch einmal ganz handfest tun und einen Menschen in den Arm nehmen und zu ihm sagen: “Lieber Freund, liebe Freundin, so wie ich dich jetzt festhalte, so hält dich Gott. Und nichts kann dich von der Liebe Gottes trennen.”
Von Martin Luther wissen wir, daß er in seinen Seelsorgebriefen Angefochtenen immer wieder zwei Bibelstellen zugesagt hat: “ALL EURE SORGEN WERFET AUF IHN; ER SORGET FÜR EUCH.” Und: “LAß DIR AN MEINER GNADE GENÜGEN, DENN MEINE KRAFT IST IN DEN SCHWACHEN MÄCHTIG.” Das Wort aus unserem Bibelabschnitt!
GNADE IST GENUG. Genügt uns die Gnade? Vielleicht nicht immer. Das mag schon sein. Es gibt Situationen in unserem Leben, da leben wir von der Klage. Vergessen wir in solchen Augenblicken nicht: das darf sein! Aber vergessen wir dann bitte auch nicht: Das Leiden vergeht, die Gnade bleibt! Amen.

Verfasser: Pfr. Thomas Hessel, Brentanostr. 21, 60325 Frankfurt

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