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Wachsam sein

von Anke Spory (Bad Homburg)

Predigtdatum : 24.11.2019
Lesereihe : I
Predigttag im Kirchenjahr : Letzter Sonntag des Kirchenjahres: Totensonntag
Textstelle : Johannes 5,24-29
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Wochenspruch: Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen. (Lukas 12,35)

Psalm: 126

Predigtreihen

Reihe I: Johannes 5,24-29
Reihe II: 1. Korinther 15,35-38.42-44a
Reihe III: 5. Mose 34,1–8
Reihe IV: Johannes 6,37-40
Reihe V: Daniel 12,1b–3
Reihe VI: Psalm 90,1-14(15-17)

Liedvorschläge

Eingangslied: EG 152, 1-3 Wir warten dein
Wochenlied: EG 147, 1-3 Wachet auf, ruft uns die Stimme
Predigtlied: EG 361, 1, 7, 10 Befiehl du deine Wege
Schlusslied: EG 171 Bewahre uns, Gott

Predigttext Johannes 5, 24 – 29

Vollmacht des Sohnes

24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.
25 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie hören werden, die werden leben. 

26 Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber; 
27 und er hat ihm Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist. 
28 Wundert euch darüber nicht. Denn es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden
29 und werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.

Hinführung

Der Letzte Sonntag des Kirchenjahres hat ein doppeltes Proprium: Einerseits als Ewigkeitssonntag, an dem die Gemeinde auf die Wiederkunft Christi und das Leben im Reich Gottes vorausblickt, andererseits als Totensonntag (bisher: Gedenktag der Entschlafenen), der dem Gedenken an die Verstorbenen und dem Trost für die Trauernden gewidmet ist.

In vielen Gemeinden wird der Verstorbenen im Hauptgottesdienst gedacht. Dies ist mit der Nennung der Namen der Verstorbenen verbunden. Oftmals werden dazu auch Kerzen angezündet. In manchen Gemeinden wird den Entschlafenen in einem gesonderten Gottesdienst erinnert, der am Nachmittag stattfindet, oft in der Friedhofskapelle. Der hier vorliegende Predigtvorschlag orientiert sich an dem Evangelium, das zum Totensonntag vorgesehen ist. Es kann m.E. auch als Verkündigung zum Ewigkeitssonntag verstanden werden.

Der Text steht im Johannesevangelium. Sein zentraler Inhalt ist die Gegenüberstellung von der Auferstehung zum Leben und der Auferstehung zum Gericht. Dieser Kontrast wirkt hart. Mit dem Wort vom Gericht verbinden sich unter Umständen furchteinflößende Vorstellungen, die die Kirche in der Geschichte oft genährt hat. Es wird in der Predigt auch darum gehen müssen, den tröstlichen Aspekt herauszuarbeiten, der in den Worten liegt.

Predigt

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde,

eine Mutter erzählt mir: Jedes Jahr, wenn der Martinszug am 11. November vorbei ist, muss ich meine Kinder bremsen, nicht gleich mit der Advents- und Weihnachtsbäckerei anzufangen. Das fällt schwer, sehen sie doch überall schon die Weihnachtsbäume in der Stadt, Spekulatius und Lebkuchen in den Regalen.

Der heutige Ewigkeitssonntag hat es schwer, sich am Ende des Kirchenjahres zwischen den schon leuchtenden Baumkugeln zu behaupten. Er ist ein stiller Sonntag, der das Laute nicht verträgt, weil er viel mit der oft schmerzhaften Erinnerung an Menschen zu tun hat, die wir loslassen mussten. Vielen ist der Tod begegnet in den vergangenen Monaten. Der Tod, der das Leben verdunkelt. Hautnah haben wir gespürt, wie der Tod Lücken reißt. Ob als Erlösung oder als Unfall, ob durch Gewalt oder Krankheit, ob zu Unzeit oder zur rechten Zeit, der Tod ist in unser Leben eingebrochen und hat es verändert. Wir haben unsere Verstorbenen betrauert in den vergangenen Monaten – und wir werden heute noch einmal schmerzlich an sie erinnert. Noch einmal tauchen bei einigen von uns die Bilder des Todes auf, durchwachte Nächte, Begegnungen beim Abschied uvm.

Wir gehen zurück in die Vergangenheit und manchmal wird uns auch unsere eigene Vergänglichkeit bewusst, die eigene Angst davor, dass es irgendwann zu Ende ist mit uns. Auch wenn es schwer fällt uns diesen bitteren Erfahrungen in unserem Leben zu stellen, meine ich doch: Es ist wichtig, diesem Sonntag bewusst zu begegnen, die Woche zwischen Ewigkeitssonntag und 1. Advent als eine Zeit des Übergangs wahrzunehmen. Denn diese Tage sind wie eine Brücke, die das Ufer der Erinnerung mit dem Ufer der Erwartung verbinden. Nach dem Abschied kommen die Fragen: Wie leben wir nach diesem Tod? Wie leben wir mit und nach unserer Trauer? Was ist mit unserem Leben, unserer Zeit, unserer Endlichkeit? Wie gehen wir um mit dem Leben, das uns bleibt?

Die Worte von dem Evangelisten Johannes klingen an diesem Morgen hart. Auferstehung zum Leben oder Auferstehung zum Gericht. Es sind Worte, die erschrecken. Solche Worte können missbraucht werden. Die Vorstellung von einem Gericht, dem sich jeder nach seinem Tod stellen muss, geht weit in die ägyptische Geschichte zurück. Dort hat man das Gericht über die Toten als Bilanz des Lebens erwartet. In der christlichen Kunstgeschichte ist diese Vorstellung vom Gericht vielfach aufgenommen und ausgemalt worden. Gerade im Mittelalter ist die Vorstellung verbreitet, dass es ein Jüngstes Gericht geben würde. Wenn solche Worte im Namen einer Macht oder einer Hierarchie gesprochen werden, haben sie alleine ein Ziel: Sie sollen den Menschen Angst machen. Wenn sie drohend daher kommen: Passt nur auf, achte genau darauf, was ihr tust, sonst wird es euch schlecht ergehen. Ein Erschrecken, das durch Drohungen ausgelöst wird, macht Menschen klein. Es lähmt sie.

Doch der Evangelist Johannes folgt einem anderen Verständnis von Gericht. Das Gericht geschieht schon jetzt, es ist kein Ereignis in irgendeiner zukünftigen Zeit: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, so schreibt Johannes (Joh 5, 25). Für ihn entscheidet sich das Gericht in der gegenwärtigen Entscheidung für den Glauben oder den Unglauben.

Wenn man auf den griechischen Ursprung des Wortes für Gericht schaut, dann wird sein Verständnis klarer. Das Wort Gericht kommt vom griechischen Wort „krisis“. Darin steckt unser heutiges Wort „Krise“. Eine Krise ist ein Zustand der Entscheidung. Es verweist auf einen Wendepunkt, an dem eine Veränderung ansteht.

Wie sehr Johannes dieses Gericht in der Gegenwart verortet, wird an der Geschichte deutlich, die unmittelbar vor unserem Predigttext erzählt wird. Es ist die Geschichte von dem Gelähmten, der seit 38 Jahren am Teich Betesda liegt (Joh 5, 1-9). Lebendig und doch wie tot.

Steh auf, nimm dein Bett und geh“ sagt Jesus zu ihm. Und dann erzählt Johannes weiter: „Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging hin.“ Es ist die Geschichte einer Auferweckung mitten im Leben. Es ist die Geschichte einer Auferstehung zum Leben. Für den Gelähmten ist sie ein Wendepunkt. Er muss sich nicht mehr damit abfinden, seine weiteren Jahre gelähmt und bewegungslos am Teich Betesda zu verbringen. Die Begegnung mit Jesus verändert ihn. Aus der Krise ist ein Weg in die Zukunft geworden.

Wenn Jesus später sagt: „Ich bin nicht gekommen, dass ich die Welt richte, sondern dass ich die Welt rette (Joh 12, 47), dann wird klar, worum es Jesus geht: Nicht um Gericht und Verdammnis, sondern darum, Wege ins Leben zu finden. Und zwar: Hier und Jetzt.

An einem Tag wie heute kann das eine tröstliche Botschaft sein. Wir alle wissen: Die Vergangenheit können wir nicht mehr ändern. Wir können schöne Erlebnisse, die wir mit den Verstorbenen geteilt haben erinnern, aber nicht mehr wiederholen. Wir können verletzende Worte nicht mehr zurückholen. Wir können etwas von den Verstorbenen bewahren an Worten, Gesten oder auch Gegenständen, die ihnen wichtig waren, aber die Zeit mit ihnen ist zu Ende.

Was wir können ist, uns ins Leben zurückholen lassen. Wir können hier und heute die Worte Jesu hören als eine Einladung, innezuhalten und zu fragen: Was mache ich eigentlich mit meinem Leben? Wie gehe ich um mit dem Leben, das mir noch bleibt? Wie kann ich hier und jetzt in meinem Leben einen Sinn finden, ein Sinn-erfülltes Leben führen? Die Worte von Jesus ziehen uns in die Gegenwart, in das Hier und Jetzt meines Lebens. Sie tun es im Angesicht nicht nur der Verstorbenen, sie tun es im Angesicht unseres eigenen Lebens. Der Psalmbeter findet dafür die Worte: Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen auf das wir klug werden. (Psalm 90, 12). Angesichts des Todes sollen wir klug werden gegenüber unserer eigenen Vergänglichkeit. Dieser Satz kann unsere inneren Kräfte wieder lebendig machen. Weil er uns daran erinnert, dass uns viel anvertraut, dass uns viel gegeben ist. Unser Leben, unsere Familien, unsere Aufgaben. Die Begrenztheit unseres Lebens in Raum und Zeit macht unser Leben einmalig und unwiederholbar. Deshalb ist es so gefährdet und kostbar. Angesichts des Todes kann uns die Kostbarkeit unseres Lebens, vielmehr noch die Kostbarkeit von allem was lebt, deutlich werden. Und diese Kostbarkeit sollen wir uns vom Tod nicht aus der Hand nehmen lassen.

Johannes erinnert an die Kostbarkeit des Lebens. Ja, er will unsere Sinne schärfen für das Jetzt, damit wir nicht steckenbleiben in unseren Erinnerungen an die Vergangenheit. Damit wir uns nicht verlieren in den schönen oder schlimmen Vorstellungen, die wir von der Zukunft haben. Szenarien an die Zukunft.

„Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie hören werden, die werden leben.“ (Joh 5, 25). Die Toten, dass sind nicht die, die schon entschlafen sind, sondern die, die mitten im Leben nicht mehr lebendig sind. Von daher steckt in diesen Worten auch ein Aufruf zur Wachsamkeit: Seid wachsam, seid aufmerksam für das, was geschieht, verschlaft es nicht. Diese Haltung können wir uns nur zu eigen machen, wenn wir in der Gegenwart leben.

Deshalb durchzieht dieser Ruf nach Wachheit, nach Aufmerksamkeit die Bibel. Nicht um Angst zu schüren, sondern um uns angesichts unserer Vergänglichkeit dem Leben zuzuwenden.

Ich lese den Text als einen Impuls zu einem sinnerfüllten Umgang mit Zeit. Mit unserer Lebenszeit.

„Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben." So heißt es in einer sehr alten Antiphon. Wer behauptet, dieses Wissen vermiese uns die Lebensqualität - nur nicht daran denken - irrt sich.

Unsere Begrenztheit, unsere Vergänglichkeit zu verdrängen ist vielmehr unklug und wenig weise. Jedes Sterben hat etwas Mahnendes für uns: Versäume nicht Zuwendung und Liebe! Der Auftrag zur gegenseitigen Liebe ist gerade für das Johannesevangelium von entscheidender Bedeutung: „Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe(Joh 15, 12).

Es ist keine Angstmacherei, kein Verharren in der Vergangenheit, die Johannes uns ans Herz legt, sondern sich im Hier und Jetzt der Liebe und dem Leben zuzuwenden. Diesem Wort Gottes zu vertrauen, dass Leben verheißt und uns zur Liebe anstiftet.

Vielleicht sind der heutige Ewigkeitssonntag und die stille Woche, die ihm folgt, eine gute Gelegenheit dem nachzugehen. Mich zu fragen: Woran orientiere ich mich angesichts des Todes und meiner eigenen Vergänglichkeit? Was ist und bleibt wichtig für mich in meiner verbleibenden Zeit? Und sich dann hoffentlich getröstet und gestärkt dem Leben und der Liebe zueinander zuzuwenden.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Amen

Hinweis:  Eventuell kann an die Predigt ein Gedicht von Marie Luise Kaschnitz gelesen werden, dass die Auferstehung mitten im Leben thematisiert.

Auferstehung

Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut.

Nur das Gewohnte ist um uns.
Keine Fata Morgana von Palmen
Mit weidenden Löwen
Und sanften Wölfen.

Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.

Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvoller Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.

Kollektengebet

Herr meiner Stunden und meiner Jahre,
du hast mir viel Zeit gegeben.
Sie liegt hinter mir
Und sie liegt vor mir.
Sie war mein und wird mein
Und ich habe sie von dir.
Ich bitte dich um Sorgfalt, dass ich meine Zeit nicht töte
Nicht vertreibe, nicht verderbe.
Jede Stunde ist ein Streifen Land.
Ich möchte ihn aufreißen mit dem Pflug.
Ich möchte Liebe hineinwerden,
Gedanken und Gespräche, damit Frucht wächst. 

Amen

(nach Jörg Zink)

Fürbittengebet

Die mit Tränen säen werden mit Freuden ernten. Dies hast du, Gott, uns verheißen. In dieser Hoffnung kommen wir zu dir mit unseren Bitten:

Wir bitten dich für alle, die um einen Menschen trauern,
der ihnen lieb und wert war,
für die, die heute mit ihren Tränen an den Gräbern stehen und für die, die nicht weinen können.
Lass sie darauf vertrauen, dass deine Liebe stärker ist als der Tod.

Wir bitten dich für die, die krank sind
und Schmerzen leiden.
Für die, denen der Tod vor Augen steht und
für die, die nicht sterben können.
Lass sie darauf vertrauen, dass wir im Leben und Sterben von dir gehalten sind.

Wir bitten dich für alle Menschen, die in unserem Land und überall auf der Erde Not leiden.
Für die, die sich nach Frieden und Gerechtigkeit sehnen und für die, die keinen Frieden finden können.
Lass sie darauf vertrauen, dass wir deiner neuen Welt entgegen gehen.

Und wir bitten dich für uns alle, denen es angesichts der Macht des Todes an Hoffnung fehlt.
Für die, die nach einer Perspektive für ihr Leben suchen und für die, die nicht mehr hoffen können.

Verfasserin: Pfarrerin Dr. Anke Spory, Römerstraße 10, 61352 Bad Homburg


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