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Wissen, was wichtig ist

von Thomas Volz (Frankfurt)

Predigtdatum : 30.10.2011
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : 18. Sonntag nach Trinitatis
Textstelle : Markus 1,32-39
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Wochenspruch:„Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen.“ (Jeremia 17, 14)

Psalm: 32, 1 - 5.10 - 11 (EG 717)

Lesungen

Altes Testament: 2. Mose 34, 4 – 10

Epistel: Epheser 4, 22 – 32

Evangelium: Markus 2, 1 - 12

Liedvorschläge

Eingangslied: EG 454 Auf und macht die Herzen weit

Wochenlied: EG 320 Nun lasst uns Gott dem Herren

Predigtlied: EG 629 Liebe ist nicht nur ein Wort

Schlusslied: EG 562 Segne und behüte

Gnade sei mit euch und Frieden von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn und Bruder Jesus Christus!

Liebe Gemeinde,

kennen Sie das Pareto-Prinzip? Auch bekannt als die „80-20-Regel“. Die besagt: Das Wichtigste zuerst! Denn: 20 Prozent der Aktivitäten bringen 80 Prozent der Arbeitsergebnisse. Und umgekehrt: weitere 80 Prozent der Anstrengungen bringen nur noch 20 Prozent des Erfolgs.

Mit Sicherheit haben Sie das auch schon bei Ihrer Arbeit, in Ihrem Haushalt und sogar im Umgang mit Menschen erlebt. Wer zum Beispiel in einer Papierflut zu ertrinken droht und sich entschließt, jetzt sein oder ihr Arbeitszimmer aufzuräumen, sollte berücksichtigen, dass die ersten zwei konzentrierten Aufräumstunden 80 Prozent der beglückenden neuen Ordnung erzeugen. Mit weiteren acht Stunden bekommt man dann zwar eine ziemlich perfekte Ordnung hin. Die nach zwei Stunden erreichte Ordnung lässt sich in weiteren acht Stunden aber eben nur um 20 Prozent steigern.

Also, um im Beispiel zu bleiben: Räumen Sie zwei Stunden lang konzentriert auf, und gönnen Sie in der restlichen Zeit sich und anderen etwas Gutes, zum Beispiel einen Besuch, den Sie sich eigentlich schon lange vorgenommen hatten.

Das gleiche gilt natürlich auch für das Zusammenstellen von Gemeindebriefen, für die Gartenarbeit, für die Vorbereitung von Prüfungen – und auch von Predigten: in der fünffachen Zeit lässt sich ein perfektes Ergebnis erzielen. Die Frage ist immer nur, was ist der Preis dafür?

Das Pareto-Prinzip, die 80-20-Regel ist zwar erst im 20. Jahrhundert entdeckt worden. Aber gültig war sie natürlich auch schon vorher, auch im 1. Jahrhundert nach Christus zurzeit Jesu. Die Christinnen und Christen der ersten Zeit, die die Geschichten von Jesus weitererzählt und nach einiger Zeit im zuerst entstandenen, dem Markusevangelium sortiert und verdichtet und aufgeschrieben haben, haben so etwas wie diese Regel natürlich beherzigt: Das Wichtigste zuerst.

Und darum kommt im ersten Kapitel des Markusevangeliums auch schon das Wichtigste vor, was zum Leben von Jesus gehört. Von Leiden und Sterben Jesu und vom leeren Grab wird natürlich noch nichts erzählt, die gehören ans Ende der Geschichte. Und doch ist dieser Kerngehalt unseres Glaubens in den ersten Geschichten von Jesus schon präsent. Denn es geht darum, dass möglichst vielen geholfen wird. Das ist das Wichtigste, und das kommt zuerst.

Aber hören Sie selbst! Aus diesem 1. Kapitel des Markusevangeliums ist uns heute ein Abschnitt zum Nachdenken aufgegeben. Ich lese die Verse 32 - 39 nach der Übersetzung (A) Hoffnung für alle (B) Martin Luthers: (Predigttext lesen)

A

32 Am Abend, als die Sonne untergegangen war, brachte man viele Kranke und von Dämonen beherrschte Menschen herbei.

33 Fast alle Bewohner der Stadt versammelten sich vor Simons Haus.

34 Jesus heilte viele von ihren Krankheiten und zwang die Dämonen, ihre Opfer freizugeben. Dabei verbot er den bösen Geistern, von ihm zu reden, denn sie wussten genau, wer er war.

35 Am nächsten Morgen stand Jesus vor Tagesanbruch auf und zog sich an eine einsam gelegene Stelle zurück, um dort allein zu beten.

36 Petrus und die anderen suchten ihn.

37 Als sie ihn gefunden hatten, sagten sie: "Alle Leute fragen nach dir!"

38 Aber er antwortete: "Wir müssen auch noch in die anderen Dörfer gehen, um dort die rettende Botschaft zu verkünden. Das ist meine Aufgabe."

39 Jesus reiste durch die ganze Provinz Galiläa, predigte in den Synagogen und befreite viele aus der Gewalt dämonischer Mächte.

B

32 Am Abend aber, als die Sonne untergegangen war, brachten sie zu ihm alle Kranken und Besessenen.

33 Und die ganze Stadt war versammelt vor der Tür.

34 Und er half vielen Kranken, die mit mancherlei Gebrechen beladen waren, und trieb viele böse Geister aus und ließ die Geister nicht reden; denn sie kannten ihn.

35 Und am Morgen, noch vor Tage, stand er auf und ging hinaus. Und er ging an eine einsame Stätte und betete dort.

36 Simon aber und die bei ihm waren, eilten ihm nach.

37 Und als sie ihn fanden, sprachen sie zu ihm: Jedermann sucht dich.

38 Und er sprach zu ihnen: Lasst uns anderswohin gehen, in die nächsten Städte, dass ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen.

39 Und er kam und predigte in ihren Synagogen in ganz Galiläa und trieb die bösen Geister aus.

Das Wichtigste zuerst! Darum geht es im ersten Kapitel des zuerst entstandenen, des Markusevangeliums, darum geht es auch in der Geschichte, die wir gerade gehört haben.

Vielleicht haben Sie es bemerkt: hier wird ein kompletter „Arbeitstag“, wenn ich das heute mal so nennen darf, im Leben Jesu beschrieben. Ein ganzer Tag, denn der jüdische Tag beginnt mit dem Sonnenuntergang. Ein Tag im Leben von Jesus umfasst also den Abend, die Nacht, den Aufgang der Sonne, die Zeit der Helligkeit, bis die Sonne sich wieder senkt.

Das ist nicht ganz unwichtig für das, was die Verfasser des Markusevangeliums weitererzählen wollen. Dieser Arbeitstag im Leben Jesu ist übrigens auch ein Tag, der bei uns heutzutage eher unbeliebt ist. Es ist der Tag nach dem Ruhetag, ein Montag sozusagen.

Vorangegangen im Markusevangelium der Sabbat, an dem Jesus in der Synagoge predigt und gleich im Gottesdienst zu heilen beginnt. Im Unterschied zu manchen Menschen unserer Tage, die sich nach einem Wochenende völlig erschöpft auf die Arbeit oder in die Schule schleppen, sind fromme jüdische Menschen am Ende des Sabbat, am Beginn der neuen Arbeitswoche eher erfüllt von der Kraft des Ruhetages, der mit dem Sonnenuntergang endet.

So scheint es auch bei Jesus gewesen zu sein, denn am Abend, nach Ende des Sabbat, wenn wieder geschafft und gearbeitet werden darf, bringen die Menschen Kapernaums jede Menge Kranke zu Jesus.

Und Jesus hilft. Er hilft vielen von ihnen, lässt die Kraft und den Segen des Ruhetags, die er gewonnen hat, weiterströmen. Das Wichtigste zuerst: Dass diesen Menschen, die auf Hilfe und Heilung warten und hoffen, tatsächlich auch geholfen wird.

Jesus hilft vielen von ihnen. Vielen, das ist mehr als die Hälfte. Kann gut sein, dass es ungefähr die 80 % sind, die mit 20 % der Energie erreicht werden können – wenn wir mal davon ausgehen, dass die Pareto-Regel auch für Jesus gegolten hat.

Sehr ehrlich wird hier erzählt: Jesus kann vielen helfen, nicht allen. Er könnte vielleicht allen helfen, aber nicht an diesem Abend. Und darum fängt er einfach an das zu tun, was er tun kann.

Einfach anfangen ist manchmal der beste Anfang, weil man dann in der Regel das Wichtigste zuerst macht. Darum fällt dieser erste Anfang auch so schwer. Sie kennen das vielleicht auch:

Den ersten Satz zu Papier oder zu Bildschirm bringen, den ersten Satz eines bedeutsamen Briefes, eines Referats oder einer Hausarbeit, den ersten Schritt auf jemand unbekanntes zu gehen, den ersten Schritt der Versöhnung tun, die erste Schachtel Zigaretten nicht rauchen – all das ist wirklich schwer. Bringt aber, wenn man es denn nun tut, schon den größten Teil des Erfolges – der Rest ist dann meistens Fleißarbeit.

Die Fleißarbeit kommt auch für Jesus später. Viele hat er geheilt in Kapernaum, nicht alle – mindestens einen Schwerkranken gab es noch. Von ihm wird dann in Kapitel 2 erzählt. Es ist der wegen der Umstände seiner Heilung berühmte, aber namenlose Gelähmte, den seine Freunde durch ein Loch im Dach vor Jesus hinunterlassen.

Das muss einige Wochen, wenn nicht Monate nach dem ersten Heilungsabend in Kapernaum gewesen sein. In der Zwischenzeit hat Jesus Unerwartetes getan, weiter getreu der Regel: das Wichtigste zuerst.

Zunächst einmal ist er am nächsten Morgen früh aufgestanden und aus dem Ort heraus an eine einsame Stelle zum Beten gegangen. Früh aufgestanden – vorher hat er dann natürlich geschlafen. Erst muss der Körper auftanken, dann die Seele. Dann kann es weitergehen.

Mich bewegt und beeindruckt hier besonders: das Arbeiten, das Regenerieren der Kräfte und das Weitermachen mit der Arbeit, dann allerdings an anderer Stelle, gehören zusammen, stehen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander. Und darum, so scheint es, kann das Ganze auch gelingen.

Bei mir ist das manchmal anders, bei Ihnen und anderen vielleicht auch: Manchmal setze ich mich so sehr ein für das, was zu tun ist, dass das Auffrischen meiner Kräfte darüber zu kurz kommt. Irgendwann häufen sich dann die Fehler, gelingt nichts mehr. Und wenn ich diese Warnzeichen auch noch ignoriere, melden sich am Ende Körper und Seele und ziehen die Notbremse: Krank.

In der Arbeitswelt sind in den letzten Jahren zunehmend mehr Menschen gezwungen, so zu leben und zu arbeiten, wollen sie ihre Position oder ihren Job nicht riskieren. Manchen – nicht allen! – Firmen ist egal, welche Folgen das auf längere Sicht für Mitarbeitende und Betrieb hat. Es zählt der kurzfristige Vorsprung vor den Wettbewerbern. Das führt dann oft genug dazu, dass alles zum Wichtigsten wird und am besten sofort getan werden muss.

Ist unser Gemeindeleben so ganz frei von dieser Sichtweise? Möglicherweise beobachten Sie das auch immer wieder einmal: Alles ist von herausragender Wichtigkeit, und zu selten geschieht ein Innehalten, ein Unterbrechen der Dienste und des Tuns.

Klar, es gibt ja auch zum Beispiel immer einige Menschen, die sich über einen Besuch freuen würden, aber bisher nicht besucht werden konnten.

Auch Jesus hatte zwar viele, aber nicht alle geheilt. Darum hat Simon Petrus ihn auch aufgestöbert, um ihn dazu zu bringen, an der Stelle weiter zu machen, an der er am Abend aufgehört hatte.

Aber: Jesus sagt „Nein“. Nicht, weil die restlichen 20 Prozent ihm egal wären. Sondern: weil zum Wichtigsten eben auch die nächsten 80 Prozent gehören, die Menschen in den anderen Orten Galiläas, die Hilfe brauchen, Hilfe durch Worte und Taten.

Das gerät manchmal aus dem Blick, gerade, wenn man sich für eine gute und richtige Sache mit aller Kraft einsetzt: es gibt noch mehr und es gibt noch anderes und andere.

Gut, wenn es dann Menschen gibt, die das Wichtigste im Blick behalten: dass der Auftrag, den Jesus hat, über Kapernaum hinausreicht. Dass meine Verantwortung nicht beschränkt ist auf meine Familie oder meinen Beruf. Dass unsere Kirchengemeinde nicht nur dafür da ist, sich um sich selbst zu kümmern. Dass ein ordentlicher Haushalt wichtig, aber nicht alles ist. Und so weiter.

Das Wichtigste zuerst. Zum Wichtigsten gehören auch die Orte und Zeiten des Kräftesammelns und Auftankens, die erst den Blick dafür öffnen, was als nächstes dran ist. Das kann der Gottesdienst am Sonntag-Vormittag sein. Es kann eine Zeit am Abend oder Morgen der Wochentage sein, die ich mir dafür freihalte. Oder der Spaziergang in der Mittagspause, die Auszeit am frühen Abend, nach der Erwerbsarbeit und vor der Familienarbeit.

Vilfredo Pareto, nach dem die heute schon öfters erwähnte 80-20-Regel benannt ist, war ein italienischer Wirtschaftswissenschaftler. Er lebe in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sein Verdienst war es, den gesunden Menschenverstand einzusetzen:

Er las eine Statistik, nach der 20 % der Familien in Italien 80 % des Geldvermögens besaßen. Daraufhin empfahl der den Banken, sich zur Sicherung ihres Geschäftserfolges genau um diese Familien zu kümmern.

Wie jede kapitalistische Idee wurde seine Regel sofort erfolgreich umgesetzt – mit teilweise schlimmen Folgen für die Menschen, die nun von den Banken nicht mehr wahrgenommen wurden.

Gültig bleibt die Regel trotzdem: „Das Wichtigste zuerst!“ Wenn wir dem Markusevangelium folgen und den Beobachtungen der Sozialverbände und Diakonischen Werke, dann besagt sie nämlich auch: 80 Prozent der Not haben bei uns 20 Prozent der Menschen – unsere Hilfe ist nötig und wird ankommen!

Und: 80 Prozent der Weltbevölkerung haben 20 Prozent des Reichtums der Welt – unser Einsatz für Gerechtigkeit ist nötig und wird etwas verändern.

Das Wichtigste zuerst – was bedeutet diese Regel eigentlich in unserer Gemeinde konkret? Vielleicht haben Sie Lust, nach diesem Gottesdienst darüber miteinander (und mit mir) ins Gespräch zu kommen?

Amen.

Und der Friede Gottes, der größer ist als unsere Vernunft, der halte unseren Verstand wach, und unsere Hoffnung groß, und stärke unsere Liebe.

Amen.

Verfasser: Pfarrer Thomas Volz

Homburger Landstraße 646, 60437 Frankfurt

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